Ein Mannschaftssport nicht nur für Individualisten

Wer hat’s erfunden? Nein, diesmal waren es nicht die Schweizer … diese Sportart erblickte völlig untypisch das Licht der Welt:
Sie entstammt dem dystopischen Spielfilm „Die Jugger – Kampf der Besten“, der 1989 erschienen ist. In dieser australischen Endzeit-Produktion kämpfen nomadische Jugger-Mannschaften mit harten Bandagen um ihren Lebensunterhalt. Der große Traum der Spieler: In die sogenannte „Liga“ aufgenommen zu werden, in der die meist armen Jugger-Spieler als moderne Gladiatoren die Eliten jener Epoche unterhalten. Regisseur und Drehbuchautor David Webb Peoples, bekannt für Filme wie 12 Monkeys und Blade Runner, hat das Spiel eigens für den Film erfunden – und damit etliche Jahre später ganz offensichtlich den Nerv vieler sportbegeisterter junger Menschen getroffen.

Wie funktioniert das Spiel?

Jugger verbindet Elemente aus Individualsportarten wie Fechten und Stockkampf mit Teamsportarten wie American Football und Rugby zu einem taktisch und technisch anspruchsvollen und schnellen Sport.
Das Spielfeld ist ein langgezogenes Oktagon, an der längsten beziehungsweise breitesten Stelle 40 mal 20 Meter lang. Ein Punkt in der Mitte markiert den Ort, an dem der Schiedsrichter zu Beginn des Spiels den Jugg platziert. Zudem befinden sich auf jeder Spielfeldseite die Male, die es von den Teams zu beschützen gilt. Ziel des Spiels ist es den Ball aus der Mitte zu erobern und den eigenen Läufer auf dem Weg zum Tor (Mal) zu schützen. Für die Verteidigung ihres Mals sind die sogenannten Pompfer des jeweiligen Teams zuständig. Von ihnen gibt es pro Team jeweils vier Stück. Ausgestattet mit einer gepolsterten „Waffe“ ist es ihre Aufgabe, die Pompfer des gegnerischen Teams auszuschalten, um so Platz für ihren Läufer zu machen. Der Läufer ist der einzige Akteur im Team, der den Jugg mit den Händen berühren darf. Sein Auftrag ist es, das Spielgerät an den gegnerischen Pompfern vorbei ins Mal zu befördern. Schafft er das, bekommt sein Team einen Punkt und das Spiel geht von vorne los.
Wer getroffen wurde, kniet ab und scheidet für einige Sekunden aus. Die hohe Dynamik des Sports erfordert Konzentration, Teamwork und Reaktionsvermögen, um auf ständige Veränderungen auf dem Feld reagieren zu können.

Die Spieldauer: 100 Gongschläge

Ein Jugger-Spiel besteht aus zwei Halbzeiten. Der Gong wird beim modernen Jugger jedoch meist durch eine Trommel ersetzt, die mit 100 Schlägen den Takt und die Länge des Spiels vorgibt. In herkömmlichen Zeiteinheiten gerechnet ergibt das zwei Spielhälften von ungefähr 2 Minuten und 30 Sekunden. Die gesamte Spieldauer geht aber stets weit über diese fünf Minuten hinaus, da die Zeit nur während der Spielzüge heruntergezählt und bei Unterbrechungen angehalten wird.

In Deutschland und auch bei uns angekommen

Ganz allmählich nahm die Verbreitung von Jugger Fahrt auf, seit rund 10 Jahren etwa gibt es erste Mannschaften in Deutschland, die diesem – noch – exotischen Mannschaftssport „verfallen“ sind, und vor etwa 5 Jahren taten sich die ersten Sportler in Flensburg zusammen, um Jugger gegeneinander zu spielen. Die Sportart hat längst in Flensburg ihre Heimat gefunden, im Polizei SV Flensburg an der Westerallee sind „unsere“ Jugger zu Hause.
„Wir trainieren dienstags und freitags um 19 Uhr auf dem PSV-Platz (im tiefen Winter gehen wir in die Halle). Das Spielgerät (die „Pompfen“) könnt ihr bei uns ausleihen. Am besten seid ihr 16 Jahre alt oder älter.“ Jorma Rahfoth ist der Abteilungsleiter dieser Sparte und gleichzeitig Trainer und Ansprechpartner. Im Gespräch gerät er schnell ins Schwärmen:
„Unsere Sportart hat sich stetig weiterentwickelt und kann nun am besten mit folgenden Worten beschrieben werden: schnell, abwechslungsreich, mal mehr, mal weniger chaotisch, basierend auf Fairplay, die Akteure sind unisex/divers /etc., es sind alle willkommen und wir spielen alle gemeinsam, und … Ja, auch Q-Tip, Stab, Kette, Pompfe, Jugg und Steine sind für uns gebräuchliche Wörter!“

