Wenn ein junges Paar erstmals Nachwuchs erwartet, stellt sich bald die Frage: Wie soll das Kind denn heißen? Diese Frage stellten sich im Jahre 1929 auch die Eheleute Magda und Heinrich Schlüter in Flensburg – denn für den Monat August kündigte sich ein Baby an. Die beiden konnten sich trotz intensiven Nachdenkens und Grübelns auf keinen Namen einigen. Als der Tag immer näher kam, schließlich der August anbrach, las die werdende Mutter auf dem ersten Kalenderblatt des Monats den schönen Namen Alfons! „Der soll es sein“, entschied sie kurzerhand, und er wurde es auch. So hatte das am 21. August auf die Welt gekommene Neugeborene schon seinen Namen gefunden!

„Klein England“

Alfons erblickte in der elterlichen Wohnung in der Apenrader Straße im Hinterhaus der Hausnummer 8 das Licht dieser Welt, und er sollte die ersten Jahre seines jungen Lebens bis 1937 ebendort mit seinen Eltern wohnen bleiben. In jenem Jahr zog die Familie um in die Spechtstraße an der Ecke zur Harrisleer Straße, eben jene Ecke der Nordstadt, die jeder nur als „Klein England“ kannte. Die kleine Sackgasse zwischen den Hausnummern 65 und 67 der Harrisleer Straße hatte den Spitznamen „Klein England“ schon in der Kaiserzeit bekommen, als englische Werftbau-Konstrukteure mit ihrem Knowhow zum Bau der Werft nach Flensburg geholt worden sind. Sie hatten ihre Wohnungen an besagter Stelle in der Harrisleer Straße.
Auch Alfons Vater war auf der Flensburger Werft beschäftigt, als Elektromeister war er an der Konstruktion von Ein-Mann-U-Booten beteiligt. Der Vater wohnte gern in der Nähe zur Arbeitsstelle. Die Wohnung in der Apenrader Straße waren Schlüters, inzwischen war noch die Tochter Helga 1933 dazugekommen, zu klein geworden. Der Umzug brachte eine größere Wohnung mit sich. Alfons ging inzwischen zur Schule, wurde auf der „Voss-Schule“ in der Bauer Landstraße eingeschult – heute heißt sie Schule Ramsharde. Er erlebte eine strenge, dennoch aber auch schöne Schulzeit. Seinen Hund Purzel nahm er gelegentlich sogar mit in den Unterricht: Der musste dann aber still und versteckt unter der Ranzenablage liegen. Der Junge wuchs heran, erlebte eine für damalige Zeiten normale Kindheit, war wie fast alle seiner Alterskollegen in der Hitlerjugend aktiv. Die Mutter war stets zuhause, versorgte die Familie. Der Vater war ein strenger, sehr pflichtbewusster und korrekter Mann und Familienoberhaupt, der stets in Anzug und Krawatte das Haus verließ und so zur Arbeit ging. Für Alfons hatte der Vater aber immer ein gutes Wort übrig. Der Junge verehrte ihn und schaute zu ihm auf.
Im Jahr 1940 kam schließlich noch eine weitere Schwester hinaus, Vera – die kleine Familie Schlüter war jetzt komplett. Das Kriegsgeschehen nahm anfangs auf das Familienleben keinen großen Einfluss – das sollte sich jäh ändern: Bei einem Luftangriff auf die Flensburger Innenförde im Juli 1942 kam der Vater an seinem Arbeitsplatz auf der Werft ums Leben!

