Es klingelt an der Tür, und sofort ist ein neugieriger Vierbeiner im Flur unterwegs. „Haben Sie Angst vor Hunden? Unsere Hündin macht nichts!“, sagt Günther Wulf, als er den Gast hereinlässt. Seit 2004 wohnt er zusammen mit Ehefrau Birgit in einem Reihenhaus in einer ruhigen Ecke von Engelsby. Flicka, ein weiblicher „Labradoodle“, hat alles unter Kontrolle und bekommt häufiger Besuch von der Hündin und Schwester Flocke. Sie lebt nur ein paar hundert Meter weiter – bei der Tochter der Wulfs.
Es ist kalt und windstill. Im Garten hängt eine Regenbogen-Flagge am Fahnenmast. Passend, denn Günther Wulf bezeichnet sich selbst als „bunten Hund“, dessen Leben einige überraschende Wendungen vollzog. Er war immer bodenständig nach dem Motto „Einmal Flensburg, immer Flensburg“. Kein Umzug ging über das nahe Angeln hinaus. Und vor allem zeigt die Vita eine signifikante Wasserorientierung. Die große Leidenschaft galt dem Segeln, in Fachkreisen spricht niemand von Günther, sondern alle nur von „Günthi“.

Die Anfangszeit

Die Affinität zum nassen Element war so nicht zu erwarten, als er am 4. Mai 1946 in Flensburg geboren wurde – als drittes Kind der Familie Wulf, die in der Bismarckstraße ein Ladengeschäft hatte. Es war spezialisiert auf Lebensmittel, Delikatessen und Weine. Ein zeitintensives Unterfangen, das auch die Kinder einspannte.
Der kleine Günther besuchte in Jürgensby die Grundschule, streute eine kurze Stippvisite in Fruerlund ein, um dann – wie die älteren Geschwister – den Schritt auf die Goe-theschule zu wagen. „Das Gymnasium war aber nicht so mein Ding“, schmunzelt der 75-Jährige heute. „Ich war eher praktisch veranlagt.“ Also wechselte er zeitig die Schulbank mit einer Ausbildung. Bei „Baack & Nicolai“, dem damaligen VW-Händler in der heutigen „Automeile“ Liebigstraße, machte der junge Mann einen Abschluss als Einzelhandelskaufmann.
Es folgte die Bundeswehr, bei der sich Günther Wulf auf zwei Jahre verpflichtete. Er blieb ganz in der Nähe und wurde in Flensburg-Weiche, in der Briesen-Kaserne, stationiert. In dieser Zeit lernte er seine Birgit kennen. Das junge Paar heiratete 1969. Günther Wulf war nun wieder im gelernten Beruf zurück, arbeitete für die Autohäuser Lange und Ahrendt. Immer häufiger beschlich ihn das Gefühl, bei der Berufswahl kein gutes Händchen gehabt zu haben. Mit einem spitzbübischen Lächeln verrät er: „Die Kunden wollten am liebsten am Wochenende Autos kaufen, doch dann wollte ich lieber etwas anderes machen.“ Er wollte segeln – und das möglichst oft.