Was unterscheidet Jugger von anderen Sportarten?

„Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Mannschaftssportarten liegt in dem Umstand, dass hierzulande alle Jugger-Teams „just for fun“, nicht leistungsorientiert, ihren Sport betreiben“, beschreibt Jorma die Motivation der Jugger-Aktiven. Für die Sportler und Spieler steht die soziale Komponente eindeutig im Vordergrund. Jugger ist ein Sport, der überall dort schnell Anhänger und „Follower“ gefunden hat und noch findet, wo es viele junge Menschen gibt – das sind überwiegend die größeren Städte im Land. Folgerichtig gibt es in Schleswig-Holstein bereits Teams in Kiel, Lübeck, Flensburg, natürlich auch im benachbarten Hamburg. In größeren Städten sind gewöhnlich Ausbildungseinrichtungen wie Unis zu finden – aber, und das betont Jorma ganz besonders, es sind nicht nur Studenten, die hier aktiv sind. „Bei uns findet jeder und jede seinen und ihren Platz. Wir sind nicht elitär, Handwerker, Studenten, Schüler, Angestellte – Beruf und Herkunft spielen keine Rolle.“
Manche Jugger haben eine Vergangenheit als aktive Live-Rollenspieler. LARP (Live Action Role Play) ist ein einzigartiges, interaktives Spielkonzept, das sich an Romanen und Filmen wie „Herr der Ringe“, „Harry Potter“ oder „Die Chroniken von Narnia“ orientiert und die Teilnehmer in eine fantastische Welt versetzt. Der Teilnehmer verkörpert dabei eine Rolle, einen so genannten Charakter, indem er sich seiner Spielfigur entsprechend kleidet und verhält.
Für die Jugger-Aktiven steht somit nicht der Erfolg, das Gewinnenmüssen, im Vordergrund. Der Spaß am Bewegen und das Zusammensein mit vielen Gleichgesinnten machen die Faszination von Jugger aus. Dazu kommt ein sehr herzlicher Umgangston mit den Aktiven des gegnerischen Teams. Jorma hält viele Beispiele für ein tolles Miteinander parat: „Als wir mal zu einem Treffen nach Greifswald fuhren, mit unserem vereinseigenen PSV-Bus, waren wir mit einem Sportkameraden namens Richard in einer urigen Kneipe verabredet. Der Kontakt kam locker über Whats App zustande. Wir fanden das Lokal, besetzten umgehend den Tresen, tranken mit unserem Kontaktmann ein Willkommensbier, und bei der Gelegenheit händigte er uns seinen Wohnungsschlüssel aus: Hier könnt ihr übernachten; wir sehen uns dann wie verabredet auf der Sportanlage!“ Ähnliche Aktionen haben die PSV-Jugger schon öfter erlebt. Die Teams und Spieler sind total unkompliziert, und völlig offen gegenüber dem kommenden „Gegner“. „Auch wir haben schon mal unseren Gegnern Unterkünfte zur Verfügung gestellt“, ergänzt Jorma. „Noch ist die Jugger-Szene zudem sehr übersichtlich, gerade die norddeutschen Teams kennen sich untereinander inzwischen recht gut.“

