„Was vom Tage übrig blieb“

Nicht verzagen – Bossen fragen!“ Diesen Satz hörte man vor einigen Jahrzehnten oft genug aus Glücksburger Mündern, oder von Leuten, die in irgendeiner Art und Weise mit der Glücksburger Geschäftswelt der damaligen Zeit Kontakt hatten. Was es damit auf sich hatte? Nun, Ursula Bossen und ihr Ehemann Hans-Peter Bossen betrieben über Jahrzehnte nicht nur ein Geschäft, sondern lange Zeit sogar zwei – eines „im Ort“, wie die Einheimischen das Glücksburger Zentrum stets nannten, und ein weiteres in Ulstrupfeld. Das Ehepaar hat sich sein berufliches Lebenswerk praktisch mit eigenen Händen aufgebaut, und sich mit viel Fleiß, Begeisterung und Lust am Verkaufen einen sehr guten Namen in der Region erarbeitet.
Unsere Protagonistin Ursula Bossen hat sich nun die Zeit genommen, um dem Flensburg Journal ihr bewegtes Leben zu erzählen, und fand dabei tatkräftige Unterstützung durch ihre langjährige Freundin, Kollegin, Nachbarin und Wegbegleiterin Marlis Foltin, sowie ihren Sohn Sven mit Frau Birgit.

Als Flüchtlingskind die Heimat verloren

Ursula Bossen hat bereits in jungen Jahren eine einschneidende Lebenserfahrung machen müssen – wie viele Gleichaltrige damals auch: Anfang Juni 1942 in Schlesien geboren, erfuhr sie schon als knapp Dreijährige am eigenen Leib, wie furchtbar Krieg und Vertreibung sein können. Als die Rote Armee die deutsche Wehrmacht gegen Ende des Krieges immer weiter zurückdrängte, das Kriegsglück sich längst gegen die Deutschen wandte und die Sowjets immer weiter nach Westen vorrückten, floh schließlich 1945 ihre Mutter, nur mit dem Nötigsten ausgestattet, mit ihren drei Töchtern, damals 21, 13 und 3 Jahre alt, die Jüngste im Kinderwagen, in den westlichen Teil Deutschlands. Nach einer wahren Odyssee verschlug es die Frau und ihre drei Mädels schließlich nach Niedersachsen: In der Nähe von Stade fanden sie nach langer Irrfahrt einen Unterschlupf. Dort blieben sie auch über das Kriegsende hinaus wohnen; Stade wurde so gewissermaßen zur neuen Heimat der kleinen Uschi, ihrer Mutter und der beiden Schwestern. Als Uschi 14 Jahre alt war, starb die Mutter nach schwerer Krankheit. Der Tod der Mutter prägte sehr ihr Erwachsenwerden. Von den älteren Schwestern betreut und erzogen, erlebte Ursula ihre Jugend in Basbeck, rund 25 km von Stade entfernt.
Dort ging sie zur Schule, erlebte ihre Kindheit, und erlernte den Beruf einer Friseurin. In Basbeck, in unmittelbarer Nachbarschaft, entstand auch eine Freundschaft zu einem anderen Flüchtlingsmädchen, die bis zum Tode der Freundin im letzten Jahr Bestand hatte. Diese Freundschaft war auch später noch wegweisend, wir hören noch davon.

Uschi wird erwachsen und findet ihr Glück

Einige Meter neben dem Friseursalon, in dem Uschi lernte und später arbeitete, befand sich ein Textilhaus. Im besagten Unternehmen arbeitete auch ein junger Mann namens Hans-Peter Bossen als Dekorateur. Es dauerte gar nicht so lange, bis die beiden jungen Leute – beide einsam und Azubis – den jeweils anderen entdeckt hatten, und schon mal gegenseitig „ein Auge riskierten“. Beim wöchentlichen Tanzabend an der Elbe kamen sie sich bald näher, anfangs noch ziemlich schüchtern: Eine romantische Liebesgeschichte bahnte sich an. Uschi und Hans-Peter verguckten sich ineinander, „gingen“ alsbald miteinander – wie man es damals nannte. Bald wurde die Beziehung sogar amtlich, die beiden heirateten in Stade!
Wie seine frisch gebackene Ehefrau war auch Hans-Peter Bossen kein gebürtiger Stader – er kam aus Angeln, stammte ursprünglich aus Unewatt. Im kleinen und beschaulichen Unewatt betrieben seine Eltern seit dem Jahr 1939 einen Kolonialwarenladen, später zogen sie mitsamt dem Laden um nach Vogelsang bei Kappeln.

