Das Friseurhandwerk zählt zu den ältesten Handwerken überhaupt. Schon um das Jahr 4000 vor Christus haben im alten Ägypten die Menschen Wert auf Haarpflege gelegt. Damals waren es vor allem Sklaven, die ihre Herren und Gebieter pflegten und frisierten.
Der heutige Beruf des Friseurs entstand dagegen erst vor gut hundert Jahren, etwa um 1900 herum. In der frühen Neuzeit war das Bart- und Haareschneiden erst noch Aufgabe der sogenannten „Bader“, die ihre Badstuben in Städten und größeren Ortschaften betrieben.

100 Jahre Salon Gossmann – und immer in der Waitzstraße zuhause
Gründung 1924

Der Salon Gossmann entsteht

Einer dieser Friseursalons des frühen 20. Jahrhunderts in Flensburg begeht in diesen Tagen seinen 100. Geburtstag.
„Als letztes altes Unternehmen in unserem Stadtteil „Achter de Möhl“, im Süden der Stadt gelegen, gibt es noch den „Friseur-Salon Gossmann“, erzählt uns die heutige Betreiberin des Geschäfts, Silke Lorenzen. Die Anfänge sind in ihrer Familie überliefert, gern erzählt sie aus jenen frühen Anfangszeiten. „Vor etwas über 100 Jahren hat der Dithmarscher Wilhelm Karl Gossmann, 1923 nach dem Ende seiner „Tippelschaft“ (die Wanderjahre eines angehenden Handwerksgesellen), in der er seinen Gesellenbrief im Friseurhandwerk machte, das Haus Waitzstraße 11 in Flensburg gekauft. Mit der Hilfe der Auszahlung seines Vaters, der in Burg (Dithmarschen) lebte, konnte er sich das Mehrfamilienhaus leisten und hat als ganz junger Friseur im gleichen Hause sein eigenes Geschäft eröffnet. Die Meisterprüfung bestand er 1924. Diese musste nach der Eröffnung eines eigenen Ladens innerhalb eines Jahres nachgewiesen werden. Wilhelm Gossmann war nun 26 Jahre alt und ein mutiger Jungunternehmer. Er betrieb gemeinsam mit seinem Gesellen Willi Bradke und zwei Lehrlingen den Friseurladen. Einige Umbauten mussten erst noch getätigt werden, und nach erfolgter Umsetzung nannte er nicht mehr nur ein Friseurgeschäft sein eigen, sondern auch noch einen Zigarren- und Tabakladen.“ Und Frau Lorenzen ergänzt: „Wie der Zufall es wollte, gab es auch eine junge, alleinstehende Friseurin in der Teichstraße, die einen kleinen Stubenladen – dies war damals möglich – unterhielt. Die Waitzstraße und die Teichstraße liegen nicht weit auseinander und so traf man sich zwangsläufig im eigenen Viertel, verliebte sich bald ineinander und heiratete schließlich. Lida Gossmann, geborene Carstens, zog nun mitsamt ihren Kunden und ihrem Handwerkszeug bei ihrem Wilhelm ein. Der Herrensalon, mit Straßenfront und Schaufenster, hatte hinten heraus noch eine Wohnstube, die nun mit einem Seiteneingang zum Damensalon umfunktioniert wurde.“

