Einer Trutzburg gleich thront das Jugendstilgebäude der IHK in der Heinrichstraße. Aus Richtung der Bismarck-
straße ein völlig anderes Bild. Ein moderner, lichter, fast durchsichtiger Glasbau, gewagt an das Traditionsgebäude angesetzt. Dieser Kontrast ist beabsichtigt. Der über 150 Jahre bestehende Zusammenschluss Flensburger Kaufleute gepaart mit den aktuellen Aufgaben einer Interessenvertretung der regionalen Wirtschaft umschreibt das weite Aufgabenfeld der IHK.
„Die Stimme der Wirtschaft“ müsste besser heißen: „Die Stimmen der Wirtschaft“. Der Plural ist angesagt, denn die Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Flensburg vertritt mehr als nur die Interessen der städtischen Unternehmen. Ihr Kammerbezirk reicht von Flensburg bis Kappeln, Heide, Husum und Schleswig. Über 40.000 Mitglieds-
unternehmen sind der Kammer angeschlossen, nicht freiwillig, sondern durch eine Pflichtmitgliedschaft. Das ist manchem ein Dorn im Auge, klingt nach Zwang, wird aber von Rolf-Ejvind Sörensen (Präsident) und Björn Ipsen (Hauptgeschäftsführer) verteidigt. Diese verpflichtende Vertretung aller nicht handwerklichen Unternehmen verhilft der regionalen Wirtschaft zu einer starken Stimme und intern zur Verpflichtung zur Einigung. Während Arbeitnehmervertretungen in zahlreichen Gewerkschaften und Verbänden zergliedert sind, hat die Wirtschaft mit der Tradition der IHKs eine, eben „eine“ Stimme, wenn es um Verhandlungen vor allem mit der Politik geht.
Bis es zu einer einheitlichen Position in zentralen Fragen kommt, müssen die Gremien um Gemeinsamkeit ringen. Nicht immer einfach, so Präsident Sörensen. Die Interessen der Unternehmen in der Region sind je nach Branche und Standort durchaus kontrovers. Ob Energiewende oder Standortförderung, die Gegensätze müssen in Kompromissen gefunden werden.

