Stifte, Papier, Aktenordner, Kopierer, eine Treppe und Schreibtische begleiten den Besucher auf dem Weg in den ersten Stock beim Flensburger „Büroausstatter“ Jacob Erichsen. An der Südseite sitzt Geschäftsleiterin Susanne Kühn in ihrem Büro. Es ist aufgrund einer großen Fenster-Fassade selbst bei Regenwetter sehr hell. Und es gewährt einen Blick, der weit über den Kundenparkplatz und die Tankstelle in der Lise-Meitner-Straße hinausgeht. Am Horizont fällt der Förde Park ins Auge. Die Chefin weiß, dass sich hier vor einigen Dekaden noch Fuchs und Hase gute Nacht wünschten, dass dieses Gewerbegebiet erst ab 1990 Konturen annahm. Denn sie ist – wie sie sagt – „eine Flensburgerin von Herzen“.
In ihrem Ausweis steht allerdings Sörup als Geburtsort. Susanne Kühn wurde 1964 als mittlere von drei Schwestern in Sörup geboren. Aber als eingefleischte Angeliterin kann man sie keineswegs bezeichnen. Noch als Vorschulkind zog sie mit ihrer Familie nach Flensburg in den Nordwesten der Stadt. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit meiner Großmutter im Südensee baden war“, erzählt die Geschäftsfrau. „Wir waren häufig bei unseren Großeltern und besuchten diese dort.“ Familie war immer und ist auch heute im Leben von Susanne Kühn wichtig.
Ins Schwärmen gerät sie hingegen über die Flensburger Norderstraße der 70er Jahre, wo die Familie Kühn wohnte. „Mit ihren Höfen und urigen Gassen war die Norderstraße total spannend und ein herrlicher Spielplatz“, berichtet Susanne Kühn. „Gerne saß ich auf einem alten Brunnen mit seiner kalten Quelle, der sich im Hinterhof des Hauses befand.“
Susanne Kühn besuchte zunächst die Waldschule. Jeden Morgen ging es zu Fuß die Marientreppe hoch und den Rummelgang entlang. Nach vier Jahren folgte die Marienschule bzw. Voigtschule. Sehr früh stand sie schon auf eigenen Beinen. Typisch für ihren Lebenslauf, der für Frauen beruflich nicht selbstverständlich ist.
1980 bewarb sie sich als Kauffrau im Groß- und Außenhandel bei Jacob Erichsen. Das Vorstellungsgespräch, das der damalige Geschäftsstellenleiter Walter Classen führte, verlief so gut, dass sie sofort eine Zusage für die Ausbildungsstelle bekam.
Das Unternehmen „Jacob Erichsen“ residierte damals in der Großen Straße 50. Die Immobilie ähnelte einem langen „Schlauch“: Vorne das Geschäft, hinten das Verbrauchsgüterlager – und die Techniker waren in einem Gebäude auf der anderen Seite untergebracht. Die damalige Ausbildung ist mit der heutigen Ausbildung kaum noch zu vergleichen. Susanne Kühn ist es heutzutage sehr wichtig, dass die Ausbildung dem Unternehmen und dem Auszubildenden gerecht wird. Jeder Auszubildender hat einen Mentor, der hohe soziale Kompetenzen aufweist. Ihr ist es wichtig, dass die Azubis sich auch mit dem sozialen Engagement beschäftigen. So sind unter anderem Projekte, wie „AzubiKulTour“, welches die IHK Flensburg übernommen hat oder eine Tanzveranstaltung als Inklusionsprojekt maßgeblich von den Azubis mit organisiert. Nicht umsonst erhielt das Unternehmen, das zur Hugo Hamann Gruppe mit über 500 Mitarbeitern gehört, die Auszeichnung „Azubibetrieb Nr. 1 in der Kategorie 50-200 Mitarbeiter“.
Derzeit befinden sich immerhin fünf Auszubildende im Haus: Kauffrau und Kaufmann im Büro-Management sowie IT-Systemelektroniker.
