Es war vor 40 Jahren, am 26. Juli 1978: Die SG Weiche-Handewitt traf auf die deutsche Nationalmannschaft, damals der amtierende Weltmeister. Heiner Brand, Vlado Stenzel, Erhard Wunderlich, Kurt Klühspies und all die anderen Handball-Asse ihrer Zeit tummelten sich im Handewitter Sportzentrum. Beim Gastgeber durften alle Akteure gegen diesen illustren Gegner mitwirken. Auch Dierk Schmäschke, gerade 20 Jahre alt. „Da wäre ich fast rücklings von der Bank gefallen“, schmunzelt er heute noch über seinen Kurzeinsatz in der Schlussminute. Aufs Feld, in die Deckung, einmal mit nach vorne, Abpfiff. Es waren erste Gehversuche in einem Handballverein, mit dem er fast alle Perspektiven seines Sports kennenlernen sollte. Er entwickelte sich vom Linksaußen einer Regionalliga-Truppe zum Geschäftsführer einer europäischen Spitzenmannschaft – ohne den Klub wechseln zu müssen. Dierk Schmäschke ist ein SG-Urgestein mit Wurzeln auf der Geest und an der Westküste. In Nordfriesland wurde er am 2. April 1958 geboren. „Fast hinter dem Deich“, erzählt er. „Mein Elternhaus steht auf der Grenze von Niebüll und Deezbüll, nur wenige Kilometer sind es zum nächsten Koog.“ In der Jugend war Dierk Schmäschke oft an der Nordsee – nach Dagebüll und auf die Inseln. Mit der Familie ging es häufiger nach Sylt, als Schüler und Student jobbte er dort. Die bisweilen rauen und stürmischen Naturgewalten haben ihn geprägt. Er begegnete ihnen mit Ausgeglichenheit, was eine innere Ruhe erzeugte.
Heute ist er nur noch selten in Nordfriesland, wo sich auch seine sportliche Wiege befindet. Turnen, Volleyball und Handball dominierten die Jugend. „Meine beiden Brüder Udo und Torsten sind etwas aus der Art geschlagen“, grinst Dierk Schmäschke. „Sie spielten Fußball, obwohl mein Vater Handballer war.“ Der Senior nahm den Sohn einst mit zum internationalen Städteturnier in Flensburg. Der Junior bewunderte Dukla Prag. Einen Klub, den er bis dahin nur aus den TV-Spielen gegen den VfL Gummersbach kannte und sich sonst hinter dem Eisernen Vorhang verbarg. „Da ist bei mir die Leidenschaft für den Handball erwacht“, erinnert sich Dierk Schmäschke. Die Ballwerfer-Laufbahn nahm Konturen an. Als Mitglied der A-Jugend-Bezirksauswahl hatte er sich für höhere Aufgaben aufgedrängt. Damit war sein Abschied von der Westküste vorprogrammiert, denn alle ambitionierten Vereine lagen in der Nähe der Ostsee: Der THW Kiel, der VfL Bad Schwartau, der TSB Flensburg und die aufstrebende SG Weiche-Handewitt. Der damalige Trainer und SG-Funktionär Henning Lorenzen hatte Dierk Schmäschke entdeckt und nahm Kontakt auf.