Viele Interessen – eine Lösung

Ein gutes Beispiel in Flensburg ist die Unterstützung der PACT-Maßnahmen. Inzwischen ist die dritte Auflage dieser Förderung für den Innenstadteinzelhandel und lokale Dienstleister in der Planung. In einem jahrelangen Ringen versuchten die Gewerbetreibenden der Innenstadt, vor allem die Besitzer inhabergeführter Einzelhandelsunternehmen, die Immobilienbesitzer von einer ständigen Erhöhung der Mieten abzuhalten, zunächst ohne Erfolg. Ergebnis war vor allem in der Großen Straße die zunehmende Ansammlung von 1-Euro-Shops, Mobilfunkläden und Filialisten mit Billigangeboten. Die IHK unterstützte massiv ein Einigungskonzept, das schließlich in Form der PACT-Maßnahme verwirklicht wurde. Es gelang, Immobilien-Eigentümer, Gewerbetreibende und städtische Verwaltung an einen Tisch zu bringen. Ergebnis ist eine regelmäßige Abgabe der Immobilienbesitzer zur Finanzierung von Maßnahmen, die die Innenstadt attraktiver machen sollen.
Die Beteiligten sind vom Erfolg dieser Initiative überzeugt. Der Exodus der lokalen Unternehmen konnte gestoppt werden. Mit den eingehenden Mitteln werden zahlreiche Maßnahmen finanziert, die helfen, das Gewerbe in der Innenstadt zu fördern. Dieser Einsatz für lokale Initiativen ist für eine IHK nur vertretbar, weil auch andere Städte ähnliche Lösungen entwickelten und damit Flensburg sich gegenüber den Kommunen des Landes keinen isolierten Vorteil verschafft.
Diese Verpflichtung, Interessen der nördlichen Wirtschaft nach außen zu vertreten, ohne die internen Interessen zu verletzen, zeigt sich bei zahlreichen Themen, etwa bei der Verkehrspolitik. Hier reiben sich öffentliches Interesse nach verbesserter Verkehrsanbindung und Mobilität mit der Notwendigkeit zur Klimaverbesserung, die Interessen von Verkehrsbetrieben, Taxiunternehmen, Autoherstellern und -händlern mit den Entwicklern schadstoffarmer Fahrzeuge und alternativer Verkehrskonzepte, vom Fahrradverleih bis zum Carsharing-Unternehmen. Die IHK versucht, diese scheinbaren Interessengegensätze zu moderieren, das Gemeinsame im Dialog mit den Betrieben herauszuarbeiten. Im besten Fall endet das in einem abgestimmten Konzept wie dem Klimapakt in Flensburg.
Es bleibt nicht bei der Theorie. So hat die IHK die vom Klimapakt Flensburg initiierte Ausbildung von Klima-Scouts 2017 schon zum zweiten Mal organisiert. Junge Azubis entwickelten Konzepte für gewerbliche Energieeinsparungen. Dabei ist vor allem der Mittelstand Ziel und Objekt der Maßnahmen.
Beim Klimapakt wird deutlich, wie sich öffentliches Interesse, Verwaltungshandeln, gewerbliche Möglichkeiten und Zukunftsvisionen treffen und abgestimmt werden können, wenn denn alle Beteiligten der Wille zur Lösung eint.
Flensburg steht vor einem Wandel in der Energieversorgung. Die vorbildliche Versorgung mit Wärme aus einer zentralen Quelle und die letztendlich rückständige Energieerzeugung mit dem fossilen Brennstoff Kohle stehen im Widerspruch. Der soll jetzt Schritt für Schritt aufgelöst werden, unter aktiver Beteiligung der Industrie- und Handelskammer. Neben dem Einkauf von Solar- und Windenergie werden die Strom- und Wärmegeneratoren des Kraftwerks nun vollständig auf Gasbrennstoff umgestellt. Immer noch ein Kompromiss, denn auch Gas ist ein fossiler Brennstoff, erzeugt jedoch wesentlich weniger schädliche Abgase als Kohle. Am Beispiel Energieversorgung wird auch deutlich, wie grenzüberschreitend gedacht, geplant und gehandelt werden muss. Die Zusammenarbeit mit dänischen Akteuren ist für die IHK ein Handlungsfeld mit hoher Priorität.

Fehlende Großindustrie – starker Mittelstand

Die Versuche, Großunternehmen an die Stadt zu binden, sind mehrfach zunächst gelungen, schließlich gescheitert. Motorola und Danfoss sind Beispiele, die nicht vergessen sind. IHK-Präsident Sörensen betont daher die Bedeutung der mittelständischen Unternehmen für die Stadt. Sie sind in der Regel inhabergeführt, haben eine lange Tradition und sind ein stabiler Pfeiler in der regionalen Wirtschaft. Doch diese Mittelstandsunternehmen haben irgendwann ein massives Problem, die Regelung der Nachfolge. Hier versucht die IHK durch Beratung und Vermittlung Lösungen zu finden, um diesen Unternehmen beim Generationswechsel zu helfen.
Forderungen an die Politik sollen helfen, die mittelständischen Unternehmen von unnötigen Belastungen zu schützen. Ein wiederkehrendes Thema ist die Gewerbesteuer. Sie ist im Gegensatz anderer Steuern von politischen Entscheidungen der Stadtvertretung abhängig. Auf der einen Seite verständlich, dass die Kommune sich diese Einnahmequelle sichern will, um ihre gemeinschaftlichen Aufgaben zu lösen. Zum anderen gibt es auch die Versuchung, je nach Bedarf an dieser „Steuerschraube“ zu drehen. Hier versucht die IHK die Politik zu beraten, ihr deutlich zu machen, dass eine zunehmende finanzielle Belastung der Betriebe letztlich zum Verlust von Einnahmen führen kann. Dann nämlich, wenn die Unternehmen die Belastung nicht mehr tragen können, schließen müssen oder gezwungen sind ihre Tätigkeiten ins Ausland zu verlegen. Da kleineren Unternehmen diese Möglichkeit nicht offensteht, sind sie häufig die Opfer. Daher wenden sich Sörensen und Ipsen gegen die in die Diskussion gebrachte Vermögenssteuer. Große Unternehmen würden als Konsequenz einer solchen Abgabe ihre Betriebe ins Ausland verlagern, verbunden mit dem Verlust der Gewerbesteuer und dem von Arbeitsplätzen. Daher fordern die IHK-Vertreter: Die Firmen nicht „kaputtversteuern“.