Früh erwachsen geworden

Mit jenem Tag begann für Alfons der Ernst des Lebens! Er war nun der „Mann in Haus“, der Ernährer und verantwortlich für die Mutter und die beiden kleinen Schwestern. Das war eine harte Nummer für einen knapp Dreizehnjährigen. Eine große Stütze für Alfons war sein ständiger Begleiter und bester Freund – sein Hund Purzel. Purzel begleitete ihn ja sogar in die Schule, aber auch bei fast allen anderen Gelegenheiten. Von der Familie Schlüter wurde Purzel sogar manchmal als Kurier eingesetzt: Sollte etwa die Oma am Holm eine Nachricht bekommen, wurde dem Hund ein Zettel ans Halsband geheftet, und er kurzerhand in die Straßenbahn gesetzt. Der kluge Vierbeiner lieferte prompt ab, nahm die Antwort mit, und war nach geraumer Zeit mit der Rückmeldung wieder zuhause angekommen. Durch den Tod des Vaters traumatisiert und meist mit allen anderen Sachen befasst, brachte Alfons die Schulzeit irgendwie zu Ende und erreichte den Schulabschluss, hatte dann jedoch Probleme, eine Lehrstelle zu finden. Nun schlug die große Stunde der Oma!
„Das werde ich regeln“, beschloss die resolute ältere Dame und nahm sich der Sache an. Alfons wurde in seinen besten Zwirn gesteckt, die Haare gescheitelt und die Hände kräftig gewaschen. So gingen die beiden runter zur Werft. Erst fühlte sich dort keiner zuständig für die Anfrage bezüglich einer Lehrstelle, bis die Oma kurzerhand das Büro eines Abteilungsleiters unaufgefordert betrat und den dort Anwesenden ihr Problem wie folgt schilderte: „Mein Enkel Alfons sucht händeringend eine Lehrstelle im Handwerk, sein Vater war viele Jahre lang Beschäftigter hier auf der Werft, ist vor etwas über einem Jahr bei der Arbeit durch einen Bombenangriff getötet worden – nun würde der Junge gern beruflich in die Fußstapfen seines Vaters treten!“ Die Verantwortlichen waren vom resoluten Auftreten der „alten Dame“ beeindruckt, und entschieden sehr sozial: „Der Junge kann hier gern zum nächsten Termin eine Elektriker-Lehre antreten!“ Und so kam es dann auch: Alfons begann im Frühjahr 1944 eine Lehre zum Elektriker bei der hiesigen Werft, und machte sich dabei so gut, lernte so fix, dass er zusätzlich als Botengänger zwischen den einzelnen Abteilungen eingesetzt wurde. Innerhalb kürzester Zeit kannte der Junge das gesamte Werftgelände wie seine eigene Westentasche. Nach dreijähriger Lehrzeit legte er 1947 erfolgreich seine Gesellenprüfung ab, und durfte anschließend weiter als Elektriker auf der Werft arbeiten. Nebenher nahm er jeden weiteren Job an, den er ergattern konnte. Er hielt sich dafür vor der illegalen Jobbörse namens „Kaffee-Klapp“ auf, stand dort Schlange bis er irgendwo angenommen wurde, schleppte Kohlen, schuftete am Schlachthof, „organisierte“ bei passender Gelegenheit auch mal ein Huhn – zu Hause warteten ja einige hungrige Angehörige auf das, was Alfons mitbrachte. Bedingt durch das „Organisieren“ erlitt sein geliebter Purzel allerdings ein trauriges Schicksal: Alfons hatte ihn klammheimlich zum Hühnerklauen abgerichtet, der Hund wurde dabei leder irgendwann erwischt, und prompt von der Ordnungsbehörde zum Abdecker gebracht. Als Alfons von den Engländern – der damaligen Besatzungsmacht – mehrfach trotz verhängter Ausgangssperre aufgegriffen wurde, kam er zu Erziehungszwecken zur Familie des Bruders seines Vaters, strengen humorlosen Leuten, die ihm die „Flausen austreiben“ wollten. Er überstand auch diese harte Zeit unbeschadet, und war froh, dass er letztlich wieder zu seiner Mutter und den beiden Schwestern zurückziehen durfte. Nachdem Alfons dann endlich wieder zu Hause bei Mutter und Schwestern lebte, arbeitete er weiterhin hart, um „alle Mann“ durchzubringen. Alfons reiste sogar eine Saison lang mit einer Schaustellerfamilie durch Schleswig-Holstein von Jahrmarkt zu Jahrmarkt.

