Nach einer feinen Kombination landet der Ball bei Emil Jakobsen. Er geht dynamisch gen Wurfkreis, springt kurz vorher ab, wirft und setzt dann zu einer Bewegung ein, die man jetzt nicht unbedingt erwarten würde. Während der Ball im Tor einschlägt, was großen Jubel in der „Hölle Nord“ auslöst, lässt sich der Spieler mit Kopf vorweg fallen, stützt sich mit seinen Händen ab, dreht sich und ist Sekundenbruchteile später dazu bereit, zurück in die eigene Hälfte zu rennen.
Ein „Salto Mortale“, grinst Emil Jakobsen und ergänzt: „Das ist eine automatische Bewegung, die ich nicht speziell eingeübt habe.“ Aber sie fällt auf, und könnte für den schnellen Aufstieg des Linksaußen bei der SG Flensburg-Handewitt stehen. Die Zukunft dürfte ihm gehören. Hampus Wanne, der Platzhirsch auf seiner Position, verlässt im Sommer den Klub.

Wenn Emil Jakobsen mal ruhig auf dem Spielfeld verharrt, fällt etwas anderes auf. Die vielen Tattoos auf dem linken Arm. Ein Schmetterling erinnert ihn an seinen verstorbenen Großvater, die anderen findet er einfach schön. Ob noch mehr Abbildungen dazukommen? „Ich bin wohl fertig, meine Eltern meinen, es reicht“, lächelt der Handballer.
Bislang erfüllte er die Interview-Anfragen hauptsächlich auf Dänisch oder Englisch. Deutsch hatte er in der Schule etwas gelernt, sich in den letzten Monaten soweit mit den vielen neuen Wörtern vertraut gemacht, dass er das meiste im Trainings- und Spielbetrieb versteht. „Manchmal helfen mir Lasse Svan und Mads Mensah auf Dänisch“, verrät der Neuzugang. „Und es kommt auch vor, dass Jim Gottfridsson auf Schwedisch an mich herantritt.“
Immer dienstags marschiert Emil Jakobsen durch die Fußgängerzone und absolviert bei Lehrerin Simone einen Einzelunterricht. 90 Minuten lang wird viel auf Deutsch gesprochen. Die Fortschritte der letzten Monate sind deutlich zu hören. Ein Lieblingswort gibt es auch: Gehirn. Manchmal scherzt er mit Torwart Benjamin Buric: „Benko, du hast ja kein Gehirn!“
Aufgewachsen ist der 24-Jährige in Kerteminde, einem 8000-Seelen-Ort im Nordosten der dänischen Insel Fünen. Während sich Kulturinteressierte am Großen Belt gerne eine Granitplastik oder ein Wikingerschiff anschauten und Gewerbetreibende den großen Fischereihafen ansteuerten, entdeckte Emil Jakobsen die richtigen Lokale für das beste Soft Ice für sich – und den Sport. Zunächst probierte er es mit Fußball. Aber schon als junger Teenager war klar, dass er Handballer werden wollte.

Vielleicht hatte er nicht gedacht, dass er ein sehr guter Spieler werden würde, aber zumindest ein guter. Denn dieser Weg war vorgezeichnet angesichts eines handballaffinen Elternhauses. Die Mutter agierte als Linkshänderin im rechten Rückraum, der Vater als Spielmacher. Ihr Sohn indes war schon bald auf dem linken Flügel gesetzt. „Ich war relativ klein“, erzählt er. „Erst später machte ich einen Schuss in die Höhe.“ Wer weiß, vielleicht wäre aus ihm auch ein gutes Rückraumass geworden, wenn das Wachstum früher eingesetzt hätte.
In jedem Fall fiel Emil Jakobsen frühzeitig auf. 2017 war er zweitbester dänischer Schütze bei der U19-Weltmeisterschaft im fernen Georgien. Mit dem Team gewann er Bronze. Bereits mit 18 Jahren hatte er einen festen Platz im Profi-Kader von GOG, dem führenden Klub auf Fünen, dem sich der aufstrebende Handballer schon in der Jugend angeschlossen hatte. „Ich hätte auch in Odense spielen können“, erzählt er. „Aber in Gudme boten sich die besseren Möglichkeiten, und es war auch nur eine halbe Stunde zu fahren.“

Emil Jakobsen ist die große dänische Entdeckung der letzten Jahre auf der linken Außenbahn. 2018 wurde GOG Dritter, 2019 sogar dänischer Vizemeister – und der Flügel-Spezialist wurde zwei Mal in Folge zum „Talent des Jahres“ gekürt und sammelte internationale Meriten mit GOG in der European League. In diesem Wettbewerb stieß er zuletzt bis ins Viertelfinale vor. Noch besser lief es im Nationalteam. Im April 2019 debütierte Emil Jakobsen für Dänemark und ließ sich auch von der Corona-Pandemie nicht ausbremsen. Gold bei der Weltmeisterschaft, Silber bei Olympia und Bronze bei der Europameisterschaft – die Erfolge häuften sich zuletzt.
Definitiv hatte Emil Jakobsen schon einen Status, als die SG um den Links-außen buhlte. Er ließ sich nicht zwei Mal bitten, zumal er nicht zu den Akteuren zählt, die über zu wenig Selbstvertrauen klagen. Angesprochen auf seine Landsleute Lars Christiansen und Anders Eggert, die über Jahre diese Position bei der SG prägten, meinte Emil Jakobsen nur: „Ich hoffe, dass ich auf Dauer eine ähnliche Rolle bekommen kann.“ Für die nächste Saison soll er in die Spuren von Hampus Wanne treten. Es war ein besonderes Gefühl, als ihm Trainer Maik Machulla mitteilte: „Zukünftig setzen wir auf dich.“
Privat hat es sich Emil Jakobsen in der Flensburger Innenstadt eingerichtet. „Ich hatte auch in Odense schon eine eigene Wohnung“, berichtet er. An freien Tagen fährt er dennoch gerne zu seinen Eltern, die weiterhin auf Fünen leben. Während der Bus-Touren zu den Auswärtsspielen schaut er gerne Filme, zu Hause übt er sich an der Play-Station. Manchmal gibt es auch einen Sonder-Termin mit einigen Teamkameraden. Dann geht es zur Entspannung mit Aaron Mensing oder Lasse Svan auf den Golfplatz nach Glücksburg. Oder er hat sich mit Simon Hald, Aaron Mensing und Anton Lindskog in einer Sonderburger Halle zum Padel-Tennis angemeldet.

Ein Sport ohne Ball scheint für Emil Jakobsen weder Fisch noch Fleisch zu sein. So ergänzt er das Training gerne um eine kleine Extra-Einheit, um an seinem Wurf-Repertoire zu feilen. Dazu stellt er sich auch in die Ecke der Duburghalle und versucht mit Akribie, den Ball aus einem absoluten Nullwinkel ins Tor zu drehen. Das gelingt erstaunlich oft – und die Grundlage für weitere Gala-Auftritte ist geschaffen. Mit einem „Salto Mortale“ versteht sich.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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