Aaron Mensing lebte immer im Orbit von Flensburg, wohnte nur wenige Kilometer nordöstlich der Fördestadt, nun hat der Neuzugang der SG Flensburg-Handewitt seine Zelte erstmals in Flensburg aufgeschlagen. Bei schönem Wetter locken die Cafés am Süder- und am Nordermarkt oder die Rote Straße. Nur: So viel Zeit hatte der Handballer bislang gar nicht. Die neue sportliche Umgebung und der Takt der englischen Wochen erfordern die volle Aufmerksamkeit. „Ich wurde doch ziemlich ins kalte Wasser geworfen“, schmunzelt der 23-Jährige. „Es waren sehr intensive Wochen.“
Er trug schon nach wenigen Wochen viel Verantwortung im SG-Gefüge. „Es war nicht zu erwarten, dass ich schon am Anfang so viel Spielzeit bekommen würde“, sagt Aaron Mensing. „Wegen der vielen verletzten Spieler ergab sich eine andere Situation. Ich musste sogar viel zwischen linkem und rechtem Rückraum wechseln – und lernte eine Menge in kurzer Zeit.“ Für Maik Machulla keine Überraschung. „Wer in der starken dänischen Liga ein Leistungsträger war, der kann auch uns helfen“, sagt der SG Coach. „Er hat einen Hammerwurf.“
Kurios: Aaron Mensing spielte schon einmal für die SG, und zwar in der Jugend, im Alter von zehn bis 13. Damals lebte er mit seinen Eltern – beide übrigens Deutsche – in Rinkenæs, auf der anderen Seite der Flensburger Förde. Kurz waren die Wege nach Flensburg, wo die Großeltern wohnten – und die Duburghalle stand. Dort entfachte sich die Liebe zur SG. Manchmal hatten die Stars direkt nach den Jungen eine Übungseinheit. Da freute sich der kleine Aaron über ein Lächeln von Anders Eggert und bestaunte die Entschlossenheit von Thomas Mogensen. Und einmal durfte er mit seiner Mannschaft an der Seite der Bundesliga-Asse in die „Hölle Nord“ einlaufen. „Die anderen Jungen hatten alle schon einen Spieler zugeordnet bekommen, und ich dachte, ich würde übrig bleiben“, erinnert sich das Talent. „Dann tauchte vor mir Lars Christiansen auf, und wir beide sind zusammen in die Halle gerannt.“ Aaron Mensing war aber noch jung, arbeitete noch nicht auf eine Karriere hin. „Damals dachte ich noch nicht
an Elite-Handball, ich wollte auch Fußball spielen“, erzählt Aaron Mensing. Statt vier Mal in der Woche zum Handball, verteilte er den Aufwand auf zwei Ballsportarten und schloss sich Vereinen in Gråsten und Sønderborg an.

Nach der neunten Klasse wollte der junge Sport-Enthusiast ein Schuljahr im Sine-Sportinternat Løgumkloster einschieben. Gymnastik und Badminton standen zur Auswahl, aber auch Handball und Fußball. Die Entscheidung war eindeutig. „Ich merkte, dass ich sehr groß werden würde“, erzählt Aaron Mensing. „Und auch meine Kumpels wählten Handball.“
Danach war die Richtung klar: Es ging nur nach oben. Mit 18 Jahren erhielt das Talent einen dänischen Pass und lief für die dänischen Nachwuchsteams auf. Der Positionskollege war ausgerechnet Lasse Møller. Dessen Verletzung war der Auslöser für den Wechsel von Aaron Mensing zur SG. Dieser setzte nach dem Abitur 2018 voll auf die Karte „Handball“. Mit Kumpel Jacob Lyck, der inzwischen für den dänischen Zweitligisten HC Odense aufläuft, bezog er eine gemeinsame Wohnung in Sønderborg. Das Rückraumass spielte und trainierte bei den Profis von SønderjyskE, verdiente schon Geld mit seiner Passion, pflegte zunächst aber noch ein zweites Standbein. Aaron Mensing betätigte sich auch als Aushilfslehrer. „Ich durfte in einer neunten Klasse sogar Mathe- Arbeiten betreuen“, schmunzelt Aaron Mensing. „Dabei war ich in dem Fach gewiss keine Größe, was immer dann problematisch wurde, wenn die Schüler Fragen hatten.“
Diese etwas unangenehmen Situationen hatten sich schnell erledigt. Aaron Mensing wurde ein professioneller Leistungssportler. Zur Serie 2020/21 wechselte er zu TTH Holstebro im Nordwesten Jütlands. Er schlug voll ein, erzielte in 33 Spielen 176 Tore, was ihm einen Platz im All-Star-Team der dänischen Liga einbrachte. Ansässig wurde er in Holstebro allerdings nie. „Die Stadt ist schön und liegt am Fluss, hat aber eine ähnliche Größe wie Sonderborg“, erklärt der Handballer. „Ich wollte in einer größeren Stadt wohnen.“ Die Wahl fiel auf Aarhus und eine lebendige Wohngemeinschaft mit zwei Freunden, die studierten. „Wenn ich nach den Spielen nach Hause kam, konnte ich über andere Dinge plaudern“, erzählt Aaron Mensing. „Und ich konnte auch das Studentenleben kennenlernen – aber natürlich nicht in allen Facetten.“ Feiern und Leistungssport sind eher eine seltene Kombination.
In diesem Frühling flatterte eine Einladung vom dänischen Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen für einen Lehrgang ins Haus. Der Debütant saß in der Schweiz auf der Bank und hatte gegen Finnland seinen ersten Einsatz – in Aarhus, nur fünf Fahrrad-Minuten von der Wohnung entfernt. Es hätte auch das DHB-Trikot sein können. „Es war eine schwere Entscheidung“, verrät Aaron Mensing. „Meine Eltern sind Deutsche, aber ich bin in Dänemark geboren und aufgewachsen.“ Sein Vater hatte vor Jahren mal den DHB darüber unterrichtet, dass nördlich der Grenze ein verheißungsvolles Talent heranreifen würde. Doch diese Information blieb offenbar hängen und erreichte Bundestrainer Alfred Gislason erst, als es zu spät war. Nun ist Aaron Mensing dänischer Nationalspieler.

Für die Ferienzeit wählte er einen anderen Kompromiss. Das Lieblingsland heißt: Schweden. „Dänemark und Deutschland klingt ja nicht wie Urlaub“, sagt er und erzählt, dass er mit der Familie häufiger in Schweden war oder sich mit Freunden ein Ferienhaus mietete. Naturnah, abseits und am besten an einem See, auf dem man angeln kann. „Im Herbst fängt man die größten Hechte“, hat Aaron Mensing einen Tipp parat. Diese Abstecher sind als Handball-Profi nun nicht mehr möglich. Stattdessen dient der Golfsport als Ausgleich…

Text und Fotos: Jan Kirschner

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