Umzug nach Glücksburg

Vom Schwiegervater, dem alten Bossen, ging eines Tages im Jahr 1964 an das junge Paar die folgenschwere Anfrage: „Wollen wir nicht gemeinsam in Glücksburg an der Ostsee ein Lebensmittelgeschäft eröffnen?“ Der Alte hatte bereits ein Grundstück in Ulstrupfeld in der Königsberger Straße reserviert, und wollte ebendort ein Ladengeschäft mit angebautem Wohnhaus bauen. Das junge Paar sagte zögerlich zu, und die jungen Leute zogen gegen den Rat von Uschis Vater und ihrer Geschwister um in den hohen Norden. Hier entpuppte sich im ungemütlichen neuen Umfeld ein kleines Unwohlsein als eine überraschende Schwangerschaft. Im Abstand von zwei Jahren kamen ein Sohn und eine Tochter zur Welt. Das Babyzimmer war noch in der Rohbauphase!
„Die Anfangszeit war recht schwierig“, erinnert sich Ursula Bossen. „Das neue Haus war noch mitten im Bau, und gemeinsam unter einem Dach mit den Schwiegereltern – das war ganz schön anstrengend! Wir hatten praktisch keinen privaten Bereich. Räumliche Enge, Baulärm, ein kleines Kind, dann noch eines und dazu noch ein Schwiegervater, der alles andere als bequem und umgänglich war, bestimmten unseren Tagesablauf. Der Alte war oft laut, manchmal launisch, dazu wurde früher viel geraucht, auch drinnen, ständig – das war damals noch so, und es wurde mit Vertretern und Geschäftsleuten nicht nur Kaffee getrunken.
Er nahm auf uns und unser Familienleben keinerlei Rücksicht“, hat Ursula nicht nur angenehme Erinnerungen an die erste Zeit in Glücksburg. Die Schwiegermutter Erna Bossen hat vom ersten Tag mit an der Kasse des Ladens gesessen, schon in Unewatt und später in Vogelsang, und nun auch in Ulstrupfeld. Dort war ihr angestammter Platz, über Jahrzehnte bis ins hohe Alter. Mit ihr als Unterstützung fiel es Uschi Bossen etwas einfacher, alle Aufgaben und Anforderungen zu meistern. Doch irgendwann war auch diese Phase überstanden: Es wurde wesentlich besser, als beide Wohnungen endlich fertig waren. Die Schwiegereltern wohnten im Erdgeschoss, die jungen Leute darüber im ersten Stock. 1965 wurde feierlich unter großer Beteiligung der einheimischen Bevölkerung eröffnet. Anfangs befand sich der Gemischtwarenladen noch auf einer Grundfläche von 75 qm, doch nach den üblichen Anlaufschwierigkeiten etablierte sich das Geschäft am Ortsrand, die Verkaufsfläche wurde 1970 fast verdoppelt auf rund 150 qm – ein aufwendiger Umbau!

