Bei schönem Wetter sitzt Harald Jacobsen gerne auf dem Nordermarkt und trinkt einen Cappuccino. Eine der vielen Gastronomien löst bei ihm nostalgische Gefühle aus. Dort, wo heute das „Café Central“ seine Gäste empfängt, residierte einst die „Flensborg Avis“. Die zweisprachige Zeitung der dänischen Minderheit ist seit einem halben Jahrhundert der Arbeitgeber des Journalisten. Und der hat noch genau in Erinnerung, wie es damals war. Die Große Straße 83 hatte im Erdgeschoss einen Empfangsbereich. Hier saß die Administration, und auch ein Gemüsehändler bot seine Waren an. Die Mitglieder der Redaktion nahmen einen kleinen Gang zwischen den Häusern und gelangten über ein Treppenhaus in den ersten Stock. „Hinter diesem zugemauerten Fenster saß die Sportredaktion“, zeigt Harald Jacobsen auf die Fassade.
Seit 50 Jahren lebt er mit der „Flensborg Avis“ – und nur 20 Jahre lebte er ohne sie. Er wurde am 4. Mai 1951 in der Norderallee 19 geboren – ausgerechnet die Hausnummer, die heute die „Flensborg Avis“ im Wittenberger Weg hat. Das Haus seiner Jugend lag zwischen „Sonnberg Rum“ und „Piet Henningsen“. Den Hafen im Blick, da weckten die Förde-Dampfer durchaus das Interesse des Jungen. Noch lieber war ihm aber der Fußball. Der kleine Harald schloss sich allerdings zunächst keinem Flensburger Klub an, sondern dem TSV Nord Harrislee. Der Grund: Vater Kurt war ein ambitionierter Tischtennisspieler, mehrfacher Stadtmeister und schlug für den TSV Nord auf, zusammen mit Heie Jacobsen und Peter Toft, dem bis kürzlich langjährigen Vorsitzenden des TC Mürwik. Da war es naheliegend, dass sich nicht nur die Sportbegeisterung, sondern auch die Vereinsmitgliedschaft auf seinen Sohn Harald übertrug.

Harald besuchte zunächst die Christian-Voigt-Schule in der Schloss­allee, dann das Alte Gymnasium. Dort tauchte eines Tages ein junger Referendar auf: Wilfried Tetens. Dieser war Harald Jacobsen als aufstrebender Handball-Schiedsrichter bekannt. Die Schulzeit endete mit der Mittleren Reife. Es folgte beim Finanzamt eine Ausbildung zum Steuerassistenten, dann die Bundeswehr. Der junge Flensburger hatte ein Heimspiel: ein Jägerbataillon in der Briesenkaserne. An einem Wochenende entspannte er bei seinen Eltern. Doch ein unscheinbarer Anruf sollte den weiteren Lebensweg entscheidend beeinflussen.
Am Apparat: Ernst Helmut „Helle“ Burghardt. Dieser war Fußball-Trainer von DGF Flensborg und zugleich Sportchef der „Südschleswigschen Heimatzeitung“. Bei den Kickern herrschte Personalnot, sodass sie für ein Turnier ihre Mannschaft mit einem Jungspund auffüllte. Harald Jacobsen stellte sich ins Tor – und den Fragen des Redakteurs, der das Sportwissen des Jünglings überprüfte. „Da zog ich mich gut aus der Affäre“, erinnert sich Harald Jacobsen. „Ich spielte nicht nur Fußball, ich war ja auch schon beim Boxen und beim Feldhandball und hatte Kontakte zum Rudern und zum Schwimmen.“
Ein paar Tage später in der Briesenkaserne. Plötzlich hieß es: „Telefon, die Presse!“ Wieder war es „Helle“ Burg­hardt. Er brauchte dringend einen Schreiberling. An einem Sonntag im August 1971 feierte Harald Jacobsen seine Premiere als freier Mitarbeiter. Er besuchte am frühen Nachmittag die FTB-Fußballer am Schützenhof, eilte schnell nach Hause in die Waldstraße, um einen Text auf Papier vorzuschreiben und meldete sich um 17 Uhr auf dem Nordermarkt. In den Zeitungsräumen tippte er in die Schreibmaschine – und bald konnte sein erster Bericht zur Druckerei.

