Vorstellung der erweiterten Neuauflage des Buches

In dem folgenden Beitrag geht es um Flensburger Seefahrer auf Flensburger Schiffen zur Zeit der Segelschifffahrt in Flensburg vor 1850. Skizzierte Vorfälle von Havarien und Ereignissen sollen die Gefahren der Seefahrt vor über zweihundert Jahren beispielhaft darstellen: Ohne jede Kommunikation mit den Angehörigen und Familien in Flensburg während der langen Reisen und die Ungewissheit der Daheimge-bliebenen, die Schicksale bei Havarien und nicht zum Heimat-hafen Flensburg zurückgekehrten Schiffen.

Die Anfänge

Die Flensburger begannen mit der Seefahrt bereits im 14. Jahrhundert. Sie segelten nach Skandinavien, nach Island und Grönland, zum Walfang ins Nordmeer, in die Ost- und Nordsee, ins Mittelmeer und nach Westindien. Enge Beziehungen gab es nach Drontheim (alt; heute Trondheim) an der norwegischen Küste von 1600 bis 1780.
Handel und Seefahrt waren abhängig von Konjunktur, Krieg, Frieden und den vielfältigen rechtlichen Einschränkungen. Wobei nachvollziehbar aus Archiven und einsehbaren Dokumenten sicher nicht alle Informationen zu den Schiffen und frühen Reisen der Flensburger Segler vorliegen.

Die Professionalisierung der Seefahrt

Um 1600 segelten etwa 200 Schiffe von Flensburg aus, die kleineren Küstenfahrer segelten vor allem in der Ostsee und in den dänischen Gewässern. Nachweise des Handels mit Grönland und Island liegen vor seit dem 15. Jahrhundert. Um 1750 bestand die Flotte aus 113 Seglern, kleineren Fracht tragenden Jachten und sowie zweimastigen, größeren Schiffen. Damals fuhren etwa 600 Seeleute auf den genannten Schiffstypen. Um 1800 hatte sich die Zahl der Schiffe auf 270 Segler erweitert, meist moderne und größere Segler, mit etwa dreitausend Seeleuten aus Flensburg.
Zu Reisen in die Ostsee, besonders in Herbst und Winter, gen Norden in den Atlantik entlang der norwegischen Küste und nach Grönland und Island werden die damaligen Seefahrer ähnliche Gedanken wie uns heute bewegt haben: Bevorstehende Kälte, Regen und Schnee, schlechte Sicht, raue See und weit weg von menschlichen Siedlungen über Tage und Wochen – all das erwartete die Seefahrer. Nur aufgrund seemännischer Erfahrungen, ohne Wettervorhersagen, musste der Schiffsführer sein Ziel erreichen. Um überhaupt voranzukommen, brauchte der Segler günstige Windbedingungen. Das Wetter bestimmte stets und überall das tägliche Leben an Bord, so konnten Windstille und Flaute über mehrere Tage die Gemütslage aller an Bord stark belasten.

Die Schiffbrücke um 1830, als die Westindiensegler noch zur überregionalen Bedeutung von Flensburgs Hafen in besonderem Maße beitrugen