Königsberger Straße Nr. 1

Der Kaufmannsladen der Bossens war bald ein fester Bestandteil in jenem Ortsteil Glücksburgs. Der Arbeitstag im Laden begann für die Bossens um 6 Uhr morgens, der Brötchenverkauf war stets die erste große Herausforderung des Tages. Seit der Geschäftseröffnung 1965, vom ersten Tage an, war die Stadtbäckerei Nissen aus Glücksburg zuverlässiger Lieferant aller Backwaren – eine Geschäftsbeziehung, die über alle Jahrzehnte anhielt. Noch heute schaut der mittlerweile über 90jährige Bäckerei-Gründer Erwin Nissen regelmäßig zum Schnacken bei Ursula Bossen vorbei. Mittlerweile hatte der Laden eine Frischfleisch-, eine Obst- und eine Käseabteilung erhalten, und das Geschäft lief gut, es „brummte“ sozusagen. Das lag auch mit an Hans-Peter Bossen, der mit seinem privaten Mercedes „Strich 8“ regelmäßig geschäftlich unterwegs war, meistens mit prall gefülltem Kofferraum zu seinen Touren startete. Er belieferte viele Bauern der umliegenden Region mit den zuvor bestellten Waren. Jene Landwirte, die zum Einkaufen keine Zeit hatten, dafür ihre Bestellungen allerdings regelmäßig telefonisch durchgaben. Parallel zum Ausliefern der Ware fuhr er auch viele ihrer Lieferanten an, wie etwa den Schlachter Schröder in Munkbrarup, die Meierei in der Glücksburger Waldstraße oder K. G. Hansens Fruchthof in Flensburg, Emcona auf der Rude oder den C&C-Markt und den kühlen Bierkeller bei Frantzens Scheune. Neben sämtlichen gängigen Lebensmitteln waren praktisch alle Dinge des täglichen Lebens im Sortiment vertreten. Ob es ein Hammer oder Nägel waren, oder Drogerieartikel, Schulhefte, Briefmarken, es gab einen Schlüsseldienst, selbst Fahrradartikel gingen bei den Bossens über den Verkaufstresen. Fahrrad Maier, Inhaber Lütge Hinrichs, aus Flensburg lieferte oder besorgte vom Ventil über den Schlauch bis zur Luftpumpe alles Erdenkliche für die Radler, die sich bei den Bossens darauf verlassen konnten, dass das Gewünschte am Folgetag zur Verfügung stand. Auch aus dieser langjährigen Geschäftsbeziehung besteht heute noch regelmäßiger Kontakt, der Lütge Hinrichs schaut gern gelegentlich bei Ursula Bossen auf eine Tasse Kaffee vorbei, er wohnt nebenan am See.
In jener Zeit entstand der Slogan „Nicht verzagen, Bossen fragen“, und wurde in Glücksburg und Umgebung zum geflügelten Wort. Mitten in der Bauphase des Anbaus verstarb urplötzlich während eines morgendlichen Regensturms der Seniorchef. Der Rohbau lief voll Wasser und er wollte Schaden abwenden, doch er fiel vor seinem Laden mit einer Schaufel in der Hand um und war auf der Stelle tot, während seine Frau Erna nichts ahnend drinnen an der Kasse saß. Den Schock musste die Familie erst einmal verdauen und verkraften, doch das Geschäft musste weitergehen, zu intensiver Trauer blieb den Bossens bei all den Schulden nicht sehr viel Zeit und Muße. Der Laden ernährte die Familie zwar mittlerweile, Rücklagen konnten die Bossens nicht anhäufen. Doch eines ist Ursula Bossen wichtig zu erwähnen: „Die eingehenden Rechnungen und Gehälter haben wir immer bezahlt. In dieser Situation kamen uns gute Freunde zur Hilfe, der hilfsbereite Helmut Jarstorf vom Großhandelsverband mit gutem Rat und kräftiger Tat.“ So schaffte er für die jungen Eheleute und die kraftlose Witwe Erna ein Zeitfenster, durch das man schlüpfen konnte, er gab Zuversicht und einen starken Arm. Mit Gisela Windmann aus Kappeln, seinerzeit die Partnerin von H. J., und ihrem jetzigen Lebensgefährten Horst besteht glücklicherweise eine enge Beziehung – bis in die heutigen Tage.
In Ulstrupfeld gab es daneben noch einen weiteren Kaufmannsladen – den Spar-Laden von Frau Augustin. Somit war das Wohnviertel recht gut versorgt, die zahlreichen Nachbarn, darunter sehr viele Marineangehörige mit ihren Familien, waren zufrieden. Ein weiterer Service, den die Bossens anboten, schlug bald „wie eine Bombe“ im Viertel ein: Der Kuchenverkauf am Sonntagvormittag von 11 bis 12 Uhr. „Die Leute rannten uns beinahe die Bude ein, der Kuchen von Bäcker Nissen ging weg wie warme Semmeln! Wir waren anfangs sehr überrascht, wie viele Menschen gerade am Sonntag zu Kaffee und Kuchen offensichtlich Besuch bekamen oder es sich selbst gutgehen ließen“, weiß Ursula Bossen zu erzählen.

