Viele sehen Widersprüche als Fehler, gebrochene Berufslaufbahnen als Versagen und Sinneswandlungen als Schwäche an. Umdenken, neue Perspektiven einnehmen, sich in Frage stellen, ja sogar Scheitern, können auch einen Menschen auszeichnen, der sich im Laufe seines Lebens entwickelt, bereit ist umzudenken, Kreativität freisetzt und in der Lage ist, Menschen zu begeistern.
Ekkehard Krügers Lebensweg begann 1940 in Detmold so gradlinig vorhersehbar, wie es Eltern nur wünschen können. Er besuchte die Grundschule in der ostwestfälischen Stadt mit heute 75.000 Einwohnern. Schon dort, so erinnert er sich, wurde ein Samenkorn gelegt, das sein späteres Denken und Handeln beeinflussen sollte. Es war keine „normale“ Grundschule. So lernten die Kinder nach der Ganzheitsmethode nach Prof. Wittmann aus Kiel das Lesen; nicht Buchstabe für Buchstabe wurde letztlich zu einem Wort zusammengefügt, sondern die fälschlicherweise als ABC-Schützen benannten Jungen und Mädchen sollten Wörter „ganzheitlich“ erfassen. Also nicht „M-u-t-t-i“, sondern „Mutti“ als Wortbild.
Zumindest für Ekkehard Krüger endete das Reformmodell in Detmold erfolgreich. Er wechselte 1951 zum Altsprachlichen Gymnasium der Stadt und schaffte 1961 sein Abitur. Aktiv und sprachgewandt war er schon während der Schulzeit. Aktiv im CVJM, den Pfadfindern, als „Jugendschaftsführer“ und sprachgewandt als Leiter des Detmolder Jugendforums, einer Diskussionsplattform für OberstufenschülerInnen aller Schulen.
Die Fähigkeit zum Führen und Organisieren kam ihm auch während der zweijährigen Bundeswehrzeit zugute. Dass er Jahre später, 1974, den Kriegsdienst verweigerte, war weder der erste noch der letzte Bruch in seiner Vita.
In den folgenden neun Jahren wurde er seinem Lebensmotto gerecht, einem Leitspruch, den schon Goethe formuliert hatte: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden.“
Beim ersten Ansehen eine Binsenweisheit, birgt sie einen wesentlichen Kerngedanken, der Ekkehard Krügers Lebensweg prägen sollte. Während er so abgehoben erscheinende Fächer wie Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie und Gesellschaftswissenschaften in Marburg, Berlin und Münster studierte, leitete er gleichzeitig Zeltlager und musische Camps mit dem wenig wissenschaftlichen Namen „Komödiantentreffen“, später „Cumpania musica“ (kein Schreibfehler). Auch trat er einer Burschenschaft bei, beteiligte sich an der Hochschulgesetzgebung in der Studentenvertretung und war zwei Jahre lang gewählter Führer einer „Landesmark“ bei den Pfadfindern.
In der Rückschau wirkt diese Aufstellung wie die Grundlage für eine eher rechtsorientierte Lebensperspektive. Aber es sollte anders kommen.
Ins gleiche Jahr 1972 fiel seine Promotion zum Dr. phil., und sein Beitritt in die SPD, geprägt von den politischen Entwicklungen jener Jahre. 1972 war das vielleicht politisch ereignisreichste Jahr dieser Epoche. In der Bundesrepublik war zu Beginn des Jahres 1972 der sogenannte „Radikalenerlass“ ergangen, nach dem Beamte nicht Mitglied in einer extremistischen Organisation sein durften. Wenn auch erfolglos, wurde intensiv nach Mitgliedern der RAF gefahndet. Im Mai wurde von der Roten-Armee-Fraktion ein Bombenanschlag auf das im IG-Farben-Haus in Frankfurt am Main stationierte 5. US-Korps verübt, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Weitere 13 Menschen wurden schwer verletzt. Wenige Tage später wurde das Auto von Bundesrichter Wolfgang Buddenberg in die Luft gesprengt. Die Spannungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik verschärften sich.