Der Alltag der Seemänner

Vom Leben an Bord in der Gemeinschaft mit vier bis zwölf Mann Besatzung, je nach Größe des Seglers, wissen wir heute wenig. Wie im Handwerk an Land der Meister die Arbeiten verteilte und überwachte, so galt der Schiffer, der Kapitän, als Führer des Schiffes. Er hatte die nautische Führung und Disziplinargewalt. Er prägte das tägliche Leben an Bord. Wobei die Sicherheit des Schiffes und der Menschen an Bord lebenswichtig waren, immer im Vordergrund standen. Nur durch die Aufmerksamkeit der Seeleute zu Wind und Wetter, durch die volle Unterstützung seiner Besatzung, schaffte der Kapitän die sichere und schnelle Reise. Nach einigen Tagen der Eingewöhnung in das Bordleben passten sich Seeleute und Schiffsführung den Lebensbedingungen an, bei gut kooperierender Besatzung sogar mit etwas Freude und Zufriedenheit.
Ihr Zuhause war ihr Schiff, die Familie war unerreichbar weit weg, obwohl im Hintergrund der Gedanken immer gegenwärtig. Wie auch für die Familie zu Hause, die Eltern und Kinder, die lange, ungewisse Abwesenheit des Familienvaters oder des Sohnes, sie ständig beschäftigt haben wird. Viel Warten, Hoffen, Trauern und Erinnern.
Die Seefahrer des 16. bis 19. Jahrhunderts haben nicht viele Reiseberichte geschrieben oder hinterlassen. Das tägliche Leben an Bord war für sie nach glücklicher Heimkehr kein Thema.
Die Seegebiete und Ziele ihrer Reisen waren meistens bekannt, über den Verlauf der Reisen, die Dauer und die überstandenen Gefahren, erfuhren Schiffseigner und Familie erst nach Rückkehr. Und von besonderer Tragik, wenn nach einem Schiffsuntergang der Segler verschollen mit unbekanntem Schicksal war und nicht zurückkehrte.

Blick über den Hafen in das Lautrupsbachtal. Vorn rechts befindet sich der hölzerne Kran, dahinter die 1795 in Flensburg gebaute Fregatte „Bernstorff“

Ein entbehrungsreicher Beruf

Sie begannen ihre Seefahrt-Laufbahn als Schiffsjungen und dienten sich nach Jahren der Praxis an Bord hoch bis zum Matrosen, Steuermann und Schiffsführer. Während auf den kleinen Jachten der Schiffer seine Crew wohl vor allem aus dem Familien- und Bekanntenkreis zusammenstellte, mussten die größeren Segler mit mehr als 10 Mann Besatzung auch Seeleute aus dem Umland anwerben. Sie unterzeichneten Zeitverträge für die jeweilige Segel-Saison und bekamen eine Abschlagszahlung vor dem Auslaufen aus Flensburg. Wie von diesem Geld die Familie des Seemanns damals mehrere Monate leben konnte, können wir heute kaum mehr verstehen und nachvollziehen.
Und waren sie erst raus aus der Förde, gab es kaum noch Kommunikation mit dem Zuhause, Schiffsführung und Seeleute blieben für Monate isoliert von der Heimat. Die Risiken der Seefahrt, gerade in den Küstengewässern von Nord- und Ostsee, zwischen den dänischen Inseln, rund um Skagen und entlang der norwegischen Küste, sind auch heute noch vielfältig; während die Vielfalt der Gefahren vor über zweihundert Jahren für uns heute kaum vorstellbar ist. Die Bedrohungen durch Strandung, Seeschaden, Krieg, Unfall, Krankheit, Sturm und Seegang forderten die ständige Aufmerksamkeit bei der Schiffsführung.
Die Ostsee kann bei starkem Wind mit kurzer und steiler See für Unruhe an Bord sorgen. Küstennähe verlangt die ständige Aufmerksamkeit, besonders bei Strömungen und Gezeiten, bei Nacht und bei schlechter Sicht. Dann kann nur der Anker als Notbremse vor dem Stranden retten. Das gilt besonders beim Segeln zwischen den dänischen Inseln und vorbei an Skagen in die Nordsee oder weiter gen Norden in den Atlantik.
Sie ließen sich von Spätherbst und Winter nicht aufhalten, wie Havarien anzeigen. Auf die Navigation mit Kompass, Lotleine, Primitiv-Seekarte und bloßem Auge als wesentliches Hilfsmittel konnten sie sich nicht verlassen bei schlechter Sicht, bei Nacht, ohne Leuchtfeuer oder Warnung vor der Küstennähe. Bei stürmischer See rauscht das Wasser über Deck, der Segler stöhnt, ächzt und lärmt; die Blöcke, Leinen und Segel schlagen gegen Wanten und Masten, die Seeleute arbeiten an Deck ohne ausreichend wasserdichte Kleidung. Und dann sind da die Zeiten fröhlicher Unterhaltung, optimaler Wind- und Seebedingungen, und Delphine begleiten das Schiff. Die meisten Verstöße gegen die Bordordnung waren spontane Reaktionen auf akute Missstände wie unzureichende Verpflegung oder Unverständnis gegenüber der Schiffsführung.