Der Partyservice

Die bereits erwähnte Wurst- und Fleischabteilung hatte längst einen sehr guten Ruf erworben, nicht zuletzt wegen der leckeren Waren von Schlachter Schröder. Die Schlachterfrau Frau Nissen war ein Original hinter der Theke, es gab Frikadellen warm auf die Hand um nur ein Beispiel zu nennen. Immer öfter wurde Ursula Bossen gefragt, ob sie nicht auch mal für eine Geburtstagsfeier oder ein anstehendes Jubiläum „ein paar Schnittchen schmieren“ könnte.
Ursula Bossen konnte! Und – ähnlich wie mit dem Kuchenverkauf sonntags – entwickelte sich das „Schnittchen zubereiten “ zu einem weiteren Renner, und später zu einem echten Standbein für den Laden und die Bossens.
So wurde im Jahr 1980 der Party-Service geboren: Wurst- und Käseplatten sowie selbstgemachte Salate wurden regelmäßig geordert, die Firma „Bossens Party-Service“ war recht schnell in aller Munde, wenn es um „Platten“ und geliefertes Essen ging. Ursula Bossen übernahm neben dem Verkauf im Laden nun höchstpersönlich die Herstellung der Platten, sie briet selbst das dafür benötigte Fleisch, dekorierte und belegte die Platten, und ihr Mann, der gelernte Dekorateur, verlieh dem Festschmaus noch den letzten Pfiff. „Das Auge isst schließlich mit“, verrät uns Ursula Bossen eine nicht zu unterschätzende Binsenwahrheit. „Wir mussten für den Party-Service überhaupt keine Werbung machen. Per Mundpropaganda sprach es sich schnell nicht nur in Glücksburg, sondern bis nach Flensburg und darüber hinaus herum. Heißer Tipp für belegte Platten: Bossen in Glücksburg!“
Den meisten Menschen würden die geschilderten Aufgaben und täglichen Anforderungen wohl völlig ausreichen, die zum einen das Führen eines eigenen Lebensmittelgeschäfts und zum anderen das Betreiben eines gut laufenden Partyservices möglich machen, doch der notwendige Ertrag ließ die Sorgen nicht kleiner werden.
Die langjährige Freundin aus Flüchtlings- und Kindheitstagen Allmuth war seit jeher oft mit Mann Bernd zu Besuch in Ulstrupfeld. Die gemeinsamen und gemütlichen Abende der 70er Jahre Abende am Wochenende, wenn die Kinder zu Bett waren – da teilte man die Sorgen und die Idee der Stader wurde geboren: ein Laden „im Ort“ – eine Geschenkboutique.
„Flucht nach vorne“, so hieß die Devise – mehr Ertrag durch andere Warensortimente.

