Die Andenken an eine Schreckensherrschaft sind noch allgegenwärtig, wenn auch etwas versteckt. An der südöstlichen Flanke des Friedhofs „Friedenshügel“ erinnern zwei Gedenksteine mit kyrillischer Schrift an 163 „Ostarbeiter“, an Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. In der nordwestlichen Ecke stehen in mehreren Reihen Kreuze, die für 194 polnische Staatsangehörige aufgestellt wurden: Frauen, Männer und auch ganz kleine Kinder. Einige Schritte weiter befindet sich ein Gedenkstein. Seine Aufschrift: „Den namenlosen Opfern in Ehrfurcht und Gedenken“. Dazu die Jahreszahlen 1933 und 1945.
Die zwölf Jahre der NS-Diktatur brachten vielen Menschen Terror und Tod – und das nicht nur an den Kriegsschauplätzen, sondern auch als böse Konsequenz von Verfolgung, Ermordung und Ausbeutung. So reichten die Greifarme von Antisemitismus und „Holocaust“ bis nach Flensburg, obwohl es damals keine Synagoge oder eine aktive jüdische Gemeinde gab. Aber wie überall im Deutschen Reich wurden bereits 1933 Geschäfte boykottiert. In der Reichspogromnacht 1938 wurde das Schaufenster der „Kleinpreis GmbH“ (Holm 41) eingeschlagen, eine Wohnung verwüstet und das Gut Jägerslust überfallen. Dort wurden junge Erwachsene auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet. In jener Nacht verhafteten Nazi-Schergen die Bewohner und Praktikanten. Die meisten wurden später im Vernichtungslager ermordet.

Jüdische Schicksale in Flensburg
Angesichts dieser mörderischen Ideologie und Akribie möchte man meinen, dass Anfang 1945 kein Jude mehr in Flensburg leben konnte. Doch es gab einige überlieferte Ausnahmen. Zum Beispiel Juliane Waack, die mit ihrer Familie 1930 aus Mecklenburg nach Flensburg gezogen war. Ihr Mann war Protestant, und da sie evangelisch getaufte Kinder hatten, wurde das Paar von den NS-Behörden als „privilegierte Mischehe“ eingestuft.
Repressalien gab es dennoch reichlich. Ehemann Otto verlor als „jüdisch Versippter“ seine berufliche Anstellung beim Arbeitsamt und musste sich als Buchhalter durchschlagen. Juliane Waack bekam den offiziellen Zunamen „Sara“ verpasst und durfte weder Kino noch eine Gastwirtschaft besuchen. Sie verschickte häufiger Päckchen an Verwandte im Ghetto von Theresienstadt und wurde mehrmals von der Polizei vorgeladen. Ende Januar 1945 wurde der „geschlossene Arbeitseinsatz“ per Erlass durchgesetzt. Juliane Waack war aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig, aber Mann Otto und Tochter Irma mussten sich bei einer Flensburger Fischkonservenfabrik einfinden. Sohn Heinrich verrichtete im Fliegerhorst Zerbst (Anhalt) schwerste Erdarbeiten.
Helma Winzenburg, in Flensburg seit ihrer Eheschließung 1926, gehörte der evangelischen Kirche an, hatte aber vier jüdische Großeltern. „Es brauchte nur an unserer Tür zu klingeln, dann zitterte ich schon vor Angst, dass ich jetzt auch abgeholt werden sollte“, erzählte sie einmal. Eine Ärztin protokollierte in der Nachkriegszeit über dieses schwere Seelenleiden: „Nur ihrem starken Pflichtgefühl als Frau und Mutter ist es zu danken, dass sie nicht aus dem Leben ging.“
Ein weiteres Beispiel: Erich Katz. Als er in die Kriegsmarine eintrat, trat er zum evangelischen Glauben über. Später war er Vorsteher des Marineverpflegungsamtes Wilhelmshaven und zog 1932, direkt nach seiner Pensionierung, mit seiner in Flensburg geborenen Frau in die Fördestadt. Im Sommer 1939 bekam Erich Katz unangenehme Post. Er wurde nun als „Volljude“ eingestuft, die Pension wurde ihm gekürzt, und die Gestapo forderte ihn zum Verlassen der Stadt auf. Er kontaktierte sein Netzwerk. „Eine vorwurfsfreie nationale Gesinnung“, bescheinigte ihm der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Danach ruhte die Angelegenheit zunächst, das Ruhegehalt wurde aber nicht wieder aufgestockt. Bald beschlagnahmte ihm die Gestapo das Radio, und als er im Dezember 1941 aufgefordert wurde, in der Öffentlichkeit einen „Judenstern“ zu tragen, ging Erich Katz nicht mehr vor die Haustür – und das bis Kriegsende.
Im Sommer 1943 trafen Witwe Gertrud Schlüter und Tochter Ruth in Flensburg ein. Sie gehörten zu den „Ausgebombten“ aus Hamburg. Sie legten im Rathaus bewusst keine Papiere vor, da sonst das „jüdisch“ aufgefallen wäre. Sie befürchteten zwei Jahre lang, dass man nach ihnen suchen würde. In der unmittelbaren Nachkriegszeit lebten schließlich auch einige Juden in Flensburg, die aus Osteuropa flüchteten oder in einem Konzentrationslager gesessen hatten.

