Ein Interview mit Oberbürgermeisterin Simone Lange

Sie wurden von der bundesweiten Presse für Ihre erfolgreiche Coronapolitik gefeiert. Flensburg galt als Positivbeispiel.

Ja, unsere Stadt hat die Aufmerksamkeit auf sich gezogen – nicht nur von Printmedien oder Fernsehsendungen wie Markus Lanz. Andere Bürgermeister haben mir gesagt: „Wir haben immer nach Flensburg geschaut, wie ihr vorgeht.“
Wir haben in der Verwaltung überlegt: Wie schaffen wir es, die Menschen dazu zu bringen, sich nicht auf engem Raum zu verdichten? In den sechs großen Einkaufszentren Flensburgs zum Beispiel knubbelte es sich, denn im Lockdown wollte natürlich jeder raus, und wenn es nur zum Einkaufen war. Deshalb hatten wir eine Zeitlang angeordnet, dass jeder nur noch alleine – also sogar ohne den Partner – einkaufen gehen darf. Viele haben das nicht verstanden. Aber vom Einzelhandel bekamen wir die Rückmeldung: „Vielen Dank, wir sitzen an der Kasse und haben Angst.“ Bis hin zur Ausgangssperre haben wir Maßnahmen getroffen, die sehr hart für die Einzelnen waren. Aber wir wussten: Wir müssen handeln. Da es dafür keinen Plan gab, wie man es sonst für alles hat, mussten wir vieles ad hoc lösen, teilweise mussten wir uns auch – wie bei der Ausgangssperre – mit der Landesregierung abstimmen bzw. uns gegen sie durchsetzen. Aber am Ende haben wir das Richtige getan – denn es ist uns gelungen, die Pandemie einzudämmen.

Wie sehr standen die Flensburger Bürgerinnen und Bürger hinter Ihnen?

Natürlich haben wir jeweils abgewogen, was wir den Menschen zumuten können. Denn es war uns wichtig, dass die Bevölkerung uns vertraut und diesen Weg mit uns geht. Ich persönlich habe die ganze Zeit über viel Zuspruch bekommen. Mir wurden viele Briefe und sogar Blumen ins Rathaus geschickt, ich wurde auf der Straße angesprochen. Das hat mich angerührt. Die Menschen haben honoriert, wie wir uns angestrengt haben, das ist ein schönes Gefühl, wenn das gesehen wird.
Gegenwind gab es natürlich auch – vor allem in der Zeit, in der die Mutation über uns kam und wir Hotspot waren. Da waren alle verunsichert. Die Krankenhauslage hat uns beunruhigt, das war teilweise heftig. Manche Kommentare waren leider auch unter der Gürtellinie. Ich finde es schade, dass es Menschen gibt, die sich im wahrsten Sinne des Wortes „auskotzen“ bei denen im Rathaus, die den ganzen Tag ihr Bestes geben. Kritik kann man äußern, aber nicht in unanständiger Form.

Wie haben Sie die Pandemie als Oberbürgermeisterin von Flensburg erlebt?

