Sie sind nicht zu übersehen, die Lastzüge mit der hellblauen Grundfarbe und dem handschriftartigen „Chr. Carstensen“. Diese persönliche Note ist gewollt. Bei allem, was Hans-Peter Carstensen über seinen Betrieb sagt, spielt Individualität, Traditionsdenken, vor allem aber die Einbeziehung der Familie eine zentrale Rolle.
In der nun fünften Generation sind er und seine fünf Kinder betrieblich eingebunden. Mehr „Familienunternehmen“ ist kaum denkbar. Dieses Prinzip zieht sich durch die 125-jährige Geschichte des Unternehmens und ist nach Ansicht des Seniorchefs das Erfolgsgeheimnis des Fuhrunternehmens. Fuhrunternehmen, nicht Spedition, betont er, obwohl in der Firmenbezeichnung der Begriff Spedition durchaus erscheint. Er jedoch versteht sich als „Fuhrmann“, so wie die Gründerväter, die mit Pferd und Wagen seit 1892 Waren durch das Flensburger Land kutschierten. Damals noch kein Gedanke an den Fuhrpark des heutigen Unternehmens mit 130 Fahrzeugen und 185 Mitarbeitern. Ein wenig kokettiert Hans-Peter Carstensen mit dem Traditionsdenken.
Kein Laptop, kein Monitor, kein Smartphone ist auf seinem Schreibtisch in Handewitt zu finden. Eine E-Mail Adresse besitzt er zwar, doch schaut er nur gelegentlich auf die eingehende Post, die selten ankommt. Die mit ihm kommunizieren wollen, wissen, dass sie zum Telefon greifen können, um den engagierten 65-jährigen zu erreichen. Diese Nostalgie endet aber in den angrenzenden Büros. Die Leitung eines Speditions- und Fuhrunternehmens gelingt nur mit modernster Kommunikationstechnik.
Schon Mitte der 90er Jahre investierte Carstensen in eine moderne EDV, motiviert durch einen Großauftrag. Die Flensburger Brauerei beschloss 1994 den eigenen Werksverkehr einzustellen und an eine externe Spedition zu verlagern. Chr. Carstensen bekam den lukrativen und nachhaltigen Auftrag, übernahm Fuhrpark und Personal, jedoch auch die aufwendige Logistik, um die inzwischen 30 Touren pro Tag in den Griff zu bekommen. Wer also Lastzüge mit dem unverwechselbaren Flens-Logo auf Landstraßen und Autobahnen erblickt, weiß jetzt, wer diese Fahrzeuge bewegt.

Holprige Anfänge

Bier war keine Ware, die der Firmengründer Christian Carstensen über die holprigen Straßen der Harrisleer Straße bewegte. Die Rollwagen hatten Second-Hand Ware geladen. Zumindest würde man das heute so bezeichnen. Marie-Helene, seine Frau, führte ein „Occasionen“ Geschäft, also einen Gelegenheitshandel. Damit war der umtriebige Fuhrunternehmer allerdings nicht ausgelastet. Neue Kunden kamen hinzu und ein neues Geschäftsfeld. Seit der Jahrhundertwende 1900 rückte ein ungewöhnliches Produkt in den Fokus, Mergel aus der Geest. Ein sehr kalkhaltiges Produkt, das den mageren Heideböden zu mehr Wirtschaftlichkeit verhalf. Dabei kam es zu einer ersten Symbiose von Pferd und Dampfross, der Eisenbahn, denn der Mergel wurde mit einer Feldbahn von den Abbaustellen transportiert und dann auf die Pferdewagen umgeladen. Ein Zusammenwirken, dass heute Hans-Peter Carstensen wieder aufleben lassen möchte. Er ist stolz auf seinen Gleisanschluss auf dem Firmengelände, obwohl der noch kaum genutzt wird. Ein Blick auf die Autobahnen lässt auch ihn nachdenklich werden. Wenn der Lkw-Verkehr weiter zunimmt, werden die Lastzüge – siehe die Strecke Hamburg-Bremen – nicht mehr Stoßstange an Stoßstange fahren, sondern nur noch stehen. Eine Situation, die allen in der Branche zu denken gibt. Carstensen sieht für viele Güter, die nicht „just in time“, d. h. von einem Tag auf den anderen geliefert werden müssen, eine sinnvolle Lösung in der gut abgestimmten Kombination von Bahn- und Straßenverkehr. Noch geschieht das seiner Meinung nach in einem viel zu geringen Maße. Sein Betrieb zumindest wäre dafür perfekt gerüstet.