Unterdrückung und Terror gegen Andersdenkende
Verfolgung und Ermordung drohten auch anderen Gruppen: religiösen Minderheiten, Sinti und Roma oder politisch Andersdenkenden. Schon 1933 war die NSDAP allmächtig, alle anderen Parteien waren verboten. Sozialdemokraten, Kommunisten und auch einige andere Parteigänger wanderten aus, flüchteten über die Grenze nach Dänemark oder wurden inhaftiert. Das Polizeigefängnis und die Gestapo am Norderhofenden verbreiteten Schrecken. Manches Todesurteil wurde vollstreckt. Die Flamme des politischen Widerstandes wurde mit den Jahren kleiner.
Mit der Hoffnungslosigkeit des Weltkrieges erwachte schließlich die Hoffnung der Opposition. Einige Familien hielten stetigen Kontakt, im Frühjahr 1945 nahm die Zahl der konspirativen Besprechungen zu. Auf der Tagesordnung stand die politische Neuordnung nach der erwarteten Kapitulation. Einer dieser illegalen und gefährlichen Treffpunkte war die Schusterwerkstatt in der Großen Straße 42/44. Sie gehörte Johannes Kloppenburg. Um ihn herum gruppierten sich weitere Vertreter des Arbeitermilieus, etwa Hermann Olson, Nicolaus Reiser und Max Funke, der Sohn des gleichnamigen früheren Flensburger SPD-Vorsitzenden.
Ein überzeugter Sozialdemokrat war auch Peter Hattesen, er war aber auch Däne. So bildete sich um ihn ein verschworener Kreis eher skandinavisch orientierter Bürger. Dazu zählten der Fischgroßhändler Karl Julius Andersen, der Fabrikant Julius Christensen und die beiden Malermeister Hans Harloff und Hugo Hellwig. Sie nannten sich „Anna-Gruppe“, was für antinazistisch stand. Sie favorisierten den Vorschlag, Flensburg und Südschleswig ins Königreich Dänemark einzuverleiben.
Zwei weitere einstige SPD-Genossen waren Lissie Neumann und ihr Schwager Fritz Drews. Er war während des Krieges zugezogen, übernahm nun die Initiative, dass sich beide politische Gruppen im April 1945 bei Johannes Kloppenburg geheim versammelten. Darauf folgte ein weiteres Treffen am 5. Mai in Harrislee mit insgesamt 46 Personen, darunter auch Kommunisten und ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre. Es gründete sich ein neunköpfiger „Vorläufiger Ausschuss der Flensburger Arbeiterschaft“.

Dänischer Widerstand und die Loyalität der dänischen Minderheit
Andere Oppositionelle beschäftigten sich weniger mit politischen Konzepten als mit konkreten Aktionen. Es gab eine Baden-Powell-Gruppe, benannt nach dem Begründer der Pfadfinder-Bewegung. Sie kooperierte mit dem dänischen Widerstand nördlich der Grenze. Ihre Mitglieder entwendeten Waffen von Polizei und Marine, die Hanni Matthiesen, der Pächter des Lokals „Borgerforeningen“, in seiner Kegelbahn versteckte. Später ging die Beute im Kinderwagen oder in einer Tasche mit doppeltem Boden nach Dänemark. Zudem wurden dänische Häftlinge im KZ Neuengamme (Hamburg) mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt.
Die in Flensburg lebende dänische Minderheit konnte ihre kulturelle Arbeit stets fortführen. Es gab auch 1945 noch drei dänische Pastoren, Schule, Kindergarten, Bibliothek und dänische Vereine im Stadtgebiet. Versammlungen mit Rednern aus Dänemark waren zulässig. „Bewusste Dänen schätzen wir“, betonten die NS-Organe. Sie verlangten im Gegenzug allerdings volle Loyalität. Wenn das Theater-Programm mal nicht passte, wurde es abgeändert. Wenn die Zeitung „Flensborg Avis“ zu kritisch berichtete, wurde sie für zwei Wochen verboten. Das Ergebnis war oftmals eine Selbstzensur innerhalb der dänischen Minderheit.