Nach dreimonatiger Ausbildung zog Jacob Erichsen 1980 in den Munketoft Nr. 2. Zwar hatte das Kieler Unternehmen „Hugo Hamann“ bereits 1965 „Jacob Erichsen“ übernommen, doch die traditionsreiche Bezeichnung wurde fortgeführt. „Als ich 1980 anfing, existierte die Firma bereits seit 60 Jahren. Und einige Mitarbeiter waren schon seit mehreren Jahrzehnten dabei“, erklärt die heutige Chefin. „Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, so lange einer einzigen Firma treuzubleiben.“ Jetzt ist sie selbst schon 40 Jahre dabei und blickte unlängst auf die Gründung vor 100 Jahren durch Jacob Erichsen zurück.
Im Januar 1983 schloss sie ihre kaufmännische Ausbildung vorzeitig ab. Die Bestellungen wurden damals noch per Lochstreifen geschrieben. Dann erst wurden die Teletextschreibmaschinen eingeführt. Eine große Erleichterung. Die Technologie hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Aber noch heute ist Susanne Kühn wissbegierig und hat keine Scheu vor den neuen Medien. Im Gegenteil: Sie schätzt deren Vorteile, weiß aber auch, dass doch das Persönliche oft zu kurz kommt.
Die Scheu hatte sie damals auch nicht, als erste Frau in der Unternehmensgruppe in den Außendienst zu gehen. Zunächst konnte sie im Gebiet Angeln die Kunden in den Bereichen Bürobedarf und später aber auch im Bereich Kopiersysteme beraten. Als sich der Geschäftsstellenleiter etwas zurückzog, übernahm sie damals die Kunden im Flensburger Bereich, welchen sie sukzessive ausgebaut hat. Zusätzlich die Abteilungsleitung für Verbrauchsgüter. Noch heute betreut sie von ihrer jetzigen Position aus einige Kunden im Außendienst.
Von ihrem ersten Auto, einer urigen „Ente“, hatte sie sich aber schon vor dem Start in den Außendienst verabschieden müssen. Sie fuhr immer einen Firmenwagen, aber ihr Herz hing lange Jahre an ihrem Oldtimer, einem MGB 1972, den sie dann bei schönem Wetter herausholte.
Bis 2001 vereinte sie Außendienst und Abteilungsleitung in ihrem beruflichen Alltag. Es waren damals wie heute schon keine „normalen“ Arbeitszeiten, und ihr großes Engagement und der Fleiß wurden im Unternehmen gesehen und gewürdigt. 2001 wurde sie als erste Frau in der Unternehmensgruppe auf die Position der Geschäftsleitung in Flensburg gesetzt. „Unter anderem galt es, die Netzwerke in Flensburg mehr zu leben und auszubauen“, erklärt Susanne Kühn. „Man kennt sich, Flensburg tickt so.“ Was entscheidend für die Position war: Sie kannte alle Prozesse im Haus des Büro-Vollsortimenters mit Bürobedarf, IT- und Kopiertechnik sowie Möbeln und hatte im Vorwege Meilensteine gesetzt. Die Herausforderung war nun nicht nur der Blick von einer anderen Seite, sondern auch mit langjährigen Kollegen eine neue Form der Zusammenarbeit zu finden: Etwas mehr Distanz, aber weiterhin eine offene Tür und trotzdem sich nicht zu verbiegen und sich treu zu bleiben. Oft musste sie nun einen betriebswirtschaftlichen Blick anlegen und registrierte in den letzten beiden Dekaden viele Veränderungen: Digitalisierung, Prozessoptimierung, veränderte Mitarbeiterführung und ganz aktuell das Home Office sind Schlagwörter, die den Büro-Alltag umwälzen. Der Online-Shop wächst, ohne das bewährte Beratungskonzept zu vernachlässigen. Große Ausstellungsflächen mit Kopierern sind indes nicht mehr zeitgemäß. „Jeder weiß, wie solche Geräte aussehen“, erklärt Su-
