Es ist gar nicht so einfach, diese Frau mit wenigen Worten oder einem Schlagwort zu charakterisieren: Dazu ist sie einfach zu vielschichtig in ihrer Herkunft und zu vielseitig in ihren Interessen und Veranlagungen, doch eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Sie ist eine waschechte Flensburgerin; mit Wurzeln diesseits und jenseits der heutigen deutsch-dänischen Grenze. Die Rede ist von Anne-Margrete Jessen, den meisten Flensburgern nur als Ami bekannt und geläufig; ihr offizieller Geburtsname ist für häufigen Gebrauch gefühlt einfach zu lang und zu vielsilbig.
Viele Eigenschaften zeichnen diese umtriebige Frau aus, neben ihrem familiären und beruflichen Hintergrund mit Sicherheit ihr langjähriges Engagement in vielen Bereichen des gemeinschaftlichen Lebens, dabei insbesondere ihre Tätigkeiten in der Partei und der Volksgruppe der dänischen Minderheit in unserer Region, sowie ihre praktisch lebenslängliche Zugehörigkeit zu den Pfadfindern und nicht zuletzt ihr jahrzehntelanges Wirken an der dänischen Schule im Ochsenweg.

Unbeschwerte frühe Jugendjahre

Ami ist ein Kind der Nachkriegsjahre, erblickte in den schweren Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Licht dieser Welt, anno 1947. Für viele Mitmenschen bedeuteten jene Jahre damals eine wirtschaftlich schwere Zeit, doch die kleine Anne-Margrete hatte Glück. Im hiesigen Franziskus-Krankenhaus geboren, verbrachte sie ihre ersten neun Lebensjahre mit ihren Eltern sowie dem größeren Bruder direkt an der Flensburger Innenförde, sie wohnten damals am Hafendamm 18. Amis Eltern waren beide berufstätig, ihr Vater arbeitete als Journalist bei der hiesigen dänisch-sprachigen Zeitung Flensborg Avis, ihre Mutter war als Lehrerin tätig an der Gustav-Johannsen-Skolen, auf Duburg in der Eckenerstraße gelegen. Unschwer zu erkennen schon an den Arbeitgebern der Eltern, dass in der Familie dänische Wurzeln vorzufinden waren.
„Beim Beruf meiner Mutter war es naheliegend, dass auch ich an der „Gustav-Johannsen“ meine schulische Laufbahn begann, mein Bruder und ich zweisprachig aufwuchsen“, schildert uns Ami. „Überhaupt war mein Start ins Leben eine schöne und unbeschwerte Zeit. Meinen Eltern ging es finanziell recht gut – was wir Kinder natürlich nicht mitbekamen seinerzeit. Doch unsere viele Freizeit an den Nachmittagen nach der Schule spielte sich in einer beinahe „paradiesischen“ Umgebung ab, der Hafen und die Bahngleise, das Fördeufer, der gesamte Straßenzug bis nach Kielseng und auf der anderen Seite bis zum alten ZOB, unser Einzugsgebiet bot alles was das Kinderherz begehrte. Der Straßenverkehr war damals noch überschaubar, wir konnten auf den Straßen und in der Gegend so ziemlich alles spielen, wozu wir Lust hatten: Verstecken, Cowboy und Indianer, im Winter Schlitten fahren. Wichtig für die Eltern war damals nur, dass wir abends bald, nachdem die Straßenlaternen angingen, wieder zu Hause auftauchten.“ Und Ami ergänzt: „Mein Bruder und ich hatten schon früh jeder sein eigenes Fahrrad. Mit denen sind wir oft nach Langballigau und Unewatt, die Nordstraße entlang, geradelt, haben in Une-
watt unsere dort lebende Tante besucht, sind in den Sommern zudem viel am Strand gewesen. Mit acht Jahren konnte ich bereits die Reifen meines Fahrrads flicken – oft genug hatte ich mir einen „Platten“ gefahren. So wurden wir Kinder schon recht früh sehr selbstständig, lernten ganz nebenbei Verantwortung auch für uns selbst zu übernehmen.“

