Knapp zwei Millionen sahen an den heimischen Bildschirmen zu. Ende März spielten die beiden besten deutschen Vereinsmannschaften, die SG Flensburg-Handewitt und der THW Kiel, gegeneinander. Nach einer Viertelstunde musste Magnus Röd behandelt werden und wurde danach hauptsächlich in der Abwehr eingesetzt. Da schlug die Stunde für den Positionskollegen Alexander Petersson, der mehrere Wochen wegen einer Verletzung pausiert hatte. Die „Aushilfe“ überzeugte. Am Ende feierten die Flensburger einen 31:28-Sieg. Mittendrin im Jubel: der 40-jährige Isländer. „Wenn man so lange nicht spielen konnte und dann das erste Bundesliga-Spiel für die SG gleich gegen Kiel bestreiten muss, ist man besonders heiß”, schmunzelte er. „Wenn man reinkommt und gleich ein paar gute Aktionen hat, hilft das ungemein.“
Im Januar war die SG nochmals auf dem Transfermarkt aktiv geworden, um auch den rechten Rückraum nach der Verletzung von Franz Semper doppelt zu besetzen. Sie verpflichtete den erfahrensten Feldspieler der Bundesliga. Alexander Petersson tummelt sich seit 17 Jahren im Handball-Oberhaus und lief zwischen 2007 und 2010 bereits für die SG auf. Damals trug er die „27“, jetzt die „40“. Er macht keinen Hehl daraus, dass die Rückkehr für ihn „sehr überraschend“ kam.

Neuzugang 2007: Alexander Petersson mit Holmgeirsson, Sijan und Mogensen (v. l.)

Das Rückraumass hatte noch einen laufenden Vertrag bei den Rhein-Neckar Löwen. Allerdings waren die Spielanteile in seinem neunten badischen Jahr deutlich zurückgegangen. Der 40-Jährige war nur noch die Nummer drei auf seiner Position, half bisweilen auf dem rechten Flügel aus. Die SG suchte, die Rhein-Neckar Löwen konnten einen Linkshänder entbehren – so wurde schnell Einigkeit erzielt. Alexander Petersson erreichte die Anfrage bei der Weltmeisterschaft in Ägypten. Er reiste vorzeitig ab. „Ich wollte die Zeit mit meiner Familie verbringen“, erklärt der Handballer. „Ich werde sie in den nächsten Wochen und Monaten kaum sehen.“ Seine Ehefrau und die beiden Söhne sind in Baden wohnen geblieben.
Alexander Petersson feierte in Brest sein SG-Comeback, zog sich kurz danach aber einen Sehnenteilriss im Bereich des linken Oberschenkels zu. Statt auf dem Spielfeld die Bälle zu werfen, war er nun um seine gesundheitliche Rehabilitation bemüht. Die Abwechslung fehlte. „Plötzlich saß man allein zu Haus”, erzählt er. „Wenn man in einer Woche zwei oder drei Spiele hat, vergeht die Zeit viel schneller.“
Immerhin: An einem Wochenende kam die Familie zu Besuch. Gemeinsam wagten sie eine Stippvisite nach Handewitt, wo sie einst im Osterkamp wohnten. Kindergarten, Wikinghalle, Wiesharder Markt und Scandinavian Park bildeten eine besondere Route. „Das sind jetzt nicht unbedingt bedeutende Reiseziele, bei uns sorgten sie aber für nostalgische Gefühle”, erzählt Alexander Petersson, der jetzt in der Länderspiel-Pause zu seinen Liebsten nach Süddeutschland fahren möchte.
Im Sommer geht es zurück nach Baden. „Es soll eine Saison zum Überbrücken werden“, erklärt er. 2022 wird Sohn Lukas, der Torhüter der U17 des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim ist, volljährig. Der Rest der Familie plant, dann nach Island zu ziehen. „Meine Frau ist schon fast 20 Jahre wegen mir in Deutschland, sie möchte zurück“, erklärt Alexander Petersson. Und wird er dann auch noch ein Spieler-Trikot tragen? Wohl eher nicht. „Vielleicht bin ich noch ein paar Stunden in der Halle und trainiere etwas mit der Jugend“, sagt Alexander Petersson. „Aber ich möchte nicht mehr diese Wochenend-Routine und ständig unterwegs sein.“
Auf dem Spielfeld steht er für unverwüstlichen Willen, Kampfgeist und Einsatzbereitschaft. Der gebürtige Lette stoppt gegnerische Gegenstöße schon mal mit einem beherzten Hechtsprung und verfügt über eine Athletik, die ihm den Spitznamen „Die Maschine“ einbrachte. Als die Isländer 2010 bei der Europameisterschaft das einzige Mal Bronze errangen, gehörte der Bundesliga-Profi zu den absoluten Leistungsträgern und wurde auf der Vulkaninsel einige Monate später sogar zum „Sportler des Jahres“ gekürt. Inzwischen hört er die Auszeichnung „Die Maschine“ seltener, da er wegen der über die Jahre sehr beanspruchten Achillessehne beim Laufen etwas zurückschalten musste. Er ist aber noch immer sehr explosiv und entfaltet eine enorme Energie an den Hanteln. „Aber ein Spiel über die kompletten 60 Minuten ist nicht mehr ganz drin“, grinst Alexander Petersson.
Es waren wohl die langen, dunklen Winter und die schroffe Natur im Nordatlantik, die den Ballwerfer abhärteten. 1998 hatte er die lettische Metropole Riga verlassen, um beim RK Grotta einen ersten Profi-Vertrag zu unterschreiben. „Diesem Land habe ich meine Karriere zu verdanken“, weiß er. „Als ich nach Island kam, konnte ich nur schnell rennen und hart werfen. Meine Technik, das taktische Verständnis, die Athletik – all das habe ich dort gelernt.“ Er lernte die Sprache, heiratete eine Isländerin und wurde 2004 auch Staatsbürger des Inselstaats. Vier Jahre später war er einer der isländischen Olympia-Helden von 2008, die den kleinen Staat mit einer sensationellen Silber-Medaille beglückten.

Seine frühere Zeit bei der SG bezeichnet Alexander Petersson als „drei schöne Jahre“. Die Mannschaft wurde einmal „Vize“ und einmal Dritter, für einen Titel langte es damals nicht. Stattdessen erlebte der Handballer mit, wie der Klub zwischenzeitlich in einen wirtschaftlichen Schlingerkurs geriet. Jetzt sorgt die Corona-Pandemie für einige Fragezeichen, die SG hat dennoch ihren Ruf als Top-Team bewahrt. „Wenn man schon einmal hier ist, verfolgt man automatisch große Ziele”, erklärt Alexander Petersson. Gegen die Champions League oder die deutsche Meisterschaft hätte er nichts einzuwenden. Zunächst geht es im Mai gegen seinen Ex-Klub, gegen die Rhein-Neckar Löwen. „Das wird ein emotionales Spiel“, glaubt der Linkshänder. „Gut, dass ich nicht nach Mannheim muss und keine Zuschauer in der Halle sind.“ Für den Klub im Badischen spielte er achteinhalb Jahre und gewann mehrere Titel, Geschenke wird er nicht verteilen: „Ich gebe immer 100 Prozent, auf dem Spielfeld wird Andy Schmid nicht mein Freund sein.”

Text und Fotos: Jan Kirschner

- WERBUNG -