Ein Flüchtlingsschicksal im 20. Jahrhundert

Er ist und war ein Kriegskind, musste wie so viele andere auch als gerade Fünfjähriger seine Heimat verlassen, mit den Eltern eine lebensgefährliche und riskante Flucht auf sich nehmen. Heinz-Jürgen Falkowski, der bald ins 80. Lebensjahr eintreten wird, ist Jahrgang 1940, in einem kleinen Ort namens Lötzen in Ostpreußen geboren. Kurz vor Ende des 2. Weltkriegs flohen die Falkowskis, die Eltern mit Sohn und Tochter, gen Westen an Bord des zum Flüchtlingstransporter umfunktionierten Luxusdampfers „Cap Arcona“, überstanden unversehrt die gefahrvolle Reise gen Lübeck, und fanden schließlich eine neue Heimat in Schleswig-Holstein, in Lübbersdorf nahe Oldenburg in Holstein.
Die „Cap Arcona“ wurde bald darauf am 3. Mai 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, durch britische Flugzeuge versenkt, wobei die meisten der an Bord befindlichen rund 4.600 Menschen, überwiegend KZ-Häftlinge, ums Leben kamen.
In Lübbersdorf verbrachte Heinz seine Kindheit, ging dort zur Schule, und absolvierte im nahegelegenen Oldenburg erfolgreich eine Lehre als Radio- und Fernsehtechniker, damals ein noch recht neues Berufsbild. Nach bestandener Prüfung blieb er noch kurze Zeit der Lehrfirma als Geselle erhalten, doch es zog ihn in die große, weite Welt hinaus. Er studierte diverse Stellenangebote, entschied sich schließlich für einen Arbeitsplatz bei der „Weser Flugzeugbau“ in Bremen, doch sagte ihm die dort angebotene Fließbandarbeit überhaupt nicht zu; nach 14 Tagen Probezeit verließ er das Unternehmen und wechselte zu „Neckermann“ in Bremen. „Neckermann“ war ein vielfältiges Unternehmen in der Mitte des vorherigen Jahrhunderts, nicht nur als Versandhandel bekannt, sondern insbesondere durch seine Kaufhäuser mit zahlreichen Filialen in vielen Städten des Landes allgemein bekannt. Die Anstellung in der Bremer Filiale endete jedoch schnell wieder, man bot Heinz den gleichen Posten in der Filiale in Kiel an, und er nahm dankend die Chance wahr wieder nach Schleswig-Holstein zurückwechseln zu können. Kiel war dann jedoch auch nur wieder eine berufliche Zwischenstation, es verschlug ihn binnen Jahresfrist in 1959 innerhalb des Unternehmens schließlich nach Flensburg!