Bark „Orient“ an Ballastbrücke nach Übernahme von Sand als Ballast. Die „Orient“ wurde 1878 in Flensburg bei der Weedermannsche Werft gebaut.

Daten und Fakten zur Entwicklung der hiesigen Seefahrt

Als Quelle aus dem Archiv der Stadt Flensburg soll hier die Zahl der Unfälle, soweit bekannt, der Havarien und Schiffsuntergänge einzelner Seegebiete genannt werden. Sicher ist die Zusammenfassung unvollständig, da nicht alle Unglücksfälle bekannt sind.
Aus der Ostsee sind aus der Zeit 1750 bis 1850 etwa 74 Havarien, Strandungen, Untergänge bekannt, in den dänischen Gewässern kam es zu 36 Havarien, bei Skagen strandeten 15 Flensburger Segler, in der Nordsee einschließlich auf der Elbe sind 17 Schiffe verloren gegangen, im Nordatlantik und an der norwegischen Küste kam es zu 5 Schiffsverlusten und aus dem Mittelmeer sind 2 Schiffsverluste bekannt. Sehr wahrscheinlich sind die Angaben weder vollständig noch zuverlässig, da Reeder, Schiffseigner und Stadtverwaltung kaum über alle Vorfälle informiert wurden.

Beispiele von Schiffsverlusten

Hier nun die Auswahl einiger Unfälle auf See. Was sich an Dramen und Unheil hinter den Zahlen verbirgt ist für uns heute kaum vorstellbar. Und häufig kennen wir nur das Jahr des Unfalls und das Seegebiet.
Die „Fortuna“ wurde auf der Reise von Hamburg in die Ostsee im April 1673 vor Skagen von einem spanischen Kaperschiff angehalten und ausgeplündert, und konnte die Reise fortsetzen.
Am 17. November 1741 sank die 2-Mast-Galeere „St. Johannes“ südwestlich von Drontheim, die Besatzung kam ums Leben, Teile des Schiffes konnten später geborgen werden. Stürme und schwere Unwetter sind zu der Jahreszeit im Nordatlantik keine Seltenheit. 1800 ging das 2-Mast-Schiff „Die Seeblume“ mit 6 Mann Besatzung bei Kron-stadt im Finnischen Meerbusen verloren. Die Fregatte „Die Gratien“, ein Drei-Mast-Vollschiff mit 12 Mann Besatzung, ging 1798 bei Skagen verloren. Die Brigg „Der Leitstern“ mit 10 Mann Besatzung, segelte Januar 1819 von Waterport/England nach Gibraltar und verunglückte in der spanischen See, die Mannschaft wurde gerettet. Die Jacht „De 6 Södskende“ mit 4 Mann Besatzung verunglückte auf der Rückreise von St. Petersburg über Kronstadt nach Flensburg am 2.12.1833 bei der kleinen unbewohnten Insel Stean-Kiaer, der Schiffer wurde gerettet. „Die Hoffnung“, eine Galeasse mit 12 Mann Besatzung, segelte in Ostsee, Mittelmeer, und nach Norwegen, nach St. Petersburg, Livorno, Messina und Marseille, auf einer Reise von Messina nach St. Petersburg ging sie im Frühjahr 1844 total verloren. Warum und wo der Segler gesunken ist, ist nicht bekannt.
„Die Einigkeit“ ging 1791 vor Island verloren, „Anna Elisabeth“ ereilte das Schicksal 1847 auf Fangreise vor Island. Die „Aristites“ erreichte Fredericia im Juni 1808, nahm Munition und segelte als Kaperschiff gegen englische Schiffe. Am 15. Juli jagte sie eine englische Jacht in den Hafen von Marstrand, sie wurde dort von zwei englischen Kriegsschiffen gestellt, die Besatzung kam in englische Kriegsgefangenschaft.