Behörden: Partner, statt Feind der Unternehmen

Ein Appell der IHK geht an die städtischen und regionalen Behörden und Verwaltungen. „Sie sollten sich als Partner, nicht als Feind der Unternehmen verstehen.“ Diese provokative Äußerung kommt aus der Erfahrung und dem Empfinden, dass Verwaltungsentscheidungen oft langsam, ausbremsend, gar verhindernd sind. Es gäbe, so Sörensen und Ipsen, zu viele verschachtelte Entscheidungsebenen. Sie wünschen sich eine Vereinfachung in den Planungsverfahren. Immer noch herrschten „preußische Grundstrukturen“ in der Verwaltung, zu sehr strukturierte und zergliederte Planungs- und Genehmigungsverfahren. „Die Behörde sollten mehr gemeinsam mit der Wirtschaft denken“, heißt die Forderung der IHK-Vertreter.

Bilden – Bündeln – Beraten

Dass der Staat die IHK nicht nur als Interessenvertreter, sondern als ein Organ zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ansieht, wird deutlich, wenn man ihren Einsatz für die berufliche Bildung ansieht. Hier erfüllt die Industrie- und Handelskammer hoheitliche Aufgaben. Sach- und Fachkundeprüfungen, etwa für Sicherheitsdienste, Gewerbeerlaubnisse, etwa im Finanz- und Versicherungswesen, die Stellung von Sachverständigen vor Gericht und zahlreiche andere Funktionen machen deutlich, dass Interessenvertretung und Kooperation keine Gegensätze sind.
Nicht zuletzt ist die IHK Träger großer Ausbildungseinrichtungen, etwa der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein. Junge Erwachsene werden in Kiel, Heide und Flensburg zu Wirtschaftsfachleuten ausgebildet. Die Akademie ist auch prüfungsberechtigt, etwa bei den Staatsexamen für Betriebswirte.
Eine zentrale Aufgabe der Kammer ist die Sicherung einer einheitlichen beruflichen Bildung. Der Trend zu immer mehr Universitätsausbildungen wird von der IHK nicht nur positiv gesehen. Es fehlen zunehmend Auszubildende im traditionellen dualen System, kurz „Lehrlinge“. Die IHK-Vertreter sprechen von 100.000 fehlenden jungen Leuten, die eine Lehre absolvieren sollten. Die Wirtschaft braucht dringend gut ausgebildete, an der Praxis ausgerichtete Menschen. Hier versucht die IHK durch Werbung, etwa eine „Lehrstellenrallye“, das Interesse an der dualen Ausbildung zu wecken und zu stärken. Alle Initiativen der IHK zielen letztendlich auf eine Stärkung der Wirtschaft in der Region, ohne die gesellschaftliche Verantwortung, die ihr als Organ des öffentlichen Rechts gegeben wurde, zu vernachlässigen. Ein Spagat, den sie nach übereinstimmender Meinung bisher gut geleistet hat.
Bericht: Dieter Wilhelmy, Fotos: Benjamin Nolte

- WERBUNG -