Die Jugendjahre in Weiche

Im Alter von neun Jahren erlebte Ami den ersten großen Umbruch und Einschnitt in ihrem jungen Leben: Die Familie verlegte ihren Wohnsitz aus der Flensburger Innenstadt gewissermaßen an den damaligen südwestlichen Stadtrand, sie bezogen eine eigene Haushälfte im Stadtteil Weiche, die neue Adresse lautete nun Alter Husumer Weg 272. Nach der ersten Phase der Umgewöhnung fühlte Ami sich auch schnell im neuen Elternhaus angekommen, kurze Zeit nach dem Umzug wechselte Ami zudem auch noch die Schule, sie besuchte nun das dänische Gymnasium in Flensburg, die Duborg-Skolen im Stadtteil Duburg gelegen. Schon kurz vorm Schulwechsel wurde Ami bei den Pfadfindern aufgenommen. Bereits ihr Vater war begeistertes Mitglied bei den Pfadfindern, so war es nur folgerichtig, dass die neunjährige Ami auch in dieser Hinsicht dem Beispiel des Vaters folgte. Sie wusste ja längst von Hause aus, was sie dort erwarten würde, und ging mit großer Vorfreude in ihrem „neuen Ehrenamt“ als junge Pfadfinderin auf – eine Einstellung und pure Freude am Pfadfinderdasein, die sie ihr gesamtes Leben lang begleiten sollte.
Die nun anstehenden Lebensjahre brachten es für das junge Mädchen mit sich, dass sie mehr Zeit für schulische Dinge aufbringen musste, zudem standen, so war es damals üblich, für heranwachsende junge Damen die Tanzschule sowie Klavierunterricht auf dem Wochenplan. Somit waren die Werktage gut ausgefüllt. Langeweile kam nicht auf. „Auch unsere Wochenenden sahen eigentlich immer ähnlich aus“, kann sich Ami gut an jene Zeit erinnern. „Mein Vater fuhr bereits ein eigenes Auto – sein ganzer Stolz und Ende der 50er Jahre nicht selbstverständlich, und mit diesem Auto waren wir praktisch an jedem Wochenende zu Spazierfahrten unterwegs. Mein Vater hatte stets konkrete Ziele, wir kamen in ganz Nordschleswig, auf beiden Seiten der Grenze, viel herum, kein geschichtsträchtiger Ort war vor uns sicher, meine Eltern waren in vielerlei Hinsicht interessiert, so bekamen wir praktisch an jedem Sonnabendnachmittag und dem folgenden Sonntag kostenlosen Unterricht in den Fächern Geschichte, Religion, Biologie, Kunst, Heimatkunde, um nur einige zu nennen. Wir haben aber auch viel Spaß bei den Ausflügen gehabt, denn wir haben bei diesen Exkursionen oft genug unterwegs übernachtet: Dann wurde auf Campingplätzen gezeltet, und auf selbstgefertigten Strohsäcken geschlafen – für uns Kinder eine abenteuerliche und aufregende Zeit“, weiß Ami zu erzählen.
„In den Sommerferien gingen wir dann mit Zelt und Auto meistens auf längere Reisen, so wurden Dänemark, aber auch Frankreich und sogar England erkundet und mit dem Familienauto bereist. Wir Kinder haben schon auf diesen Reisen viel von dem unendlichen Pfadfinderwissen und -können unseres Vaters profitiert, viele praktische Erfahrungen sammeln können, und auch von den zahlreichen Kontakten zu Pfadfindern anderer Nationen zehren können. Wir sind somit auch durch die Schule des praktischen Lebens in unserem Elternhaus geprägt worden.“