Der erste Schritt ins Ungewisse

Alfons hatte insgeheim schon länger eine gewisse Sehnsucht für die große weite Welt entwickelt. Er setzte im Jahre 1948 diese Gedanken in die Tat um, verließ seine Heimatstadt Flensburg und zog um nach Hamburg, dem „Tor zur weiten Welt“. Zunächst arbeitete er kurzzeitig in einer Maschinenbaufabrik, doch es zog ihn fort auf See, und so heuerte er auf einem „Kümo“, der „MS Gerfried“, als Schiffsjunge an. Der Eigner des Kümos nahm den Jungen unter seine Fittiche, und vermittelte ihm in kurzer Zeit sehr viel Fachwissen über Schiffselektrik. Gustav Grönke, so hieß sein erster Käpt‘n, war wie ein Vater für den jungen Alfons. Als das Schiff gerade in Glasgow lag, kurz vor Weihnachten, wollte Alfons unbedingt zu Hause bei der Familie Weihnachten verbringen. Er packte ein großes Weihnachtspaket für Zuhause, mitsamt zehn Päckchen Kaffee für seine geliebte Mutter, die Bohnenkaffee für ihr Leben gern trank. Der Käpt‘n packte zusätzlich eine komplette Gans mit ein: „Deine Leute sollen es Weihnachten daheim gut haben!“ So kam es dann auch, wenngleich der Zoll in Flensburg bei der Warenkontrolle während seiner Einreise großzügig beide Augen zudrückte: Den Zöllnern erzählte der junge Seemann, dass alles für die Mutter als Weihnachtsgeschenk gedacht war, und so klebten diese das Paket wieder zu mit der ergänzenden Aufschrift: „Liebe Grüße an die Mutter!“ Alfons hatte inzwischen Geschmack an der Seefahrt gefunden, hörte von anderen Seeleuten, dass es insbesondere auf „großer Fahrt“ bei den damals führenden griechischen Reedereien wie Onassis oder Niarchos gutes Geld zu verdienen gäbe. So verließ Alfons die familiäre Atmosphäre an Bord des Kümos von Gustav und heuerte bei einer der großen internationalen Reedereien an.

Auf großer Fahrt

Sein erster Tanker war die „World Enterprise“, er befuhr auf diesem modernen Schiff als „Chief Electric“ große Teile der Weltmeere, den Suez-Kanal, Arabien, Türkei, Ägypten, Indien, Japan, China – gefühlt so ziemlich alle sieben Weltmeere.
Sein bereits recht umfangreiches Wissen über Elektrik, speziell Schiffselektrik, verbesserte sich ständig, und er bildete sich mit Hilfe von Fachbüchern permanent weiter, außerdem sammelte er tagtäglich an Bord jede Menge praktischer Erfahrungen. Von seiner sehr guten Heuer unterstützte er regelmäßig die Familie in der norddeutschen Heimat, seine monatlich auflaufenden Geldüberweisungen halfen den drei Schlüter-Frauen zu Hause ungemein.
Alfons führte als Seemann an Bord ein gewisses Eigenleben, hielt sich sogar für eine geraume Zeit einen eigenen Bordhund namens „Karatschi“, der ihm bei einem Hafenaufenthalt in Asien sein Herz schenkte, und ihm bald überall hin folgte. „Karatschi“ durfte in seiner Kajüte mitschlafen, nachts gingen Hund und Herrchen heimlich an Oberdeck „Gassi“ – bis der hartherzige Kapitän den Hund entdeckte und ihn kurzerhand über Bord werfen ließ! Alfons war darüber todunglücklich, beschwerte sich vehement bei seiner Reederei über den unmenschlichen Kapitän – der auch prompt im nächsten Hafen abgelöst wurde.
Nur recht unregelmäßig war Alfons auf Heimaturlaub in Flensburg, dafür brachte er manchmal recht exotische Geschenke mit, so auch einmal einen kleinen Affen namens „Chicco“, der zuhause für viel Wirbel sorgte, und deshalb leider weggegeben werden musste: Der bekannte Tierpark Hagenbeck nahm ihn gern in seine Obhut.
Als flott aussehender und charmanter Junggeselle hatte Alfons im Urlaub in Flensburg durchaus gute Chancen bei der Damenwelt, und erlebte hier so manche Episode, die oft genug von jugendlichem Leichtsinn und Lebensfreude geprägt war, und daher besser unerwähnt bleiben sollte.
Vielleicht wäre Alfons ja dauerhaft bei der „christlichen Seefahrt“ geblieben, wenn ihm nicht seine Mutter im Sommer 1958 ein Foto zugeschickt hätte, auf dem seine inzwischen 18jährige Schwester Vera mit ihren Friseurkolleginnen in fröhlicher Runde abgebildet waren, mit der beigefügten Frage: „Welche davon gefällt Dir am besten?“ Alfons kreuzte die zweite von rechts an – sie sollte später tatsächlich seine Frau werden! Von Ute, so hieß die „Angekreuzte“, kam erst noch der Kommentar: „Was bildet der „Dicke“ sich eigentlich ein?“ Alfons hatte im Laufe der Jahre dank der guten Verpflegung an Bord und der wenigen körperlichen Betätigungsmöglichkeiten doch „etwas zugelegt“, wie er sich lächelnd erinnert, „doch das eine Mädel auf besagtem Foto gefiel mir wirklich ausgesprochen gut.“ Dermaßen in der Eitelkeit gekränkt, spornte ihn der aus seiner Sicht abfällige Spruch so sehr an, dass er in kurzer Zeit sogar 30 Kilo abnahm, und sich dann wieder vorzeigbar fühlte. Bei seinem nächsten Landurlaub bemühte er sich folgerichtig intensiv um die auserwählte Ute, und seine Anstrengungen waren schließlich doch noch von Erfolg gekrönt: Die beiden wurden ein Paar.