Als herausragende Figur wirkte Willy Brandt, Vorsitzender der SPD und Bundeskanzler. Für viele Vorbild und Anlass, der SPD beizutreten, für andere Feindbild, weil er für weniger spannungsgeladene Beziehungen zur DDR warb. Nach einem Misstrauensvotum von CDU/CSU stellte Brandt die Vertrauensfrage, bei der sich eine Mehrheit im Bundestag gegen ihn entschied. Es kam zu Neuwahlen mit hohen Gewinnen der SPD. Sie konnte mit der FDP zusammen eine neue Regierung bilden. Brandt wurde wieder zum Bundeskanzler gewählt. Doch das Jahr 1972 war noch nicht zu Ende, das Jahr der Olympischen Spiele in München. Palästinensische Terroristen der Organisation „Schwarzer September“ verübten einen Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft, bei dem die Sportler als Geiseln genommen wurden. Bei dem Versuch der Polizei die israelischen Geiseln zu befreien, kamen fünf Terroristen und elf Geiseln ums Leben.
Für Ekkehard Krüger war das Jahr 1972 eine weitere Zäsur in seinem Leben. Er verließ die Bundeswehr, wurde zwei Jahre später als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Fast zur gleichen Zeit bekam er eine Anstellung bei der Akademie Sankelmark als Dozent und Studienleiter, zuständig für die politische Erwachsenenbildung. Ein Jahr später heiratete er Helga Gutowski, eine Lehrerin.
„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“
Vielleicht war es dieses Goethe-Motto, das ihn seine theoretische Arbeit an der Akademie kritisch sehen ließ. Er wollte tun, verwirklichen, nicht nur theoretisieren und reden. Er kündigte seine sichere Position in Sankelmark und suchte eine neue Wirkungsstätte, fand sie in Dänemark auf dem Jugendhof Knivsberg bei Aabenraa. Der Knivsberg ist eine Einrichtung der deutschen Minderheit in Dänemark. Er wurde schließlich zum Leiter der Einrichtung ernannt. Ekkehard Krüger mochte keinen Stillstand, gab sich mit der mehr nach innen gerichteten Aktivität des Knivsbergs nicht zufrieden und warb an dänischen Schulen für die Mitarbeit in der Bildungsstätte. Das fiel bei den Dänen auf Interesse, beim deutschen Schulverein dagegen auf Kritik. Ekkehard Krüger betont immer wieder, dass er mit dem, was er tut, mit sich selbst im Einklang sein müsse. Anpassung ja, aber nicht sich verbiegen lassen. Die Konsequenz war, dass er 1978, nach gut einem Jahr Tätigkeit in Dänemark, seinen Posten kündigte, mit der Folge nun arbeitslos zu sein aber nicht beschäftigungslos.
Mit der Vergrößerung der Familie wuchsen neue Perspektiven und Aufgaben. 1976 wurde der Sohn Tim geboren, ein gutes Jahr später die Tochter Lene. Während Ekkehard Krüger in dieser Zeit freiberuflich als Dozent und Seminarleiter in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig war, holte ihn, im positiven Sinne, die Vergangenheit ein. Schon seine Mutter war anthroposophisch ausgerichtet, interessierte sich für die Lehren von Rudolf Steiner, der die Bewegung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts begründet hatte. Sichtbares Ergebnis seiner Weltsicht sind die Waldorfschulen und Kindergärten, in die Krüger auch seine Kinder schickte. Die Anthroposophie versucht, Elemente des deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, christlicher Mystik, fernöstlicher Lehren sowie der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu Steiners Zeit miteinander zu verbinden. Gegen das aus der Sicht Steiners einseitige Erfassen der Realität mit den Sinnen, der Anthropologie, stellte er eine „eine umfassende (kosmologische) Anschauung des Menschen und der Welt.“
Ganz im Sinne des Goethewortes ging es Ekkehard Krüger nicht nur um das Wollen, sondern um das Tun. Er arbeitet seit 1978 im Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik Flensburg e. V. mit und war vier Jahre lang in dessen Vorstand. Bis heute spiegeln die „Flensburger Hefte“, deren Vorgänger er mitbegründete und herausgab, das Konzept der Waldorfpädagogik wider. 1980 wurde der erste Waldorfkindergarten gegründet. Zwei Jahre später folgte die Waldorfschule Flensburg. Krügers Kinder besuchten beide Einrichtungen. Die Mitarbeit im Verein Waldorfpädagogik verlief nicht konfliktfrei. Der Anspruch der Waldorfschulen-Lehrer auf das Bildungsmonopol kollidierte mit dem Anspruch der Eltern auf gemeinsame Zielsetzung. Krüger verließ 1982 seinen Vorstandsposten.
