Keine Frage: Sie ist eine waschechte Flensburgerin. Lena Mahrt wurde 1984 als ein Kind der Küste geboren und kennt seit jeher alles, was zum norddeutschen Flair gehört. „Wasser, Wind und Meer“, zählt sie mit einem Lächeln auf. Dieses geht flugs in ein herzliches Lachen über. „Und Regen“, ergänzt sie spontan, als in Wees ein Schauer gegen das Fenster einer umgebauten Garage klatscht. Diese ist das Reich einer Musikerin und Sängerin, ihr Proberaum und die Keimzelle für etliche Songtexte. Klavier und Gitarren stehen nur eine Armlänge entfernt. An den Wänden hängen etliche Bilder und auch Musik-Charts, darunter auch die von 2002, als „Total Eclipse of the Heart” bis auf Platz 13 kletterte. Ihr größter Kracher!

Es gibt ein Foto, das ein kleines Mädchen im Glücksburger ADS-Kindergarten mit einem Mikrofon zeigt. „Ich habe immer gesungen“, lacht Lena Mahrt. „Und damit habe ich andere auch genervt.“ Dann hieß es: „Sei mal ruhig, musst du immer singen!“ Das Singen war früh ihre Leidenschaft – an der Grundschule Friedheim und erst recht an der IGS, der heutigen Fridtjof-Nansen-Schule. Diese neue Bildungsform war in den 90er Jahren noch ganz jung und wurde von frischen Strukturen getragen. „Die habe ich für den Musikbereich gleich voll gefordert, da ich eine Schülerband gründen wollte“, erzählt Lena Mahrt. Sie war – natürlich – die Sängerin.

Demos für eine Hit-Maschine
Bald gab es Gesangsunterricht als Schul-AG. Aber ist das für ein großes Talent ausreichend? Frank Rühmann von der damaligen Musikschule „Bandland“ sah es anders. „In der Gruppe ist das nichts für dich“, sagte er: „Komme mal zu mir – zum Einzelunterricht!“ Nach nur einem Jahr bestand eine Verbindung zu den Produzenten von „Elephant Music“, der aufstrebenden Flensburger Hit-Maschine. Das Gesangsjuwel sang Demo-Stücke ein, die dann etablierten Künstlern angeboten wurden. Damals bekannte Größen wie „X-Perience“ oder „Passion Fruit“ gehörten zu den Abnehmern. „Das war eine gute Schule, da ich schnell viele Genres kennengelernt habe“, erinnert sich Lena Mahrt.

Einen ersten Song für die junge Sängerin schrieb der viel zu früh verstorbene Flensburger Musiker Michael Hanke. Der Titel: „Meine Tränen“, ein emotionales Stück. Kurzzeitig stand sogar eine Teilnahme am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest im Raum. Die junge Flensburgerin fühlte sich aber nicht ganz so wohl bei der Sache. War es eine zu große Bühne? Oder könnte sie in der Schlager-Schublade landen?

Der erste Hit
Der 17-jährige Teenager sang weiter Demos, eines Tages einen alten Hit von Bonnie Tyler. Mit „Total Eclipse of the Heart“ wollte der Husumer DJ Jan Wayne aus einem 80er-Klassiker einen Pop-Techno kreieren. Die erste Überraschung: Der Gesang sollte von keinem etablierten Profi beigesteuert werden, die Veröffentlichung firmierte unter dem Motto „Jan Wayne meets Lena“. Und die zweite Überraschung: Es wurde ein Hit. Platz 13 in Deutschland, und in Italien, Spanien oder Österreich ging es sogar in die Top 10. Schließlich waren 200.000 Einheiten verkauft. Das Erstaunliche: Das Techno-Stückchen hatte zunächst nur über die Discos an Bekanntheit gewonnen, während die populären Musik-TV-Sender höchstens mal das Cover zeigten, weil „Total Eclipse of the Heart“ die Hitparade hochgeschossen war. Der Grund: Es gab kein Video. Das wurde mit satten Beats und grellen Lichteffekten rasch nachgeholt.

Für Lena war die bodenständige Flensburger Jugendzeit mit einem Schlag vorbei. Sie war nun oft unterwegs. „Ein Fahrer holte mich immer ab“, berichtet sie. „Es gab viele Auftritte, vor allem in den neuen Bundesländern und in Südeuropa.“ Das Leben in jenen Tagen: Musik, Musik und nochmals Musik! Es bot sich die Chance, sich in der Show-Branche zu etablieren. Das Nordlicht hätte mit Jan Wayne den nächsten Hit aufnehmen können. „Because the Night“ sprang im Frühling 2002 sogar auf Rang vier – aber ohne Lena. Sie hatte verzichtet, wollte sich nicht auf Techno spezialisieren.

