Die Straße zieht sich schon seit einiger Zeit über wellige Hügel und schaukelt den Passanten sanft auf und ab. Plötzlich stolziert ein Fasan am Graben entlang. Das Meer taucht links, rechts, ja gefühlt auf jeder Seite auf. Aber das muss eine Täuschung sein, denn Holnis ist eine Halbinsel und kein Eiland. Ein Naturschutzgebiet dehnt sich aus, während die Verkehrsinfrastruktur zu einem raren Gut wird. Die asphaltierte Straße endet, ein Sandweg beginnt. Nach wenigen hundert Metern stößt der Besucher auf einen Grenzstein, den die Buchstaben E, L und B zieren. Das sind die Initialen der beiden Bewohner, die im Haus hinter Zaun und Hecke wohnen: Enno und Lore Brink. Seit 1990 lebt das Ehepaar in diesem Idyll und genießt immer noch den Blick, der von ihrem Wohnzimmer über die Flensburger Förde bis nach Sandager reicht. „Dänemark ist so dicht dran, aber doch so weit“, schmunzeln die beiden. Einen Bootssteg gibt es am Ufer vor ihrem Domizil nicht. Man müsste mit dem Auto erst nach Flensburg und dann auf der anderen Seite die dänische Küste hochfahren.
Kurzum: Die Umgebung für dieses Interview ist traumhaft. Der Gesprächspartner Enno Brink ist bekannt als fleißiger Anwalt, passionierter Segler und Theater-Freund. Er ist ein richtiger „Flensburger Kopf“ – auch wenn er am 3. Februar 1936 in Emden geboren wurde. Aber das war ein Zufall, da der Vater gerade zu diesem Zeitpunkt beruflich in Ostfriesland tätig gewesen war. Denn es handelt sich bei dieser Familie um alteingesessene Flensburger mit großer maritimer Affinität. „Meinem Enkel“, sagt der Senior mit einem sanften Lächeln, „habe ich gerade erst erzählt, dass er nun in sechster Generation der Brinks Mitglied im Flensburger Segelclub ist.“ Enno Brink selbst war bereits 1950 in den Flensburger Segelclub eingetreten. Bald war er Vorsitzender der Jugendabteilung. Gerne erinnert sich der 88-Jährige zurück an die mehrwöchigen Törns durch dänische Gefilde bis nach Schweden.
Schulzeit in Jürgensby
Der Stadtteil Jürgensby war der Ort der Kindheit und Jugend. Sehr kurze Wege prägten den Alltag an der Grundschule und später an der Goetheschule. „Ich konnte fünf vor acht die Wasserstandsmeldungen im Radio hören und saß dann Punkt acht Uhr im Klassenzimmer“, schmunzelt Enno Brink. Er mochte Geographie, hatte aber ein etwas „distanziertes Verhältnis“ zu den beiden Bildungsinstitutionen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschten große Klassen mit unterschiedlich alten Schülern vor. „Beim Abitur war ich 20, aber trotzdem der jüngste“, verrät das Flensburger Urgestein. „Andere waren schon 24.“ Sie hatten durch die Wirren des Zweiten Weltkrieges wertvolle Schulzeit verloren.