In Sambia 2007

Ami wird erwachsen

Im Jahre 1966 schloss Ami das Gymnasium mit Erfolg ab, „baute“ ihr Abitur. Eines wusste sie längst: Sie würde in gelebter Familientradition beruflich in die Fußstapfen ihrer Mutter treten, nahm dazu ein Studium auf Lehramt am Pfadfinderkollegium in Kopenhagen auf, in den Fächern „Deutsch“ und „Religion“. Nach gut zwei Jahren Studium in der dänischen Hauptstadt zog es sie und ihre beste Freundin jedoch wieder in die nähere Heimat zurück, die beiden wechselten ans Tønder Statsseminarium, wo Ami ihr Studium mit Erfolg zum Abschluss brachte, im Jahre 1971 legte sie in Tondern das Examen ab.
Der Wechsel nach Tondern war nicht nur in beruflicher Hinsicht die richtige Entscheidung, lernte sie doch dort neben ihrem künftigen Beruf die Liebe ihres Lebens kennen: Leif Jessen, der ebenfalls dort ein Lehramtsstudium absolvierte, praktischerweise zeitgleich mit Ami den Abschluss machte. Schnell stellten die beiden jungen Leute fest, dass sie den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen wollten. Seinerzeit konnte man noch nicht einfach so „in wilder Ehe“ lebend eine Wohnung anmieten, man musste schon miteinander verheiratet sein, um legal gemeinsam zusammenleben zu dürfen. So haben die beiden nach nur knapp 10 Monaten des „Miteinandergehens“ geheiratet – nun stand der gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege.

Auch Sambia 2007

Start ins Erwachsenenleben

Die beiden frisch examinierten Lehrer bewarben sich auf freie Stellen auf Sylt, wurden beide auch prompt an der dänischen Schule in Westerland angenommen, verbrachten auf der schönen Nordseeinsel einträchtig und gemeinsam ihre ersten Jahre im Lehrerberuf. Leif stellte jedoch bald fest, dass er noch beruflich einen Schritt weiterkommen wollte, ihn reizte ein Studium in Kiel an der dortigen Christian-Albrechts-Universität. Ami unterstützte seine beruflichen Pläne, und so wechselten die beiden Junglehrer 1974 ihren Arbeitsplatz und ihren Lebensmittelpunkt. Leif ging beruflich an die Uni nach Kiel zum Studium der Fächer Mathematik und der Physik auf Lehramt, Ami fand zeitgleich eine neue Anstellung an der dänischen Schule in Eckernförde, ebendort fanden sie auch eine gemeinsame Wohnung. 1974 wurde für die beiden noch aus einem anderen Grund ein ganz besonderes Jahr: Ihre Tochter Mette wurde geboren!

Mit den Freunden aus Sambia 2007

Zwischenstation Eckernförde

Für die nächsten sechs Jahre sollte Eckernförde das gemeinsame Zuhause der dreiköpfigen Familie Jessen werden. Leif fuhr täglich nach Kiel zum Studium, Ami unterrichtete an der dänischen Schule, kümmerte sich zudem um die kleine Tochter Mette, die ihre ersten Gehversuche in der Stadt an der Ostsee machen durfte. Die Arbeitsteilung in der Familie klappte, Leif schloss 1980 sein Studium mit Erfolg ab und durfte sich fortan Diplom-Mathematiker nennen. Einem studierten Mathematiker und Physiker standen und stehen sämtliche interessanten und teils auch lukrativen Arbeitsplätze mit den entsprechenden Fähigkeiten offen, diese Spezies ist stets rar gesät und bei Arbeitgebern begehrt. So erging es auch Leif, doch er hatte einen klaren Plan, was er gern beruflich machen wollte. So wurde er schließlich trotz guter Angebote aus der Industrie Studienrat in seinen Fächern Mathe und Physik, entschied sich für das dänische Gymnasium in Flensburg, die Duborg-Skolen, seiner Frau bestens bekannt aus ihren Jahren als Schülerin an dieser Institution.

