Die „Hansens Brauerei“ firmiert seit Dekaden als nördlichste Gasthausbrauerei in Deutschland. Wenn der Besucher das Wirtshaus am Flensburger Hafen betritt, steigen ihm die Gerüche deftiger Speisen in die Nase. Und wenn er vom dunkleren in den lichtdurchfluteten Bereich der Gastronomie wechselt, blickt er automatisch auf die kupfernen Elemente eines Sudwerks, dem Herzstück einer Brauerei. An den Wänden hängen viele historische Fotos und Abbildungen, die die Geschichte dieser Gastronomie und ihres Gründers dokumentieren. „Ich habe es wohl in den Genen“, schmunzelt Franz-Dieter Weiß und betrachtet einige alte Aufnahmen.

Franz-Dieter Weiß

Die zeigen seinen Großvater auf dem Jahrmarkt mit einem Bierzelt oder auch einen alten Flensburger Festsaal, der 600 Leute fasste.

Franz-Dieter Weiß hat Betriebswirtschaft studiert. Sein Betrieb ist hauptsächlich ein Wirtshaus. Das aber so erfolgreich, dass er auf 54 Jahre als Gastronom zurückblicken kann. Vor über 30 Jahren gründete er die „Hansens Brauerei“ am Nordermarkt. Der 78-Jährige war der erste, der Küche und die Kunst des Bierbrauens unter einem Flensburger Dach vereinte. Zur Jahrtausendwende verwandelte sich ein würdiges Rumhaus in eine Gasthausbrauerei, von dem selbst Gäste aus Bayern überrascht sind.

Jugend in Engelsby

Franz-Dieter Weiß ist ein echter „Flensburger Kopf“. Auf einem Foto kann er das Zimmer zeigen, in dem das schöne Ergebnis einer Hausgeburt im Sommer 1945, kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs, das Licht der Welt erblickte. Es befand sich im „Gesellschaftshaus Engelsby“. Dieses Gasthaus betrieb sein Großvater Franz Marczak. Der Enkel inhalierte schon als Dreikäsehoch die Atmosphäre der Gastronomie. Es kam vor, dass er angeregt die Stiftungsfeste der Feuerwehren verfolgte, bis er auf dem Sofa einschlief. Ende der 50er Jahre war der Zauber verflogen: Der Großvater war verstorben.

Engelsby stand in jener Zeit noch nicht für eine eher urbane Siedlung. Der östliche Flensburger Ortsteil war ländlich geprägt. Der Stadtrand mit seinen vielen Gärten war für Franz-Dieter Weiß die Idylle einer „interessanten und attraktiven Kindheit“. Im Winter wurde Schlittschuh gelaufen, in den anderen Jahreszeiten wurde der Hof zur Radrennbahn umfunktioniert. Manchmal verwandelten sich in einem Zirkus Hunde in „Löwen“. Ein Bild mit Franz-Dieter Weiß und einigen seiner Freunde hängt an einer Wand der „Hansens Brauerei“. Es ist eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, die die bunte Kindheit von Engelsby dokumentiert.

Franz-Dieter Weiß

Der kleine Junge bewunderte im Saal des Großvaters immer die Musikkapellen. Er saß schon mal auf dem Schoß des Schlagzeugers und hantierte mit den Schlägern. Das Gasthaus schloss, die Musik blieb. Franz-Dieter Weiß gründete in der Jugend „The Avalons“. Eine Beat-Band aus Flensburg, die in ihren besten Zeiten als Quintett sogar im Hamburger „Star-Club“ auftrat und sogar eines Abends dieselbe Bühne benutzte wie die „Beatles“. Sie waren allerdings noch nicht weltberühmt. Deshalb kann sich Franz-Dieter Weiß, der sang und Gitarre spielte, nicht erinnern, ob er einst mit John Lennon oder Paul McCartney fachsimpelte. „The Avalons“ gaben vor einigen Jahren beim Event „Twist & Shout“ ein Comeback. Die Gitarren existieren noch, doch mittlerweile befindet sich Franz-Dieter Weiß im Musik-Ruhestand.

