Als im Herbst 2017 bekannt wurde, dass der Wochenmarkt dem Weihnachtsmarkt auf dem Südermarkt weichen sollte, kam es in der Öffentlichkeit zu einer hitzigen Diskussion über die Frage, wem denn der Südermarkt eigentlich gehöre? Es ging dabei um den Wochenmarkthändler und andere Liebhaber dieser – manchmal auch südlich anmutenden – Einkaufsquelle unter freiem Himmel contra Vertreter vermeintlicher Weihnachtsidylle mit Budenzauber, Tannenbaum und Glockengeläut von der benachbarten Kirche.
Inzwischen ist der Südermarkt Teil eines Sanierungskonzepts der Stadt Flensburg geworden, das den südlichen Stadtraum von der Neuen Straße bis zum Südermarkt erfassen wird! Wie in vielen anderen Städten wird es auch in Flensburg bei einer Neugestaltung dieses zentral gelegenen Platzes um die Partikularinteressen einiger weniger gehen, aber im Großen und Ganzen darf doch auch die Frage nach weitergehenden und möglicherweise identitätsstiftenden Lösungen für alle gestellt werden. Welche Antworten dürfen wir erwarten? Der Blick zurück in die Geschichte bietet keine alltagstauglichen Strategien für die Zukunft an. Doch kann er die Sicht auf die unterschiedlichen Ansprüche an diesen Platz und dessen Funktionen von einst lenken.
Der Südermarkt blickt auf eine Jahrhunderte währende Entwicklung zurück. Diesen historischen Abläufen ist die Autorin dieser Artikelfolge auf der Spur. Dabei sollen die dänischen Könige und deutschen Kaiser genauso Beachtung finden wie der Ratsherr, der Pfarrer, der Kaufmann und Reeder sowie die Gewerbetreibenden und Handwerker dieser Stadt. Für alle diese Menschen wurde der Südermarkt zu einer wichtigen Bühne. Hier gelang aber auch sinnstiftendes Zusammenleben. Bis heute.

Das alte Rathaus vor dem Abriss. Foto: Sammlung Museumsberg

Als Flensburg vor über 800 Jahren gegründet wurde, gab es zunächst nur den Nordermarkt, nahe der Marienkirche gelegen. Hier, nur wenige Schritte vom Hafen entfernt, wuchs Flensburg zu einer erfolgreichen Handelsstadt an der Ostsee heran. Aber auch die ländlichen Regionen trugen dazu bei, dass sich der Warenumschlag auf diesen wichtigen Ort an der Förde konzentrieren sollte und damit auch den Süden dieser neuen Siedlung erfasste. Denn von Friesland bis nach Angeln hatte sich während des Mittelalters so etwas wie eine Fernstraße entwickelt, die innerstädtisch gesehen bis heute den Verlauf von Friesischer und Angelburger Straße beschreibt. In ihrer Ausrichtung von Westen nach Osten traf sie auf die langgezogene Querstraße zum Hafen, diese Hauptstraße, die wir heute als die Fußgängerzone kennen. Amtlich gesprochen handelt es sich dabei um den Holm und die Große Straße. An dieser verkehrsgünstigen Stelle entstand der Südermarkt, der zukünftig als Umschlagsplatz an Bedeutung gewann und den Nordermarkt überflügeln sollte.
Mit der Errichtung der mächtigen Nikolaikirche entstand hier ein weiteres Kirchspiel innerhalb der Stadt, deren Gemeindemitglieder nicht nur Bürgermeister stellte und Pröpste sowie andere hohe Amtsträger. Wer Hausbesitz erwarb und gleichzeitig öffentliche Ämter wahrnahm, für denjenigen galt der Südermarkt über Jahrhunderte als eine durchaus gute Adresse. Kein Wunder also, dass sich die Spitzen der Gesellschaft hier niederließen. Auch die Nähe zum alten Franziskanerkloster am Mühlenstrom, dem heutigen Kloster zum Heiligen Geist, mit seiner der heiligen Katharina geweihten Kirche war bedeutsam für das kulturelle und geistliche Leben in diesem Quartier. Wie wichtig dieses Kloster einmal gewesen ist, erkennt man auch daran, dass die Markgräfin von Brandenburg und Tochter des dänischen Königs Waldemars II. dort bestattet wurde, als sie 1248 auf der Durchreise in Flensburg verstarb. Vermutlich bei der Geburt ihres Kindes.
Längst vergessen ist auch, dass die Flensburger Förde noch über Jahrhunderte hinaus bis zur Angelburger Straße reichte. Auf der östlichen Seite des Hafens lag das noch ältere Kirchspiel von St. Johannis, ein früher Siedlungskern Flensburgs. Der bereits erwähnte Mühlenstrom, der im Süden der wachsenden Stadt in der Höhe vom Kloster für Jahrhunderte so etwas wie eine natürliche Grenze bildete, mündete hier in den Hafen. Dank dieses Zulaufs war der Warenverkehr mit Booten wasserseitig noch lange Zeit möglich trotz allmählicher Versandung des Hafenbeckens. Alte Uferbefestigungen und Reste von Booten sind bei Ausgrabungen auf dem Gelände zwischen der Angelburger Straße und dem Südermarkt gefunden worden. Eine frühe Darstellung der Stadt Flensburg aus dem Jahr 1588 zeigt uns etwas schematisch wie in einem Modell das damalige Stadtbild.
Alte Häuser am Südermarkt, Nr. 8 u. 9, um 1910. Foto: Sammlung Museumsberg

