Der 8. Juni dürfte bei der SG Flensburg-Handewitt legendär werden. Dann ist das letzte Heimspiel der Saison, und im Foyer der „Hölle Nord“ werden wieder die übergroßen Konterfeis der acht Vereinslegenden hängen. Man muss aber kein allzu großer Prophet sein, um vorauszusagen, dass nach dem Abpfiff ein neunter Spieler in diese ruhmreiche Galerie aufgenommen wird. Jim Gottfridsson hat fast 500 Spiele für die SG bestritten, weit über 1000 Tore erzielt und wird im Sommer nach zwölf Jahren im Klub nach Ungarn zu Pick Szeged wechseln. In seinen Abschiedsworten wird Stolz mitschwingen. „Es ist gar nicht selbstverständlich, zwölf Jahre in der Bundesliga zu spielen – und dazu nur für einen einzigen Verein“, sagt der 32-jährige Schwede.

Seine Zusammenarbeit mit der SG geht sogar über die zwölf Jahre hinaus. Es ist anderthalb Dekaden her, dass Ljubomir Vranjes als Team-Manager Kontakt zu einem großen schwedischen Talent aufnahm. „Wir trafen uns in Malmö“, erinnert sich Jim Gottfridsson. „Er hatte ein Trikot von Lasse Svan und einen Konter mit und erzählte mir von den Zielen der SG.“ Noch wäre der Schritt zu groß, meinte damals Ljubomir Vranjes, aber in ein oder zwei Jahren könnte es klappen. Das Rückraumass aus Ystad stand nun im Notizbuch des bekannten Landsmanns, der häufiger bei den Spielen zuschaute, während andere Klubs nur unpersönliche Angebote machten. Das beeindruckte Jim Gottfridsson, der schon im Sommer 2011 in Kristianstad im SG-Trainingslager auftauchte. Fast hätte es schon 2012 mit einem Wechsel geklappt, doch der Vertrag in Ystad versperrte diese Option.
Erste Saison bei der SG, erster großer Erfolg
Im Sommer 2013 marschierte der schwedische Neuzugang dann wirklich als SG-Spieler zu seinem ersten Training. Es war eine Krafteinheit im Förde-Fitness. Jim Gottfridsson war gut vorbereitet und hatte sich die Wochen zuvor einen persönlichen Trainer genommen. Nun war es Ljubomir Vranjes, inzwischen Chefcoach der SG, der die Ergebnisse an den Geräten kontrollierte. „Danach bildeten wir einen Kreis und Ljubo richtete ein paar Worte an die gesamte Mannschaft“, erzählt Jim Gottfridsson. „Er lobte meine Leistung, und ich bemerkte einige respektvolle Blicke der Teamkollegen, die alle Weltklasse-Spieler waren. Ich war stolz, denn ich war nun ein Teil dieser starken Mannschaft.“

In der Rückraummitte war Thomas Mogensen zunächst der Platzhirsch. Im linken Rückraum hatte die SG aber ihre Verletzungssorgen. Schon in seiner ersten Saison stand Jim Gottfridsson viel auf dem Spielfeld – selbst im Final Four der Champions League 2014, bei dem die Nordlichter rauschende Momente erlebten und den europäischen Handball-Thron erklommen. „Der Erfolg war so überwältigend, dass ich in Köln sonst gar nicht so viel mitbekommen habe“, verrät der damalige Novize. „Als wir Jahre später endlich mal wieder in Köln waren, habe ich erst gemerkt, wie groß die Arena eigentlich ist. Das hatte ich damals gar nicht realisiert.“
Vom Tiefpunkt zu zwei Meisterschaften
In der Siegesfeier auf dem Südermarkt teilte die SG mit, dass Jim Gottfridsson seinen Kontrakt langfristig verlängert hatte. So reibungslos lief es allerdings nicht immer. Innerhalb relativ kurzer Zeit brach sich der Rückraumspieler drei Mal den Mittelfuß. „Das war eine ganz schwere Zeit, da ich mir die Frage stellen musste, ob mein Körper für die enorme Belastung der Bundesliga überhaupt geeignet ist“, berichtet der rotblonde Skandinavier. „Zum Glück kehrte ich gestärkt zurück.“ Jim Gottfridsson trat als Angriffsstratege auf, verinnerlichte jeden Spielzug und reagierte so gut wie auf jede taktische Änderung des Gegners mit einer noch besseren Antwort.

Das war auch für die SG ein Segen – vor allem in der Saison 2017/18. Mit ihrem neuen Trainer Maik Machulla hatte die Mannschaft zu Weihnachten schon zehn Minuspunkte angehäuft und wurde von vielen abgeschrieben. In der Rückrunde schob sich die SG immer näher an die Spitze. Schließlich lagen nur noch die Rhein-Neckar Löwen etwas besser. An einem Abend unter der Woche rechnete alles mit einem Sieg der Süddeutschen gegen Melsungen. „Ich schaute erst sieben Minuten vor dem Ende auf den Live-Ticker, es war sehr knapp“, erinnert sich Jim Gottfridsson. „Ich schwitzte vor Aufregung, und die Löwen verloren tatsächlich. Ich musste erst einmal in den Garten und Luft schnappen.“ Die SG hatte nun alle Vorteile und wurde nach zwei nervenaufreibenden Arbeitssiegen in Lübbecke und gegen Göppingen tatsächlich deutscher Meister. Die Erleichterung war riesig. „Besser feiern konnten wir ein Jahr später, als wir mit nur vier Minuspunkten deutscher Meister geworden sind“, meint der Handball-Profi. „Das muss man sich mal vorstellen: Wir waren in der so starken Bundesliga wirklich ein Jahr ungeschlagen geblieben.“

Was bringt die Zukunft?
Jim Gottfridsson war über Jahre einer der Leistungsträger bei der SG, stand im Normalfall in der Startaufstellung. Das änderte sich, als Nicolej Krickau das Traineramt bei der SG übernahm. Die große Wertschätzung spürte das Rückraumass nicht mehr. Früher hatte der schwedische Spielmacher selbst damit kokettiert, seinen bis 2025 gültigen Vertrag nicht zu erfüllen. Im letzten Sommer wurde die Jahreszahl zur ultimativen Trennlinie einer Handball-Ehe. Jim Gottfridsson unterschrieb einen Drei-Jahres-Vertrag bei Pick Szeged. „Ich habe das Gefühl, dass mein Körper die Belastung in der Bundesliga nicht mehr so ohne Weiteres mitmacht, diese Liga ist wirklich brutal“, erklärt er. „Außerdem fand ich, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sportlich noch einmal etwas zu probieren.“

An eine Rückkehr in die Bundesliga denkt er nicht. Vielmehr peilt Jim Gottfridsson langfristig eine neue Aufgabe im Handball an und plant, als Trainer in Südschweden anzufangen. Und: Wird man ihn irgendwann in Flensburg wiedersehen? Jim Gottfridsson lächelt und antwortet: „Am 8. Juni werde ich nicht ´Tschüss´, sondern ´Auf Wiedersehen´ sagen. Flensburg wird mir immer etwas bedeuten.“
Text + Fotos: Jan Kirscher