Die Saison 2020/21 wird sicherlich in vielerlei Hinsicht in die Handball-Historie eingehen. Diese Einschätzung unterstreicht ein Rückblick mit Fokus auf die SG Flensburg-Handewitt.

Corona-Einschränkungen

In den Zeiten der Corona-Pandemie musste die SG einen ganz anderen organisatorischen Rahmen stecken als gewöhnlich. Ständig mussten die Spieler getestet werden, die Reisen waren aufwändiger. Auf internationalem Parkett wurden fünf Spiele gar nicht ausgetragen, in der Bundesliga mussten vier Spiele virusbedingt verlegt werden. Johannes Golla, Simon Hald und Mads Mensah begaben sich nach Länderspiel-Einsätzen in Quarantäne. Die gesamte Mannschaft war nur kurzfristig betroffen – aufgrund einer Falsch-Testung.

Live-Ticker-Finale

Am letzten Spieltag wurde am Live-Ticker gezittert. In Mannheim mussten die Rhein-Neckar Löwen den THW Kiel schlagen. Nur irgendwie, ganz egal wie hoch! Als das 38:26 der SG gegen den HBW Balingen-Weilstetten besiegelt war, mussten in Mannheim noch sieben Minuten gespielt werden. Die SG-Mannschaft registrierte auf einem Bildschirm, wie die Rhein-Neckar Löwen mit 24:23 in Führung gingen. Beim 25:25 der letzte Wurf von Löwen-Rückraumass Andy Schmid.
Der Ball flog am Tor vorbei – und der THW Kiel war deutscher Meister. Bei jeweils 68:8 Punkten gab erstmals der direkte Vergleich der beiden Top-Teams den Ausschlag. Zuvor hatte in der Liga-Geschichte nur drei Mal das Torverhältnis den Unterschied zwischen Meister und „Vize“ gemacht: 2000, 2007 und 2014.

Zuschauer

Der Sport rückte bisweilen in den Hintergrund. „Titel sind zweitrangig“, sagte SG-Coach Maik Machulla einmal. „Es geht darum, unseren geliebten Sport wieder in der Öffentlichkeit zu präsentieren.“ Allerdings war die Öffentlichkeit oft ausgeschlossen. Nicht weniger als 17 der 26 Heimspiele wurden in einer menschenleeren Flens-Arena angepfiffen. Als im Juni aufgrund eines Modellprojekts immerhin 2300 Zuschauer zugelassen waren, fiel der Begriff „Gänsehaut-Faktor“.

Verletzungspech

Beeindruckt von den ungewohnten Bedingungen und genervt durch eine frühe Verletzungsmisere in der Abwehrzentrale verfiel Maik Machulla in sommerliches Understatement.
„Im Kampf um die Champions-League-Plätze sind wir vorerst nicht konkurrenzfähig“, sagte der Trainer. „Wir müssen improvisieren und die ersten Monate über die Runden kommen.“ Es lief viel besser als befürchtet, obwohl immer wieder neue Verletzungen verdaut werden mussten. Franz Semper, Lasse Möller und Göran Sögard – vor allem im Rückraum schrumpfte das Personal zusammen. Auch SG Legende Jacob Heinl und Torwart Benjamin Buric fielen lange aus.

Stolze Serie(n)

Trotz aller Probleme folgte eine Saison mit nur zwei Niederlagen in der Bundesliga. Dazu feierte die SG stolze Serien: In der Bundesliga blieb sie zwischen Oktober und Juni 30 Partien ungeschlagen. Ihr seit Dezember 2017 bestehender Heimnimbus wuchs und wurde erst in der Rückrunde bei 44 Heimsiegen und 55 ungeschlagenen Heimpartien eingefroren.

Champions League

Auf internationalem Parkett gelang der
erste Vorrundensieg in der Champions League seit Herbst 2006. Und das trotz der Verhängung von vier Minuspunkten am grünen Tisch der EHF. Bei der Aufholjagd gegen Aalborg im Viertelfinale fehlten dann allerdings zwei Tore, um zum ersten Mal seit 2014 wieder ins Final Four von Köln vorzustoßen.

Bestnoten

Einige Spieler erreichten eine überdurchschnittliche Performance. Johannes Golla setzte nach einem Mittelfußbruch im Sommer seine erstaunliche Entwicklung fort. Mads Mensah übernahm in seiner ersten SG-Saison viel Verantwortung. Magnus Röd biss sich trotz wiederholter Blessuren durch. Auf Linksaußen erreichte Hampus Wanne eine phänomenale Quote, während auf dem rechten Flügel Kapitän Lasse Svan nachwies, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört. Nur ein Akteur stand bei allen 52 Pflichtspielen auf dem Parkett: Jim Gottfridsson. Für viele der Mann der Saison.

Rekordspieler

46 Jahre und 272 Tage – dieser Wert steht nun in den Rekordbüchern der Bundesliga für den ältesten Spieler aller Zeiten. Henning Fritz feierte ein überraschendes Comeback und unterstützte vier Wochen lang Keeper Torbjörn Bergerud. Die eigene Fitness und familiäre Bande zu Trainer Maik Machulla hatten den Ausschlag für die Aushilfe im Norden gegeben. Nach dem Ausfall von Benjamin Buric hatte sich die SG um eine erfahrene Unterstützung für Torbjörn Bergerud bemüht. Mit Kreisläufer Domen Sikosek Pelko und Linkshänder Alexander Petersson hatte die SG zwei weitere Interims-Verpflichtungen getätigt.

Verabschiedungen

Aus dem Saison-Kader wurden nach dem letzten Spieltag vier Akteure verabschiedet. Linksaußen Magnus Jöndal beendet nach den Olympischen Spielen seine Karriere – zugunsten der Familie. Keeper Torbjörn Bergerud zieht es zu GOG in die dänische Liga. Youngster Magnus Holpert wagt beim Bundesligisten GWD Minden seine nächsten Schritte. Besonders emotional war der Abschied von Vereinslegende Jacob Heinl. Der 34-Jährige ist ein Urgestein der SG, gewann mit ihr 2018 die Meisterschaft und wurde mit 420 Spielen in die „Hall of Fame“ aufgenommen. Nach einem kurzen Intermezzo in Dänemark tauchte Jacob Heinl im Herbst 2019 wieder bei der SG auf. „Es war unheimlich schön, noch einmal zurückzukehren“, sagte er. „Eine dritte Abschiedsrede wird es aber nicht geben.“ Noch ist unklar, ob seine Handball-Karriere fortgeschrieben werden kann.

Strukturelle Veränderungen

Nach Ablauf der Saison stellte die SG die strukturellen Weichen für die Zukunft: Zum Juli 2022 wird Holger Glandorf neuer Geschäftsführer und löst Dierk Schmäschke nach insgesamt 17 Dienstjahren ab. Es ist ein logischer Schritt: Nach der Beendigung seiner aktiven Handball-Karriere und neun Jahren als SG-Profi wechselte Holger Glandorf im Sommer 2020 in das Team der Geschäftsstelle und unterstützte in verschiedenen Bereichen die Abläufe. Hauptverantwortlich war er vor allem für den Bereich der Spieltags-Organisation und das Team-Management tätig. Mit der Entscheidung des Beirats, Holger Glandorf ab Januar als zweiten SG-Geschäftsführer zu bestellen, erfolgt ein nahtloser Übergang. Im Juli 2022 wird Dierk Schmäschke zum hauptamtlichen SG-Präsidenten ernannt.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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