Kurze Wege für Lasse Møller: Der Neuzugang der SG Flensburg-Handewitt hat eine zentrale Wohnung in der Stadt gefunden. Es ist nicht weit zur Fußgängerzone und zum Hafen, gar nur 800 Meter zur Duburghalle. Das Training ist zumindest in logistischer Hinsicht ein Spaziergang. Entspannter sind natürlich die Stippvisiten in die Nachbarschaft. Lasse Møller hat schon die Idylle der Marienhölzung genossen. In der Innenstadt gefällt ihm die skandinavische Prägung. „Wie Svendborg“, findet er.
Die zweitgrößte Stadt auf der dänischen Insel Fünen ist sein Geburtsort. Zehn Kilometer nordöstlich, im 1000-Seelen-Dorf Gudme, wuchs der 24-Jährige auf. Handball-Kenner wissen: Diese Gemeinde ist eine der drei Keimzellen des dänischen Top-Klubs GOG. In Gudme kommt man zwangsläufig zum Handball, wenn man sportbegeistert ist. „Meine Eltern spielten, ich wurde praktisch mit in die Halle genommen“, schmunzelt der heutige Profi. Die Familien-Tradition mündete sogar in einer ungewöhnlichen Nummernfolge. Die Schwester hat die Acht, der Vater, einst Torwart, trug die 16, der Bruder entschied sich für die 32, sodass Lasse Møller nach der 64 griff. In der Jugend war er schon größer als die anderen, aber auch ziemlich dürr. Trotz der fehlenden Athletik avancierte er schnell zum besten Torschützen, wechselte auf das Sportinternat im Nachbarort Oure. Schon morgens um sechs Uhr stand eine Übungseinheit auf dem Programm. Am Abend rief der Verein. Den Ehrgeiz forcierte die Neugier. Der junge Handballer las gerne
Sportbiografien, unter anderem die der Handball-Stars Joachim Boldsen und Mikkel Hansen. Zusammen mit seinem Vater verfolgte er die Handball-Übertragungen der deutschen Sportsender. „Da entstand der Traum von der Bundesliga”, verrät Lasse Møller. Mit einer Größe von zwei Metern bringt er beste Voraussetzungen für eine große Karriere mit. Der erste große Paukenschlag glückte ihm 2017 bei der U21-Weltmeisterschaft in Algerien. Im Endspiel fingen sich die dänischen Talente in der Verlängerung einen bitteren letzten Treffer der Spanier ein. Neben Silber wurde Lasse Møller mit der Auszeichnung als bester Akteur des Turniers dekoriert. Wenige Monate später durfte der Rookie für die A-Nationalmannschaft ran. „Ich meine, es war gegen Polen“, erzählt er. „In jedem Fall hatte ich da meinen ersten längeren Einsatz.“
Frühzeitig erschienen die Verantwortlichen der SG auf Fünen und beobachten den Zwei-Meter-Mann bei den GOG-Heimspielen. „Ein außergewöhnlicher Rückraumspieler mit ganz vielen Qualitäten und mit enormem Entwicklungspotenzial“, dachten sich die SG- Späher. Der Wunschkandidat unterschrieb im Mai 2019 einen Drei-Jahres-Vertrag bis 2023. Gerade rechtzeitig, denn Lasse Møller war auch von anderen europäischen Top-Vereinen umworben worden. „Die SG hat eine lange Tradition großer dänischer Spieler“,
wusste der junge Däne. „Ich habe große Lust, hier meine eigene Geschichte zu schreiben.“
Für den Sprung in die stärkste Liga der Welt bereitete er sich gut vor. Mit GOG sammelte er noch viel Spielpraxis, schnupperte sogar in die internationale Champions League. Auf sein fünf Jahre betriebenes Schuldeutsch baute Lasse Møller auf und glänzte schon beim Trainingsstart mit starken Sprachkenntnissen. Dennoch muss sich der 24-Jährige umstellen. Er wohnte noch nie allein, Freundin Ida blieb wegen des Studiums in Odense. „Unser Ziel ist es, dass wir uns mindestens einmal die Woche sehen“, verrät der neue Handball-Star. Mal fährt er, ein anderes Mal sie. Vorerst muss Lasse Møller selbst kochen. Einen Favoriten hat er bereits entdeckt: einen Wok. In die Schüssel packt er viel Gemüse, Hähnchen, Pasta oder Reis. Dann wird alles gegart: „Lecker“, grinst er.
Wenn Lasse Møller mal ein Wochenende nach Fünen fährt, nimmt er ein Heimatgefühl wahr. Zuhause sein gilt inzwischen aber auch für die Flensburger Wohnung. Sie ist Rückzugsort in einer „spannenden Zeit“. Schon beim Foto-Shooting, als er sich für den Fotografen zu den Größeren in der hinteren Reihe einordnete, spürte der Neuzugang: „Wir haben eine richtig gute Mannschaft beisammen.“ Anstrengend und aufregend waren die ersten Wochen. Da schätzt es Lasse Møller auch mal, wenn er vor dem Computer sitzt und spielt. Und er kann auch eine Leseratte sein. Selbst Klassiker von George Orwell zieht der Sportler schnell durch. „Es kann aber auch vorkommen, dass ich fünf Monate lang kein Buch anfasse“, sagt Lasse Møller und schmunzelt: „Bei den vielen Spielen und Reisen, die nun kommen, ist das aber eher unwahrscheinlich. Es gibt ja genug Gelegenheiten zu lesen – und dabei etwas zu lernen.“
Der Sport wird natürlich im Vordergrund stehen. „In Flensburg sind mehr Augen auf mich gerichtet“, weiß Lasse Møller. „Hoffentlich ist die SG mein Ticket zu einer wichtigen Position in der Nationalmannschaft.“ Erst zehn Einsätze tauchen in seiner Statistik auf. Eine Welt- oder Europameisterschaft – abgesehen von den Junioren-Wettkämpfen – fehlt noch im Lebenslauf. Vielleicht bringt ja schon der Januar mit einer WM-Teilnahme in Ägypten den nächsten Schritt. „Wir müssen erst einmal abwarten, ob dieses Turnier überhaupt stattfinden kann“, meint Lasse Møller. „Dann wird man sehen, ob der Nationaltrainer mich nominieren wird. Das einzige, was in meiner Kontrolle liegt, sind meine Leistungen.“ Und daran arbeitet er emsig im SG-Trikot.

Bericht und Fotos: Jan Kirschner

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