Mit der Reifeprüfung in der Tasche ging Enno Brink 1956 nach Marburg und schrieb sich für Rechts- und Staatswissenschaften ein. Das hessische Städtchen hatte 40.000 Einwohner, davon 8000 Studierende – die Universität war ein prägender Faktor. „Mit den Semesterferien schlossen auch die Kinos“, erinnert sich das Nordlicht, das nicht lange im Binnenland blieb. Der Drang gen Norden war zu stark. In Hamburg und dann Kiel war die Familie viel näher – und auch die Segelreviere. Wenngleich es der junge Mann nicht scheute von Marburg aus zur Kieler Woche zu fahren, um an Regatten teilzunehmen. Zudem gab es ein Gerücht, das keine Konkurrenz zu einem Studium in Kiel zuließ. „Es wurde damals darüber gesprochen, dass man in Schleswig-Holstein nur in den Staatsdienst gehen könnte, wenn man auch in diesem Bundesland studiert hatte“, erzählt Enno Brink. „Dem war gar nicht so; sie wollten nur die damals noch schwach besuchte Kieler Universität unterstützen.“
Anwalt statt Staatsdienst
Bereits das erste Examen legte er in Kiel ab. 1965 folgte das zweite – nach einem längeren Referendariat mit diversen Stationen an Gerichten und Verwaltungen im nördlichen Landesteil. Dann rief aber doch nicht der Staatsdienst. Ein interessantes Angebot aus Flensburg lockte: Die Anwaltskanzlei des damaligen Stadtpräsidenten Leon Jensen hatte viel zu tun und konnte einen Neueinsteiger gut gebrauchen. Sehr bald verunglückte jedoch ein anderer Kollege tödlich – und Enno Brink übernahm dessen Praxis in der Rathausstraße 10, wo heute eine große Bank mit einer Filiale residiert. Als Einzelkämpfer bediente der junge Anwalt eine große Bandbreite, die Schwerpunkte der Tätigkeit lagen im Zivil- und Gesellschaftsrecht. Und schon sehr bald war er auch Notar. „Ein paar Prüfungen waren nötig“, erzählt Enno Brink. „Das Notariat war aber recht schnell erreicht, da mein Vorgänger auch Notar war.“
Einmal über den Atlantik
1971 beschäftigte er erstmals einen Anwaltskollegen. Er weiß den Zeitpunkt noch ganz genau – wegen eines besonderen sportlichen Ereignisses. Im Januar jenes Jahres fand erstmals eine Langstrecken-Regatta im Südatlantik statt: von Kapstadt nach Rio de Janeiro, einmal quer über den Ozean. Die Einladung zu dieser maritimen Herausforderung trudelte auch beim FSC ein. „Da müssen wir mitmachen“, lautete der Tenor im Clubhaus. Die Logistik war allerdings nicht so einfach: Mit einem Frachtschiff musste das Flensburger Segelboot „Balaia“ nach Südafrika, damals ein international geächteter Apartheid-Staat, transportiert werden.
Als im Januar der Startschuss ertönte, machten sich 59 Boote aus 30 Nationen auf den über 6000 Kilometer langen Weg. An Bord der „Balaia“ saßen sieben Segelkameraden, von denen einer als Koch aus Konserven und Nudeln viel Abwechslung zauberte. Schließlich war man drei Wochen auf See, die im Südsommer ihre Reize hatte.
„Es war schön ruhig“, erinnert sich Enno Brink. „Da wir mit dem Passat segelten, hatten wir immer genug Wind. Als wir dann den Zuckerhut erblickten, war es ein besonders erhabenes Gefühl. Wir erreichten Rio pünktlich zum Karneval und blieben noch zehn Tage.“
Aufbau von „Brink & Partner“
Zurück in Flensburg stellte er fest, dass der eingesetzte Anwalt Diethart Bohn seine Sache gut gemacht hatte. Und man verstand sich. Fortan führten beide Partner die Kanzlei gemeinsam. Bald klopfte eine prominente Mandantin an: die Erotik-Unternehmerin Beate Rotermund. „Es gab viele Prozesse, aber sie wurde letztendlich nie verurteilt“, erzählt Enno Brink. Einige Akten sind im Landesarchiv Schleswig aufgehoben. Die Kanzlei war aber auch beratend tätig. So waren die Anwälte Anfang der 80er Jahre mehrfach bei „Beate Uhse“ in der Gutenbergstraße zu Gast. Es ging um die sogenannte Realteilung, durch die sich die Wege von „Orion“ und des Mutterkonzerns trennten.