BWL und Bundeswehr

1965 ging er nach Köln und studierte dort Betriebswirtschaftslehre. Die Bundeswehr rief, der Flensburger konnte sich aber für die letzten Semester freistellen lassen. Nach dem Abschluss war der Grundwehrdienst jedoch unvermeidlich. Seine Dauer damals: 18 Monate. Der Vater riet: „In Köln gibt es doch die Offizierbewerberprüfzentrale, mache statt den anderthalb Jahren doch gleich den Z3 der Offizierslaufbahn.“ Sein Sohn bestand die Prüfung als Offiziersanwärter.

Nach Stationen in Bremen, Darmstadt und Hamburg landete er als junger Leutnant wieder in Flensburg – in der Briesen-Kaserne. Franz-Dieter Weiß blickt auf eine „wunderbare“ Dienstzeit zurück, die schon gut begann. Er wurde im Versorgungsbataillon 166 nach sehr kurzer Zeit Adjutant des Bataillonskommandeurs.

„Pony“ und Pizzeria

Als die Laufbahn in der Bundeswehr Konturen anzunehmen schien, häuften sich grundsätzliche Gedanken. Ist es das wirklich? Der enge Gürtel der Armee, der Ruf nach Freiheit und die Gene bündelten sich zu einer überraschenden Wende. Das ehemalige Gasthaus des Großvaters befand sich noch im Familienbesitz, stand aber leer. In Franz-Dieter Weiß keimte die Idee einer Disco, was viele verwunderte: Der ist doch Betriebswirt und könnte auch beim Militär Karriere machen? Was will der in der Gas­tronomie? Doch der Flensburger Jung­spund ließ sich nicht stoppen und startete im Dezember 1969 mit dem „Pony“. Die Diskothek im alten Gasthaus des Opas wurde zum Hit im Flensburger Nachtleben der 70er Jahre. Noch heute hat sie einen legendären Ruf.

Das Kuriose: Franz-Dieter Weiß hatte bis März 1971 noch seine Pflicht in der Bundeswehr zu erfüllen. Er hatte also einen Doppel-Job. Und irgendwann im Jahr 1970 lernte er einen Italiener kennen, der mit ihm eine Pizzeria in Flensburg eröffnen wollte. „Davon habe ich keine Ahnung“, schüttelte Franz-Dieter Weiß mit dem Kopf. Der Gesprächspartner konterte: „Aber du bis Betriebswirt?“ Also startete der Flensburger mit der Pizzeria „Ristorante San Marco“ in der Großen Straße. Pizzas waren damals der letzte Schrei der kulinarischen Genüsse, für Franz-Dieter Weiß aber auch eine zusätzliche Belastung. Er hatte nun drei Jobs.

Franz-Dieter Weiß

„Einmal bin ich unter dem Sauerstoffzelt aufgewacht, weil ich zu wenig geschlafen hatte“, erzählt er. Sogleich wirft er stolz hinterher, dass sich das „San Marco“ inzwischen seit 53 Jahren am selben Standort befindet. Erst kürzlich wurde es um ein Nebengebäude erweitert. Es hat nun einen zusätzlichen Raum für Gruppen und eine längere Terrassenfront für die Sommer-Saison.

Ab März 1971 setzte Franz-Dieter Weiß voll auf die Karte „Gastronomie“. Das „Pony“ erlebte seine Blüte. Wegen seiner Kapazität von nur 150 Party-Willigen hatte es eine gewisse Exklusivität. „In diesen Laden musste jeder, der etwas von sich hielt, rein“, weiß der Ex-Inhaber noch. Und er schmunzelt, wenn er an einige Anekdoten von damals erinnert. Der Kamin war zur kalten Jahreszeit ein Magnet, und viele spätere Ehepaare lernten sich im „Pony“ kennen. Und es kam auch mal vor, dass angesehene Geschäftsleute nach einer Verhandlung in der Disco so betrunken waren, dass sie von der Polizei herausgetragen werden mussten.

Vom Hotel zum Gasthaus

Franz-Dieter Weiß feilte parallel zur Engelsbyer Erfolgsgeschichte an „weiteren gastronomischen Dingen“. Ein paar Jahre gab es ein „San Marco“ auch in Husum und in Langballigau ein „Seepferden“.

Im Dezember 1976 kaufte der Flensburger – da war er gerade 31 Jahre alt – das Kurparkhotel in Glücksburg, das 110 Betten und ein großes Restaurant hatte. Nach einigen Jahren wurde das Geschäft gerade in der Winterzeit immer schwieriger. Es waren neue Hotels in Flensburg eröffnet wurden, die fußläufig mit Schlecht-Wetter-Angeboten wie Theater, Kino oder Gastronomie locken konnten.