Die Liebe bringt ihn an Land zurück

Es dauerte gar nicht so besonders lange, bis das frisch verliebte Paar Nachwuchs erwartete. Nun wurde die anstehende Hochzeit geplant. Am 30. Januar 1960 wurden Alfons und Ute Schlüter in der St.-Jürgen-Kirche getraut, Mitte März kam als Frühgeburt ein kleines Mädchen zur Welt, das leider noch am gleichen Tage verstarb. Alfons musste kurz darauf wieder an Bord, kam jetzt jedoch immer häufiger nach Hause auf Heimaturlaub – so verbrachte das junge Paar einen herrlichen Urlaub im italienischen Ravenna. Ute war mittlerweile erneut schwanger, und brachte im folgenden Winter, genau am 15. Februar 1961, ein kleines Mädchen zur Welt. Die Nachricht von der Geburt erreichte Alfons per Telegramm vom Schwiegervater am Suez-Kanal: „Gabriela ist da, 49 cm, 3450 g schwer“. An Bord wurde das Ereignis ausgiebig gefeiert, es wurde allerdings auf die kleine „Rona“ angestoßen und getrunken – Alfons und Ute hatten sich inzwischen auf diesen Namen für die Tochter geeinigt. Mutter und Kind wohnten anfangs bei Alfons Schwester Vera und deren Familie in der Dorotheenstraße, die Wohnverhältnisse waren seinerzeit noch sehr beengt in Flensburg. Ende Februar 1962 hatte Alfons dann endlich Gelegenheit von Bord abzumustern, und er brachte seiner kleinen Tochter einen großen Steiff-Elefanten mit – die „Lütte“ fremdelte zwar etwas beim Anblick des fremden Mannes, weinte aber nicht – sehr zur Freude der Mutter!

Alfons Schlüter – Kälteanlagenbauer und Lebenskünstler

Alfons hatte schnell erkannt, dass er seine Frau auf Dauer nicht hätte halten können, wäre er weiterhin noch auf Jahre hinaus monatelang zur See gefahren. Er entschied sich deshalb für eine Selbständigkeit auf seinem Spezialgebiet an Land!
Zwar war der Start an Land für Alfons etwas holprig – die gesamten Finanzmittel, die er im Laufe seiner Seefahrtzeit nach Hause geschickt hatte, waren aufgebraucht, doch war seine junge Ehefrau, der er zuletzt das verdiente Geld von See überwiesen hatte, derart sparsam damit umgegangen, dass das von ihr gesparte Kapital für eine Firmengründung locker reichte!
Dank seiner in vielen Jahren gewonnenen Fachkenntnisse in Bau, Reparatur und Wartung von Kühlanlagen fiel es Alfons leicht, sich in diesem Berufsbild selbstständig zu machen.
Gestartet ist Alfons mit seiner eigenen Firma im April 1962 in der Dorotheenstraße, noch im August des gleichen Jahres zog die junge Familie Schlüter in ihre erste eigene Wohnung in der Jürgensgaarder Straße 20, der ehemaligen Wohnung der Schwiegereltern, die wiederum in das Geburtshaus der Schwiegermutter in der Blücherstraße 4 zogen.

