Erste Waisenhäuser wurden im 16. Jahrhundert in Deutschland gegründet, so u. a. in Lübeck. Dort entstand im Jahr 1546/47 eine der ältesten Anstalten dieser Art in Deutschland. Ein weiteres dieser Häuser wurde 1572 in Augsburg etabliert, in Hamburg eines im Jahr 1597. Die Gründe dafür waren jeweils vielfältig, für die Einrichtung des Hauses in Lübeck war eine schwere Hungersnot im vorausgehenden Winter 1546/1547 der Anlass.

Das erste Waisenhaus in unserem Flensburg wurde erst geraume Zeit später in der heutigen Norderstraße erbaut. Flensburg zählte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa 6.000 Einwohner bzw. Bürger. Das heutige als „Flensborghus“ bekannte Gebäude wurde um 1725 als erstes Waisenhaus der Stadt aus Steinen der damals bereits abgerissenen Duburg errichtet. Die Steine dafür gab der dänische König aus dem Fundus der verfallenen Duburg frei. Für den Bau verantwortlich war der Maurermeister Johann Christian Haedel, der das Gebäude 1724/25 nach dem Vorbild des Waisenhauses „Franckesche Stiftungen“ in Halle an der Saale mit seinen Leuten hochzog.

Als privat handelnde Initiatorin für die Einrichtung eines hiesigen Waisenhauses galt Frau Maria Christina Lorck, die es dann im Auftrag der 
St. Marien-Gemeinde gründete. Unterstützt wurde sie von ihrem Stiefvater, dem Kaufmann Christian Thomsen, und ihrem Onkel, dem Ratsverwandten Jess Lorenzen Lorck sowie von Hans Clausen, dem damaligen Bürgermeister in Flensburg für das Kirchspiel St. Marien von 1721-1741. (Es gab damals die beiden Kirchspiele St. Marien und St. Nikolai).  Außerhalb der Hauptstadt Kopenhagen war es das einzige Waisenhaus im damaligen Gesamtstaat Dänemark und zeigt damit auch die einstmals große Bedeutung Flensburgs in jenem Staat auf.

Flensburgs erstes Waisenhaus – vor 300 Jahren erbaut

Ab dem Jahr 1760 wurde das Waisenhaus um ein sogenanntes „städtisches Zucht- und Arbeitshaus“ erweitert. Der Name lässt es schon vermuten: Die damaligen Waisenhäuser hatten nur sehr wenig gemeinsam mit den heutigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfen. Es waren ausschließlich nur „Aufbewahrungsstätten“ für verwaiste Kinder und Heranwachsende, die sonst keinen Platz in der Gemeinschaft fanden – z. B. bei den eigenen Großeltern oder Verwandten. Diese Einrichtungen glichen häufig eher Gefängnissen oder auch geschlossenen Anstalten. Die dort untergebrachten Kinder erfuhren eine äußerst strenge, meistens auch gewalttätige Erziehung; von einer behutsamen und verständnisvollen Kindheit war keine Rede. Es waren eben rauere Zeiten damals … mit dem Jetzt und Heute in keiner Weise zu vergleichen.

Seine Funktion als „Städtisches Waisenhaus“ behielt das Gebäude bis ins Jahr 1813 bei. Für die damalige Zeit galt das Haus, in dem rund 50 Kinder untergebracht waren, als durchaus luxuriös und komfortabel.

Das seit 1807 im Krieg befindliche Dänemark (an der Seite Napoleons) hatte in 1813 den Staatsbank­rott erklären müssen, so waren auch die meisten Flensburger Bürger vom damit einhergehenden wirtschaftlichen Niedergang betroffen, und viele verarmten in jener Zeit. 

Ab besagtem Jahr 1813 befand sich in jenem Gebäude anfangs eine sogenannte „Spinnschule“. Spinnschulen erfüllten ihren Zweck in der Aufbewahrung von Kindern, deren Eltern oft den ganzen Tag bei ihren Dienstherren oder auf den Bauernhöfen des Umlandes beschäftigt waren, sie in ihrer schulfreien Zeit zu beaufsichtigen und sinnvoll zu beschäftigen.

Später wurde ebendort eine Suppenküche für arme und bedürftige Bürger Flensburgs eingerichtet.

Flensburgs erstes Waisenhaus – vor 300 Jahren erbaut

Flensborghus in den letzten 150 Jahren

Nach dem Ende des Deutsch-Dänischen Kriegs (von Februar bis Oktober 1864) wurde das Gebäude umgebaut und als preußische Kaserne genutzt; ab 1893 wurde es zu einem „Hotel“ umgebaut. Ab 1894 wurde das Haus als Hotel- und Gaststättenbetrieb genutzt; zuletzt bekannt unter dem Namen „Hotel Nordischer Hof“.

Nach der Volksabstimmung im Jahr 1920 wurde das Gebäude an den dänischen Kulturverein Grænseforeningen verkauft. Heute sind hier mehrere teils politische Vereine zu finden, die sich für die Interessen der dänischen Minderheit einsetzen, wie beispielsweise der Südschleswigsche Verein (SSF), die Dänische Jugendorganisationen in Südschleswig (SdU), der Landesverbandes des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) und die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen.

Gibt es heute noch Waisenhäuser in Deutschland?

In Deutschland gibt es heutzutage keine Waisenhäuser alten Stils mehr. Die allermeisten Kinder, die heute in Deutschland zu Vollwaisen werden, kommen entweder bei nahen Verwandten oder aber in Pflegefamilien unter. In den Kinderheimen – die Bezeichnung Waisenhaus ist nicht mehr üblich – werden nicht mehr vorrangig Waisen betreut, sondern meistens Kinder, die vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht wurden.