sanne Kühn. „Unsere Beratung ist in allen Bereichen eher lösungsorientiert. Das gilt von der Kostenstellenbelieferung im Verbrauchsgüterbereich bis hin zur Smart Office-Lösung im Möbelbereich.“
Womit sie alle überraschte: Anfang 2014 meisterte sie ihren Bachelor als Wirtschaftsfachwirtin. Über zwei Jahre lang besuchte die Geschäftsleiterin nach Feierabend die Abendkurse an der Wirtschaftsakademie und paukte am Wochenende. Sie saß zwischen Twens, die sich wunderten, warum sie das noch nachholen wollte, da sie den Job schon hatte, den diese mit dem Abschluss anstrebten. Susanne Kühn wollte den Abschluss, den sie nie zu machen brauchte, weil sie unbedingt noch einmal einen anderen Blick auf die Unternehmensführung haben wollte. „Mein Ehrgeiz war geweckt“, schmunzelt sie. „Ich wollte nicht einfach nur einen Abschluss, sondern einen sehr guten.“ Auf einen Master verzichtete sie dann aber doch. Der Aufwand neben dem Beruf wäre zu groß gewesen. Vor allem aber war die Entscheidung auch ihrem Privatleben geschuldet, welches, neben ihrem „Nicht-40-Stunden-Job“, viel zu kurz kam in dieser Zeit.
Die Zeit rennt bekanntlich. „Jacob Erichsen“ wurde 100 Jahre alt. Zum Jubiläum erschien eine großformatige Festschrift, aber eine normale Feier war nicht möglich. Stattdessen textete Susanne Kühn einen Poetry-Slam, den Profi Selina Seemann verfeinerte. „Ich wollte kein Erklär-Video, sondern Emotionen hineinbringen“, betont die Geschäftsleiterin. Der Titel „Spürst du es auch, dieses Zaubern im Bauch?“ ist nicht nur eine Anspielung auf den Firmen-Katalog, auf das „Bürozauberbuch“, sondern soll die Emotionen zeigen, die diese Firma widerspiegelt. In dem Jubiläumsjahr wurde ein ganzes Konzept, das Susanne Kühn schon fertig hatte, durch Corona leider „über den Haufen“ geworfen. Kurzfristig entschied sie sich, ein neues Konzept auf die Beine zu stellen, dass als Hybridmesse bzw. Online aufgestellt wurde. „Jacob Erichsen“ hat sich dadurch schnell den jetzigen Gegebenheiten angepasst und wird seine Beratung zusätzlich nun auch auf Onlineplattformen weiterhin anbieten.
Susanne Kühn lebt seit 1995 in Schausende – dem Wasser nahe, das sie lange Jahre immer wieder zum Surfen genutzt hat. Ganz wichtig ist ihr ihre Familie. Ihre Mutter, der Vater verstarb 2018, sein Tod war ein herber Verlust für die Familie, und ihre beiden Schwestern, die für sie wie Freundinnen sind, sowie deren Familien. Sie alle wissen, dass man sich auf Susanne Kühn verlassen kann, aber sie auch durch den Beruf sehr eingespannt ist. Zu den wichtigen Menschen gehört natürlich ihr Mann, der sie so kennengelernt hat, wie sie ist. „Das hält nicht jeder Mann aus“, lacht sie und sagt: „Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“ Ihr Herz hat sie an Norwegen verloren. „Dieses Land ist so unglaublich schön. Aber auch sonst gibt es so viele Flecken um uns herum, die schön sind.“ Hauptsache Natur in Verbindung mit Sport. Sie möchte das jetzige Wohnmobil nicht mehr gegen Pauschalreisen eintauschen. Ihren Mann musste sie allerdings erst für ein nicht immer mit Sonne beschertes Urlaubsleben begeistern. Aber nach dem ersten Norwegenurlaub, der zum Glück ganz viel Sonne mit sich brachte, war auch er infiziert. Geheiratet haben beide auf Kreta, nachdem sie beide Griechisch gelernt haben. Sprachen sind Susanne Kühn wichtig. So spricht sie Englisch, Dänisch, Norwegisch und etwas Spanisch.