Lebenslänglich dem Segeln verfallen

Die Liebe zum Wasser wurde schon in der Jugend geweckt. Sonntagsausflüge mit den Eltern an die Schlei oder zum Nord-Ostsee-Kanal blieben in Erinnerung. Dann leistete sich die Familie ein Sommerhaus in Rønshoved auf der dänischen Seite der Flensburger Förde, direkt gegenüber den Ochseninseln. Für ihren Günther organisierten die Eltern ein Ruderboot, mit dem er oft zur größeren der beiden Ochseninseln aufbrach. Der Filius hatte einen guten Draht zur Bootsbauer-Familie Isaack, freundete sich mit den Fischern an, und fing in der Bucht selbst Makrelen. „Davon gab es damals richtig viele“, erzählt Günther Wulf. „Ich konnte die Nachbarschaft versorgen, und die Fische wurden geräuchert.“
Oft ruderte er nur eine Strecke. Am Bug war ein Riemen befestigt, an dem sich das Badelaken der Schwester spannen ließ. Bei den vorherrschenden Westwinden ließ es sich gut von den Ochseninseln ans Festland zurücktreiben. Richtiges Segeln war es für den Jungen. Doch schnell stellte er fest, dass es bestenfalls eine Vorstufe war. So trat Günther Wulf in den Flensburger Segelclub ein, der in den 1960er Jahren noch direkt im Hafen beheimatet war. Er mischte bei den „Vereinspiraten“, der Jugendabteilung, mit, belegte Kurse und steuerte eine Vereins-Jolle.
Einmal jedoch traute sich der junge Segel-Enthusiast zu viel zu. Mit zwei Freunden an Bord kenterte er bei kühler März-Witterung auf der Förde. Die Nachwuchssegler klammerten sich an die Pfähle der Fischernetze. Der Besitzer kam mit seinem Boot zur Hilfe. „Er wollte mich als erstes herausziehen“, erinnert sich Günther Wulf. „Ich wollte aber zunächst meine beiden Kumpel gerettet sehen. Ich fühlte mich schließlich als Kapitän.“ Während die geretteten, aber unterkühlten Jungen bei einem Bauern in warme Decken gehüllt wurden, bekam die Presse Wind von diesem Zwischenfall. Das „Flensburger Tageblatt“ titelte: „Drei junge Flensburger in Lebensgefahr“.
Dieses Missgeschick erstickte nicht das Feuer der Segel-Leidenschaft. Obwohl Günther Wulf nicht besonders gerne lernte, legte er etliche Prüfungen für seine Segelscheine ab. Bald segelte er nicht nur mit, er wurde Schiffsführer und war auch auf Regatten ein gefragter Mann. So war er auch Crew-Mitglied auf der Segelyacht „Ree“, die unter anderem an dem spektakulären „Fastnet Race 1979“ teilnahm.

Das Erwachsenendasein: Beruf und Familie

Der Flensburger wollte mehr – und brauchte dafür mehr Zeit. Aber wie? Eine Schnapsidee war es nicht, aber bei einer Party im Freundeskreis gab es den entscheidenden Tipp. „Dann werde doch Lehrer!“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade die „mittlere Reife“ auf der Abendschule nachgeholt. Das fehlende Abitur war in Zeiten des Pädagogen-Mangels kein Problem. Über den zweiten Bildungsweg qualifizierte sich Günther Wulf 1970 für ein Studium an der Pädagogischen Hochschule. Das Thema der Examensarbeit wählte er ganz nach seinem Geschmack: „Jüngstengruppe im Segeln – ein neuer Weg des Segelunterrichts“.
So ganz nebenbei entstand während seines Studiums aus dem Kontakt mit einer jungen PH-Dozentin eine besondere Privatinitiative: der „Flensburger Kinderladen“, ein freier Kindergarten mit modernen Erziehungsformen, die ganz konträr zu der autoritären Pädagogik der Nachkriegszeit standen. Mitbegründer Günter Wulf war inzwischen Vater geworden. 1969 erblickte Nicole das Licht der Welt, 1974 folgte Feline.
Der Familienvater hatte Sport und politische Bildung studiert. 1973 schlüpfte die KGS Adelby aus dem Ei, kurz danach tauchte Günter Wulf an der Gesamtschule auf und unterrichtete hauptsächlich Hauptschüler, manchmal auch Realschüler.
„Ich deckte fast alle Fächer ab und wurde oft zur Hilfe gerufen, wenn andere Lehrer mit den Schülern nicht zurechtkamen“, erzählt er. „Ich war groß, kräftig, hatte eine markante Stimme und konnte natürlich auch mit Kindern umgehen.“
Womöglich war der Stress zu groß. Zumindest schied der Beamte auf medizinischen Rat nach zwei Dekaden aus dem Schuldienst aus. Zunächst sollte er sich zwei Jahre erholen, doch dann wurde er frühzeitig in den Ruhestand geschickt.

Die wahre Bestimmung

Mit 48 Jahren zu Hause herumsitzen – das ging natürlich auch nicht. Für das Segeln war nun mehr Zeit. Als Kapitän von Charterfahrten verdiente sich Günter Wulf ein kleines Taschengeld. Mit dem damaligen Segelschiff der Wulfs, einem Finkenwerder Fischkutter von 1924, der von Tochter Nicole auf den Namen „Tykke Venn“ getauft wurde, unternahm die Familie viele Reisen.
Mit seinem historischen Fischkutter gehörte Günter Wulf am 29. September 1979 zu den Gründern des Vereins „Museumshafen“. Mit Gleichgesinnten saß er damals drei Stunden lang im legendären Gasthaus „Schwarzer Walfisch“ in der Angelburger Straße. Es wurde diskutiert, Krabben gepuhlt und schließlich die Vereinsaufgabe fixiert, ältere Schiffe zu erhalten und einen Museumshafen nach dem Vorbild in Hamburg-Övelgönne zu schaffen.
Damals herrschte eine Gemengelage, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Verstreut lagen damals sechs historische Segelschiffe in Egernsund und im Industriehafen. Ihre Besitzer hatten das Flensburger Westufer im Visier, wo das alte Bohlwerk vor sich hingammelte. „Die Stadtwerke als Hafenbetreiber wollten es mit Steinen zuschütten“, erinnert sich Günther Wulf. Der Flensburger Segelclub war gerade aus dem Innenhafen ausgesiedelt worden. Die Stadt wünschte dort nur noch Berufsschifffahrt.