Kann das betroffene Kind also nicht in der Obhut von Verwandten bleiben, kommt es in der Regel in eine Pflegefamilie, die sich für die erste Zeit um das Kind kümmert.

Waisen in Deutschland – kein Thema mehr?

Die Mutter und den Vater im Kindesalter zu verlieren, dieser Vorstellung haftet von jeher etwas Schreckliches an. In Deutschland leben aktuell etwa 800.000 Kinder, die einen oder beide Elternteile verloren haben. Doch ihr Schicksal ist in der Öffentlichkeit nicht besonders präsent. Nun sind die Zeiten, in denen Waisenkinder in Heimen oder auf der Straße landeten, hierzulande längst vorbei. Schließlich greifen in Deutschland die sozialen Sicherungssysteme. Doch die staatliche soziale Absicherung reicht nicht unbedingt dafür aus, um diesen Kindern und Jugendlichen einen fairen Start ins Leben zu ermöglichen. Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung haben Kinder, die in jungen Jahren ein Elternteil verlieren, eine schlechtere Allgemein- und Ausbildung. Sie fangen eher mit einer Berufsausbildung an und müssen auch finanziell eher für ihr Auskommen sorgen als Nicht-Waisen. In den meisten Fällen werden Kinder zu Halb-Waisen, weil der Vater und gleichzeitig der Hauptversorger verstorben ist. Oftmals bedeutet dieser Verlust auch eine soziale Ausgrenzung. Verwitwete Mütter und Väter fallen durch die gesellschaftlichen Raster, ihre Kinder werden ständig daran erinnert, dass in ihrem Familienleben vieles anders ist als bei Gleichaltrigen. Der Verlust eines oder beider Elternteile gehört fortan zu ihrer Biographie, beim Abholen im Kindergarten, beim Fußballspiel, am Elternabend.

Wer kann „Pflegefamilie“ werden?

Eltern mit Kind oder Kindern, aber auch kinderlose Paare, können Pflegeeltern sein. Einige Voraussetzungen müssen gegeben sein: Eine Altersgrenze ist zwar nicht festgelegt, ein natürliches Verhältnis zwischen dem Alter des Kindes und dem Alter der Pflegeeltern (eine Generation älter) ist wünschenswert. Wenn die Kinder klein sind, ist es gut, wenn ein Elternteil nicht berufstätig ist. Zudem brauchen Pflegekinder geordnete, gesicherte Verhältnisse und die Bereitschaft der Pflegeeltern zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden. Ebenso ist es sehr wichtig, dass die Wohnung oder das Haus groß genug sind, um ein zusätzliches „Familienmitglied“ aufnehmen zu können.

Menschen, die sich entscheiden, ein Pflegekind aufzunehmen, sollten sich ihrer Entscheidung ganz sicher sein. Sie sollten belastbar und bereit sein, auf lange Zeit viel zu geben und dabei zu akzeptieren, dass das Kind Eltern hat, die selbst bei Abwesenheit in seinem Leben ihre Bedeutung haben.

Deshalb sind Verständnis und Einfühlungsvermögen für die besonderen Bedürfnisse des Kindes und auch für die besondere Situation der Herkunftsfamilie unabdingbar. Und schließlich sollten Pflegeeltern sich zeitlich und menschlich umfassend um die Versorgung und Erziehung des Kindes kümmern können.

Bevor man diese doch wichtige und ins Familienleben einschneidende Aufgabe übernehmen möchte, sollte mit der eigenen Familie darüber gesprochen und diskutiert werden; das Einverständnis aller Familienmitglieder für die Aufnahme eines Pflegekindes ist ein wesentlicher Faktor für eine später funktionierende Pflegefamilie.

Flensburgs erstes Waisenhaus – vor 300 Jahren erbaut

Der Pflegekinderdienst der Stadt Flensburg – jederzeit ansprechbar

Vor der Aufnahme eines Pflegekindes bietet der Pflegekinderdienst der Stadt Flensburg ein Vorbereitungsseminar an, das über 40 Unterrichtseinheiten beinhaltet und sämtliche relevanten Bereiche für das Leben mit einem oder mehreren Pflegekindern abdeckt. Zu den Inhalten gehören rechtliche und pädagogische Grundlagen ebenso wie der Einblick in die Psyche eines seelisch verletzten Kindes. Bereits praktizierende Pflegeeltern berichten den Teilnehmer/innen aus dem Alltag mit Pflegekindern.

Der Pflegekinderdienst berät Eltern, Pflegeeltern und Pflegekinder in allen Fragen, die das Pflegeverhältnis betreffen, er vermittelt Kinder in geeignete Pflegefamilien, unterstützt Kontakte zwischen Pflegefamilie, Kind und Herkunftsfamilie.

Weitere Informationen finden interessierte Leserinnen und Leser auf der Homepage der Stadt Flensburg, dort steht in der Broschüre „Pflegekinderdienst in Flensburg“ alles Wissenswerte über dieses komplexe Thema.

Ansprechpartner/innen im Pflegekinderdienst der Stadt Flensburg

Postanschrift:
Stadt Flensburg
Fachbereich Jugend
Sozialpädagogische Dienste / Pflegekinder / Adoptionen
Rathausplatz 1
24931 Flensburg

Telefon: 0461/85 0

E-Mail: Adoption-und-Pflegekinder@Flensburg.de 

Text: Peter Feuerschütz
Fotos: Rasmus Meyer, Flensborghus 

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