Der Zufall – oder besser gesagt: ein Unfall – leitete die Entscheidung herbei. Bei einer umkämpften Handball-Partie brach sich das Talent das Nasenbein, erlitt eine Gehirnerschütterung und wurde krankgeschrieben. Die Einberufung zum Zivildienst verschob sich dadurch um ein Jahr. Dierk Schmäschke musste neu planen. Er wollte eigentlich Medizin studieren – aber erst nach dem Zivildienst, der damals 21 Monate dauerte. Der 20-Jährige wählte eine andere Option: Er zog nach Mürwik, schrieb sich als einer von 800 Studenten an der Pädagogischen Hochschule Flensburg ein und setzte auf die Kombination Deutsch-Sport. Nebenbei spielte er Handball bei der SG. Mit gutem Erfolg. In der zweiten Mannschaft empfahl sich Dierk Schmäschke schnell für höhere Aufgaben. Am 11. November 1978 feierte er in der Regionalliga gegen Arminia Hannover sein offizielles SG-Debüt. „Wir haben nicht auf dem hohen Niveau der heutigen SG gespielt“, erinnert sich der mittlerweile 60-Jährige. „Aber mit einer Regional-Auswahl haben wir den Grundstein für die heutigen Erfolge gelegt.“
Dierk Schmäschke begann 1979 seinen Zivildienst, in der Flensburger Diako. Er war nun in Vollzeit mit Operationen und dem Krankenhaus-Alltag beschäftigt. Er erhielt erstmals Sold und freute sich über ein Entgegenkommen für sein sportliches Hobby. Das Handball-Training verpasste er so fast nie. In dieser Phase sammelte er wichtige Erfahrungen, die ihm in der weiteren Lebensplanung halfen. „Ich habe festgestellt, dass mir der Lehrerberuf doch besser zusagt“, erzählt er. Zudem hätten Freundschaften und der Teamgeist in der SG dazu beigetragen, dass er 1981 auf einen Umzug wegen eines Medizin-Studiums verzichtete und der PH treublieb. Bald folgte das Referendariat in Tarp. Dann ging es über die Grenze – zur deutschen Schule in Tondern. Dierk Schmäschke nennt einen guten Nebeneffekt: „Ich konnte vorher nur ein paar Wörter Dänisch, jetzt verstehe ich fast alles.“ Während des Studiums lernte er seine zukünftige Frau Meike kennen. Beide heirateten 1986. Gemeinsam zogen sie nach Harrislee, lebten zuerst im Mietshaus, bald im Eigenheim. Die Familie wuchs um zwei Kinder. Sohn Niels Oke „schenkte“ seinen Eltern vor Kurzem den ersten Enkel. Tochter Kaja holte das nach, was ihr Vater nur andachte: Sie studierte Medizin. Heute arbeitet sie in der Kinderklinik Kassel und ist mit Michael Müller, Handball-Profi der MT Melsungen, liiert.



Zurück zur Karriere von Dierk Schmäschke. Sie zeigte in den 80er Jahren eine aufstrebende Tendenz. Ein ausverkauftes Handewitter Sportzentrum, in dem selbst Ohnmächtige wegen der Fülle nicht umfallen konnten, wurde spätestens 1981 nach dem knapp verpassten Bundesliga-Aufstieg gegen die Reinickendorfer Füchse immer mehr zur Regel. 1984 dann der endgültige Durchbruch – Bundesliga. „Wir waren wie paralysiert“, erzählt Dierk Schmäschke von den ersten Begegnungen mit Stefan Hecker, Arno Ehret oder Andreas Thiel, die mit einer Überraschung endeten: „Mit denen konnte man reden.“ Die Handball-Stars waren nun regelmäßige Gäste im Handewitter Sportzentrum, das damals 1400 Zuschauer fasste. Die SG-Hymne „Auf in den Kampf“ (Dierk Schmäschke: „Immer noch der beste Einlauf der Liga“) und die brodelnde Stimmung (Dierk Schmäschke: „So laut wurde es nie wieder“) sorgten für Gänsehaut bei den SG-Spielern und Angstschweiß bei den Gegnern. Und die Premieren-Saison endete im Mai 1985 nach einer Berg- und Talfahrt mit einem emotionalen Höhepunkt, als der letzte Spieltag eine nicht eingeplante Niederlage gegen Lemgo parat hatte. „Wir alle schauten dem Abstieg ins Gesicht, es herrschte absolut Stille“, erinnert sich Dierk Schmäschke. Dann, nach vier Minuten, entlud sich die anfängliche Enttäuschung in einen Freudentaumel. Die Bekanntgabe eines überraschenden Resultats aus einer anderen Halle hatte für den Stimmungsumschwung gesorgt. Der Abstieg war vermieden, der Klassenerhalt wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Ein potenter Sponsor drückte den Spielern einen 1000-Mark-Schein in die Hand. Das erste „Gehalt“ der Amateur-Handballer. Dierk Schmäschke musste in seiner Karriere auch zwei Abstiege verkraften und lange Auswärtstouren mit dem Bus („Der Rückweg war gefühlt immer länger als der Hinweg, weil man meistens verlor“) erdulden, doch die positiven Impressionen überwogen. 