Ich habe die Pandemie als eine sehr anstrengende und in großen Strecken sehr einsame Zeit erlebt und als eine Zeit des Umbruchs.
Als Oberbürgermeisterin war es meine Aufgabe, die Menschen unserer Stadt gut durch die Krise zu führen, ohne dass wir auf diese konkrete Situation vorbereitet waren. Im Rahmen von Katastrophenschutzübungen haben wir in der Vergangenheit verschiedene Szenarien geübt und vorgedacht. Für eine Pandemie jedoch gab es keine eingeübten Abläufe. Ohnehin wurden die Rahmenbedingungen von der Bundesebene und der Landesebene vorgegeben. Der kommunale Anteil an den vorgeschriebenen Regeln war relativ gering. Die Aufgabe, während der gesamten Pandemie alle Menschen unserer Stadt bestmöglich zu informieren, war die wichtigste Aufgabe für uns, und wir haben sehr früh möglichst viele Kommunikationskanäle dafür genutzt.
Zu Beginn der Pandemie habe ich gemerkt, dass viele Menschen sich durch meinen Facebook-Account orientiert haben. Also habe ich darüber täglich, manchmal mehrfach täglich informiert. Das hat sehr gut funktioniert, und auch die Presse konnte so sehr schnell die Informationen der Stadt Flensburg beziehen. Auf der Homepage der Stadt haben wir dann ein Corona-Portal eingerichtet, welches es bis heute gibt. Wir werden dieses auch aufrechterhalten und die Informationen jeweils der bestehenden Lage anpassen.
Es galt, alle Menschen zu erreichen, unabhängig davon, ob sie ein Smartphone benutzen oder nicht. Deshalb haben wir nicht allein auf digitale Medien gesetzt, sondern auch die altbewährten Aushänge in den Schaukästen vorgenommen.
Als wir Anfang diesen Jahres als eine der ersten Städte bundesweit von der Mutation betroffen waren, haben wir entschieden, kostenlose Corona-Schnelltests anzubieten. Das war zu einer Zeit, bevor sich der Bundesgesundheitsminister überhaupt auf den Weg gemacht hatte. Wir sind als Kommune in Vorleistung gegangen, damit sich jeder testen lassen konnte – und nicht erst, wenn er Symptome zeigte. Seit Februar läuft unsere Kampagne „Sei Vorbild, lass dich testen!“ – und die Menschen standen Schlange. Bis Anfang Oktober gab es ingesamt 36 öffentliche Teststationen inklusive einiger Drive-in-Stationen; pro Woche wurden an diesen Teststationen bis zu 50.000 Testungen durchgeführt, die Testungen in Unternehmen, Schulen und Kindertagesstätten noch nicht mitgezählt. Und das bei knapp 100.000 Einwohnern!
Auch verschiedene Projekte und Aktionen, bei denen wir gezielt auf die Menschen zugegangen sind, die aus anderen Kulturen kommen und andere Sprachen sprechen, haben sehr dabei geholfen, wichtige Corona-Informationen an alle Menschen heranzutragen und ausnahmslos alle um Unterstützung zu bitten.
Ich habe deutlich mehr gearbeitet in dieser Phase. Über Monate hinweg hatten wir in der Verwaltung Siebentagewochen, waren ständig erreichbar. Ich war immer in Sorge, wie sich Pandemie in den nächsten drei Tagen entwickelt.
Übers Wochenende gab es jeweils Krisenstabsitzungen. Durch den Lockdown konnte auch die Kommunalpolitik nicht so arbeiten, wie sie es gewohnt war. Präsenzsitzungen waren eine lange Zeit nicht mehr möglich. Im ersten großen Lockdown war ich als Oberbürgermeisterin ein Stück weit auf mich allein gestellt, musste Eilentscheidungen treffen, um die notwendigen Verwaltungsabläufe aufrechtzuerhalten. Alles hört auf mein Kommando – da hat man im ersten Moment das Gefühl, das macht alles ein bisschen einfacher. Aber man muss natürlich mit sich selber und mit denen, die einen beraten, sehr schnell zu guten Ergebnissen kommen – und zwar nachhaltig gut. Diese Situation kenne ich aus meinem Berufsleben bei der Kriminalpolizei.
Dadurch war ich gut darauf vorbereitet, in äußerst kurzer Zeit überaus wichtige Entscheidungen zu treffen. Andererseits habe ich auch die alleinige Verantwortung dafür getragen.

Wofür klopfen Sie sich selbst auf die Schulter?

Ich klopfe nicht mir, sondern allen Kolleginnen und Kollegen unserer Stadtverwaltung und allen Flensburger*innen auf die Schulter, die in dieser Zeit einerseits mir das Vertrauen gegeben haben und andererseits durch ihren Einsatz den Laden am Laufen gehalten haben. Ich habe einmal mehr erlebt, mit welchem echt guten Team ich in der Stadtverwaltung arbeiten kann. Wirklich alle im Rathaus haben mitgezogen. Es gab einen großen Teamgeist, jeder wollte alles tun, damit es unserer Stadt gut geht. Mir ist bewusst, dass dabei nicht immer alles reibungslos und konfliktfrei ablief, es wäre auch unrealistisch das anzunehmen. Aber zu erleben, wie wir gemeinsam Konflikte gelöst und Herausforderungen gestemmt haben, das hat uns auch zusammengeschweißt.

Wie hat die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen geklappt?