Pop-Dance und „Rokkha“
Es reizte eher der Pop-Dance. „Elephant Music“ feilte an einem eigenen Projekt für das Nordlicht. Der Titel lautete: „It´s My Hymn“. Das Stück war rasch fertig, das Video wurde abgedreht, aber irgendwie wurde es nie veröffentlicht. Warum auch immer! Somit war ein kommerzieller Erfolg ausgeschlossen. Im Januar 2003 gab es zumindest ein erstes „Heimspiel“. Lena gab bei einem Handball-Derby in der Idraetshalle eine Kostprobe ihrer Songs und eine A-capella-Zugabe. Als nächstes wurde aus der Flensburgerin „Rokkha“. Es entstand eine professionell produzierte CD mit deutschsprachigen Rocksongs.

Es war die Zeit, als Bands wie „Juli“ auf einer „perfekten Welle“ ritten. Für das Projekt fanden sich genug Geldgeber – und auch ein Promoter für die Auftritte. Doch der brannte plötzlich mit dem Geld durch. Wieder nichts!

Als nächstes nahm die junge Flensburgerin mit dem Soap-Sternchen Dominic Saleh-Zaki ein Duett auf. Der Schauspieler hatte den Part des Sprechgesangs, Lena zelebrierte den Ohrwurm „Love is a Message“. Das Nordlicht fuhr nach Köln zum Studio, schlüpfte für die ARD-Serie „Verbotene Liebe“ in eine kleine Rolle und interpretierte den Song, der so eine ideale Reichweite erhielt. Immerhin Platz 22! Es wäre mehr drin gewesen. Doch bei der geplanten Promotion-Tour spielte der Hauptdarsteller nicht mit. Er scheute die Bühne.

Friseur-Handwerk oder Bühne?
Inzwischen war Lena Mahrt 20 Jahre alt. Da in der Pop-Branche der Durchbruch ausgeblieben war und sich immer wieder Hindernisse aufgetürmt hatten, entschied sie sich für eine klassische Ausbildung zur Friseurin, die sie bis zum Gesellenbrief durchzog. „Das war ein Gegensatz von schwarz und weiß“, erzählt die Flensburgerin heute. „Auf der Bühne stand ich im Vordergrund, nun erfüllte ich eine Dienstleistung wie viele andere.“ Die Musik blieb aber natürlich das große Hobby. Lena Mahrt sang im Duo mit Ingo Obermüller, der sie bis heute auf der Gitarre begleitet. Außerdem schloss sie sich der „Käpt’n Kümo’s Marching Band“ an, womit sie in der Flensburger Musiker-Szene bestens verankert war.

Plötzlich ein Anruf aus Basel. War es die nächste Chance zum Pop-Himmel? Es meldete sich ein Produzent, der gerade eine weibliche Rockband als Klienten verloren hatte und eine neue Frauen-Formation aufbauen wollte. Er wollte Lena Mahrt als eine der Sängerinnen. Sie jettete nun mehrfach vom hohen Norden nach Weil am Rhein ganz im Süden der Republik. Zusammen mit zwei Freiburgerinnen und zwei Engländerinnen bildete sich die Gruppe „Mayor´s Destiny“. Das war Girl-Power im Western-Style mit Country-Anleihen. Die Single „Cross Your Heart“ wurde aufgenommen – und „das fetteste Video ever“. Das Nordlicht trug dabei eine Cowboy-Kluft. Es folgten Auftritte bei „The Dome“, im ZDF-Fernsehgarten und auch bei RSH. Der Track landete aber nicht auf der Playliste von Musik-Sender „Viva“, da der Produzent aufgrund früherer Chart-Manipulationen in seiner Reputation arg angekratzt war. So reichte es im Frühling 2008 nur zu Platz 53 in der deutschen Hitparade. Eine zweite Single war in Planung, doch Lena Mahrt verließ „Mayor´s Destiny“ vorzeitig.