Sambia 2007, gut getarnt

Die Jessens finden ihre Bestimmung

Der berufliche Wechsel nach Flensburg brachte erneut einen Umzug mit sich, die drei Jessens zogen von Eckernförde wieder gen Norden in die Flensburger Region, fanden im Umland eine passende Bleibe, fortan waren sie in Ellund zu Hause. Auch für Ami musste eine neue Stelle an einer dänischen Schule in der Nähe ihres neuen Wohnorts gefunden werden, doch mithilfe des Dansk Skoleforening for Sydslesvig e. V., bei dem sie seit August 1971 angestellt war, bekam sie eine passende Planstelle an der Dänischen Schule in Weiche, der „Oksevejens Skole “ im Alten Husumer Weg 207, zugewiesen. Schnell lebte die Familie sich in der neuen Umgebung ein, und sie sollte schon bald eine Vergrößerung erfahren: Es war nämlich erneut ein Kind unterwegs, und im Jahre 1982 wurde eine weitere Tochter geboren, Lise hieß das Nesthäkchen der Jessens. Die mittlerweile achtjährige große Schwester Mette wurde im gleichen Jahr bei den Pfadfindern aufgenommen.

Container nach Sambia 2009

Ami mausert sich zur Pfadfinder-Persönlichkeit

Und die nun zweifache Mutter Ami? Sie gründete in Handewitt mit einer Freundin zusammen eine Pfadfindergruppe, diese hörte auf den Namen „Karsten Thomsen Gruppe“, sie engagierte sich im örtlichen Gemeinderat, war längst im Ortsverband des SSW aktiv – mit anderen Worten: Die junge Frau war nicht zu bremsen in ihrem Tatendrang! Sie erfuhr natürlich die nötige Unterstützung durch ihren Ehemann Leif, der sie ermunterte, ihr bei allen Aktivitäten tatkräftig zur Seite stand. Beide schafften es stets, Familie, Beruf und Ehrenämter unter einen Hut zu bringen. Bei den Pfadfindern kletterte Ami zeitgleich die „Karriereleiter im Ehrenamt“ nach oben, wurde sogar Verbandschefin, hatte neben der örtlichen Gruppe zusätzlich weitere Aufgaben und Tätigkeiten auf höherer Ebene zu regeln. Die ehrenamtlichen Aufgaben als Verbandschefin bedeuteten neben mehr Verwaltungskram und „Papierkrieg“ Reisen innerhalb Deutschlands sowie ins benachbarte Dänemark, mehrfach saß sie bei Sitzungen in Kopenhagen am Konferenztisch, war per Auto, mit der Bahn oder sogar mit dem Flugzeug in Sachen „Pfadfinderwesen“ unterwegs. In der dänischen Metropole war seinerzeit Prinzessin Benedikte eine ihrer Ansprechpartnerinnen; Prinzessin Benedikte ist selbst ehemalige Pfadfinderin und hat sich jahrzehntelang sowohl für die dänische als auch die internationale Pfadfinderbewegung engagiert.