Das zweite Standbein

Als sich die Gelegenheit bot, in Glücksburg in der Großen Straße Nr. 10 ein Ladenlokal anzumieten, neben Lotto Toto Matthiesen Senior – griffen die Bossens zu. Sie mieteten das angebotene Objekt, und eröffneten auf den 50 qm Grundfläche eine Geschenkboutique.
Anfangs noch recht klein und spartanisch – eine Geschenkboutique, mit einem zuerst noch sehr bescheidenen Anfangsbestand. Nach und nach kamen immer mehr Artikel hinzu, insbesondere Textilien fanden Eingang ins Sortiment des Geschäftes. Dann standen einige räumliche Veränderungen an: Die einstigen Räumlichkeiten der Alten Post in Glücksburg.
Der Kaufmann Heiner Matthiesen hatte das große Postamt renoviert, ein beeindruckender großer Laden mitten im Herzen im Zentrum Glücksburgs.
Nun zog Ursula Bossen mit ihrer einstigen Geschenkboutique, die sich mittlerweile zu einem Textilgeschäft gemausert hatte, im Jahr 1988 in die Alte Post um!
Ursula Bossen und Ehemann Hans-Peter hatten in diesen Jahren mit gleich zwei Geschäften – und zusätzlich noch einem Party-Service, einen mehr als ausgefüllten Tag. Es begann für Ursula früh morgens kurz nach 6 Uhr zuhause im Laden, gegen 9 Uhr ab in die Alte Post ins Textilgeschäft, in der Mittagspause ab 12.30 Uhr schnell nach Hause, die Familie bekochen, abwaschen, nebenbei einen Braten für den Partyservice zubereiten, dann wieder schnell zurück ins Geschäft „im Ort“, und abends „to Huus“ den Haushalt wieder auf Vordermann bringen. Die Wege zwischen den Geschäften legte sich gern mit dem Fahrrad, aber manchmal auch zu Fuß zurück, immerhin ein Marsch von rund 15 Minuten pro Strecke. Sven Bossen schüttelt noch heute den Kopf bei dem Gedanken daran, was seine Mutter damals so alles leistete, ohne darüber jemals ein Wort zu verlieren: „Frauen sind bekanntlich die härteren Männer“; denkt er dankbar, auch mit für seine Schwester Eike, an eine Kindheit und Jugend in einem Selbständigen-Haushalt.
Ohne Sicherheiten und Garantien! Doch das offene Haus mit all seinen Menschen, in dem täglich immer „etwas los“ war, bot den Kindern eine behütete und schöne Kindheit und Glücksburg gab das Seinige mit dazu.

Das etwas andere Textilgeschäft

Das Textilgeschäft hatte sich schnell einen guten Namen in Glücksburg und Umgebung gemacht, die Kunden und Kundinnen schätzten insbesondere die gute und fachmännische Beratung. Außerdem war ein persönlicher Klönschnack immer drin, auch wenn die Kunden mal nichts kauften – gerade die Einheimischen schätzten einen Schnack „op Plattdüütsch“ mit Marlis Foltin.
Zusätzlich gab es noch eine Annahmestelle für Reinigung der Wäscherei Wendt und eine Schuhreparatur. Die Textilien waren teilweise exquisit, sogar an Modeschauen – vom HGV organisiert – nahm die Boutique teil, mit Glücksburger „Models“ wohlgemerkt: Regelmäßig in Glücksburg, mal im Kurgarten, aber auch in der Rudehalle, oder auf dem Schinderdam, meist mit großem Publikumsandrang verbunden.
Insbesondere die Unterwäsche und Bademoden von der Firma Schießer fanden reißenden Absatz, ganze Kartons der Markenware stapelten sich in den Lagerräumen des Geschäfts. Und Geschenkartikel wurden auch noch verkauft, zahlreiche Accessoires und Mitbringsel für Urlauber waren ebenfalls Artikel, die gut liefen und ihre Abnehmer fanden.
Ein besonders nachgefragter Artikel waren neben den Schießer-Waren die sogenannten typisch norddeutschen gestreiften Fischerhemden, die besonders die Urlauber gern als Andenken mit nach Hause nahmen, doch auch Swarovski-Seehunde, Seeaal-leder, Friesentöpfe etc. waren beliebt bei vielen Shopping-Kundinnen.
„Eins der besonderen Highlights in unserer Boutique war eine Signierstunde mit der lokalen Legende Gerty Molzen.
Die schon 80jährige Gerty war in Hochform, und wir erlebten gemeinsam mit vielen Kunden und Kundinnen einige unvergessliche Stunden in unseren Geschäftsräumen“, denkt Ursula Bossen gern an viele tolle Erlebnisse in ihrer Boutique zurück. „Wir hatten auch viele Stammkunden aus dem Flensburger Bereich, und sogar unsere örtlichen Hoheiten aus dem Schloss kamen gern bei uns vorbei.
Insbesondere Prinz Friedrich ging jeden Tag am Laden vorbei, und rief uns dabei einmal zu, als er direkt aus einem Urlaub zurückkam: „Lasst euch mal ein Präsent einfallen, ich bin heute Abend eingeladen und bringt es mir bitte rüber“, hieß es dann aus prominentem Munde. Auch viele Bewohner aus der nahe gelegenen Schlosssee-Residenz waren regelmäßig Kundinnen in der Boutique. „Oft genug sind wir auch ins Haus gegangen, wenn die Kunden mal nicht so gut zu Fuß waren oder darum gebeten haben. Dort Am Schlosssee 5 war ich eine gern gesehene Besucherin“, erinnert sich Ursula an viele schöne Begegnungen mit den Bewohnern der Residenz.
Die Eheleute Schuster-Schuhmacher waren für Ursula Bossen nicht nur professionelle Geschäftspartner, Klaus Schuhmacher ist Mitinitiator des Glücksburgtellers, der nach dänischem Beispiel als königsblauer Jahresteller exklusiv über 11 Jahre über ihn produziert und über Uschi und Marlis erfolgreich verkauft wurde (nur ein gutes Beispiel von vielen).