Salon Gossmann: der Friseur für die Dame, den Herrn und das Kind

Die Ehe erwies sich als fruchtbar, es wurden nach und nach vier Kinder geboren. Erst zwei Jungs und dann kamen die beiden Mädchen jeweils zu Hause auf die Welt, währen der Ladenbetrieb selbstverständlich weiterlief. Die Hebamme Köpke, aus der Blumenstraße, damals in Flensburg wohl bekannt, wusste längst Bescheid, denn sie wurde immer erst kurz vor der anstehenden Niederkunft gerufen.
„Wilhelm Gossmann hat sich als „Neuer“ ganz schnell, auch durch seine Frau, in dem Viertel eingelebt“, weiß Silke Lorenzen. „Sein ausgeprägtes Rechtsempfinden und seine Ehrlichkeit brachten ihm bald das Amt des Schiedsmannes für den Stadtteil Süd ein. Durch den Friseursalon kannte er naturgemäß viele Menschen, deren Schicksale, Probleme und Ärgernisse. Man traf sich eben bei Willi und schnackte sich dort die Seele frei. Dann kam der 2. Weltkrieg. Die Männer wurden alsbald zur Wehrmacht eingezogen, das betraf auch die „Gossmänner“. Vater Wilhelm, seine beiden Söhne und auch der Geselle mussten an die Front. Lida Gossmann blieb mit den beiden Töchtern Käte und Klein-Lida zu Hause zurück.
Sie machten weiter, so gut sie es eben konnten. Nun als Chefin des Salons, wurde Frau Gossmann nahegelegt, den Meister zu machen, um das Geschäft halten zu können. Die Notprüfung mit Urkunde erreichte sie in kurzer Zeit. Es wurden in dem Haus Nummer 11 übrigens seinerzeit nicht nur die Haare frisiert, sogar auch eine gute Suppe wurde umsonst an Bedürftige ausgegeben.
Von den drei Männern der Familie kamen leider nur zwei aus dem Krieg zurück. Der Senior Wilhelm und sein jüngster Sohn Karl Albert, genannt Abbi, kamen heim. Der ältere Sohn Willi wurde im Krieg als Flieger, über Belgien, abgeschossen.
Aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, ausgezehrt aber unverletzt, nahm die Familie das gewohnte Leben bald wieder auf. Abbi wollte eigentlich in den Straßenbau mit seinen 18 Jahren und beim Wiederaufbau helfen, doch sein Vater, der Patriarch des Hauses, sehr streng und diszipliniert, entschied anders und nahm seinen Sohn als Lehrling in seinem Barbierladen auf. Die eine Tochter war inzwischen auf dem Lande als Köchin untergekommen und die Jüngere half der Mutter im Damensalon, der Familienbetrieb florierte jetzt wieder.

Salon Gossmann – etabliert und stadtbekannt

„Ganz nebenbei“, erinnert sich unsere Protagonistin: „Lida Gossmann war die erste Friseurin in Flensburg, die eine Dauerwelle anbot. Spektakulär mit Stromkabeln und scharfer Laugenflüssigkeit wurden die Haare gekocht. Es war damals die Sensation in der Stadt und sehr aufregend. Ondulationen mit den Brennscheren gab es weiterhin, doch mussten sie bald den chemischen Locken Platz machen. Die Prozedur mit der neuen Dauerwelle dauerte übrigens allein 5 bis 6 Stunden … und das alles für die Schönheit der Damenwelt“, schmunzelt die Friseurmeisterin. Und im Herrensalon?
„Im Herrensalon waren die anfallenden Aufgaben von kürzerer Natur. Der damals angesagte „Hindenburgschnitt“ in vielen Variationen, sehr kurz und exakt, ähnelt der heutigen Mode sehr. Rasieren gehörte mit zu den Haupttätigkeiten in der Branche. Täglich kamen zahlreiche Kunden, die teilweise in einem Schrank im Salon ihr eigenes Besteck- und Cremefach hatten, am Morgen vorbei. Die großen Firmeninhaber der näheren Umgebung ließen sich auch am Sonntag- und am freien Montagmorgen auf einen Treff im Salon Gossmann ein. Die Chefs der bekannten Firmen wie der Flensburger Brauerei, Baack und Nicolai, K.G. Hansen und Severin Schmidt, haben in jenen Jahren keinen Tag ohne Rasur begonnen.

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Herrensalon 1956

Die zweite Generation

Im Jahr 1954 stand im Salon Gossmann ein Generationswechsel bevor. Der Sohn Karl Albert (Abbi) sollte das Geschäft übernehmen. Seine Meisterprüfung hatte er mit Erfolg 1956 in Soltau abgeschlossen. Eine junge Friseurin wurde von Wilhelm Gossmann eingestellt und für Karl Albert wurde es bald die Frau, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte. Eine große Umbauaktion kam in Planung und wurde bald umgesetzt. Eine Wohnung im Parterre neben dem Herrensalon wurde frei und bot nun die Gelegenheit, mit gleichzeitigem Verbinden zum Hinterhaus, einen Damensalon mit 12 Bedienungsplätzen, Warteraum, Aufenthaltsraum, der berühmten „Giftküche“, WC und sogar einem Bad mit einer Badewanne zu bauen. Der Herrensalon vergrößerte sich auch, indem man das angrenzende Wohnzimmer mit einem Durchbruch integrierte und somit weitere 5 Bedienungsplätze anbieten konnte. Nun wurden weitere Angestellte gebraucht. Nach mehreren Neueinstellungen waren neben Rosemarie und Abbi Gossmann und den Senioren Wilhelm und Lida Gossmann noch die Schwester Lida, 4 Damenfriseurinnen, eine Herrenfriseurin und 3 Lehrlinge in dem Betrieb tätig. Die Arbeit erstreckte sich auch außer Haus. Etwa zum Schleier aufstecken oder der Rasur eines Verstorbenen war es nicht ungewöhnlich, dass die Chefin oder der Chef in die entsprechenden Haushalte gingen.