In Ungarn, Expedition 2007

Beinahe weltweit unterwegs

Neben dieser Tätigkeit kamen jedoch für Ami ihre eigenen und geliebten praktischen Pfadfinderaktivitäten nicht zu kurz, der Alltag mit den regelmäßigen Gruppentreffen war fester Bestandteil ihres Terminkalenders, doch gab es eigentlich kaum ein Jahr, in dem sie nicht als Pfadfinderin auch international auf Achse war.
Sie verhielt sich getreu dem Selbstverständnis dieser Bewegung: „Ein Pfadfinder ist ein Angehöriger einer internationalen, religiös und politisch unabhängigen Erziehungsbewegung für Kinder und Jugendliche, die Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen offensteht.“ So war Ami europaweit in zig Ländern unterwegs, ist im Jahre 1994 sogar ins ferne afrikanische Namibia gereist, hat dort im Süden des Kontinents an einer vierwöchigen Safari teilgenommen, die Nächte dabei in einem Iglu-Zelt verbracht. „Von solchen Erlebnissen nimmt man unheimlich viel mit, zehrt noch lange von den unglaublichen und vielfältigen Eindrücken, daneben entwickelt man eine gewisse Demut gegenüber dem Leben auf diesem wunderschönen und so abwechslungsreichen Planeten und weiß es zu schätzen, was man an dem wohlbehüteten Dasein in Deutschland und Europa hat“, hat Ami viel erfahren und gelernt in diesen Jahren.
Eine prägende Begegnung hatte sie im schottischen Edinburgh. „Dort begegnete ich auf einem internationalen Pfadfinder-Meeting einer Gruppenleiterin aus dem fernen Sambia. Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten, waren uns gleich sympathisch, und verabredeten uns für ein Treffen in Norddeutschland, in meiner Heimatregion. Tatsächlich klappte es mit der Verabredung, wir trafen uns im Jahre 1997 im nahegelegenen Tydal mit den Pfadfindern aus Sambia.“
Zur Information: Tüdal (dänisch: Tydal) liegt in einem friedlichen Naturgebiet direkt an der Treene nahe Eggebek und erstreckt sich über rund 74 ha. Land mit Wald und Wiesenflächen, der Pfadfinderhof bietet mit 76 Betten und Zeltplätzen für bis zu 800 Personen Raum für viele Aktivitäten. Zurück zum Kontakt zu den Freunden aus Afrika: „Es sollte nicht bei dieser einmaligen Begegnung bleiben, die Sambier kamen noch einige Mal mehr zu uns auf Besuch. Nach und nach entwickelte sich zwischen den Afrikanern und uns eine innige und tiefe Freundschaft und wir starteten zu Gegenbesuchen ins ferne Afrika.“ Sambia, im südlichen Afrika gelegen, ist ein Binnenland mit zerklüftetem Gelände und einer vielfältigen Tierwelt, vielen Parks und Safari-Gegenden. An seiner Grenze zu Simbabwe befinden sich die berühmten Victoriafälle. „Das Leben stellt sich in jenem Teil unseres Planeten komplett anders dar, teilweise waren wir erstaunt über das einfache und dennoch erfüllte Leben unserer neugewonnenen Freunde“, schwärmt uns Ami vor. „Bald reifte in uns der Plan, ihnen in jenen Lebensbereichen Unterstützung zu bieten, wo wir es vonnöten fanden. Wir sammelten Geld und warben die nötigen Finanzmittel ein, ließen unserer Phantasie freien Lauf, viele schlaue und findige Köpfe hatten gute Ideen der Hilfe zur Selbsthilfe der Sambier. Insbesondere auf dem Schulsektor, meiner eigenen Domäne, wollten wir helfen. Wir fanden schließlich genügend Material, wie etwa ausrangierte Stühle, Tische und Schulmöbel dänischer Schulen, die wir mithilfe eigens gepackter und gefüllter Container auf die weite Reise nach Sambia schickten; frei nach dem Motto: Wo ein Wille ist, da gibt es auch Wege.“ Amis Augen leuchten beim Erzählen, man spürt förmlich, wie es ihr Freude bereitet hat, den Pfadfinderfreunden aus Afrika Hilfen anbieten zu können. „Leif und ich konnten uns bald darauf während einer Reise und eines Aufenthalts in Sambia davon überzeugen, dass unsere Container tatsächlich dort angekommen waren, wo sie hinsollten. Übrigens waren in den spartanisch ausgestatteten Schulräumen der jeweilige Stuhl stets für den Lehrer und die Lehrerin vorbehalten, die Schülerinnen und Schüler saßen wie gehabt auf dem Fußboden und folgten von dort aus interessiert dem Unterricht.“