Ein gutes Team war Gold wert

Ursula Bossen hat in jenen Jahren mit dem Textilgeschäft gute Umsätze getätigt, doch ohne die Hilfe und Unterstützung zahlreicher Angestellter wäre das alles wohl nicht zu schaffen gewesen. Im Partyservice half Frau Hansen (die gute Seele) jahrzehntelang – Frau Wanner war auch seit frühen Jahren, bis in die 90er, mit im Laden aktiv, aber auch private Freundin über den Kegelverein „Schiebesachte“. Frau Amelungen, sie ist Profi und half im Partyservice um die Bestellungen pünktlich abzuarbeiten, im Textilgeschäft unterstützte sie Marlis Foltin, die gleichzeitig Nachbarin und auch gute Freundin von Ursula Bossen war. In der Boutique nahmen die Angebote immer weiter zu, selbst Hochzeiten richteten Ursula und ihre Damen aus, sogar in der Orangerie/Schlosspark und am Strand von Holnis.
Die passenden Hochzeitsgestecke wurden bei „Blumen Roth“ geordert und angefertigt, die hauseigene Schneiderin Frau Schuh steckte fachmännisch die ausgewählten Kleider ab, man beriet die Kundschaft sehr persönlich: Das Geschäft entwickelte sich zu einem wahren Glücksfall für Glücksburg, seine Bürger, und sogar die Urlauber, die regelmäßig und gern immer zu Ursula Bossen wiederkamen. Aus treuen Urlauber-Kunden wurde in dem Fall der Eheleute Erpel aus Berlin auch eine feste Verbindung bis heute. Die Erpels und Uschi Bossen halten den Kontakt gerne herzlich aufrecht und Erpels haben inzwischen auch eine Wohnung am Strand unten gekauft – so gut aufgehoben fühlt man sich in Glücksburg.
Ein Privatleben gab es jedoch kaum, die 7-Tage-Woche und die Kinder – die Bossens hatten keinen Kontakt zu den Schwestern Lisbeth und Edith und dem Stader Nesthäkchen Marlis. An jedem Abend wurde, wenn die Kleinen endlich im Bett waren, im kalten Kontor (dort war der Apparat) telefoniert, oft lange telefoniert. Man könnte es umschreiben frei nach dem bekannten Filmtitel: „Was vom Tage übrig blieb“!
„Ja was vom Tage übrig blieb, war außer Schwarz-Weiß-Fernsehen, den Telefonaten mit der Freundin in Stade – nicht viel“, erinnert sich Ursula Bossen. „Wäre da nicht die nachbarschaftliche Gründung des Kegelclubs „Schiebe sachte“ im Parkhotel Ruhetal – das war die Adresse am Rüder See seinerzeit. Dieser Freundeskreis aus Ulstrupfeldern ist bis heute lebendig im Stadteilleben und darüber hinaus aktiv. Man hilft sich gegenseitig, kegelt weniger als früher, aber pflegt die lange Freundschaft und erzählt und hört zu.“ Damals waren die Kegelbrüder Uwe und Fiete Uschis Baumeister, sie bauten nach ihrem Wunsch die kümmerliche Wohnung um – auch bei den Boutique-Umzügen waren es die Kegler – die den Umzug mitmeisterten. Es waren einfach schöne Zeiten; besonders die Kegelschwestern und -brüder brachten Leichtigkeit und Freude in Uschis Leben.