Im gleichen Jahr setzte Ekkehard Krüger erneut Wollen in Tun um und baute die Erwachsenenbildungsstätte „Johannishof“ in Freienwill auf. Der Zielsetzung, der Vermittlung eines ganzheitlichen Menschenbildes, blieb der streitbare Pädagoge treu.
Im Johannishof, einer „Arbeitsstelle für ganzheitliche Lernerfahrungen“, trafen sich Menschen unterschiedlichster Voraussetzungen, nicht zuletzt zahlreiche Arbeitslose. Zunächst durch das Arbeitsamt gefördert, verlor die Institution zunehmend die finanzielle Basis und musste 1990 geschlossen werden.
Ekkehard Krüger war damit erneut arbeitslos. Mit ein wenig Ironie kann man dann seine Anstellung 1992 an der Hanse-Akademie in Erfurt ansehen. Dort sollte er arbeitslose, ehemalige DDR-Bürger für akademische, technische und sozialpädagogische Berufe ausbilden. Als „Verhaltenslehrer“, wie er selbst sagt, sollte er den im Sozialismus aufgewachsenen Menschen die Regeln des kapitalistischen Wirtschaftssystems vermitteln. Schon mit Ausblick auf eine Langzeitbeschäftigung reisten er und seine Frau nach Erfurt. Doch es folgte die Ernüchterung. Wie nicht selten in jener Zeit nach der Wende, bot sich ein Bewerber „zum halben Preis“ für die Stelle an. Ekkehard Krüger reiste ohne Arbeitsvertrag zurück nach Flensburg.
Erneut arbeitslos, aber nicht beschäftigungslos. Schon zuvor war der umtriebige Flensburger an der Gründung des Bildungswerkes „Anderes Lernen“ beteiligt, der heutigen „Heinrich-Böll-Stiftung“ und arbeitete in der „Kommission Weiterbildung“ der Landesregierung mit. Nach dem kurzen Gastspiel in Erfurt wurde er von einem ehemaligen Bekannten angesprochen, ob er nicht bei der Deutschen Angestellten Akademie arbeiten wolle. Nicht nur gesagt, sondern getan. Von 1991-1997 war er Leiter der „Akademie für Fach- und Führungskräfte Schleswig-Holstein“, später „Norddeutschland“ bei der DAA.