Blücherstraße 4, 1983

Die kleine 2 ½ Zimmer-Wohnung in der Jürgensgaarder Straße war sowohl Firmensitz als auch Familienwohnung. Das Schlafzimmer glich schnell einem Warenlager, überall standen Kartons mit Kühlschränken und Gefriertruhen, eine Garage in der angrenzenden Eichenstraße diente als Werkstatt. Die Wohnung war – wie damals üblich – einfach und spartanisch ausgestattet, kein Badezimmer, Toilette auf halber Treppe, zum Baden ging es sonnabends ins Volksbad.
Alfons baute kurzerhand in der Küche eine Dusche mit Absaugpumpe ein, eine kleine Nasszelle mit Schiebetür – so konnte er spätabends nach Feierabend wenigstens noch mal duschen. Als selbständiger Handwerker war er wenig zuhause. Er musste sich erst einmal einen Kundenstamm aufbauen, und die gewonnenen Kunden an sich binden. Das gelang ihm in kürzester Zeit sehr gut! Zum einen war er ein tüchtiger und einfallsreicher Fachmann, zum anderen war er der erste überhaupt seiner Zunft in Flensburg, ja in Schleswig-Holstein! Auch die Wartung der von ihm gebauten und eingebauten Anlagen übernahm Alfons Firma „Alfons Schlüter & Co.“ selbstverständlich, neben allgemeinen Kühlanlagen waren es speziell Bierkühlungen, Würfeleisbereiter, Tresenkühlungen – alles was so benötigt wurde. Da viele Kunden in der Gastronomie tätig waren, spielte sich ein großer Teil seines Lebens in Restaurants, Kneipen und Gaststätten ab – manchmal auch nach Feierabend: Stichwort Kundenpflege!
Als Alfons einmal in seiner Werkstatt in der Eichenstraße eine Softeismaschine erfolgreich repariert hatte, bekamen sämtliche Kinder – und das waren damals nicht wenige – aus der Nachbarschaft ein Gratis-Eis! Schließlich musste ja überprüft werden, ob die Maschine wieder einwandfrei arbeitete.
Er erwarb sich schnell in Flensburg einen guten Ruf auf seinem Fachgebiet, zumal er rund um die Uhr bereit war: Alfons kam zu jeder Zeit – auch mitten in der Nacht, egal, ob das Bier zu warm war, der Kühlraum ausfiel oder der Würfeleisbereiter streikte!
Alfons war ein exzellenter Fachmann auf seinem Gebiet, doch für einen „knallharten“ Geschäftsmann war er viel zu großherzig und gutmütig: Kunden, die Zahlungsschwierigkeiten hatten, konnten bei ihm die Rechnung auch in Naturalien begleichen – mal waren es Flugenten, einmal sogar eine Waschmaschine: So kam seine Frau unverhofft zu ihrer ersten „Miele“!
In den 60er Jahren zog allmählich auch der Kühlschrank in viele deutsche Haushalte ein – zuvor mussten sich die Menschen diesbezüglich anders behelfen, mit einer halbwegs kühlen Speisekammer oder einem entsprechenden Kellerraum. Wurde mitten im Sommer für einen Kunden eine Kühlschranktür benötigt, baute Alfons kurzentschlossen zuhause die eigene Kühlschranktür aus! Seine Kunden hatten die absolute Priorität. „Geht nicht, gibt‘s nicht“ war das Motto, und Alfons bekam jede Kühlmaschine wieder zum Laufen. Seine Frau kann noch heute ein Lied davon singen: „Ich hatte immer die alten und teils schmutzigen Teile in meiner Küche, musste sie oft erst einmal tüchtig schrubben!“, lernte sie so das Leid einer Handwerkerfrau persönlich kennen. Als Kriegskind und Seefahrer war Alfons es stets gewöhnt zu improvisieren. Dieses Talent nutzte er auch in seinem Arbeitsalltag. Ob mit einer Rolle Isolierband oder einem Deckel einer Haarspraydose: Im Notfall funktionierte die Kühlung wieder; jedenfalls solange, bis eine neue Kühlmaschine geliefert und eingebaut werden konnte. Alfons erweiterte seine Firma, nahm einen Kompagnon dazu, beschäftigte zwei Angestellte und eine Sekretärin, und hatte mittlerweile ein Ladengeschäft mit Büro- und Ausstellungsräumen in der Neustadt 15 bezogen. Mutter und Tochter fuhren stets donnerstags mit der kleinen Hafenfähre rüber auf die Westseite, um die Firmenräume zu putzen.