Nichts ist mehr von den Zerstörungen des großen Flächenbrands von 1485 zu erkennen. Das verheerende Feuer entstand am 3. Mai gegen Mittag im Kirchspiel St. Johannis und breitete sich schnell über den Mühlenstrom in Richtung Südermarkt und Holm aus. Damals bestanden die Häuser zum größten Teil noch aus Fachwerk oder waren einfache Holzbauten, ihre Dächer aus Stroh oder bestenfalls mit Schindeln bedeckt. Auch die St. Nikolai-Kirche blieb nicht unverschont. Sofort begann ihr Wiederaufbau, wohl großzügiger als bereits beim Neubau gegen 1390 geplant. Die Kirche bekam jetzt einen Turm unter Verwendung von Steinen, die vom aufgegebenen Leprosen-Hospital St. Jürgen (im heutigen Stadtteil Jürgensby) stammten und überflügelte damit die Marienkirche, die erst gegen 1730 einen Turm mit barocker Haube bekam. Erst langsam ging man in Flensburg zum Backsteinbau über. Zumindest die Dächer der Neubauten sollten aus Ziegeln bestehen. Dafür gab es steuerliche Vergünstigungen! Es ist auch ein Zeichen des Wohlstands, dass sich nach der Brandkatastrophe von 1485 insbesondere im Kirchspiel St. Nikolai die Backsteinbauweise ausbreitete. Noch bis ins letzte Jahrhundert hinein gab es am Südermarkt etliche Beispiele jener neuen Baukultur mit dem hohen Treppengiebel, die dem Handelskaufmann Wohnraum, Kontor und Speicher unter einem Dach ermöglichte. Ein Architekturstil, der sich im Ostseeraum durchgesetzt hatte, besonders dort, wo die Einfllüsse der Hanse-Kaufleute an der Küste, aber auch im Binnenland, den Städtebau beeinflussten.
Bereits bei der räumlichen Gestaltung des Südermarktes im 13. Jahrhundert war nach gängigem Muster deutscher Städtegründungen verfahren worden. Die seefahrenden Kaufleute Flensburgs kamen weit herum. Der dänische König unterstützte hier vor Ort die für den Handel so wichtige Knudsgilde, deren Vorreiterrolle sich auch in den späteren Statuten des hiesigen Stadtrechts widerspiegeln sollte. Zunächst im Kirchspiel von St. Marien vertreten, zog sie um ins benachbarte Kirchspiel von St. Nikolai und nahm ihren Sitz auf dem Holm (heute „Holmhof“). Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant zu erfahren, dass erst mit dem Niedergang der Knudsgilde in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Stadt Flensburg ein erstes Rathaus bekam, dort wo sich der Thingplatz befand und beide Kirchspiele zusammenstießen, und wo der Rat der Stadt über Bürgerrechte befand. Die gleichnamige Straße gibt es noch inmitten der Altstadt, doch dieses Rathaus wurde 1883 abgerissen, um Raum für die obere Rathausstraße – hinauf zum Südergraben – zu gewinnen.
Südseite des Südermarkts mit dem Haus Nr. 7 (hell, mitte), links vom Klostergang, nach 1925. Foto: Untere Denkmalschutzbehörde Flensburg