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Stammpersonal 1958

Nach der Heirat von Rosi und Abbi im Jahr 1956 wurde eine Tochter im Mai 1957 geboren, das Leben in jenen Jahren forderte die gesamte Familie zum Zusammenhalt auf. Das Wirtschaftswunder war bereits deutlich zu spüren und es gab viel zu tun. Rosemarie hielt neben der Arbeit als Friseurchefin und dem allgemeinen Haushalt mit Kind auch noch die Lehrlinge in Kost und Logis und sorgte für Ordnung in dem Mehrfamilienhaus. Dafür war es dort stets laut, lustig, manchmal zwar auch streng, doch mit hoher Toleranz für Alt und Jung, keiner war allein: Es wär ständig „Leben in der Bude“. Die Badewanne in dem Friseurgeschäft wurde gerne auch von den Angestellten genutzt, denn es gab damals in den 50er Jahren noch lange nicht in jeder Flensburger Wohnung ein eigenes Bad.

Die Öffnungszeiten des Salons waren dienstags bis freitags von 8.00 bis 18.00 Uhr, sonnabends von 8.00 bis 16.00 Uhr, auch Heiligabend und Silvester war stets geöffnet. Montags hatte das Geschäft stets geschlossen, der Montag war eben der Friseursonntag!
Es gab fließendes, heißes Wasser und die Kunden brauchten keine Kohle mehr mitzubringen, wie noch in der ersten Nachkriegszeit. Handtücher lagen bereit und sowohl die Dauerwellen als auch die Wasserwellen wurden erfolgreich an die Frau gebracht. Im Herrensalon florierte immer noch das Rasieren, doch bald gab es auch hier eine neue Modetendenz: Die „Beatles“ waren die Vorreiter für den langen Haarschnitt, John Wayne für lange Koteletten und auch die Minipli sollte dem Herrn die Haare krümmen. Neben dem Haarnetz bei der Bundeswehr Anfang der 70er Jahre hat das neue Haarspray bei den stark toupierten Frisuren Einzug erhalten.

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Familienbild 1956

Der Friseur musste sich dem Wandel der Zeit anpassen und jedem, Jung wie Alt, sein Bestes geben. Jutta, die jüngere Schwester von Rosemarie, hatte sich auch für diesen Beruf entschieden und stieg nach bestandener Gesellenprüfung in den Betrieb Salon Gossmann ein. Veranstaltungen wie das Schau-Frisieren im „Deutschen Haus“ oder im „Bellevue“ sorgten für Aufregung im Laden, denn Jutta war oft dabei und hat manchen Preis erhalten, stets für aufwendige Kreationen.

Neuerungen waren die vielseitigen Geschenkkartons, die hauptsächlich zu den Feiertagen angeboten und über den Ladentisch verkauft wurden. Dazu kamen Drogerieartikel, Kosmetik, Nylons und Parfüme, 4711, Tosca, Old Spice, Hattric und Avon hielten Einzug auf dem Tresen des Salons. Eine neue Kasse wurde bestellt. Elektrisch musste sie sein, die schweren Schaukastenbühnen kamen weg und lockere Gardinenwolken folgten. Der Herrensalon sollte so bleiben wie er war, er besteht noch heute unverändert.

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Die dritte Generation

Die Senioren Willi und Lida hatten sich inzwischen aus dem Geschäft zurückgezogen und die Enkelin Silke, Tochter von Abbi und Rosi, fing als Lehrling an. Nach verkürzter Lehrzeit bestand sie die Gesellenprüfung und machte schon nach 3 Gesellenjahren die Meisterprüfung in Hamburg. In jenem Jahr war sie die jüngste Meisterin von Schleswig- Holstein, mit 21 Jahren, und unterstützte die Eltern in dem Betrieb. Man merkte, sie hat das Blut für dieses Handwerk in die Adern gespült bekommen.
Im Salon Gossmann waren nun ein Meister, 3 Gesellen, 2 Lehrlinge und zusammen mit den Chefs insgesamt 8 Friseure tätig.
Die Zeit schritt unaufhörlich voran, 1990 übernahm dann Silke das Geschäft ihrer Eltern. Sie war mittlerweile verheiratet und hieß nun Lorenzen, hatte eine Tochter und erneut standen im Salon einige Umarbeiten an. Doch dieses Mal ging es ums Verkleinern. Silkes Mann Bernd, ein Handwerker und kein Friseur, baute den Damensalon zurück in ein Büro und der Herrensalon bekam eine Schönheitskorrektur in Form von weiß gestrichenen Wänden, dazu eine Spiegelverkleinerung und neuem Aufenthaltsraum.