„Neckermann macht’s möglich!“

Neckermann war in den 50er und 60er Jahren in etwa das, was die heutigen Discounter sind: Ein Billiganbieter insbesondere für Haushaltswaren, Textilien, Möbel und Elektroartikel. Dabei waren die Preise für damalige Verhältnisse so sensationell niedrig, dass Handwerk und Einzelhandel gegen die Billigangebote heftig protestierten. Den Werbeslogan verbreitete das Unternehmen auf allen Werbekanälen als eine Botschaft, die wie kaum ein anderer Slogan im kollektiven Gedächtnis der Konsumenten haften bleiben sollte: „Neckermann macht‘s möglich“. „Leider war Neckermann als Arbeitgeber auch sensationell knauserig“, weiß Heinz augenzwinkernd zu berichten – dennoch wird ihm die Zeit dort unauslöschlich im Gedächtnis bleiben: Er lernte dort seine spätere Frau Elfriede kennen. Elfriede, in Haddeby bei Schleswig geboren und dort bei der Großmutter aufgewachsen, fand schließlich in Flensburg eine Anstellung, die sie leider nicht so besonders glücklich machte, und wohnte damals bei einer Großtante in der Apenrader Straße. Sie kam regelmäßig bei Neckermann, seinerzeit nahe des Nordertors gelegen, vorbei und sah eines Tages im Schaufenster den Aushang mit einem Stellenangebot. Kurz entschlossen ging sie in den Laden, fragte nach der angebotenen Arbeitsstelle, und wurde sofort ins Büro gebeten mit der Bitte, doch gleich auf der Stelle anfangen zu können. Gesagt, getan – und alsbald lernte sie am neuen Arbeitsplatz ihren Heinz kennen und lieben. So traf dann ungewollt Neckermanns Werbeslogan auch auf diese beiden zu, und sie mussten sich das selbstverständlich auch häufig von anderen anhören! Am 16. Juni 1961 (ein leicht zu merkendes Datum; 16.6.61) wurde geheiratet – ein idealer Tag zum ausgiebigen Feiern, war doch seinerzeit der Folgetag 17. Juni als Tag der Deutschen Einheit ein permanenter Feiertag in der Bundesrepublik. Heinz blieb insgesamt nur ein Jahr lang bei Neckermann, suchte sich einen besser bezahlten Job bei Hinrichsen in der Großen Straße, blieb dort auch nur kurze Zeit, bis er schließlich und endlich seine Lebensstellung fand; bei der Firma Wendorff am Südergraben. Bei Kurt und Anneliese Wendorff gefiel es ihm auf Anhieb; Heinz bezog direkt über der Werkstatt im Südergraben 11 eine Wohnung, und blieb dort immerhin 15 Jahre lang wohnen. Seine Familie war in recht kurzer Zeit komplett, Sohn und Tochter kamen auf die Welt, und genossen ebenso wie ihre Eltern das Leben im Zentrum einer wachsenden und pulsierenden Stadt. Holm, Museumsberg, Große Straße und die zahlreichen Hinterhöfe waren für die Falkowski-Kinder damals ein regelrechtes Spielparadies. Heinz fand recht schnell seine berufliche Erfüllung bei Wendorff; hatte alsbald sogar familiären Anschluss gefunden, nutzte deren Auto auch schon mal für private Zwecke, dafür fuhr er zum Ausgleich die Wendorff-Kinder auch gelegentlich zur Schule und zu anderen Terminen.
Als Radio- und Fernsehtechniker erlebte er in den 60er, 70er und 80er Jahren eine technische Revolution mit, hatte er als Lehrling noch die Federn der Grammophone reparieren und auswechseln müssen, so stellte ihn und seine Kollegen die Entwicklung von Röhrentechnik, Transistortechnik, IC-Technik vor immer wieder neue Aufgaben und Herausforderungen – Routine kam bei der täglichen Arbeit in der Werkstatt eigentlich nie auf. Er musste sich ständig weiterbilden, um bei der rasanten Entwicklung „am Ball bleiben“ zu können, legte 1977 dann die Meisterprüfung vor der IHK ab, und hat im Laufe der 33 Berufsjahre bei Wendorff rund 50 Lehrlinge mit ausgebildet. „Während der Meisterprüfung mussten wir im Fach Mathematik unter anderem Wurzeln ziehen, natürlich im Kopf. Taschenrechner gab es zwar schon, doch keiner wäre auf die Idee gekommen, so etwas in einer Prüfung zu gestatten oder zu benutzen“, erinnert sich Heinz schmunzelnd.

Auf den Hund gekommen

Die beiden Kinder wuchsen heran, wurden immer größer, und so zog die Familie im Jahre 1965 ins eigene Haus, in den Adelbyer Kirchenweg. Mittlerweile war noch ein Hund dazugekommen, übrigens auf recht bemerkenswerte Weise: Ein Kunde konnte bei Wendorff eine dort durchgeführte Reparatur nicht bezahlen, und bot als Ausgleich seinen Hund zur Begleichung der Rechnung an.
Dieses Angebot nahmen seinerzeit Heinz und Familie nach kurzem Zögern an, und so wurde der Hund namens „Steffi“ fünftes Familienmitglied der Falkowskis. „Ein Volltreffer!“, wie gleichlautend Heinz, Elfriede und Tochter Daggi bekräftigen.
„Steffi war ein absoluter Gewinn für uns, ein Kinderhund, der jeden mochte und den jeder liebte, der alles mitmachte und (beinahe) alles konnte; er holte und brachte Kinder zu ihren Zielen, spielte für sein Leben gern mit ihnen, fuhr Fahrrad ohne Körbchen auf dem Gepäckträger, war allein in der Stadt unterwegs – ein Tausendsassa!“
Im Adelbyer Kirchenweg wurde die Familie dann auch wieder heimisch, wenngleich die Kinder anfangs unglücklich waren und lieber im Südergraben mitten in der Stadt wohnen geblieben wären. Das eigene Haus war dann irgendwann okay für sie, schließlich waren der große Garten hinterm Haus und die günstige Lage in Jürgensby Faktoren, die zählten. Für Heinz und Elfriede gab es dort eigentlich genug zu tun, doch sie betrieben und passten zusätzlich noch einen eigenen Schrebergarten am Wasserturm in Mürwik, in der Kolonie 115 gelegen.