Es war ein Kraftakt, aber wir haben alle Hand in Hand gearbeitet. Verwaltungsintern in unserem dauerhaften Krisenstab genauso wie wir extern bis heute eng mit Bundeswehr, Feuerwehr, kassenärztlicher Vereinigung, Polizei und Krankenhäusern zusammenarbeiten.
Bei uns haben immer alle dazugehört. Ohne die Poststelle, die Stadtentwicklung oder das Gesundheitsamt kann ich nicht arbeiten. Die Einteilung in „systemrelevant“ oder „nichtsystemrelevant“, sollte unbedingt überdacht werden. Wenn wir die Monate der Pandemie und die Maßnahmen einmal auswerten werden – und das sollten wir unbedingt tun! – dann wünsche ich mir, dass wir viel mehr darüber sprechen, wer in unserem Land Risikoabschätzungen für solche Lagen vornimmt, als über systemrelevante Personengruppen.

Und wie haben Sie die Pandemie persönlich erlebt?

Mir ging es vermutlich so, wie es allen ging. Auch ich hatte Angst um meine Familie, auch ich habe meine Eltern viele Monate nicht treffen können. Unsere Kinder hielten sich in dieser Zeit wie alle Kinder größtenteils zu Hause auf, konnten keine Freunde treffen und wir waren darauf angewiesen, uns diese einsame Zeit so gut zu gestalten wie es eben ging. Diese Zeit war auch geprägt von vielen familiären Diskussionen um die Maßnahmen, die in der Pandemie ergriffen worden waren. Das hat uns auch privat sehr beschäftigt, und klar haben auch wir intensiv über alles diskutiert.

Welches Zwischenfazit ziehen Sie zur Corona-Pandemie ?

Die Schutzmaßnahmen haben über Monate allen Menschen unglaublich viel abgefordert. Gemeinschaftliches Leben wurde für eine Zeitlang angehalten und konnte nicht mehr stattfinden. Das hat etwas mit uns allen gemacht. Die Kinder, die in der Pandemie geboren wurden, kennen noch gar kein anderes Leben, und die Kinder und Jugendlichen, die in der Pubertät waren, haben fast zwei Jahre in der spannendsten Zeit ihres Lebens ohne große Gemeinschaftserlebnisse oder Partys hinter sich bringen müssen. Wir wissen, dass fehlender Sport einen negativen Einfluss auf die Koordinationsfähigkeiten von Kindern und Erwachsenen hat. Wir wissen, dass ein Jahr lang Kinder nicht schwimmen lernen konnten.
Wir wissen, dass viele noch immer große Angst haben, sich in der Öffentlichkeit ungezwungen zu bewegen und anderen zu begegnen.
Ich erlebe auch, dass Toleranz und Respekt anderen Meinungen gegenüber abgenommen haben. Der Umgangston ist rauer geworden, die Vorbehalte gegenüber anderen größer. Mein Zwischenfazit ist, dass wir jetzt alles tun müssen, was Gemeinschaft fördert und alles unternehmen müssen, um die durch die Pandemie ausgelösten Defizite wieder wettzumachen.
Wir sollten auch den Mut haben, die gemachten Erfahrungen miteinander auszuwerten und in ein zukünftiges Pandemiemanagement einfließen zu lassen. Damit meine ich auch die Erfahrungen, die wir durch digitale Anwendungen gemacht haben. Videokonferenzen sind unbestritten ein gutes Mittel, aber nicht zwangsläufig für jede Besprechung oder Sitzungsart. Wir Menschen erleben und entscheiden erst durch unsere Sinne gut. Wir nehmen andere Menschen anders wahr, wenn wir ihnen gegenüberstehen oder -sitzen, als wenn wir ihnen in Videokonferenzen begegnen. Wir beurteilen ein- und denselben Sachverhalt anders in einer Präsenzsitzung oder in einer Videokonferenz, weil wir anders wahrnehmen. Wir sind halt Menschen, wir sind nicht digital. Deshalb gilt es jetzt die in der Krise eingeübten Instrumente durchaus noch einmal zu hinterfragen und sehr genau zu bewerten, welche Erfahrungen gut waren und übernommen werden sollten. Und welche Erfahrungen kontraproduktiv waren und lieber wieder ad acta gelegt werden sollten.

Das Interview mit der Oberbürgermeisterin führte Ulrike Bremm.

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