Das große Thema jener Zeit „Lean Management“. Die oft mehrstufigen Führungshierarchien in Verwaltung und Unternehmen sollten abgespeckt werden, die Entscheidungswege verkürzt, die Mitarbeit der unteren Ebene verstärkt werden. Doch das Projekt scheiterte. 1997 war Ekkehard Krüger erneut arbeitslos, jedoch nur drei Jahre. Zur Jahrtausendwende ging er in den vorzeitigen Ruhestand. Die Folge war ein verstärktes Engagement für ein Projekt in einem völlig neuen Umfeld, der Kirche. Ganz fremd war ihm der klerikale Raum nicht. Zwar war keiner in der Familie Kirchenmitglied, doch christliches Denken und Fühlen ihm nicht fremd. Insbesondere die Friedensinitiativen, etwa „Christen für die Abrüstung“, ließen ihn nicht unberührt. Ein Schlüsselerlebnis war der Besuch einer Kirchengemeinde anlässlich einer Reise ins Elsass. Der Besuch hatte keinen touristischen Anlass. In Krügers Bauernhaus waren jugoslawische Flüchtlinge aufgenommen worden. Eines Tages waren sie verschwunden, ohne eine Mitteilung zu hinterlassen. Nach einiger Zeit kam eine Anfrage französischer Behörden, wer denn nun die Kosten für die Leute übernehmen würde. Der Kontakt war wieder hergestellt und Ekkehard Krüger reiste in das Elsass, besuchte die Leute. Dabei stieß er auf eine Kirche im nahen Basel, größer als die Nikolaikirche in Flensburg. Eine Kirche, die im doppelten Sinne nicht verschlossen war, wie im Norden üblich. Als sie durch ein Parkhaus ersetzt werden sollte, ergriffen Christen die Initiative und gründeten eine Begegnungsstätte für alle, auch für Minderheiten wie Schwule und Lesben. Neben dem üblichen Gottesdienst gab es Veranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen. Die Kirche blieb als „Offene Kirche“ erhalten. Das Samenkorn war in aufnahmebereite Erde gefallen. Zurückgekehrt, versuchte Krüger den Pastor von St. Nikolai für die Idee der Offenen Kirche zu begeistern und hatte Erfolg. St. Nikolai sollte nicht nur ein Zentrum für die Kirchengemeinde sein, sondern für die ganze Stadt.
Das wiederkehrende Motto „Nicht nur wollen, sondern auch tun“ hatte bei Ekkehard Krüger doppelte Bedeutung. Er engagierte sich zunächst als Nichtkirchenmitglied, etwa bei der Restaurierung der Orgel, trat aber dann 1998 der evangelischen Kirche bei. Das Konzept der Offenen Kirche wurde umgesetzt. Jetzt ist das Gotteshaus häufig Ort von Begegnung, Meditation und Konzerten etwa mit dem dort beheimateten Flensburger Bach-Chor.
Nicht nur Stätte für lebendige Kultur, sondern auch Raum für stille Meditation sollte St. Nikolai werden. Anstoß gab Krügers Beschäftigung mit fernöstlichen Meditationsriten. Die „Weltgemeinschaft für christliche Meditation“ hatte in der Eifel ein Seminar veranstaltet, das den Flensburger tief beeindruckte. Wie schon bei seiner Reise ins Elsass und nach Basel zündete erneut ein Funke. Meditation in die Flensburger Kirche zu bringen, war nun eine neue Herausforderung. Seitdem besitzt Ekkehard Krüger einen Schlüssel zur St. Nikolaikirche und leitet in regelmäßigen Abständen Meditationstreffen, etwa am Mittwoch, dem 07.03.2018 um18.00 Uhr.
„Nicht nur wollen, sondern auch tun“ gilt auch für die ehrenamtliche Arbeit im Seniorenbeirat der Stadt, mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Die Institution gibt es seit 20 Jahren in Flensburg. Für zuletzt zwei Jahre wurden die neun Mitglieder 2016 gewählt. Wahlberechtigt sind alle Flensburger über 60 Jahre. Der Seniorenbeirat berät die städtische Verwaltung in allen relevanten Fragen, vom Verkehrskonzept bis zur Frage „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ Zehn Jahre lang stand Ekkehard Krüger dem Gremium vor, prägte wesentlich dessen Arbeit. Auch ohne die Vorstandstätigkeit lebt er weiter sein Lebensmotto „Nicht nur wollen, sondern tun!“ und bietet der Stadtverwaltung seine Beratung in Fragen des ÖPNV, der Mobilität und der Barrierefreiheit an und der St. Nikolai sein Engagement für die „Offene Kirche“.
Offen ist auch sein Öko-Haus in Fruerlund, offen für Licht und Wärme, für die Nachbarn und vor allem, für neue Ideen.
Bericht: Dieter Wilhelmy,
Fotos: Benjamin Nolte,
Archiv Krüger

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