Im Karibikurlaub 2012

Ami übernimmt eine Schule

Neben den vielfältigen Pfadfinderaktivitäten ging es beruflich und privat natürlich auch voran bei den Jessens. Im Jahr 1992 bot sich Ami die Gelegenheit, den Posten der Rektorin an ihrer Schule zu übernehmen. Gern nahm sie die Beförderung an und war nun das Oberhaupt an der „Oksevejens Skole“, war zuletzt zuständig für rund 100 Schülerinnen und Schüler sowie das Kollegium der Lehrkräfte, die dazugehörigen Immobilien und so weiter. Die Familie war nach wie vor wohnhaft in Ellund, doch war es Ami wichtig, bei passender Gelegenheit ein Zuhause in der Nachbarschaft ihres Arbeitsplatzes an der Schule zu finden. Die Gelegenheit bot sich im Millenniumsjahr 2000: Die Familie Jessen bezog ein Reihenhaus im Haferstieg, inmitten der Gartenstadt Weiche. Das „runderneuerte“ Haus – einst Teil einer ehemaligen Kaserne – war groß, geräumig, mit kleinem eigenen Garten versehen, bot alles, was die Jessens sich wünschten. „Allein für Leifs zahllosen Fachbücher über Mathe und Physik brauchten wir gefühlt ein eigenes kleines Lager“, schmunzelt Ami. „Unsere jüngere Tochter zog auch noch mit um in die Gartenstadt, doch nach nur einem weiteren Jahr war auch die mittlerweile 18jährige Lise flügge, ging ihren eigenen Weg ins Leben.“ Als Ami groß ihren 50. Geburtstag an ihrem Arbeitsplatz in der Schule beging, kam gefühlt die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in Pfadfinderuniform zur Schule, und sie brachten ihrer Rektorin in der Aula der Schule ein zünftiges Ständchen zum Geburtstag. Ami war gerührt, hatte sich diese Ehre aber ganz offensichtlich verdient, wurde sie doch von allen Schülern und Eltern gleichermaßen geschätzt für ihre Wesensart, ihre Empathie gegenüber ihren Schutzbefohlenen und deren Angehörige. „Ich kenne es nicht anders“, so die pensionierte Rektorin. „Als die Verantwortliche für Deine Mitmenschen hast Du für sie jederzeit da zu sein, und damit meine ich 24 Stunden am Tag, an 7 Tagen in der Woche.“ Dieses Engagement haben ihr zahlreiche Generationen von Grundschülern und derer Eltern immer wieder gedankt. „Wir hatten eine tolle Zeit miteinander“, resümiert Ami zurückblickend. „Immerhin war ich 31 Jahre an der Schule tätig, sie war für mich wie ein zweites Zuhause. In der ersten Zeit nach meiner Pensionierung im Jahr 2011 fiel es mir sehr schwer, überhaupt an der Schule vorbeizugehen oder dort vorbeizufahren.“ Die Berufsjahre in Weiche haben ihr mehr als nur Freude bereitet, zudem war es stets ein gutes Miteinander mit der auch in Weiche beheimateten Unesco-Schule sowie den anderen Institutionen in Weiche, wie Kirche, Sportverein usw.
Ein Jahr später, in 2012, trat auch ihr Ehemann Leif in den Ruhestand, fortan waren die Jessens beide Pensionäre mit entsprechender Freizeit. Ruhestand?

Der „Ruhestand“

Ami hat ein weiteres Motto, das recht gut ihre Einstellung zum Leben kennzeichnet: „Wir werden alle irgendwann einmal sterben, doch ich will mich auf gar keinen Fall zu Tode langweilen!“
Die durch die Pensionierung gewonnene zusätzliche Lebenszeit nutzten Ami und Mann schon weidlich aus. Außerdem wohnten und wohnen ihre inzwischen längst erwachsen gewordenen Töchter und deren Familien in der näheren Umgebung, das Verhältnis zu den Kindern ist stets ein durchaus gutes gewesen. Daneben, wen wundert es? – sind ja auch beide Töchter bei den Pfadfindern aktiv, haben ebendort längst eigene Kontakte und Verbindungen aufgebaut, sind ganz nach dem Vorbild der eigenen Mutter reiselustig und bereits in vielen Ecken Europas herumgekommen. „Im Jahr 2014 erblickte sehr zu unserer Freude unser erstes Enkelkind das Licht der Welt, mittlerweile ist noch ein weiteres hinzugekommen. Der Kontakt zu beiden Enkeln ist sehr intensiv, beinahe täglich sind sie bei uns, fühlen sich bei Oma und Opa wie zuhause – beide machen uns sehr viel Freude“, ist Ami glücklich über ein ausfüllendes und spannendes Oma-Dasein.
Das „Pfadfindern“ ist nach wie vor ein bereicherndes Element ihres Lebens, nun hat sie es eben noch viel einfacher, die dort anfallenden Aufgaben und Termine wahrzunehmen. Im Stadtteil Weiche ist sie nebenbei auch in zahlreichen Organisationen aktiv, arbeitet als verantwortliche Redakteurin bei der zwei Mal im Jahr erscheinenden „Thyras Vold“, einem dänisch-sprachigen Magazin für den Bereich Nordschleswig, das sich hauptsächlich mit Themen dieser Region befasst.