Da der 20-Jährige bei der Bundeswehr in der Schreibstube gelandet war und die Straf- und Urlaubspläne erstellte, konnte er Wehrdienst und Sportbetrieb gut in Einklang bringen. Und direkt danach bot ihm der Journalismus ein relativ gutes Einkommen, sodass er sich eine Wohnung im Junkerhohlweg, einen hellblauen Kadett und eine rothaarige Verlobte leisten konnte.
Harald Jacobsen schrieb auf Deutsch. Die „Südschleswigsche Heimatzeitung“ war die deutschsprachige Zeitung der dänischen Minderheit. Im selben Gebäude saß die „Flensborg Avis“, die damals nur auf Dänisch erschien. 1974 fusionierten beide Zeitungen zu einer zweisprachigen Publikation. Harald Jacobsen konnte nur Deutsch, schnappte bei DGF aber immer mehr dänische Brocken auf. Immer wieder besuchte er nördlich der Grenze eine Hojskole, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, ehe 1992 ein Viermonats-Sprachkurs anstand: „Danach konnte ich Dänisch fast perfekt“, erzählt der Journalist. „Aber ich schrieb trotzdem nur selten auf Dänisch, da ich dafür doppelt so lange gebraucht hätte.“

Seine eigenen sportlichen Aktivitäten dominierte lange Zeit der Fußball. Über Umwege gelangte er zum Handball. Er mischte bei der Betriebssportmannschaft des Finanzamtes mit, die mit Günter Wilkat sogar einen B-Nationalspieler in ihren Reihen hatte. Am Wirtschaftsgymnasium in der Marienallee etablierte sich eine Handball-AG, die es zur Schul-Europameisterschaft brachte. Spieler wie Boy Boysen, Rüdiger Vollmer oder Wilhelm Thomsen landeten später mit dem TSB Flensburg in der Handball-Bundesliga.
Harald Jacobsen begann auf Vereinsebene ganz unten. Ein Klassenkamerad am Wirtschaftsgymnasium nahm ihn mit zum TSV Munkbrarup, wo gerade ein Männerbereich aufgebaut wurde. Der Novize landete im Tor. „Vom Tischtennis hatte ich gute Reflexe, Angst habe ich sowieso nicht, und vom Fußball und Tischtennis hatte ich das Auge für lange Pässe und das Stellungsspiel“, erklärt er rückblickend. Mit Munkbrarup glückte der Durchmarsch von der Kreisklasse C in die Kreisliga. „Ich hatte sogar zwei Angebote aus der Bezirksliga, die ich ablehnte“, verrät Harald Jacobsen. „Es wäre wohl die Oberliga möglich gewesen, aber das Wochenende gehörte nun einmal dem Sportjournalismus.“
Nebenbei trainierte er Jugendteams. Schon bald lotste DGF ihn in seine weibliche Handball-Abteilung: Zunächst brachte er den ganz kleinen Mädchen das Handball-ABC bei, dann der D-Jugend. „Nach uns folgte immer die C-Jugend“, erinnert sich der 70-Jährige. „Deren Trainerin kam oft zu spät – und einmal gar nicht.“ Harald Jacobsen sprang ein, was offenbar auf so viel Gefallen stieß, dass aus der Aushilfe ganze sechs Jahre wurden. Zum Abschied sagte das Team: „Du warst nicht nur als Trainer immer für uns da, sondern auch als Mensch.“ In der Sitzung der DGF-Abteilung – es muss 1982 gewesen sein – vergaß man den gelobten Handball-Trainer allerdings. Alle anderen erhielten einen Posten, nur er nicht.

Harald Jacobsen wunderte sich, wollte aber nicht betteln. Stattdessen kontaktierte er Hans-Peter „Heie“ Jacobsen, den Handball-Macher vom TSV Nord. Diesen kannte er vom Tischtennis, ab und an hatte er bei ihm als Trainer hospitiert. Nun gelangte er als Co-Trainer bis in die höchsten Spielklassen des Frauen-Handballs. Und als bei der A-Jugend ein Notstand herrschte, übernahm Harald Jacobsen dieses Team. „Zum ersten Training erschienen nur sechs Spielerinnen“, verrät er mit einem Schmunzeln. „Die Torhüterin, die aus Jarplund wechseln sollte, war zum Glück nicht da – sonst wäre es wohl nicht zum Wechsel gekommen.“ Der Übungsleiter zog zwei B-Jugendliche hoch und formte ein starkes Team. Er selbst war mit zu 140 Kilogramm ein Schwergewicht und scherzte gerne: „Ein Trainer ohne Bauch ist wie ein Ball ohne Luft.“
Beruflich war lange Zeit noch Luft nach oben. Am Wirtschaftsgymnasium hatte Harald Jacobsen das Abitur nachgeholt und genoss das Leben eines Singles. Anfang der 80er Jahre agierte er im Alltag als Arbeitsvermittler und am Wochenende als Sportjournalist. „Dann musste ich mich entscheiden: Arbeitsamt in einer anderen Stadt oder Sport in Flensburg“, betont er. „Davon erzählte ich auch Harald Helmer, dem Sportchef der Flensborg Avis.“ Er erhielt einen Vertrag über 1600 D-Mark. Redakteure verdienten damals um die 2000 D-Mark. Allerdings saß Harald Jacobsen nur zum Teil in der Sportredaktion. Unter der Woche sollte er vormittags in der Technik den Schreibdienst erledigen. „Da habe ich nur kurze Texte bekommen und besorgte hauptsächlich Kaffee oder Eis“, schmunzelt der Journalist.