Das zweite Leben

Leider machte ihm mit zunehmendem Alter die Gesundheit zu schaffen, das Herz bereitete Probleme, und mit nur 53 Jahren zogen ihn die Ärzte aus dem (Berufs-)Verkehr – er musste unter Tränen seinen geliebten Beruf an den Nagel hängen.
Gegen den Wunsch der Mediziner ließ er es sich aber nicht nehmen, die noch in der Lehre befindlichen Wendorff-Azubis bis zum erfolgreichen Abschluss weiter zu unterrichten und zu betreuen.
Allzu lange konnte Heinz den ärztlich verordneten Müßiggang allerdings nicht aushalten; er suchte sich Beschäftigung, und fand diese schließlich bei der dänischen Firma „Fast Food“ in Harrislee – doch schnell fand er heraus, dass die Bedingungen, die er dort in der Brötchenproduktion vorfand – anstrengende Tätigkeit, permanent heiß und stickig in der Werkshalle, für seine Gesundheit nicht günstig waren. Schließlich fand er doch etwas für ihn Maßgeschneidertes: Er arbeitete noch 19 Jahre lang für die Deutsche Bahn, war im „Frühstücks-Service“ als Bediensteter im wahrsten Sinne des Wortes nun immer auf Achse. Dieser Job kam seinem Naturell sehr entgegen; er war ständig unterwegs, meistens in Schleswig-Holstein auf Strecken nach Hamburg und zurück, traf auf diesen Reisen viele interessante und auch bekannte Menschen, unter anderem die einstige Ministerpräsidentin Heide Simonis, die immer für einen Schnack mit dem Bahnpersonal zu haben war.

Mit 72 Jahren in den Ruhestand – Ruhestand?

Irgendwann forderte das Alter (oder war‘s etwa der Arbeitgeber?) seinen Tribut; Heinz trat in den sogenannten „Ruhestand“.
Wenn man jedoch verinnerlicht, was er in diesem „Ruhestand“ alles so vorhat, ist dieser Begriff eigentlich fehl am Platze. Im Jahre 2013, kurz nach Beendigung seiner Berufskarriere, verkaufte die Familie Falkowski ihr Eigenheim im Adelbyer Kirchenweg, und bezog eine geräumige Wohnung in einem der SBV-Häuser in der Schulze-Delitzsch-Straße.
Das war anfangs eine gewaltige Umstellung für die Familie, aus dem eigenen Haus in eine Etagenwohnung zu ziehen. Doch pflegt man in jenem Wohnblock eine gute Nachbarschaft, man ist auch schnell im Grünen, und die Eheleute haben sich ihren „Ruhesitz“ dort passend und für ihre Bedürfnisse eingerichtet. Nach wie vor nennen die Falkowskis einen Hund ihr Eigen, aktuell ist es die Dackelhündin „Falko“, mittlerweile 13 Jahre alt, die als (fast) einziges Mitglied der Familie einen Job hat:
Sie ist ein Malteser-Besuchshund, der regelmäßig mit seinem Rudelführer (Frauchen oder Herrchen) in Alters- und Pflegeheimen der Malteser zu Besuchen bei Pflegepatienten weilt. Seit vielen Jahren schon sind die Falkowskis daneben noch Mitglied im hiesigen Dackelclub, sind zudem beim Selbsthilfe-Bauverein, meistens im 360-Grad-Haus, regelmäßig aktiv, so beim Fotokurs, bei den angebotenen Ausflugsfahrten, beim Seniorensport, Heinz besucht zudem regelmäßig einen Kochclub im Kindergarten Engelsby, dieser ist allerdings ein Angebot über das Haus der Familie des ADS.
So ganz ohne Job ist Heinz auch heute noch nicht: Er wird von der Firma „Aktivbus“ beschäftigt, als „Zähler für Schwerbehinderte“, auf Stundenlohnbasis. In diesem Job fährt man viel im Bus mit, stets hinter dem Fahrer, und betätigt ein mitgeführtes Zählgerät, sobald einmal wieder ein Mitbürger mit gültigem Schwerbehinderten-Ausweis in den Bus einsteigt!
Die beiden Eheleute machen regelmäßig Urlaub, gern im Norden, so auch oft auf Amrum. Auf Amrum waren sie auch mit einer ehemaligen Klassenkameradin von Heinz, der er auf einem Klassentreffen in Lübbersdorf nach vielen Jahren wieder begegnete.
Diese Dame lebt seit vielen Jahren im Süden der Vereinigten Staaten, wollte gern mal auf einer deutschen Insel Urlaub machen. Gesagt, getan: Unlängst waren die Falkowskis zum Gegenbesuch in South Carolina in den USA, und planen sogar für das eben begonnene Jahr einen weiteren Trip über den Großen Teich.
Fragt man Heinz und Elfriede nach ihren Wünschen, so steht natürlich die Gesundheit an erster Stelle, neben geistiger und körperlicher Beweglichkeit und der Fähigkeit, noch möglichst lange diverse Handwerksarbeiten im privaten Bereich (der Fernsehmechaniker!) erledigen zu können, neben den Holzbastelarbeiten, die Heinz meistens dann erledigt, wenn alles andere getan ist. Wir gönnen es den beiden!

Das Gespräch mit Heinz Falkowski führte Peter Feuerschütz

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