Der Partyservice boomt

Dieser Geschäftszweig nahm im Laufe der Jahre immer größere Ausmaße an, Bossens Partyservice erhielt viele Aufträge, meistens übrigens an Wochenenden. Die Abnehmer und Besteller der mittlerweile legendären Platten von Bossens Partyservice waren stets voll des Lobes über die Qualität der „Schnittchen“ und der anderen Speisen, die mittlerweile angeboten wurden.
Zudem waren die Platten durchweg üppig belegt: „Mein Vater hat es eigentlich immer zu gut gemeint mit seinen Werken – er hat zubereitet ohne Rechenstift“, weiß der Sohn noch heute zu erzählen. „Doch meinen Eltern war es immer wichtig, dass die Kunden glücklich und zufrieden waren! Es waren Buffets wie aus „Tausendundeiner Nacht“! Mit gefüllten Datteln, essbaren Blüten, Kiwis und Sternenfrüchten, Meeresspezialitäten, alles mundgerecht appetitlich serviert. Und das waren sie wohl auch, denn die Resonanz war stets sehr positiv.“
Fleisch, Geflügel und Fisch, Süßwaren und Nachspeisen, fast alles selbst zubereitet, brachte schließlich sogar die Kundschaft der Charter-Schiffe auf den Plan, die von Flensburg aus zu Veranstaltungsfahrten in die nahe Ostsee starteten, auch die „Alexandra“ war unter diesen Kunden vertreten. Selbst das hiesige „Orpheus-Theater“ ließ es sich nicht nehmen, für seine Gäste Häppchen, Schnittchen und Fingerfood bei den Bossens zu ordern.
Einmal im Jahr war „Ausnahmezustand“ im Partyservice: „Kieler Woche-Alarm“! Es beginnt morgens um 2 Uhr, alle Frauen – wenige Männer – sind bereits „an Deck“ und arbeiten.
Erst die gekühlte Ware bis zum Anschlag in den Transporter, dann super vorsichtig über die Nordstraße Richtung Kiel, und hinten Präsidentencreme und gefüllte Datteln, Fischplatten und Roastbeef.
In Kiel angekommen mussten diese Kunstwerke ohne Schaden über mehrere Schiffe hinweg bis zum Kunden angeliefert werden, hier halfen die Matrosen zum Glück meistens – diese Segler lagen stets im Päckchen an der Pier. Die „Ryvar“ aus Flensburg zum Beispiel segelt ja noch heute mit Gästen, ihr „Käptn“ Kowalski kann sich sicher noch gut an jene Zeiten erinnern.
Für größere Feiern lieferten die Bossens auf Wunsch auch gleich leihweise Geschirr und Gläser sowie Besteck mit. Partybänke und Tische wurden vermietet. Hans-Peter Bossen sagte gern mal scherzhaft und augenzwinkernd zu Freunden: „Wir sind schon beinahe der „Käfer des Nordens“ – in Anlehnung an den legendären Münchner Feinkostladen.

Ein neues Jahrtausend bringt Veränderungen im Lebensmittelladen mit sich

Die Jahre gingen so mit viel Arbeit vorbei, heute fragt sich nicht nur Ursula Bossen: „Wo ist bloß die Zeit geblieben?“ Im Millenniumsjahr 2000, und in den ersten Jahren danach, ging alles noch seinen gewohnten Gang. Doch Glücksburg und seine Geschäftswelt wandelte sich schleichend, Spar Augustin war schon geschlossen und der eigene Markt – inzwischen „Rewe“ machte ebenfalls Verluste, die jahrelange Steuerberaterin aus der Collenburgerstraße Frau Kühne riet zur Tat: „Der Fördemarkt im Ort ist der Platzhirsch, ihr müsst etwas tun!“
H. P. Bossen reagierte auf diese Entwicklung, nahm den Rat an und schloss schweren Herzens den Kaufmannsladen in der Königsberger Straße 1 ab. Das Ladenlokal wurde von Gila und Helle Großmann „neu erfunden“, so machten die beiden aufwendig einen sogenannten Drugstore daraus: ein sehr gut sortierter Kiosk, der weiterhin die treue Kundschaft mit Brötchen, Zeitungen und dem üblichen Sortiment versorgte. Hier gab es das klassische Kiosk-Sortiment an fast 365 Tagen im Jahr.
Das Konzept funktionierte gut, nach Jahren übernahm später Michael Evers das Konzept und betrieb diesen Kiosk noch knapp 20 Jahre lang erfolgreich bis ins Jahr 2018, in Glücksburg bekannt unter dem Namen „Doris Drug-store“. Dieser Kiosk/ das Café ist seit Anfang des Jahres leider wegen eines fehlenden Betreibers komplett eingerichtet geschlossen. Uschi Bossen hat es sehr gemocht all die Jahre hier selbst vis á vis täglich morgens Brötchen für sich und ihren Mann zu kaufen.

