Es war für beide Seiten keine einfache Entscheidung. Weder für Spieler noch für den Verein. Eine besondere Vereinstreue sowie die Gedanken an eine neue Herausforderung standen sich gegenüber. Im Spätsommer, gerade war Jacob Heinl in die 24. Saison für seine SG Flensburg-Handewitt gestartet, da lag ihm ein Angebot für eine erneute Vertragsverlängerung vor. Der Handball-Profi erbat sich Bedenkzeit. „Elf Jahre lang habe ich für die SG in der Bundesliga und zumeist auch in der Champions League gespielt, wir hatten große Reisestrapazen“, stellte er schließlich fest. „Mir wurde bewusst, dass ich meinem Körper eine solche Belastung nicht weiter zumuten kann.“ Schließlich waren sich beide Seiten einig: Ein neuer Kontrakt ist nicht mehr das Gelbe vom Ei. Für Jacob Heinl werden die bekannten Pfade der Heimatstadt in Kürze der Vergangenheit angehören. „In jedem Fall werde ich eine Komfortzone verlassen, was mich persönlich weiterbringen wird“, meint der 31-Jährige. „Bislang habe ich immer in Flensburg, ganz in der Nähe von Eltern und Freunden gelebt. Ich werde nun etwas Neues kennenlernen.“
Zwar steht in seinem Personalausweis Hamburg als Geburtsort, zum Handball kam Jacob Heinl aber erst nach dem Umzug in die Fördestadt. Das war 1994. Von Anfang an stand er am Kreis. Da hatte ihn Volker Masuhr, sein Trainer bei den Mini-Buben, platziert. „Auf der Position gab es niemanden“, schmunzelt der heutige Bundesliga-Spieler. „Und mich faszinierte von Anfang an der direkte Kampf mit dem Gegenspieler.“ Fortan durchlief Jacob Heinl eine Flensburger Bilderbuch-Karriere, die keine Vereinswechsel kannte, sondern nur Sprünge von einer Altersklasse zur nächsten.
Der Vorstoß bis in die höchsten Gipfel der Ballwerferzunft war allerdings nicht unbedingt abzusehen: In der Jugend bestritt Jacob Heinl nie ein Länderspiel, nur ein einziges Mal wurde er zu einem Lehrgang einer Landesauswahl berufen. Die Luft der großen Handball-Welt kannte er nur als Zuschauer. Oft stand er auf der Stehtribüne und feuerte seine SG an. Seine Lieblingsspieler waren zu jener Zeit Johnny Jensen und Michael Knudsen, die Kreisläufer. Und als er etwas jünger war, schwärmte er für Matthias Hahn. Der sollte eine ganz wichtige Rolle in seiner Entwicklung einnehmen. 2005, als der Übergang von der A-Jugend in den Männerbereich eingefädelt werden musste, drohte die Laufbahn in einer Sackgasse zu enden, bevor sie so richtig begonnen hatte. Jacob Heinl sollte in die Bezirksliga-Vertretung der SG integriert werden. „Der ist doch gut in der Abwehr“, erkannte Matthias Hahn, Trainer der Regionalliga-Truppe.
Im Juni 2007 fragte Bundesliga-Trainer Kent-Harry Andersson bei Matthias Hahn an, ob er ihm einen abwehrstarken Spieler zur Verfügung stellen könne. Die Wahl fiel auf Jacob Heinl, der mit zum Bundesliga-Match in Großwallstadt reiste. Danach fragte Kent-Harry Andersson: „Möchtest du bei unserer nächsten Saison-Vorbereitung mitmachen?“ Die Pläne für eine ausgiebige Australien-Tour warf Jacob Heinl spontan über Bord und übernahm stattdessen im Mannschaftsbus den Platz von Handball-Legende Jan Holpert, die gerade die Karriere beendet hatte.
Der Novize musste sich in seiner ersten Bundesliga-Saison in Geduld üben. Einsätze gab es kaum, oft saß er nur auf der Bank. Das änderte sich im Februar 2008. Die SG musste in einer Champions-League-Partie auf Michael Knudsen und Johnny Jensen, die beiden etatmäßigen Kreisläufer und Abwehrstützen, verzichten. Jacob Heinl sprang in die Bresche – und erntete Lobeshymnen.
Bereits am 2. Dezember 2009 feierte der defensivstarke Akteur gegen Weißrussland sein Länderspiel-Debüt. „Ich war zuerst sprachlos, dann habe ich mich sehr gefreut, als sich Heiner Brand bei mir gemeldet hat“, erinnert sich Jacob Heinl. Im Januar 2011 nahm er das erste und einzige Mal an der Weltmeisterschaft teil. In Schweden wird die DHB-Auswahl nur Elfter. „Wir hatten eindeutig mehr erwartet“, bilanzierte Jacob Heinl. „Dieses Ergebnis überschattet ganz klar das persönliche Ereignis, erstmals bei einer WM dabei gewesen zu sein.“ Die internationale Karriere stockte, doch in den Strukturen der SG blieb er eine feste Größe. Er absolvierte 375 Spiele, gewann den Europacup der Pokalsieger – und 2014 die Champions League. Der Kreisläufer blickt zurück: „Es war schon bemerkenswert, wie wir das Halbfinale gegen Barcelona umgedreht haben. Dann schlugen wir auch noch den THW Kiel, gegen den wir zuvor ein paar Mal im Finale des DHB-Pokals verloren haben.“
Im Herbst 2014 tauchte Jacob Heinl wieder im Dunstkreis der DHB-Auswahl auf. Eine schwere Gehirnerschütterung verhinderte zwar ein Länderspiel-Comeback, dennoch nominierte ihn Bundestrainer Dagur Sigurdsson für die WM im Katar. Zu dem Zeitpunkt plagte sich der Kandidat erneut mit einer Erkrankung herum. Er musste absagen, als Klarheit über die Diagnose bestand. Coxsackie-Viren hatten eine Entzündung am Rücken hervorgerufen. „Die Ärzte“, sagte Jacob Heinl, „meinen, dass ich diese Erkrankung zunächst vollständig auskurieren müsse, bevor ich wieder an Handball-Training denken könne.“ Es dauerte 14 Monate, bis das SG-Urgestein sein Comeback feierte – ausgerechnet in einem Derby gegen den THW Kiel.
Kurz darauf zog sich Jacob Heinl einen Sehnenanriss im Oberschenkel zu, in der aktuellen Hinrunde zwickte die Schulter. Die jahrelange Belastung hatte offenbar ihren Tribut gefordert, der Profi hatte nicht mehr die Rolle im Teamgefüge wie zu seinen besten Jahren. Vielmehr entwickelte er sich zum Pechvogel. Im Februar erforderte eine alte Augenverletzung eine erneute Operation. Wieder musste sich Jacob Heinl einige Wochen gedulden. Als er auf das Parkett zurückkehrte, empfing ihn ein intensiver Applaus der Zuschauer – so wie ihn nur Sportler bekommen, die für eine große Vereinstreue stehen. „Ich liebe diesen Verein und werde es das ganze Leben lang tun“, schwärmt der Handballer. „Es war schon ein Traum, überhaupt für diesen Traditionsverein zu spielen, und dann war ich so lange dabei.“
Text und Fotos: Jan Kirschner

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