Das Los der Fremd- und Zwangsarbeiter
Ausbeutung und Unterdrückung löste auch die Kriegswirtschaft aus. Die Betriebe produzierten nicht nur zunehmend Geräte, Fahrzeuge und Material für die Front, sie brauchten auch Arbeitskräfte, da die Männer einberufen wurden und die Frauen nicht jede Arbeit übernehmen sollten und konnten. Zunächst lockte man ausländische Zivilisten mit überhöhten Versprechen ins Deutsche Reich, später transportierte man Kriegsgefangene aus Polen oder der Sowjetunion heran. In Flensburg konnte so der Betrieb der Werft, in den Krankenhäusern, bei den Stadtwerken oder im Handwerk aufrechterhalten werden. Die Stadthistoriker gehen davon aus, dass durchgängig rund 3600 Fremd- und Zwangsarbeiter in Flensburg für deutsche Firmen und öffentliche Anstalten schufteten.
Ihre Behandlung war sehr unterschiedlich und abhängig von ihrer Nationalität. Zunächst wurden Dänen, Belgier, Franzosen und Holländer geholt. Sie wurden anfangs noch in Privathaushalten, manchmal sogar in besonderen Stuben untergebracht und konnten sich weitgehend frei bewegen. Urlaubszusagen und versprochener Lohn wurden allerdings selten eingehalten. Am Trollseeweg standen bald zwölf Baracken mit insgesamt 834 Betten. Es gab einen großen Speisesaal für 500 Personen. Sonntags war frei. Eine Bühne, Bier und Tanz sorgten für Abwechslung.
So etwas war in den Lagern Eckernförder Landstraße oder am Ochsenweg in Flensburg-Weiche undenkbar. Von dort rekrutierte unter anderem die Reichsbahn das Personal für die Reinigung von Lokomotiven. Die Menschen vollrichteten schwerste körperliche Arbeit und wurden geschlagen, wenn sie zu langsam waren. Auf ihren Brusttaschen hatten sie Aufnäher mit den Buchstaben „P“ und „OST“. Es handelte sich um Kriegsgefangene aus Polen und der Sowjetunion. Sie galten als „slawische Untermenschen“. Ihre Nahrung bestand hauptsächlich aus Wasser und Brot.
Am schlechtesten behandelt wurden die Russen. Um ihr Lager zog sich Stacheldrahtzaun. Kam es zum Äußersten, gab es eine klare Anweisung: Särge nur für „germanische Völker, Franzosen und Italiener“, für die anderen die „primitivste Form“. So auch am 13. April 1945, als bei einem englischen Luftangriff auf den Fliegerhorst Schäferhaus fünf Sowjetbürger getötet wurden. Sie hatten die Bunker auf dem Areal mitgebaut, die Benutzung war ihnen aber verboten.

Mehrere „Todesmärsche“ erreichten Flensburg
Eine weitere unmenschliche Zuspitzung der NS-Diktatur erreichte Flensburg in den letzten Kriegstagen. Als Reaktion auf die immer näher rückende Front ließen die Nazis die Konzentrationslager räumen – ohne Rücksicht auf Verluste. Man sprach von den „Todesmärschen“. Rund 2000 Häftlinge aus Neuengamme, Sachsenhausen (bei Berlin) und Stutthof (bei Danzig) landeten schließlich mit dem Schiff oder mit der Bahn in Flensburg. Viele weitere waren unterwegs krank und entkräftet gestorben oder kaltblütig ermordet wurden. So überlebten auf dem Lastkahn „Ruth“ nur 630 der 1000 eingepferchten Insassen die Überfahrt. Die meisten wurden einfach über Bord geworfen. 26 Häftlinge wurden am Strand von Fahrensodde in Erdlöchern notdürftig bestattet.
Der Kohlenfrachter „Olga Siemers“ traf am 30. April 1945 nach dreiwöchiger Odyssee im Flensburger Hafen ein. Der KZ-Häftling Paul Nowak hielt später im Bericht fest, wie Hunger, verfaulte Verbände und der Gestank eitriger Wunden eine Horror-Kulisse bildeten. Einige, denen es verhältnismäßig gutging, durften in die Stadt, um „Lebensmittel zu organisieren“. Sie wunderten sich über „elegant gekleidete Männer und Frauen“ und freuten sich, dass eine Gastwirtin mehrere Kessel voll Fleischbrühe kochte. Einige der KZ-Häftlinge rissen aus, die anderen wurden auf ein totes Gleis im Güterbahnhof Flensburg-Weiche manövriert. In den letzten Stunden des Krieges tat sich über Stunden nichts. Dann türmten Lagerführung und Wachen. Plötzlich waren alle frei.
Eine Gruppe von 220 Häftlingen sollte eigentlich vom KZ Neuengamme nach Lübeck marschieren, wurde dann aber nach Neumünster umgelenkt und dort in einen Zug verfrachtet. Nur noch 150 kamen am 4. Mai 1945 um 9.30 Uhr in Flensburg an und wurden über das Gleis bis an den Hafen geschoben. Ein Flensburger erzählte Jahre später: „Dort stand ein endlos langer Zug mit Viehwaggons und daraus brüllten die Menschen nach Wasser, und das in allen Sprachen. Und es waren Anwohner auf der gegenüberliegenden Straße, die dann Wasser brachten.“
Ganz in der Nähe ankerte die „Rheinfels“, ein Ausflugsdampfer, der sich in ein schwimmendes Lager verwandelte. Auf dem Schiff drängten sich schließlich 1600 Gefangene und 100 SS-Wachmänner. Nicht weit entfernt befand sich der „Sonderbereich Mürwik“, in den sich viele NS-Größen zurückgezogen hatten und wo Karl Dönitz gerade eine neue Reichsregierung gebildet hatte. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges waren in Flensburg Täter und Opfer der NS-Diktatur in großer Zahl räumlich ganz dicht beisammen.
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, Stadtarchiv Flensburg, Privat