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Im Wandel der Zeit

Das Wirtschaftswunder war mittlerweile vorüber. Es kam eine fordernde und anstrengende Zukunft auf die Menschen zu. Die 90er Jahre waren geprägt durch die Wiedervereinigung, die deutsche Grenze wurde geöffnet, natürlich ein großes, geschichtliches Ereignis, doch die Berufsgenossenschaft forderte die Handwerksbetriebe zur Unterstützung auf. Kurz nach dem Millenniumswechsel kam der Euro auf und löste die altgewohnte D-Mark ab. Auch unser Wohngebiet, der gesamte Stadtteil „Achter de Möhl“ wandelte sich und verlor sein altbekanntes Gesicht. Der einst beliebte Treffpunkt Friseur war nicht mehr so wichtig. Die einstigen Hausbesitzer und viele alteingesessene Bewohner zogen nach und nach an den Stadtrand in modernere Wohnungen. Geschäfte, Handwerksfirmen, wie Schlachter, Bäcker, Klempner und auch andere Gewerke, die immer für einen Besuch sorgten, fanden keine Nachfolger. Das Arbeitsamt und auch das Landratsamt verließen den Süden der Stadt. Das Urbane in dem Stadtteil ist nach und nach abhandengekommen und die „Alten“, die Unentbehrlichen, starben aus, dafür zogen junge Leute und Studenten ein.

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Silkes Eltern 1980

Der Salon Gossmann wird verschlankt

Es war jetzt nur noch Silke Lorenzen mit einer Angestellten im Salon tätig. Die letzte „Azubine“ hatte ihre Lehrzeit mit sehr gutem Abschluss beendet und verließ den Betrieb. Die Gesellin übernahm die Damenwelt, der Salon Gossmann sah seine Zukunft im Herrenbereich. Die Senioren Wilhelm und Lida waren mittlerweile verstorben und Karl Albert und seine Frau Rosemarie zogen sich ins Rentenleben zurück.
Die Tochter von Bernd und Silke Lorenzen hatte sich für einen anderen Beruf entschieden und somit der Friseursalon Gossmann keinen potentiellen Nachfolger in der Gründerfamilie.
Inzwischen arbeitet Silke allein in ihrem Salon. Eigentlich ist sie auch schon Rentnerin, doch sie hat noch immer Spaß an ihrer Arbeit. Nach vorheriger Anmeldung werden noch gern die Haare der Stammkundschaft „barbiert“.
Während der „Corona-Pandemie“ hat sich die Arbeitsweise erneut verändert, doch der kleine Schnack im Friseursalon ist geblieben und auch ein traditionsreiches Ambiente wird geboten. Das Geschäft steht in seinem alten Kleid, mit kleinen Neuerungen, nunmehr unverändert seit 70 Jahren. Ein Geschäft, das 100 Jahre in Familienhand geführt wurde und noch immer geführt wird, hat viel erlebt, es gäbe genügend Geschichten aus all den vielen Jahrzehnten zu erzählen.

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Angestelltentreffen 2019

Das Jubiläum

Am 2. Februar 2024 ist es nun soweit. Das Jubiläum von 100 Jahren steht dem Herrensalon „Salon Gossmann“ gut zu Gesicht. „Das Ende steht noch nicht fest, doch es wird wohl, genau wie seinerzeit am Anfang, ein kleiner Laden mit nur einem Inhaber, ohne Angestellte, sein. Das ist eben der Lauf der Dinge, so spielt das wahre Leben“, blickt Silke Lorenzen stolz, auch mit etwas Wehmut, auf die geschilderte Zeit zurück. Und schließlich, wie es eine langjährige Dienstleisterin und Friseurmeisterin gern nach erfolgter und erfolgreicher Tätigkeit macht:
Silke Lorenzen bedankt sich bei ihren Kunden, die ihr über lange Zeit stets die Treue gehalten haben!

Das Flensburg Journal bedankt sich für den ungewöhnlichen und interessanten Einblick in eine 100jährige Tradition und Familiengeschichte!

Peter Feuerschütz schnackte mit Silke Lorenzen und dankt für die zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen!
Fotos: privat, Bernd Lorenzen, Benjamin Nolte

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