Vom Untergang zum Neuanfang

Das Unternehmen Carstensen ist in der Rückschau eine Erfolgsgeschichte, jedoch eine mit dramatischen Brüchen. Zwei Kriege setzten Zäsuren. Die nach dem 1. Weltkrieg folgende Inflation traf auch den Firmengründer Christian Carstensen. Er verlor den Hof in Hüllerupfeld, von dem aus er seine Geschäfte betrieb. Stattdessen pachtete er in Altholzkrug den Krug und die dazugehörigen Wirtschaftsgebäude. Doch kaum erworben, starb er 1921. Und wie auch in den nachfolgenden Generationen, war seine Frau die Stütze der Familie und konnte gemeinsam mit dem ältesten Sohn Hans den Fuhrbetrieb wieder aufnehmen. Auf einer abenteuerlichen Reise nach Berlin erwarb sie von einem Rechtsanwalt ein Kaufmannshaus in Neuholzkrug. Dieses Haus ist bis heute im Familienbesitz und Wohnhaus der Familie. Der Familienzusammenhalt scheint ungebrochen. Wie schon in den Generationen zuvor, ist die Nachfolge auch von der vierten zur fünften Generation gesichert. Sohn Christian ist aktuell Geschäftsführer, unterstützt von drei Geschwistern.
Hans-Peter Carstensen hebt im Gespräch mit dem Flensburg Journal mehrfach die Bedeutung der Frauen in der Firmengeschichte hervor. Seine Ehefrau und seine drei Töchter bilden keine Ausnahme. Ohne seine Frau, die im Unternehmen aktiv ist, wäre der Betrieb nicht denkbar. Gleiche Interessen und ähnliches Denken sind, so der Seniorchef, die Basis. Die gemeinsamen Interessen enden nicht beim Engagement für den Betrieb. Beide begeistern sich für „schöne Musik“, ohne sich auf ein Genre festlegen zu wollen. Nicht nur Denken und Wollen, sondern Handeln führten zur Umwandlung des ehemaligen Soldatenheimes im Alten Husumer Weg zu einer „Music Hall“ mit dem sinnigen Namen „C.ulturgut“. Damit ist schon alles gesagt. Das Programm ist Beleg für das breitgefächerte Interesse und Engagement der Betreiber. Frau Carstensen steht nach Aussage ihres Mannes oft selbst auf der Bühne und begrüßt die Gäste zur „Nacht der Lieder“, den Auftritten von „Gloria Vain“, Richard Wester oder des „Damenlikörchores“. Tatkräftige Zuarbeitung erhält sie von der medienerfahrenen ältesten Tochter.

Der Markt ist leergefegt

Während im Alten Husumer Weg gesungen und rezitiert wird, rollen ein paar hundert Meter weiter die schweren Lkws des Unternehmens vom Betriebshof. Verlässlich, pünktlich, sicher. Doch im Bürotrakt werden auch Sorgen laut: Es wird zunehmend schwieriger, Personal, vor allem Fahrer, für die über hundert Fahrzeuge zu finden. Der Markt ist förmlich leergefegt. Hans-Peter Carstensen leugnet nicht die schweren Arbeitsbedingungen. Einhaltung der Ruhezeiten, Schichtdienst, Nachtfahrten, lange Abwesenheit vom Heimatort, Zeitdruck und akribische Vorschriften und Kontrollen machen es nicht leicht, engagierte Fahrer zu finden. Auch er muss auf meist polnische Chauffeure zurückgreifen. Umso verständlicher seine Forderung, mehr Waren auf die Schiene zu bringen. Als Speditionsunternehmen fürchtet er diese Konkurrenz nicht. „Massengüter, die über 400 km zu transportieren sind, gehören auf die Schiene“, sagt Hans-Peter Carstensen und ist sicher, dass sein Standort genau dafür die besten Voraussetzungen bietet. Er kritisiert die Politik, die in der Lage wäre, durch entsprechende Gesetze die Weichen zu stellen. Dem Wachstum des Lkw-Verkehrs sind Grenzen gesetzt. „Selbst, wenn 4% der Waren zukünftig durch die Bahn transportiert würden, wäre das keine Erleichterung für den Straßenverkehr. Denn das entspräche lediglich dem jährlichen Zuwachs.“

Vom Flugplatz zum Technologie- und Energiepark

Nicht zuletzt wegen der nicht absehbaren Entwicklung im Frachtverkehr hat Carstensen längst ein weiteres Standbein entwickelt. Auf dem 24 ha großen Betriebsgelände hat er 62.000 qm Hallenraum zur Verfügung, vieles davon vermietet. Damit nicht genug: Der größte „Coup“ ist der Erwerb des ehemaligen Nato-Flugplatzes Eggebek. Nach langen und schwierigen Verhandlungen bekam er den Zuschlag. Der Technologie- und Energiepark auf dem Gelände wird stetig erweitert und verschafft dem Unternehmen auf lange Sicht neue Geschäftsfelder. 85 Gebäude sind bereits verkauft oder vermietet. Aus Carstensens Worten spricht nicht nur der Unternehmer, sondern auch der Politiker. Viele Jahre lang hat er sich in der Kommune engagiert, lange Diskussionen im Gemeinderat geführt, versucht, wirtschaftliches Denken dort zu vermitteln. Jetzt ist er enttäuscht, hat sich resigniert aus der Politik zurückgezogen, engagiert sich eher für den Sport, sieht dort die Erfolge seines Engagements.



Im TSV Jarplund-Weding ist er seit 50 Jahren Mitglied, hat in jungen Jahren Handball gespielt, allerdings nie das Ziel gehabt, Leistungssportler zu werden. Er war zwar an Fußball interessiert, ist aber als Jugendlicher über das Bolzen und Kicken nicht hinausgekommen. Geändert hat sich das, als er vor zehn Jahren mit dem Fahrrad nach Weiche fuhr. Der ETSV Weiche spielte dort gegen Schleswig 06 und verlor 0:6. Nicht gerade motivierend, um sich für den Verein zu engagieren. Doch da gab es den damaligen Bürgermeister von Handewitt, Arthur Christiansen, heute Bürgermeister von Schleswig. Christiansen versuchte den Unternehmer Carstensen für den Sport zu begeistern, nicht ohne den Hintergedanken, das Netzwerk des Unternehmers für die Finanzierung des Vereins zu nutzen. Zusammen mit dem Urgestein des ETSV Weiche – heute nach der Fusion mit Flensburg 08 als SC Weiche Flensburg 08 am Start, Manfred Werner, warb Carstensen Mittel ein. Von 300 Eingeladenen zu einer Benefizveranstaltung kamen 110, ein respektabler Erfolg.
Wirtschaftliches Denken und gesellschaftliches Engagement, das zeigt das Beispiel Hans-Peter Carstensen, müssen kein Widerspruch sein, sondern können sich im Idealfall nachhaltig ergänzen.
Bericht: Dieter Wilhelmy, Fotos: Benjamin Nolte

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