Franz-Dieter Weiß

Es war aber unübersehbar, dass Franz-Dieter Weiß immerzu vor neuen Ideen sprühte. Das zeigte sich zum Beispiel 1987, als er zu den Initiatoren des schleswig-holsteinischen Gourmet-Festivals gehörte und zum Präsidenten wurde. In jener Zeit schaute sich das Nordlicht verstärkt in Süddeutschland um. Im Fokus: Gasthäuser, dir ihr eigenes Bier brauen. So etwas müsste doch auch in Flensburg möglich sein, dachte sich der Gastronom. 1989 stand das Konzept, der Umbau eines Gebäudes am Nordermarkt begann. Im Juni 1990 servierten die Kellner den Gästen den ersten selbstgebrauten Gerstensaft. Das „nördlichste Gasthaus der Republik“ produzierte etliche Schlagzeilen. Ebenso ein besonderes Accessoire: ein Waggon der längst stillgelegten Flensburger Straßenbahn. Der Einrichter hatte diesen Einfall, der letztendlich nicht allzu viel Freude auslöste. „Die Straßenbahn störte eher“, erinnert sich Franz-Dieter Weiß. „Wir hatten weniger Platz zum Sitzen, und Kinder tobten darin herum.“

Durchaus knifflig war die Namensgebung für das neue Wirtshaus. Da Pils und Schwarzbier gebraut wurden, hätte „Weiß Pilsener“ oder „Weiß Schwarzbier“ die Gäste doch sehr verwirrt. „Hansens Brauerei“, empfahl schließlich eine Berliner Werbe-Agentur. Diese Bezeichnung passe zu Flensburg und sei auch für ausländische Gäste gut auszusprechen. Dieser Einschätzung kann Franz-Dieter Weiß noch heute zustimmen: „Noch immer kommen Leute ins Gasthaus und wollen den Inhaber sprechen, und zwar Herrn Hansen!“ Er lacht, dreht einen Bierdeckel in seiner rechten Hand und zeigt auf das Logo mit seinen „beiden Männchen“, die am Tisch stehen und Bier trinken. „Die sind fast so gut wie der Mercedes-Stern“, grinst er. „Die beiden symbolisieren ganz deutlich, dass hier nicht nur Bier gebraut, sondern auch ausgeschenkt und getrunken wird.“ Inzwischen seit fast 34 Jahren.

Ein Gasthaus in New York

Franz-Dieter Weiß blickt zufrieden zurück. „Man hat manchmal das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, sagt er. Ein anderes Beispiel: 1994 rief das „Antigua Race“. Beim Segel-Törn mit einigen Freunden in der Karibik lernte der Flensburger ein paar US-Amerikaner kennen. Dabei reifte die Idee einer Gasthaus-Brauerei in New York. „Ich weiß, wie es funktioniert, aber mir fehlt das Geld“, bekannte Franz-Dieter Weiß. Fortan kümmerten sich die Mitinvestoren in New York um Räumlichkeiten und finanzielle Mittel, er selbst brachte das gastronomische Knowhow ein.

Am 24. Juni 1996 verstummten alle Spötter: die „Hansen´s Time Square Brewery“ öffnete erstmals ihre Türen in New York, und zwar genau an der Ecke zwischen „42nd Street“ und „Broadway“. Es gab Pilsner, Alt, Bock oder Weizen zu Dollar-Preisen, aber nach deutschem Reinheitsgebot. Auch die Bratwurst vom „german butcher“ zog die Neugierigen magisch ab. Franz-Dieter Weiß war stolz, dass sich sein Firmenname in Übersee durchsetzen konnte. Sogar ein Film wurde darüber gedreht. Allerdings war der Erfolg zeitlich begrenzt. Das Gebäude sollte abgerissen werden, was 2001 dann auch geschah. Ein Umzug in New York zerschlug sich.