„Besanschot an“, nach überstandenem Sturm

Flensburger Seefahrer auf allen Weltmeeren unterwegs

Der Drei-Mast-Schoner „Chin-Chin“ segelte 1865 entlang der chinesischen Küste, von Hongkong kommend nach Swatow und strandete bei schlechtem Wetter in der Nähe des Bestimmungshafens. Chinesische Piraten überfielen das Schiff. Der Kapitän und seine zehnköpfige Besatzung kamen mit dem Leben davon. Der Flensburger Kapitän blieb in der Chinafahrt und führte dann die Flensburger Bark „Marie“. Die Fregatte „St. Croix“ segelte 1842 zum Walfang in den Pazifik und kehrte 1845 nach erfolgreichem Einsatz zurück. Die zweite Reise zum Pazifik endete 1845 am Strand der Kapverden.
Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert kämpften die aus Nordafrika kommenden Berber-Stämme gegen die christliche Seefahrt. Die als Sklaven festgehaltenen Seeleute der überfallenen Schiffe, darunter auch Flensburger Seefahrer, mussten freigekauft werden. Auch wenn die dänische Krone Vereinbarungen mit den Berbern einging, fielen doch Flensburger Seefahrer in die Hände der Barbaresken. Die Angehörigen konnten die hohen Forderungen zum Freikauf häufig nicht aufbringen. Sie sammelten in den Flensburger Kirchen bei Kollekten Geld zum Freikauf.
Die Reisen über den Atlantik zur Karibik im 18. und 19. Jahrhundert begründeten die Rum- und Zuckerbeziehungen Flensburgs. Auch zur Sklavenfahrt vor der afrikanischen Küste nach Amerika segelten Flensburger Schiffe. Nicht als Sklaventransporter, vielmehr zur Versorgung mit Lebensmitteln.
Während des Krieges der Dänen gegen die Engländer beteiligten sich auch Schiffe aus Flensburg als Freibeuter am Kaperkrieg gegen England. Der Flensburger Segler „Die Hoffnung“ hatte 1808 drei gegnerische Schiffe aufgebracht und lief nach einem weiteren Schusswechsel nördlich von Rönne an der Westküste von Bornholm schutzsuchend unter Land, als die Pulverkammer getroffen wurde und das Schiff explodierte.
173 Segler der Flensburger Flotte sollen während des Krieges von 1807 bis 1814 verloren gegangen sein. Englische Marine und Freibeuter annektierten und kaperten Schiffe unter dänischer Flagge und hielten die Besatzungen in englischer Gefangenschaft. Ein solches Gefängnis befand sich in der Nähe von Edinburgh, wo mehrere Flensburger Schiffer und Mannschaften festgehalten wurden.

Seemann am Ruder

Fazit

Als ein Teil der maritimen Vergangenheit Flensburgs soll der Hinweis auf die Seefahrer und ihre Familien die vielfältigen Aspekte des Seemannslebens aufzeigen. Die Bordgemeinschaft weit weg von Zuhause und die Angehörigen ohne Kontakt mit ihren Männern, mussten mit den Lebensbedingungen klarkommen. Die kurzen Einblicke in die Flensburger Seefahrt unter Segeln von vor zweihundert Jahren bieten den Lesern eine Vorstellung von der Bedeutung Flensburgs als Heimathafen einer beachtlichen Flotte von Segelschiffen im dänischen Gesamtstaat. Die Stadtverwaltung und Organisationen wie das Flensburger Schiffergelag, kirchliche Gemeinden und Hilfsgemeinschaften unterstützten die Seefahrer und ihre Familien. Beim Bummel durch Flensburg, besonders entlang der Hafenpromenade, begegnen wir auch heute immer wieder Hinweisen auf die maritime Vergangenheit sowie auf die Leistungen und Erfolge Flensburger Reeder, Schiffer und Seefahrer.

Text: Jürgen Müller-Cyran
Fotos: privat

- WERBUNG -