Ami Jessen auf dem Pfadfinderhof Tydal 2023

Mitglied des Seniorenbeirats der Stadt Flensburg

Im Laufe des Jahres 2017 wurde Ami gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, sich zur Wahl zum Seniorenbeirat der Stadt Flensburg aufstellen zu lassen. Nun, das konnte sie sich gut vorstellen, wurde prompt in das Gremium gewählt, ist seit Mai 2018 dort Mitglied, seit kurzem sogar stellvertretende Vorsitzende des Seniorenbeirats, die aktuelle Wahlperiode läuft noch bis zum Mai 2023. „Die Teilnahme an den vielen Sitzungen der Stadt Flensburg, als Vertreterin des Seniorenbeirats, hat meinen persönlichen Horizont maximal erweitert“, sieht sie ihr ehrenamtliches Engagement für die Senioren durchaus positiv. „Wir haben in den knapp fünf Jahren eine Menge bewegt, dafür aber auch eine erhebliche Menge an Zeit eingebracht. Für eine weitere Wahlperiode werde ich nicht mehr zur Verfügung stehen, zum einen bin ich 75 Jahre alt, die Wahlperiode dauert immerhin fünf Jahre – für Senioren im reiferen Alter eine beinahe zu lange Laufzeit, wie ich finde“, so Ami. „Dennoch möchte ich diese Zeit nicht missen, habe bei den Sitzungen im Bildungs- und Sportausschuss, auch bei meinen Schwerpunktthemen „Bildungsangebote für alle, Altersarmut, Landesseniorenrat, Einsamkeit, Altenpflege, Jung und Alt gemeinsam in die Zukunft“ vieles mit angeschoben, aber gleichzeitig eine Menge für mich persönlich mitgenommen.“
Ein Highlight war sicherlich der Besuch des Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Robert Habeck beim Flensburger Seniorenbeirat im vergangenen Jahr 2022. Trotz praller Termine hielt der Grünen-Politiker Wort und in einem kurzfristig anberaumten Termin kam er am 17. Juni in das „Dänische Versammlungshaus“ in Flensburg-Weiche, um sich den Fragen des Seniorenbeirats und der vielen teilnehmenden Senior/innen zu stellen. Er begann die gut einstündige Veranstaltung mit einer philosophischen Betrachtung über das Älterwerden, um sich dann den Fragen der Teilnehmenden zu stellen. Für Robert Habeck war der Termin ein echtes Heimspiel: Als Flensburger kannte er natürlich die Gegebenheiten und Besonderheiten der Region, und ganz nebenbei stellte sich im Zwiegespräch mit Ami heraus, dass er in seiner Jugend selbst bei den hiesigen Pfadfindern aktiv war, so folgerichtig gleich mit Ami ins „Du“ überwechselte und die beiden in ein kurzes Fachgespräch über ihre gemeinsame Leidenschaft „Pfadfinder“ gerieten (siehe auch Flensburg Journal 241, Oktober 2022).

Leif und Ami Jessen

Lebensziele

Ihr Alter wird unsere Protagonistin nicht davon abhalten, auch weiterhin mit erhöhter Schlagzahl ihr Leben zu leben. Die Familie, ihr Zuhause, ihre liebgewonnenen Hobbies und einige der genannten Ehrenämter wird sie weiterhin hegen und pflegen, stets vorbehaltlos unterstützt vom Ehemann Leif. Wir danken Ami für ein kurzweiliges und höchst interessantes Gespräch, wünschen ihr für die Zukunft alles Gute und rufen ihr zu: „Mange tak“ und „på gensyn, farvel“!

Text: Peter Feuerschütz
Fotos: B. Nolte, privat

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