Tränen, Wunderkerzen und Ehrungen: Den ersten emotionalen Akt hat die neue Handball-Saison bereits geschrieben, obwohl der erste Spieltag noch gar nicht ausgetragen wurde. Holger Glandorf und Lasse Svan wurden von der SG Flensburg-Handewitt verabschiedet und in den Legenden-Status erhoben. Im Laufe dieses denkwürdigen Tages wurde auch die aktuelle Mannschaft in der Flens-Arena präsentiert. „Vielleicht ist mein Blick nach den 14 Jahren verfärbt, aber ich sehe die SG als einen der Top-Favoriten“, meint Lasse Svan. Maik Machulla nimmt die Vorlage an: „Die Breite im Kader ist nun wieder größer“, sagt der Coach. „Ich bin hoffnungsvoll, dass wir eine gute Saison spielen werden.“

Immer noch ein Quäntchen mehr herausholen – diese Maxime gilt im Leistungssport. Und da macht die SG keine Ausnahme. Seit einigen Jahren befindet sich der Bundesligist im regen Austausch mit der Sportwissenschaft der Universität Paderborn, lässt die Spieler im Training und in den Spielen „vermessen“ und mit einem Mini-Computer ausstatten. „Wir machen die individuellen Leistungen unserer Spieler quantifizierbar“, erklärt SG-Athletiktrainer Michael Döring. Es geht um die Fitness der Spieler oder das Senken des Verletzungsrisikos. Zugleich sollen mit den Bewegungsdaten auch die Effektivität der einzelnen Spielzüge analysiert werden.

Da kommt Maik Machulla ins Spiel. Er geht in seine sechste Saison als Chefcoach. Und nach der eher mageren letzten Saison, die von viel Verletzungspech überschattet war, ist der 45-Jährige höchst motiviert, an fast allen Flanken die Stellschrauben anzuziehen. Da wird an der medizinischen Betreuung nachgebessert, um die Diagnosen zu beschleunigen. Da ging es für zwei Tage ins Ostseebad Damp, um einen tiefergehenden medizinischen Check mit den Profis durchzuführen.
Auch das Reisen wurde vorerst auf Sparflamme gehalten. Die ersten Wochen der Vorbereitung fanden durchweg auf der heimischen Scholle statt. Erst dann weilte das SG-Team zu einem Trainingslager im dänischen Juelsminde, ehe die Testphase mit einem Turnier im ungarischen Veszprém ausklang.

Es schwingt die Hoffnung mit auf eine neue Saison ohne große personelle Engpässe. In der letzten Serie störten immer wieder schwere Blessuren den Ablauf bei den Flensburgern. Zeitweise stellte sich die Mannschaft von selbst auf, war die Bank bis auf ein paar Youngsters verwaist. Nun zeigt man sich im hohen Norden zuversichtlich, dass bis zum ersten Spieltag am 1. September in Hamburg alle einstigen Sorgenkinder wieder an Bord sein werden. „Uns fehlte in der letzen Saison die Konkurrenz-Situation“, meint Maik Machulla. „Viele Spieler mussten in den Übungseinheiten gar nicht auf 100 Prozent kommen, da sie genau wussten, dass sie sowieso spielen würden.“
Auf der Agenda hat der Coach einen variableren Angriff mit einem konsequenteren Einsatz von sieben Feldspielern und eine 5:1-Deckung als zweite Abwehrformation. Als Spitze ist Lasse Möller vorgesehen, der nach einem Knorpelschaden am Knie über ein Jahr gefehlt hatte und sich erst im letzten Saisonspiel in Berlin mit zwei Kurzeinsätzen zurückmeldete. Der baumlange Däne ist ein „Quasi-Neuzugang“.

Die beiden einzigen richtigen Neuzugänge sind Reaktionen auf den Aderlass auf den Außenpositionen. Lasse Svan, Hampus Wanne und Marius Stein-hauser sind weg – nur Emil Jakobsen ist geblieben und soll die neue Nummer eins auf dem linken Flügel werden. Als Backup ist der hierzulande eher unbekannte August Pedersen vorgesehen. Der Norweger spielte immerhin drei Jahre beim dänischen Erstligisten Bjerringbro-Silkeborg und lernte dort Johan Hansen kennen und schätzen. Der Rechtsaußen von den Färöern bringt bereits Bundesliga-Erfahrung aus Hannover mit und soll von Teitur Einarsson, der bislang nur im rechten Rückraum zum Einsatz kam, Unterstützung erhalten.
Zur Saison 2023/24 muss die SG wohl mehr am Kader feilen. Die Abgänge von Simon Hald, Magnus Röd und Göran Sögard stehen bereits jetzt fest. Mit dem slowenischen Kreisläufer Blaz Blagotinsek ließen die Nordlichter auch schon auf dem Transfermarkt aufhorchen. Die knapp 5000 verkauften Dauerkarten und die Kontinuität in der grenzübergreifenden Sponsoren-Kultur lassen weiterhin auf eine gute Zukunft hoffen.

Unruhe könnte sich allerdings ergeben, wenn neben Magnus Röd, Göran Sögard und Simon Hald weitere Spieler mit einem (vorzeitigen) Abschied kokettieren. Jim Gottfridsson, der 2013 aus Ystad nach Flensburg wechselte, macht im nächsten Sommer die Dekade bei der SG voll. Der Schwede ist der Kopf der SG-Offensive, einfach Weltklasse – und wenn er mal fehlt, wirken seine Nebenleute schon mal kopflos. Sein Vertrag ist eigentlich bis 2025 gültig. Als Jim Gottfridsson im Frühling in der schwedischen Presse vorzeitige Abwanderungsgedanken formulierte, war die Aufregung groß.

Derweil hat die SG einen neuen Kapitän gefunden. Die Mannschaft schritt zur geheimen Wahl, nachdem das Trainer-Team drei Kandidaten vorgeschlagen hatte. Das Rennen machte gegen Kevin Möller und Jim Gottfridsson der Kreisläufer Johannes Golla, der dieses Amt schon im Nationalteam bekleidet. Er freute sich über das Vertrauen der Teamkollegen: „Ich werde in dieser Super-Mannschaft in diese Aufgabe hineinwachsen. Ich werde über dieses Amt aber auch mit Lasse Svan sprechen.“ Die internen Strukturen im Team verändern sich.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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