Schiffbrücke 43 lautet die nüchterne Adresse eines Eldorados für Freunde historischer Schiffe und interessanter Restaurierungen: die Museumswerft, die direkt am Hafenkai liegt. Tobias Fischer, Eigentümer und Bootsbaumeister, schätzt für das Frühstück einen besonderen Platz. In der größten Halle die Treppe hoch – so hat er auch in der Pause große Teile seiner Werft im Blick. Im Sichtfeld vier Boote, und zu jedem kann er mindestens eine spannende Geschichte erzählen.

Obwohl: Eine der vier Baustellen ist nur das Modell eines Westindien-Seglers. Maßstab: 1:3,5. Ein Lexikon für Schiffstypen weist es als Drei-Masten-Brigantine aus. Das historische Vorbild soll 1781 nur wenige Meter weiter vom Stapel gelaufen sein. Der Segler schipperte mit Ziegelsteinen und Gebrauchsgegenständen zu den dänischen Karibik-Kolonien und kehrte mit Rum und Zuckerrohr zurück. Nach fünf Jahren wurde er verkauft und verschwand spurlos – bis auf Beschreibungen und Zeichnungen. So konnte in den letzten sieben Jahren ein Modell nachgebaut werden, das als Exponat bald auf die andere Straßenseite wechseln soll – auf den Hof des Schifffahrtsmuseums.
Hinter dem Nachbau liegt eine Smakke-Jolle. Dieser Bootstyp wurde zum Fischen an der Küste verwendet oder als Lotsenkutter, um größere Schiffe vor der Mündung der Themse zu empfangen und sie bis nach London zu begleiten. „Gerade ist in Großbritannien ein kleiner Hype entfacht“, erzählt Tobias Fischer. „In Cornwall baut eine Privatwerft diese Jollen nach.“ Zur Rechten streckt sich ein Hai-Kutter, Baujahr 1907. Damals ein moderner Typ, der nicht nur auf Segelkraft setzte, sondern bereits einen Hilfsmotor hatte. So waren sie bei schwachem Wind flinker bei den Fischgründen und „raubten“ der Konkurrenz alles weg. „Die Hai-Kutter waren auch schneller zurück im Hafen“, weiß Tobias Fischer. „Die Besatzung konnte so als erstes frischen Fisch liefern und den Preis bestimmen.“
Direkt vor der Halle thront ein größerer Kahn. Mit ihm wurden schon vor dem Ersten Weltkrieg Ziegelsteine transportiert – als Egernsund noch zum deutschen Kaiserreich gehörte. Die Sanierung dürfte aufwändig werden, da der Kahn stärker vom Pilz befallen ist als zunächst angenommen. Um solche negativen Überraschungen zukünftig zu vermeiden, hat Tobias Fischer die Idee seinen Personalstamm von acht Mitarbeitern um einen neunten „Kandidaten“ zu erweitern. Dieser hat vier Beine und tollt gerne über das Gelände: Münsterländer „Hugo“. Der Hund soll so ausgebildet werden, dass er mit seinem sehr guten Riechorgan an ungeahnten Stellen nach Pilzen schnüffeln kann.
Die historisch orientierte Werft entstand in den 90er Jahren als Ableger des Museumshafens, arbeitet aber längst eigenständig. Ihre Rechtsform: eine gemeinnützige GmbH. Tobias Fischer stieg vor gut drei Jahren ein und hat den Betrieb inzwischen übernommen. Der gebürtige Hamburger hatte einst den Traum, die Welt „unter Segeln“ zu umrunden. „Warum sind manche Boote so teuer und andere so billig?“, fragte er sich. „Es muss da bestimmte Dinge geben, die ich nicht verstehe.“ Er absolvierte eine Ausbildung zum Bootsbauer. Zunächst in Hamburg, dann in Kappeln.

Es ist ein komplexer Beruf, der sich zwischen Handwerk, Technik und Materialkunde bewegt. Man fertigt Zeichnungen von Schiffen an und kontrolliert diese. Ein Interesse an historischen Ereignissen und speziell an der Geschichte der Schifffahrt ebnet den Weg zu einer Museumswerft. In den Flensburger Betrieb hatte Tobias Fischer früher schon mal hineingeschnuppert. Vor drei Jahren schrieb er per E-Mail: „Mit einer Ausbildung hatte es damals ja nicht geklappt, aber vielleicht komme ich als Nachfolger in Frage.“ Der bisherige Eigentümer Uwe Kutzner trat aus Altersgründen kürzer, schaut aber immer noch bei der Museumswerft vorbei.
In den ersten Monaten dieses Jahres wurden viele neue Schiffsmasten gefertigt. Viele Bootsbesitzer bestellten für die Winter-Saison, um im Frühjahr wieder in See stechen zu können. Tobias Fischer geht selbst mit dem Förster in den Wald, um sich bis zu 20 Meter hohe Bäume, bevorzugt Douglasien, auszusuchen. „Am besten fällt man die Bäume im Herbst“, betont der Bootsbaumeister. „Viele Kollegen achten sogar auf den Mondkalender und meinen, bei Vollmond das beste Holz zu bekommen.“ Die Mitarbeiter eines Sägewerks entfernen die Rundungen und schneiden ein langes Vierkantstück zurecht. Auf der Museumswerft wird das Zwischenprodukt dann gehobelt, geschliffen und lackiert. Schließlich wird der neue Mast auf das Deck gesetzt.
Nicht jedes Schiff kann restauriert werden. Ein solch trauriges Kapitel schreibt wohl die „Feuerland“, die die Museumswerft seit einiger Zeit auf der Straßenseite flankiert. Ein Förderverein hatte ursprünglich den Traum, mit dem Schiff noch einmal über den Atlantik nach Feuerland zu schippern, wo es vor neun Dekaden als Basis für die Expedition des Marine-Offiziers und Fliegers Gunther Plüschow diente. „Es handelt sich leider um einen wirtschaftlichen Totalschaden“, meint Tobias Fischer. „Das Besondere an diesem typischen Büsumer Fischkutter ist seine Geschichte.“ Die „Feuerland“ ist wohl nur noch als Exponat für eine maritime Sammlung zu gebrauchen.

Auf der Museumswerft wird mit modernen Werkzeugen und Maschinen gearbeitet. Etwas anderes lassen die Richtlinien der Berufsgenossenschaft auch nicht zu. Tobias Fischer hat aber einige historische Werkzeuge angeschafft – für den musealen Charakter seiner Werft. Gerade im Sommer schlendern viele Touristen über das Gelände und schauen den Bootsbauern über die Schultern. Zur allgemeinen Sicherheit werden aber einige Bereiche abgeriegelt.
Führungen sind möglich. Gerade für Schulklassen bietet sich diese Option an. Dann kommt auch die Museumspädagogik mit ins Boot. Staunend stellen die jungen Besucher fest, dass nicht nur Holz schwimmt, sondern auch ein Stahlkasten. Oder dass Holz ein organischer Werkstoff ist, der arbeitet und speziell präpariert werden muss. Der Bootsbau ist eben eine komplexe Disziplin.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, Thomas Becker

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