1988 und 1992 ging es wieder hoch ins Handball-Oberhaus. Die Landesderbys gegen den THW Kiel lösten den einstigen Lokalschlager gegen den TSB Flensburg ab. Und dann gab es noch den Pokal-Knüller gegen den TSV Milbertshofen. „Eines der längsten Spiele der Handball-Geschichte“, schmunzelt Dierk Schmäschke. „Zwei Mal gab es Verlängerung, und permanent wurde das Spiel unterbrochen, weil der Boden gewischt werden musste.“
In 15 Jahren als blitzschneller Linksaußen gab es nur zwei Momente, in denen Dierk Schmäschke kurz vor dem „Absprung“ stand. Das erste Mal in der Serie 1983/84, als er mit einem Wechsel zum TSB Flensburg liebäugelte. Davon nahm er dann aber doch Abstand: Ein Überlaufen zum Lokalrivalen grenzte damals an „Hochverrat“. Ein paar Jahre später folgte eine Offerte vom VfL Gummersbach. „Ich habe mich bei der SG sehr wohl gefühlt“, sagt Dierk Schmäschke und ergänzt nach kurzer Überlegung: „Ich bin wohl auch zu tief mit der Region verwurzelt.“ Am 19. Mai 1993 absolvierte der schnelle Linksaußen sein letztes von 308 SG-Spielen. Natürlich mit seiner Nummer sieben. Seine Funktionärslaufbahn war da bereits im Gange. Es war damals nicht ungewöhnlich, dass die Spieler bei der Organisation mithalfen. So waren es die Handballer, die auf den neuen Plätzen der frisch gebauten Osttribüne die Nummern markierten. Dierk Schmäschke arbeitete zudem am Hallenheft-Dauerbrenner „Konter“ mit, pflegte bald Kontakte zu Sponsoren und Fan-Clubs. 1990, als gerade die SG Flensburg-Handewitt aus der Taufe gehoben worden war, sprach ihn Vize-Präsident Frerich Eilts auf dem Parkplatz an. Fortan gehörte Dierk Schmäschke dem internen Ligaausschuss an, bisweilen als sein Sprecher.
Vom Amateur-Handball sprach niemand mehr. Die Nordlichter hatten große Ziele und passten sich allmählich dem Trend an, der einer Professionalisierung entgegenschritt. 1995 wurden Dierk Schmäschke und Manfred Werner zu den Geschäftsführern einer neuen Bundesliga-GmbH ernannt – zunächst noch auf ehrenamtlicher Basis. Schnell spielte sich unter dem Manager-Duo eine Arbeitsteilung ein. „Alle Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen“, erzählt Dierk Schmäschke. „Aber während Manni als eine Art Außenminister fungierte, wickelte ich den operativen Innenbereich ab.“ Die beiden erfuhren große Unterstützung aus dem begeisterten Umfeld. Interne und externe Netzwerke entstanden, die letztendlich den hiesigen Bundesliga-Handball funktionieren ließen. Dennoch kam Dierk Schmäschke zur Jahrtausendwende an einer Erkenntnis nicht vorbei: „Es ist nebenher nicht mehr zu schaffen, ich muss mich vom Lehrer-Beruf beurlauben lassen.“ Gesagt, getan: Die SG hatte damit ihren ersten hauptamtlichen Geschäftsführer. Die SG wechselte in die neuerbaute Flens-Arena, heimste erste Titel ein. Mehr Zuschauer, mehr Sponsoren, mehr Öffentlichkeitsarbeit und eine Geschäftsstelle – der Aufwand wurde immer größer. Doch 2003 war für Dierk Schmäschke vorerst Schluss. „Ich habe festgestellt, dass ich mich in den neuen Strukturen nicht mehr richtig wiederfinde“, sagte er damals. Die Vereinsführung hatte Thorsten Storm als zweiten, hauptverantwortlichen Geschäftsführer installiert, Manfred Werner in den „Ruhestand“ geschickt und Dierk Schmäschke mehr oder weniger ausgebootet.