Jugger entwickelt sich

„Es gibt mittlerweile aber auch hierzulande einige Jugger-Abteilungen, die etwas ernsthafter den Sport betreiben. Speziell in Berlin: Der dortige Jugger e. V. wurde 1998 gegründet und hat als weltweit erster Juggerverein maßgeblich an der Entwicklung und Verbreitung des Sports mitgewirkt. 2006 erhielt der Verein die Sportförderwürdigkeit und ist seit 2007 Mitglied im Berliner Turn und Freizeit-sportbund, für den der Jugger e. V. auch an Fortbildungsveranstaltungen und Sportvorführungen mitwirkt. Als Highlight richtet dieser rührige Club jährlich den Berliner Juggerpokal mit 24 teilnehmenden Teams aus und hat bereits mehrere internationale Großturniere organisiert, an denen jeweils über 60 Teams mit insgesamt gut 400 Spielern teilgenommen haben.
Derzeit werden über den Jugger e.V. regelmäßig Unisportkurse angeboten und in enger Zusammenarbeit mit dem TSV Rudow e.V. sehr erfolgreiche Kinder- und Jugendtrainings organisiert. Der Jugger e.V. ist Pioniernutzer auf dem Berliner Tempelhofer Feld und betreibt, mit Unterstützung der Grün Berlin GmbH, das erste offizielle Juggerfeld der Welt. Besonders der Berliner Schriftsteller und promovierte Dr. phil. Ruben Wickenhäuser engagiert sich bereits seit 2006 für die Sportart Jugger, für die er bis 2012 die ersten deutschen Regelwerke betreute und regelmäßig überarbeitete.
An der Europa-Uni in Flensburg lehrt Prof. Dr. Jürgen Schwier am Institut für Gesundheits-, Ernährungs- und Sportwissenschaften als Leiter der Abteilung Sportwissenschaft über diverse Themen, unter anderem auch über die Trendsportart Jugger. Man sieht: Jugger wird auch von Wissenschaftlern ernst genommen, und sollte sich – wenn diese Entwicklung anhält – in absehbarer Zeit als Sportart etabliert haben.

Der Polizei SV Flensburg bietet Jugger an

„Bis vor 3 Jahren kannte ich Jugger selbst noch nicht“, gesteht uns augenzwinkernd Jorma Rahfoth, der beim Polizei SV die Abteilungsleitung innehat, gleichzeitig auch als Trainer und Captain fungiert. „Ich hatte allerdings schon länger eine Faszination für LARP und mittelalterlichen Schaukampf entwickelt, habe dann eines Tages über die Flensburger Universität einen Aktiven vom Jugger kennengelernt, mir von diesem Sport viel Interessantes erzählen lassen, und mich praktisch direkt in diese Sportart verliebt! Die Mischung aus Fechten, Football und endzeitlichem Schaukampf ist einfach „mein Ding“, es ist sehr abwechslungsreich, Du bist an der frischen Luft, es ist kein teures Equipment nötig – und „last but not least“: Das Jugger-Team ist eine sehr sympathische Truppe mit viel Humor und Vielfalt in seinen Reihen. Wer Interesse hat, und sich genau wie ich von „Jugger“ infizieren lassen möchte: gerne eine kurze Nachricht an meine Handynummer (steht sowohl auf der Homepage des PSV als auch hier: 0163-680 299 4).

Zu meiner Person Jorma Rahfoth

Ich studiere in Flensburg und bin 25 Jahre alt, bin Schleswig-Holsteiner und inzwischen hier in Flensburg heimisch geworden. Meine Ziele im Jugger-Bereich: Weiter eine gute Zeit mit dem Team erleben, beim Training, bei Begegnungen mit anderen Mannschaften, aber auch das tolle Miteinander genießen. Im nächsten Jahr möchte ich auch eine „Jugger“-Jugendmannschaft gründen und an den Start bringen!“  
„Unser Logo (siehe unser Trikot) beinhaltet die Buchstaben NSA: Die stehen in unserem Fall für „Nordische Sport-Amateure“ – nicht für „National Security Agency“, den größten Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten …“, löst Jorma schmunzelnd das Rätsel der Trikot-Beflockung seines Teams.
Den hiesigen Jugger-Enthusiasten unter Leitung von Jorma Rahfoth ist es zu gönnen, dass sie für ihren Sport in unserer Region noch weitere Anhänger gewinnen können. Wer sich einmal von Jugger ein Bild machen möchte, ist bei jeder Trainingseinheit auf dem Polizei SV-Gelände in der Westerallee willkommen. „Noch mal: Wir trainieren dienstags und freitags um 19 Uhr auf dem PSV-Platz – kommt einfach vorbei!“

Text: Peter Feuerschütz,
Fotos: privat

- WERBUNG -