Ein Meister seines Fachs

Seine umfangreichen Kenntnisse in seinem Fachgebiet vervollkommnete Alfons von Jahr zu Jahr, und legte im Jahre 1971 vor dem Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer Hamburg (!) mit Erfolg seine Meisterprüfung ab. Er konnte und durfte jetzt auch Lehrlinge einstellen und ausbilden!
Die Selbstständigkeit als Kälte- und Klimatechniker florierte und der Kundenstamm erweiterte sich bald auch auf das Flensburger Umland, später auf weite Teile Schleswig-Holsteins, und auch auf die Insel Sylt. Mit einem Handwagen, bepackt mit Werkzeug und Schweißgeschirr, betreute Alfons per Bahn von Niebüll nach Westerland seine Sylter Kundschaft. Später diente Alfons ein Wohnwagen in Wenningstedt auf Sylt als Domizil, während er dort im Einsatz war.
Im Sommer war für die Firma stets Hochsaison. Während andere Menschen Urlaub oder Ferien machten, war Alfons ständig im Einsatz. Doch er nahm seine Familie an den Wochenenden oder in den Sommerferien mit auf die Urlaubsinsel Sylt; sie wohnten dann gemeinsam im für die Firma gekauften Wohnwagen auf dem Campingplatz. Die Frau und Tochter verbrachten tagsüber herrliche Zeiten, und hatten abends auch noch den Mann und Papa zur Verfügung – gern erinnern sich die Schlüters an jene herrlichen Zeiten! Sie fuhren übrigens stets mit der Römö-Fähre auf die Insel, der Skipper und seine Ehefrau wurden bald gute Freunde von Alfons und Ute. In Flensburg betreute Alfons fast die gesamte „Goldküste“. Gaststätten wie „Zillertal“, „Barberina“, „Fischer-Klause“, „Montmartre“ und „Rote Laterne“ zählten dazu. Im Umland gehörte das legendäre „Pony“ zur Kundschaft, in Angeln und Schwansen ebenfalls viele Gastronomiebetriebe.
1973 zogen Familie und Firma um in die Blücherstraße 4 in Mürwik. Alfons renovierte das einstige Haus seiner Schwiegereltern, die Schlüters bewohnten das Erdgeschoss, die Garagen wurden Werkstatt und Firmenlager. In der „privaten“ Wohnung liefen ständig rund um die Uhr diverse Eiswürfelbereiter – damit jederzeit bei Bedarf gleich an Kunden geliefert werden konnte. Eine Trennung von „privat“ und „dienstlich“ fand nicht statt – die Firma stand oft an erster Stelle der Prioritätenliste.
Insgesamt bildete Alfons über die Jahre 24 Lehrlinge zu Kälteanlagenbauern aus. Keiner seiner Jungs fiel durch die Prüfung. Anfangs mussten die Lehrlinge zum Blockunterricht nach Hamburg mit dem Zug fahren, eine eigene Innung dieses Handwerks gab es seinerzeit noch nicht in Flensburg. An der späteren Gründung einer solchen Innung nahm Alfons als Gründungsmitglied selbstredend teil. Kurz nach dem Umzug in die Blücherstraße wurde der Firma ein Riesenauftrag erteilt: Alfons Schlüter bekam den Zuschlag, in der gerade im Bau befindlichen Ferienanlage in Damp – Damp 2000 – den Einbau und die Wartung sämtlicher Kühlanlagen zu übernehmen. Jedermann empfahl ihm, die Finger davon zu lassen: „Das schaffst Du nie in der vorgegebenen Zeit – lass Dich lieber nicht darauf hin“, rieten ihm alle wohlmeinenden Freunde und Bekannten. Doch da kannten sie Alfons schlecht: Gemeinsam mit seinem Gesellen Holger Dorby schuftete er rund um die Uhr, erneut wurde von Alfons direkt neben der Baustelle ein angemieteter Wohnwagen zur Übernachtung hingestellt – er wollte keine Zeit durchs Hin- und Herfahren nach Flensburg verlieren! Und tatsächlich: Alfons und seine fleißigen Gesellen schafften es tatsächlich, die im Auftrag geforderten Anlagen in der vorgegebenen Zeit zur Zufriedenheit der Auftraggeber fertigzustellen.
Im Jahr 1975 verließ sein Kompagnon die Firma, der Betrieb wurde umbenannt und hieß ab dem Zeitpunkt „Förde-Kälte GmbH“. Der Betrieb florierte, und Alfons erarbeitete sich im Laufe der Jahre einen großen und treuen Kreis von Stammkunden – er war in Flensburg in jenen Jahren bis weit in die 90er Jahre „bekannt wie ein bunter Hund“! Im Jahr 1998 – Alfons ging mittlerweile hart auf die „70“ zu – war er immer noch sehr aktiv, bis ein Schlaganfall seinem Tatendrang ein plötzliches Ende setzte. Nach überstandener Krankheit half er dennoch immer noch im Betrieb aus – bis es irgendwann nicht mehr ging. Im Millenniumsjahr 2000 löste er schweren Herzens seinen Betrieb auf – in seine großen Fußstapfen als „der“ Flensburger Kältespezialist traten spätestens ab diesem Zeitpunkt andere Handwerker – inzwischen war es ein anerkannter Beruf, und gleich mehrere Firmen waren in Flensburg in diesem Metier ansässig.