Auch wenn die beiden Kirchspiele während des Mittelalters zusammenwuchsen, gab es weiterhin zwei Bürgermeister und eine gleich große Anzahl von Ratsherren, später Senatoren genannt.
Städtebaulich gesehen folgte die Anlage des Südermarkts ursprünglich dem Schema rechteckiger Plätze, wie es sie bereits in anderen Handelszentren an der Ostsee gab. Ein weiteres Kennzeichen ist die Einmündung wichtiger Straßenzüge an den Ecken der Gesamtfläche und die Abriegelung des Kirchenbaus durch eine Häuserzeile. Möglicherweise ist diese Maßnahme der Friedhofsruhe geschuldet; denn bis ins 19. Jahrhundert fanden die Erdbegräbnisse in unmittelbarer Nähe zur Gemeindekirche statt. Auch in Flensburg existierte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein der Kirche vorgelagerter Häuserriegel (siehe Abb. 1). Aber in Flensburg gibt es – bis heute erkennbar – eine markante Abweichung von diesem mittelalterlichen Muster an dem süd-westlichen Ende des Marktplatzes. Dieser etwas nach Westen versetzte Verlauf der Roten Straße war dem Klostergrund geschuldet.
Von alters her waren auch das Franziskanerkloster und der Südermarkt miteinander über einen schmalen Gang verbunden.
Anfangs wohl etwas weiter östlich gelegen, auf der Höhe der heutigen Dr.-Todsen-Straße. Nach dem großen Brand von 1485 ging man nicht nur dazu über, den Ziegelbau zu fördern, auch die Straßen wurden breiter angelegt. Möglicherweise wurde im Zuge dieser städtebaulichen Maßnahmen auch der Klostergang, vom Südermarkt her gesehen, nach Westen verschoben, in die Höhe des Hauses Südermarkt Nr. 8.
Dieses Gebäude hatte wohl als einziges den damaligen Stadtbrand überlebt. Seit 1490 hatte es dem Pfarrherren der St. Nikolaikirche und Kanonikus der Kirche in Hadersleben, Peter Partzow, gehört. Als er 1497 starb, wurde er in seiner hiesigen Kirche am Südermarkt beerdigt. Sein eindrucksvoller Grabstein ist hier noch vorhanden und zeigt ihn eingehüllt im pelzgefütterten Mantel eines Domherren. In der linken Hand hält er den Abendmahlskelch mit der Oblate. Das ehemals gegenüber liegende Eckhaus am Klostergang (Nr. 7) stammte wohl aus dem frühen 16. Jahrhundert. Hier wohnte nach dem Wiederaufbau der aus Osnabrück zugewanderte Kaufmann und spätere Bürgermeister des Kirchspiels St. Nikolai, Gerdt von Oesede (1577-92). Der Abriß dieses Hauses erfolgte 1928! Es musste der geplanten Dr.-Todsen-Straße weichen. Gerettet wurde lediglich die Wappentafel des Bürgermeisters und seiner Frau. Heute noch zu entdecken am Neubau, im Klostergang.

Fortsetzung folgt…
Dr. Jutta Glüsing

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