Notgedrungen kehrte er in seinen alten Beruf zurück, unterrichtete Deutsch und Sport im nordfriesischen Neukirchen. Doch der Handball-Sabbat währte nicht lang. „Ein paar Tage nach meinem Ausscheiden“, erzählt der studierte Pädagoge, „rief mich Bob Hanning an.“ Der heutige DHB-Funktionär war damals Trainer beim HSV Hamburg und kümmerte sich auch um die Geschicke außerhalb des Spielfelds. Er erzählte dem überraschten Nordfriesen von Problemen und bat ihn um Unterstützung. Dierk Schmäschke bekam einen Berater-Vertrag, blieb aber noch zwei Jahre lang Lehrer und avancierte zum „Phantom“ des HSV. Später wurde er Geschäftsführer und nach einer Umstrukturierung hauptamtlicher Vize-Präsident. Er pflegte ein Netzwerk, das auch Persönlichkeiten außerhalb des Sports erfasste und bis heute hält. Die Hanseaten bewegten sich bald auf halbwegs soliden Bahnen, füllten eine riesige Arena und wurden 2011 deutscher Meister. „In einer Großstadt fällt der Fokus mehr auf das Event“, bilanziert Dierk Schmäschke rückblickend. „Bei der SG steht dagegen eine ganze Region hinter der Mannschaft, hier wird der Handball gelebt.“ Privat änderte sich dadurch einiges. Oft pendelte der Funktionär zwischen Harrislee und Elbe. Um Zeit auf der Autobahn einzusparen, hatte er bald eine zusätzliche Wohnung am „Michel“. Trotz der Abstinenz ließ ihn die SG nie kalt. „Ich habe mich mit dem HSV identifiziert und gerne für ihn gearbeitet“, verrät Dierk Schmäschke. „Im Innern spürte ich aber immer, dass die SG mein Verein ist und bleibt.“
Als er 2011 vor einer allgemeinen Zukunftsentscheidung stand, rief SG-Gesellschafter Mike Lassen an. Es war genau der richtige Zeitpunkt. Gespräche mit dem Beirat fielen schnell auf fruchtbaren Boden. Der „verlorene Sohn“ kehrte zurück. Als Geschäftsführer arbeitete er zunächst im Tandem mit Holger Kaiser, dann alleinverantwortlich. Die Geschäftsstelle an der Schiffbrücke 66 liegt sehr maritim. „Der Blick auf die Förde, der ist schön – das sagen uns auch immer wieder unsere Besucher“, erzählt Dierk Schmäschke, der selbst ein eher abgelegenes Büro bezog. „Ich bin ja viel unterwegs.“ Mit Stolz schaut er zurück. „Wir spielen auf höchstem Niveau“, betont er. „Für unsere eher strukturschwache Region ist es unfassbar gut, was SG und Mannschaft leisten.“ Der Manager selbst hat noch einen Vertrag bis 2021, weiß aber auch, dass es allmählich darum gehen wird, seinen Nachfolger einzuarbeiten. „Das Geschäft ist sehr komplex.“ So komplex, dass nur wenig Zeit bleibt für Hobbys. „Da muss ich selbstkritisch sein“, sagt Dierk Schmäschke. „Ich müsste mehr loslassen.“ Gerne würde er mehr lesen. Im Studium beschäftigte er sich mit den Klassikern, jetzt dürfen es auch gerne Krimis oder philosophisch angehauchte Bücher sein. Oder Reisen: Zu seinem 60. Geburtstag weilte Dierk Schmäschke mit seiner Familie in Südtirol. Auch Musik hört er gerne. Mit seiner Frau hat er in Hamburg praktisch alle Musicals besucht. Er war zu Live-Konzerten von Top-Stars wie Rolling Stones, Michael Jackson, Bon Jovi oder Genesis. Am liebsten ist ihm aber der Sound der „Hölle Nord“. Der Handball und vor allem die SG lassen ihn seit 40 Jahren nicht los…
Bericht und Fotos: Jan Kirschner, Privat, Archiv

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