Alfons private Seite

Seine Sehnsucht zum Meer blieb, und die Familie kaufte schon in jungen Jahren einen Motorsegler. In jeder freien Minute war Familie Schlüter auf Nordsee und Ostsee unterwegs – bei jedem Wind und Wetter! Selbst bei Windstärke 11 und Orkanwarnung ließ Skipper Alfons es sich nicht nehmen, in der schleswig-holsteinischen Inselwelt zwischen Sylt, Amrum, Föhr und so weiter umher zu schippern – selbst gute Freunde schüttelten manchmal nur den Kopf.
Mit dabei war auch immer Alfons Hund: Ein Riesenschnauzer namens „Jumbo“. Ob privat oder beruflich, Alfons sah man eigentlich immer in Begleitung seines Hundes – später sollten noch zwei weitere Riesenschnauzer folgen. Mit den Hunden waren die Schlüters auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland, sind mit ihnen sogar bis nach Frankreich, Italien, in die Schweiz und nach Dänemark gefahren. In über 30 Jahren blieben sie stets den Riesenschnauzern treu – wie auch die gut erzogenen Tiere ihrem Herrchen Alfons.
Alfons hat in seinem langen und wechselhaften Leben unheimlich viel erlebt, kann eine Menge Geschichten erzählen und macht gern Geschenke. Ob kleine Glücksschweine aus Messing, Kugelschreiber oder Notizbücher, Alfons ist gern großzügig und hat Verständnis für Notlagen jeder Art. Konnte ein Kunde nicht seine Rechnung begleichen, gab er sich, wie bereits erwähnt, auch mit der Bezahlung in Form von Flugenten zufrieden. In den Kriegsjahren sowie der anschließenden „schlechten Zeit“ aufgewachsen, hat Alfons früh gelernt, dass alles einen Wert hat – irgendwann und für irgendwen. Noch heute wird nichts weggeworfen, stets nach dem Motto: „Es könnte ja jemand kommen, der genau diese eine Dichtung oder diese eine Schraube braucht …“.
Alfons war sein Leben lang ein Lebenskünstler, immer unterwegs, ein Menschenfreund, Stehaufmännchen. „Geht nicht gibt‘s nicht“ war und ist sein Lebensmotto. Auch Krankheit, Schicksalsschläge, finanzielle Krisen haben ihn nicht verändert.
Noch heute im Alter von 91 Jahren sieht man ihn ab und zu Seite an Seite mit seiner Frau im Kanalschuppen Geschichten von früher erzählen. Das Einzige, was er heute wirklich bedauert: Er wäre gern noch einmal mit einem Zirkus mitgereist – aber vielleicht im nächsten Leben. Sein Rezept für ein glückliches Leben: Nur nicht den Humor verlieren!

Mit Familie Schlüter sprach Peter Feuerschütz
Fotos: B. Nolte, privat

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