Von 1991 bis 1993 absolvierte er ein Volontariat. Er wurde Redakteur und später sogar Leiter der Sportredaktion, ehe er ab 2005 allmählich seinen Abschied in den Ruhestand vorbereitete und auf 80 Prozent wechselte. Harald Jacobsen begegneten viele interessante Persönlichkeiten. „Faxe“ Jörgensen, der erste dänische Handballer der SG Flensburg-Handewitt, interviewte er einst auf dem Nordermarkt. Als besonders „schillernd“ ist Helmut Schumann, Sportfunktionär und SBV-Größe, in Erinnerung geblieben. Der Kontakt war rege zu Manfred Werner, Hans-Walter „Buschi“ Martens oder Günter Ahlers, die den regionalen Handball nach vorne brachten. Zu seinen Gesprächspartnern zählten etliche Schiedsrichter, aber auch prominente Fußball-Trainer wie Otto Rehhagel oder Felix Magath, die bisweilen mit ihren Klubs im Flensburger Stadion gastierten.
In den 90er Jahren wohnte Harald Jacobsen in Kollund, ganz in der Nähe eines Hot-Dog-Standes und des Schiff­anlegers. Die „Flensborg Avis“ saß zwar nicht mehr am Nordermarkt, sondern im Gewerbegebiet West, doch der Journalist ließ es sich nicht nehmen, seinen Arbeitgeber auch mal auf dem Seeweg anzusteuern. Dann frühstückte er an Bord, stieg nach 15 Minuten an der Flensburger Hafenspitze aus, ging zu Fuß zum ZOB und fuhr mit dem Bus in den Wittenberger Weg zu seiner Zeitung. „Eine knappe Stunde war ich unterwegs“, verrät er. „Im Sommer habe ich mir das bestimmt einmal die Woche gegönnt.“ Mit Auto ging es deutlich schneller: in nur zwölf Minuten.

Zur Jahrtausendwende war Harald Jacobsen viel mit der aufstrebenden und international agierenden SG Flensburg-Handewitt unterwegs. Zu den Bundesliga-Spielen fuhr er im Mercedes eines Sponsors mit, bei europäischen Einsätzen saß er oft im selben Flieger wie die Mannschaft. 2001 in Leon feierte er einen Europapokal-Triumph und begoss abends am Tresen zusammen mit Torwart-Legende Jan Holpert und einem Mäzen den gemeinsamen Geburtstag. Ein Jahr später berichtete er über einen handfesten Tumult in Ciudad Real. Und immer wieder wunderte er sich über manche „Blüte“ im Journalismus und verteidigte gern die Zunft der Übungsleiter gegen allzu harsche Kritik. „Ein Trainer weiß selbst am besten Bescheid über seine Mannschaft“, weiß Harald Jacobsen aus eigener Erfahrung. „Er kann höchstens Empfehlungen gebrauchen, aber doch keine Forderungen, wie er etwas zu machen hat.“ Den tragischen Höhepunkt erlebte Harald Jacobsen bei der Frauen-Weltmeisterschaft 1997 in Berlin. Während des Halbfinals erstach ein betrunkener deutscher Fan zwei ebenfalls alkoholisierte dänische Anhänger. Der Journalist saß nur wenige Reihen unterhalb des Tatorts und sah, wie der dänische Mannschaftsarzt vom Spielfeld auf die Tribüne eilte. „Ich wusste, dass er kein Deutsch kann und kam als Dolmetscher dazu“, berichtet der Reporter. Kurz darauf übersetzte er die Pressekonferenz zu diesem tragischen Vorfall für das dänische Fernsehen.

Seinen Einsatz für „Flensborg Avis“ schraubte Harald Jacobsen altersbedingt immer weiter herunter. Eine 450-Euro-Vereinbarung gehört bereits der Vergangenheit an. Als freier Mitarbeiter machte er die 50 Jahre voll. Auch als 70-Jähriger springt er am Wochenende manchmal ein, wenn beispielsweise DGF kickt. Als Privatier besucht er gerne die Nord-Frauen. Das regionale Sportgeschehen interessiert ihn weiterhin. Als Handball-Trainer betreute er zuletzt bei einem Turnier eine Bezirksauswahl. Dieser bunte Haufen schlug sich so gut, dass Harald Jacobsen fast Co-Trainer bei einem Drittligisten geworden wäre.
Fußball schaut er gerne am Fernseher. „Ich freue mich über Niederlagen des FC Bayern in der Bundesliga und über seine Siege auf internationaler Bühne“, grinst Harald Jacobsen. Er hat eine Patentochter, die nördlich der Grenze mit ihren drei Kindern lebt. Häufiger wird das „Opa-Taxi“ gerufen. Und wenn Zeit für Muße ist, begibt er sich von der westlichen Höhe in die Innenstadt und genießt einen Cappuccino. Oder auch zwei.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat

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