Die Überraschung war groß, als plötzlich einige alte Schiffe vor dem maroden Bohlwerk ankerten und die Eigner dort einen „Museumshafen“ aufbauen wollten. Das passte der Stadt gar nicht, in der Kommunalpolitik zürnten viele über das „langhaarige Sandalengesindel“, das einfach so einen Teil des Hafens besetzte. Es wurde ein langes, emotionales Tauziehen, bei dem Günther Wulf mittendrin war. Aus dem Rathaus war keine Unterstützung zu erwarten, wussten er, Rainer Prüß und weitere Mitstreiter. Stattdessen riefen sie bereits im Mai 1980 die erste Rum-Regatta ins Leben, um das eigene Image aufzupolieren. Die Öffentlichkeit begeisterte sich an der Mischung aus Fernweh, Abenteuer und vielen historischen Schiffen. 32 liefen schon bei der Premiere ein und erzeugten ein großes, positives Echo in der Presse.
Fäden in die Stadtverwaltung entstanden. „Wir zahlen nichts, wir machen alles selbst – und wir schaffen für Flensburg eine Attraktion“, argumentierten die Schiffsfreunde. 1982 wurde Günther Wulf Geschäftsführer des jungen Vereins. Im selben Jahr war ein offizieller Vertrag für den Museumshafen unterschrieben. 1984 wurde das Bohlwerk saniert – pikanterweise mit dem Holz des kurz zuvor unter öffentlicher Empörung abgebrochenen Kanalschuppens. 1989 stellte der „Museumshafen“ sein Vereinshaus am Herrenstall fertig. 1991 war ein uralter Hafenkran rekonstruiert.
Im Kielwasser der alten Segelschiffe erhielt das gesamte Westufer ein neues Flair. Andere Schiffsenthusiasten retteten den Salondampfer „Alexandra“ vor dem Verschrotten, gründeten zwei klassische Werftbetriebe und kreierten mit dem Dampf-Rundum ein weiteres Fest. Die Rum-Regatta indes avancierte zum Dauerbrenner. „Wir hatten schließlich einen Deal mit der Stadt“, erzählt Günther Wulf. „Der Hafen-Kapitän hatte damals nur eine halbe Stelle und war sonst irgendwo im Rathaus tätig. Nun bekam er eine zweite halbe Stelle und organisierte als Geschäftsführer die Rum-Regatta.“
Günther Wulf restaurierte in Eigenarbeit und mit Hilfe seines Schwagers sowie der Sonderburger Bootswerft die „Tykke Venn“. 1983 wurde der Kutter von Tochter Feline auf den ursprünglichen Namen „Greta“ getauft. Viele Touren mit Familie und Freunden folgten. Nach seiner frühzeitigen Pensionierung kam der Kapitän auf die Idee, sich mit einem eigenen Schiff selbstständig zu machen. Das Ehepaar entdeckte in den Niederlanden eine Tjalk, einen historischen, 25 Meter langen einmastigen Segelschifftyp und überführte die „Albatros“ im Dezember 1993 in den Museumshafen. Die Wulfs verkauften das Haus am Bohlberg, behielten eine kleine Wohnung in der Stadt und bauten die Tjalk zu einem Wohn- und Charterschiff um. Ein lang gehegter Traum vom Leben auf dem Wasser erfüllte sich.
Gäste konnten die „Albatros“ für einen Tagestörn oder für eine Wochenend-Rundfahrt durch die dänische Südsee buchen. Günther Wulf war nicht nur „Captain“, sondern auch Koch. Er bereitete mit Vorliebe Dorsch auf dem Gemüsebett zu. An Bord wurden mehrmals Hochzeiten gefeiert. Die Standesbeamtin war fast ein Stammpassagier, und auch eine Pastorin war manchmal dabei. Oft befand sich eine bunte Truppe an Bord. Peter Sage, heute Musiker bei „Santiano“, spielte am Akkordeon. Und zu später Stunde sang Günther Wulf: „Ein Hering und eine Makrele, die war´n sowohl Herz als auch Seele. Er schwamm mit ihr durch die Kanäle, auf dass der Makrele nichts fehle.“