Enno Brink sah sich nicht als Jurist, der am liebsten in den Gerichtssaal schritt. „Ich war lieber um außergerichtliche Konfliktlösungen bemüht, als mich mit ellenlangen Prozessen zu befassen“, sagt er. Pragmatismus fehlte nicht. Ein Beispiel: Eines Tages erhielt ein Mandant Post von der Wasser- und Schifffahrtsbehörde: Die weiße Bank auf dem Privatstrand würde den Schiffsverkehr stören, hieß es. „Der Bekannte legte viel Wert auf diese Sitzgelegenheit, da er dort immer den Tag am Strand Revue passieren ließ“, erzählt Enno Brink. „Als dann schon ein Verfahren mit Verhandlungsterminen drohte, gab ich ihm den Tipp, die Bank doch einfach grün anzustreichen.“ Mit dieser „Tarnung“ verlor das Streitobjekt seinen Kontrast zur Uferbepflanzung – und von der Behörde kam nie wieder Post. Es waren andere Zeiten: Etliche Schriftstücke, die dicke Prozessakten füllten, waren noch eine Rarität. „Damals musste noch alles mit der Schreibmaschine getippt werden, heute gibt es vorgefertigte Textbausteine“, weiß der Jurist.
Segeln in der Karibik und auf der Förde
In seiner Freizeit drehte sich weiterhin vieles um das Segeln. Nach der Südatlantik-Passage 1971 folgte einige Jahre später eine Regatta von Nordafrika in die Karibik zu so schönen Inseln wie St. Maarten oder St. Lucia. Enno Brink war 1970 als zweiter Vorsitzender in den FSC-Vorstand gewählt worden. Ab 1974 folgte eine 17-jährige Amtszeit als erster Vorsitzender. Der 88-Jährige schmunzelt: „Irgendwie war es oft so, dass ich in der Nähe war, wenn es darum ging, Ämter zu vergeben.“
Im September 1978 erlebte die Flensburger Förde ein echtes Highlight. 36 Eintonner von vier Kontinenten trafen sich zur Weltmeisterschaft. Sogar der spanische König Juan Carlos war dabei, und ein Lokalmatador segelte an der Spitze. Nur wenige Monate später zerstörte das Eis eines harten Winters den Yachthafen. Es mussten viele Clubdienste angesetzt werden, um alles aufzuräumen und zu reparieren. Während der 80er Jahre wurde das FSC-Clubhaus im Quellental mehrfach erweitert. Zunächst erfolgte die Ergänzung um einen Sanitärtrakt, später bekamen Verwaltung, Archiv und Regatten mehr Platz. Auch Generalversammlungen waren nun ein Heimspiel beim FSC, der um die 500 Mitglieder zählte. Enno Brink wurde 1990 zunächst zum Ehrenvorsitzenden ernannt, neun Jahre später zum „Kommodore“ – eine Auszeichnung, die in der langen FSC-Historie erst drei Mal vergeben wurde.
Über Jarplund und Westliche Höhe nach Holnis
Große Konstanz charakterisiert das Privatleben. Der Flensburger hatte bereits 1962 seine Lore geheiratet – in München. Sie kam aus der Bayern-Metropole. „Wir kannten uns schon ewig, da unsere beiden Mütter einst gemeinsam in München studiert hatten“, erzählt das Paar, das inzwischen seit 62 Jahren verheiratet ist. Im Laufe der 60er Jahre wurden die Tochter und die beiden Söhne geboren. Der Wohnsitz befand sich immer im hohen Norden. Nach fünf Jahren in Jarplund zog die Familie in den Hermann-Löns-Weg auf der Westlichen Höhe. Übrigens: Für den väterlichen Beruf konnte sich von den Kindern niemand begeistern. „Meine Kinder klagten über die viele Arbeit als Anwalt“, erzählt Enno Brink mit einem Lächeln. Sie schlugen andere Wege ein. Heute sind sie Schiffsbau-Ingenieur, Bauingenieur und Kunsthistorikerin.
1990 hatte der Nachwuchs die Schulzeit abgeschlossen, als plötzlich ein Zufall einen Wechsel des Wohnsitzes einleitete. Die Brinks besuchten häufiger eine befreundete Familie in Holnis. Ganz in der Nähe stand ein Grundstück mit Bungalow zum Verkauf: die Chance. „Mit schulpflichtigen Kindern wäre es nicht das Richtige gewesen“, erzählen Lore und Enno Brink. „Aber für uns beide ist es der schönste Ort.“ Seit nunmehr fast 35 Jahren ist Holnis ihr Lebensmittelpunkt, während sich in der Nachbarschaft inzwischen bei allen Häusern die Besitzerverhältnisse geändert haben.