Zurück zur Boutique? Im Ruhestand

Zum Jahresende 2004 tauschte Ursula Bossen aus den oben erwähnten Gründen mit dem Optiker „Colibri“ die Räume, jetzt neben dem „Plus“-Markt. In kleinerem Rahmen führte sie nach bewährtem Muster dieses Geschäft noch weiter bis ins Jahr 2007. Im Alter von 65 Jahren ging Ursula Bossen in den mehr als verdienten Ruhestand, nach einem sehr abwechslungsreichen und fordernden Berufsleben, auf das sie zurecht mit Stolz und Freude zurückblicken darf. Anfangs war die selbst verordnete Ruhe mehr als ungewohnt für Ursula, das Zurückfahren des gewohnten Tagesablaufs von „Hundert auf null“ war gar nicht so einfach wie gedacht. Bis heute fehlt ihr die betriebsame Atmosphäre in ihrem Geschäft.
Bemerkenswert ist dass Ursula Bossen in ihrem Berufsleben nie einen Tag gefehlt hat, der Laden wurde immer geöffnet und war nie verschlossen. Sie litt früher auch mal an Migräne, doch: „Ich habe mich durchgebissen und es ging weiter. Da hat es der liebe Gott gut mit mir gemeint“, sagt sie. Gesundheit ist einfach ein Glück, das man nicht hoch genug schätzen kann. Doch regelmäßige Erledigungsgänge in „den Ort“ machten ihr bald immer mehr Freude, erst recht, nachdem sie „auf den Hund gekommen“ war. Mit der eigenwilligen Hündin „Hanne“, die eigentlich zu Sohn und Schwiegertochter gehört, war sie ständig unterwegs anzutreffen. „Mein Enkelkind mit Fell“, beschreibt sie liebevoll ihr inniges Verhältnis zu dem Rauhaardackel. Hanne und Uschi sind längst ein gewohnter Anblick auf Glücksburgs Wegen und Bürgersteigen. Ursula Bossen genießt ihre gewonnene Freizeit in einer kleinen Seniorenwohnung im ursprünglichen Geschäftshaus. Der Sohn kaufte das Haus von seinem Vater, als es geschäftlich zu schwierig wurde. Geschäft und Dach wurden aufwendig erneuert und die Wohnung der Mutter wurde alters- und dackelgerecht ebenerdig umgebaut. Ihr Ehemann Hans-Peter starb nach schwerer Krankheit im Jahre 2019 im Pflegeheim. „Es ist immer schwer, wenn der Partner vor einem geht“, sagt sie und schaut gespannt auf das was noch kommt. Das einstige Flüchtlingsmädchen Ursula aus Schlesien und später Kaufmannsfrau, Boutique-Betreiberin, Köchin, Mutter, Oma und „Mädchen für alles“ freut sich jetzt auf ihren demnächst anstehenden „runden“ Geburtstag – wenn eine „8“ an vorderer Stelle ihr erreichtes Lebensalter „ziert“. Der jüngste „Bossen“ heißt Ben, ist der Sohn von Tochter Eike und wird auch schon 22 Jahre alt. Tochter und Enkel würde sie gerne öfters sehen, die leben jedoch in Mönchengladbach und Ratingen.
Möge sie sich noch recht lange guter Gesundheit erfreuen und ihren Lebensabend im Kreise der Familie und lieber Freunde und Nachbarn und Keglern so wie heute mit der Weggefährtin Marlis Foltin genießen dürfen! „Ein Leben in und für Glücksburg.“

Mit Ursula Bossen sprach Peter Feuerschütz,
Fotos: Thomas Becker und privat

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