Günther engagiert sich maritim in Flensburg

Drei Jahre lang ging es immer wieder auf einen kurzen Törn, dann hatte Günther Wulf ein neues Projekt. Er organisierte ein großes internationales Segler-Treffen („Sail 2000“), das zu einem Stadtfest am Hafen auswuchs. Musik-Konzerte und Vermarktung mussten geregelt werden. „Trockenen Fußes wird man am kommenden Wochenende bei uns von einem Ufer des Hafens an das andere kommen – so dicht gedrängt werden die Schiffe bei uns liegen“, pries Günther Wulf die „Sail 2000“ an. Anders als sonst war die Aufgabe des „Hafenkommissars“ kein Ehrenamt, sondern eine bezahlte, befristete Stelle der Stadt. Günther Wulf erinnert sich noch gut an sein damaliges Büro über der „Bärenhöhle“.
Auch das Thema „Gastronomie“ sollte einmal eine besondere Bedeutung erhalten. Er ist eben ein „bunter Hund“. Er freundete sich mit einem Winzer aus Rheinhessen an und verwaltete für diesen die zunehmenden Bestellungen aus Flensburg. Inzwischen hat der Weinhändler sogar einen Firmensitz in der Dorotheenstraße. Die Türen öffnen sich für Weinproben, die Günther Wulf vorbereitet. Und auch auf der Rum-Regatta hat der Winzer einen Stand, der sich unter den Seglern zum beliebten Treffpunkt entwickelt hat.
2005 hatten Günther Wulf und seine Birgit das „Café K“ am Südermarkt aus der Taufe gehoben. „Wir dachten einfach an ein Lokal, in dem man sich mit Freunden treffen kann“, erklärt das Ehepaar. Lange lief dieses Projekt allerdings nicht. Für die neue Gastronomie waren die Kosten zunächst höher als die Einnahmen, dann bedeutete ein schwerer Unfall das „Aus“. Es fand sich ein Nachfolger, der das Lokal immer noch betreibt.
Es lockte das Meer. Nach dem Verkauf der „Albatros“ fand Günther Wulf die „Margarezhe“. Dann wagte er mit der „Capella“, Schwager und Schwiegersohn einen Törn bis nach Norwegen, um Freunde im Oslofjord zu besuchen. Er besegelte sonst zumeist nur die Flensburger Förde und die dänische Südsee. Ausnahmen machte er auch für den forschenden Abenteurer Arved Fuchs, den er als Schiffsführer und Crew-Mitglied zu Veranstaltungen nach Schottland oder Frankreich begleitete. Bei den bekannten Polar-Expeditionen war er allerdings nie an Bord. Oder er war für „Greenpeace“ mit der „Beluga“ unterwegs.

Der „Un“ruhestand

Derzeit liegt das Segelboot „Vrouwe Fortuna“ im Flensburger Hafen. Günther Wulf kann sechs bis acht Leute mitnehmen. Zum 70. Geburtstag von Günther Wulf wurde es von Enkeltochter Lene getauft. Mit Felix und Finn erfüllen ihn zwei weitere Enkel mit Stolz. Jetzt ist die „Vrouwe Fortuna“ witterungsbedingt „eingepackt“. „Ich segele immer noch so oft es geht, vor allem bei schönem Wetter“, sagt er. „Aber ich bin nicht mehr so fit wie früher.“ Seine Tochter Feline verstarb 2012, und 2013 hatte er eine schwere Herz-Operation. Er kam wieder auf die Beine. „Wenn ich nicht so viele gute Leute in Flensburg kennen würde, dann wäre ich niemals 75 Jahre alt geworden“, weiß er.
Das Engagement im maritimen Vereinsleben ist abgeflaut. Er mischt noch im Verein „Klassische Yachten Flensburg“ mit, der sich 2005 gründete. Diese Organisation ist ein weiterer Mosaikstein des Historischen Hafens und widmet sich vor allem den klassischen Yachten und Jollen. Das Segeln hat Günther Wulf nie losgelassen. Er ist nicht nur ein „bunter Hund“, sondern auch ein Klassiker des Flensburger Hafens.

Text: Jan Kirschner
Fotos: privat

 
- WERBUNG -