Ruhestand mit 70 Jahren
Die Sozietät wuchs, immer neue Anwälte stiegen ein. 2002/2003 wurde das ehemalige Europa-Hotel mit seiner Marmor-Treppe zum Geschäftshaus umgebaut. Zu den ersten Mietern gehörten „Brink & Partner“. Ende 2005 schied Enno Brink aus. „Das war kurz vor meinem 70. Geburtstag“, erklärt er. „Ich hätte nicht mehr als Notar weitermachen dürfen, es war daher der richtige Zeitpunkt, ganz aufzuhören.“ Die Kanzlei änderte ihren Namen wegen der hohen Bekanntheit nicht. Der Gründer hat heute selbst keine Anteile mehr, schaut aber manchmal in der Rathausstraße vorbei – sei es für eine Beglaubigung oder für eine Beratung.
In den kompletten Ruhestand ging Enno Brink allerdings nicht. Er und seine Frau hatten schon lange ein Premieren-Abo der Niederdeutschen Bühne (NDB). Als diese 1995 privatisiert wurde und einen Trägerverein benötigte, übernahm der Jurist den Vorsitz. Eine Funktion, der er 24 Jahre treu blieb. Einmal stand er selbst auf der Bühne: Vor der Premiere von „Kerls dörch un dörch“ im Mai 2013 unterschrieben Enno Brink und Flensburgs Oberbürgermeister Simon Faber einen Vertrag, der der NDB über sieben Jahre eine städtische Gesamtförderung von 230.000 Euro einbrachte. 2019, zum Ende der Amtszeit, war diese Regelung allerdings überholt. Plötzlich war eine dänische Investorengruppe Inhaber des Komplexes geworden und erhöhte die Miete für die NDB beträchtlich. Die Stadt sprang mit einer höheren Zuwendung ein.
Familie, Lions Club, Gymnastik und natürlich Segeln
Mit 88 Jahren hat sich Enno Brink endgültig ins Privatleben zurückgezogen. Der Stolz sind die vier Enkelkinder, die mitten im Studium oder kurz vor dem Abschluss stehen. Häufig sind sie an Bord der „Clajanka“. Ein Kunstwort, das aus den Vornamen der Kinder zusammengesetzt ist. Das Boot ist von Mai bis Oktober auf dem Wasser. Enno Brink beteiligt sich stets vor dem Quellental an der Mittwochabend-Regatta. Gerne ist er für einige Tage auf der Förde und in der dänischen Südsee unterwegs. Die „Clajanka“ hat fünf Kojen.
Alle 14 Tage trifft sich der Lions Club „Flensburg-Schiffbrücke“. Vor vier Dekaden war Enno Brink der Gründungspräsident und richtete das karitative Engagement zunächst auf das damals kriselnde Polen. Er war dabei, als sie mit Lastwagen in den Osten fuhren und Hilfsgüter und Pakete auslieferten. Eine ältere Frau, die sich in ihrem Garten um das Gemüse kümmerte, bedankte sich mit einem deutschen Satz: „Ordnung muss sein!“
Dienstags und donnerstags kommen Lore und Enno Brink mit fünf lange befreundeten Paaren im „Seidon“ zur einstündigen Gymnastik zusammen. Wenn sie dann wieder nach Hause kommen, blicken sie im Eingangsbereich auf eine Vitrine, die eine kleine nautische Sammlung aufbewahrt.
Mit Asche bemalte Walrossstoßzähne, Sextanten oder auch ein Kompass, der – passend für eine Liegekoje – an die Decke gehängt werden kann. Enno Brink kann zu jedem Exponat viel erzählen. Segeln ist sein Elixier. Jetzt, im Frühling, geht es wieder zunehmend in den Garten, der scheinbar bis ans Wasser reicht. Die Treppe, die zu einem kleinen Strand führt, wird vom Fördehang versteckt. Wirklich ein schönes Kleinod.
Text: Jan Kirschner,
Fotos: Jan Kirschner, Privatarchiv Enno Brink