Vom Nordermarkt an den Hafen

Anders in der Heimatstadt. Im Ambiente am Nordermarkt störte sich Franz-Dieter Weiß an den Treppen und dem Zuschnitt über mehrere Etagen. „Ich hatte immer das Hofbräuhaus in München vor Augen“, verrät er. „Das ist groß, aber man kann alles überblicken, da alles ebenerdig ist.“ 2000 bot sich die Gelegenheit, das denkmalgeschützte Rumhaus „Sonnenberg“ zu übernehmen. Der Gastronom erntete viel Verwunderung. „Viele meinten, wenn ich an den Hafen gehe, der damals noch dunkel war, muss ich nach zwei Jahren aufgeben“, erzählt Franz-Dieter Weiß. Er schmunzelt: „Jetzt bin ich seit 23 Jahren hier – und es war die absolut richtige Entscheidung.“ Die großen ebenerdigen Räumlichkeiten, die größere Terrasse, die Parkplätze gegenüber und das denkmalgeschützte Gebäude – all das passte hervorragend.

Spontan ergibt sich eine Exkursion hinter die Kulissen der „Hansens Brauerei“. Es geht am Sudwerk vorbei. Plötzlich steht man in der Küche. „Meinem Personal sage ich immer, dort muss es immer so aussehen, dass ich auch unverhofft mit Besuch reinkommen kann“, erklärt Franz-Dieter Weiß. Er nickt zufrieden, alles ist in Ordnung. Seine 55 Mitarbeiter, davon 15 im „San Marco“, bezeichnet er gerne als die „Herzen des Betriebs“.

Ein Fahrstuhl fährt in den ersten Stock. Dort befinden sich Lager- und Kühlräume und insgesamt neun Lagertanks. Die „Hansens Brauerei“ produziert über 1000 Hektoliter im Jahr. Pils, Schwarzbier und saisonal Weizen und Winterbock. Und wenn im Hafen Regatta ist, wird der Braumeister besonders kreativ. Aber stets nach dem deutschen Reinheitsgebot, also mit nichts anderem als Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. Franz-Dieter Weiß weiß aber auch, das Bier allein nur die halbe Miete darstellt: „Die Küche ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Erfolgs.“

Jubiläum und Hochwasser

Am 16. August 2019 feierte er ein persönliches Jubiläum: 50 Jahre in der Gastronomie. Dazu waren 300 Gäste in den Hof eingeladen. „Wer ist schon so lange Gastronom in Flensburg und hat sogar ein Restaurant, das sich seit 53 Jahren an derselben Stelle befindet?“, fragt Franz-Dieter Weiß rein rhetorisch.

Der berufliche Erfolg fraß stets am Umfang der Freizeit. Für die Liebe zum Sport war aber immer ein Platz. 1953 war Franz-Dieter Weiß bei Flensburg 08 eingetreten und verfolgte eine Fußball-Passion. Im TKF Flensburg, einer einstigen Abspaltung vom TSB, übte er sich im Geräteturnen. 20 Jahre lang praktizierte er Karate. „Ein hervorragender Ausgleichssport“, findet der Gastronom. Heute spielt er Golf, „wenn es Beweglichkeit und Gesundheit zulassen“.

Mittendrin war Franz-Dieter Weiß, als Ende Oktober das große Hochwasser die ganze „Küste“ lahmlegte. In der Nacht erfasste das Wasser auch die Hansens Brauerei. Es stand bis zu 40 Zentimeter hoch. Es musste unermüdlich gepumpt werden. Und als der Strom abgestellt wurde, behalf man sich mit Eimern und Schiebern. Am Abend gegen 18 Uhr kamen die ersten der 300 Gäste. Das alljährliche Oktoberfest konnte stattfinden. Allerdings war die Elektronik für den Brauprozess beschädigt. Auch Holzfußboden und Türen wurden in Mitleidenschaft gezogen und müssen nach und nach ausgetauscht werden. Ein paar Tage später schaute Ministerpräsident Daniel Günther auch in der „Hansens Brauerei“ vorbei, um sich einen Überblick über die Hochwasserfolgen in Flensburg zu verschaffen.

Beruflich lässt es Franz-Dieter Weiß sonst etwas ruhiger angehen. „Ich bin noch voll dabei“, betont Franz-Dieter Weiß. „Ich gehe aber nicht mehr von Tisch zu Tisch.“ Hinter den Kulissen behält er alles im Blick, sitzt oft in seinem Büro. „Ich kann nicht ohne, einfach nichts machen ist doch keine Lösung“, zuckt er mit den Schultern.

Franz-Dieter Weiß

Text: Jan Kirschner
Fotos: privat  

  

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