Die Tochter aus erster Ehe ihres Mannes ist ihr ans Herz gewachsen. Der Sport hatte stets einen hohen Stellenwert für sie. Susanne Kühn kickte beim VfB Nordmark, als viele noch den Frauenfußball belächelten. Surfen an der Ostsee mit Freunden war damals ihre Welt. Dank ihres Mannes entdeckte sie eine andere Passion: Iaido. Dabei handelt es sich um eine Samurai-Technik des Kunst-Schwertkampfs. „Das kommt definitiv zu kurz zurzeit, denn es ist ein guter Ausgleich zu meinem Job“, verrät die Flensburgerin. Am Wochenende sieht man sie dann häufig um Holnisspitze joggen.
Auch das Ehrenamt bzw. die Netzwerke halten sie schon länger auf Trab. Zunächst kurbelte sie mit den Wirtschaftsjunioren das Drachenbootrennen auf der Innenförde an. „Am Anfang mussten wir die Teilnehmer praktisch akquirieren, weil sich niemand unter dieser Veranstaltung etwas vorstellen konnte“, verrät Susanne Kühn. „Aber schon nach wenigen Jahren mussten wir im Deutschen Haus eine Auslosung vornehmen, weil der Ansturm so groß wurde.“ Längere Zeit gehörte sie dem Vorstand des Empfehlungsclubs Flensburg an. Sie wirkt als Botschafterin des Geniushofs in Esgrus, der durch seine tiergestützte Therapie für behinderte Menschen Bekanntheit erlangt hat. Aber auch andere Projekte hat sie maßgeblich mit begleitet. Am Herzen lag ihr auch das rotarische Projekt des Vereins Seniorenbesucher Flensburg. „Sehr traurig, wie ältere Menschen kaum bis gar keinen sozialen Kontakt haben und schön, dass es Menschen gibt, die denen Zeit schenken“, sagt sie sehr berührt.
2010 stieg Susanne Kühn beim „Rotary-Club Flensburger Förde“ ein – als eine der ersten Frauen. Derzeit trägt sie sogar die Präsidentennadel – ausgerechnet in dieser ungewöhnlichen Zeit. Das Programm mit den wöchentlichen Vorträgen läuft seit März nur noch sehr eingeschränkt. „Unsere Idee lebt vom persönlichen Treffen, wir sind kein E-Klub“, betont die Präsidentin. Im Sommer kamen im „Borgerforeningen“ zumindest 32 Mitglieder im Saal unter, weitere wurden per Internet zugeschaltet. Nun ist das rotarische Leben wieder auf „online“ heruntergefahren. Stets im Bewusstsein haben die Rotarier ihre „Vier-Fragen-Probe“, die für jegliches Handeln auf Fairness, Wahrheit, Freundschaft und Allgemeinwohl abzielt. Punkte, die für Susanne Kühn auch im Beruf ihre Gültigkeit besitzen. „Rotary ist für mich etwas Besonderes. Es ist für mich eine Lebensphilosophie, bei der ich nicht nur sehr viele interessante Menschen, sondern in der Zwischenzeit auch Freunde kennengelernt habe. Durch Rotary kann ich mein soziales Engagement mit einsetzen, weil die Gemeinschaft das so lebt.“ Sie ist dankbar für ihr Leben, gesund zu sein, eine Familie zu haben, eine Freundin, die genauso im Job wie sie steht und daher manchmal nur telefonisch der Kontakt bleibt, einen Mann, der sie immer mal schüttelt, wenn sie es nötig hat, tolle Mitarbeiter, die das Arbeiten angenehm machen, und sie strahlt das auch aus. „Das heißt aber nicht, dass ich nicht offen bin für neue Dinge, die mich noch mal herausfordern“, sagt sie und blickt durch die Fenster ihres Büros. Gerade ist die Sonne aus der dicken Wolkendecke hervorgetreten.

Das Gespräch mit Susanne Kühn führte Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat

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