Aufbau einer Gesangsschule
In Flensburg prägten wieder Frisuren und Haarmoden den Alltag. 2011 dann eine neue musikalische Idee: Wäre der Job als Gesangscoach nicht eine echte Alternative? „Ich habe viele Erfahrungen gesammelt und ein gutes Gefühl für Menschen“, sagte sich Lena Mahrt. „Ich möchte das, was ich kann, an andere weitergeben.“ Sie angelte sich Räumlichkeiten am Hafermarkt und traf mit ihrer Gesangsschule „Voicebeats“ offenbar einen Nerv. Rasch füllte sich ein Wochenplan mit 60 bis 70 Stunden. „Vormittags kamen die Mütter und Studenten, ab Nachmittag erschienen dann Schülerinnen und Berufstätige“, berichtet die Gesangstrainerin.

Sie war nun Unternehmerin – und Arbeitgeberin. Allein wäre der Ansturm nie zu schaffen gewesen. Lena Mahrt installierte auch in einigen staatlichen Schulen einen Gesangsunterricht und leitete Chöre. Als Künstlerin trat sie häufiger in der Region auf und beteiligte sich rege an sozialen Projekten, Benefiz- und Sportveranstaltungen. Zudem entdeckte die fast schon omnipräsente Frau ihr Herz für das Theater. Sie schloss sich der Flensburger Formation „Broschmann & Finke“ an. Bei „Ewig jung“ mimte sie eine Krankenschwester, im Musical „Die Waschbar“ (von Michael Wempner) war sie gleich in mehreren Rollen zu sehen. Lena inszenierte die Chor-Stimmen für das Musical „Rock My Soul“ und stand auch bei vielen weihnachtlichen Theater-Stücken für Kinder auf den Bühnen von Flensburg und Harrislee.

Flensburg-Hymne und Familienglück
Keine Frage: In jener Zeit versprühte Lena Mahrt verdammt viel Lokalkolorit. Da war es nur logisch, dass sich die Initiatoren der regionalen Image-Kampagne „Flensburg liebt dich“ bei der Musikerin ein Song führ ihre Heimatstadt in Auftrag gaben. Sie komponierte, sie textete, sie tüftelte und holte den Produzenten Benito Battiston mit ins Boot. Die Hymne „Zwischen Himmel und Förde“ entstand und feierte beim Nospa-Open-Air 2018 an der Hafenspitze ihre Premiere.

Da war die Sängerin seit vier Monaten frischgebackene Mama. In ihrem Leben hatte sich vieles verändert und sollte sich weiterhin verändern. Es gab nun einen jungen Mann namens Stefan, den sie zufällig in einer Flensburger Disco kennengelernt hatte. Die beiden gründeten eine Familie und wurden Eltern von drei Töchtern: Emma, Ewa und Ella. Die drei bekamen Namen mit demselben Anfangsbuchstaben – aus einer familiären Tradition heraus. Denn die Schwestern von Lena heißen Lisa und Laura. Mitten im Kinderreigen zog die junge Familie nach Wees. „Ich mochte schon immer das Dorf, wo man nicht dicht an dicht lebt“, sagt die dreifache Mutter. „Wees ist noch ein bisschen wie Klein-Bullerbü.“ Zum Alltag gehören ein Haushalt mit Einkauf und Kochen sowie Hündin „Momo“, die mit treuen Augen herumschleicht.

Corona-Pandemie und neue Ideen
Kurz danach traf die Corona-Pandemie die Künstler-Branche wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Alles wurde anders. Musikschulen mussten schließen, Treffen waren nicht mehr möglich. Lena Mahrt musste alles herunterfahren. Sie organisierte alles ein wenig kleiner, als Musikunterricht wieder erlaubt war. Sie leitet nun „Dein Chor“, und zwar jeden Montag für Erwachsene in Wees. Kinder ab acht Jahren versammeln sich jeden Mittwoch als „Young Voices“ im Engelsbyer Piccolo-Eiscafé-Eventraum. Es gibt zwei Gruppen – sortiert nach dem Alter der Kleinen. Das Konzept: Singen nach Gefühl, ohne Noten und Partitur. Am 30. November ist im Deutschen Haus ein großes Mitmach-Konzert der „Lichterkinder“ mit den „Young Voices“.

Weiterhin gibt Lena Mahrt Gesangsunterricht. Aber nicht mehr in einem angemieteten Ambiente, sondern nur ein paar Privatstunden im hauseigenen Proberaum. Für eine kleine Zahl von Klienten. Eine der Gesangsabsolventinnen war zugleich Impulsgeberin für eine neue Idee und ein dazugehöriges einwöchiges Seminar. Lena Mahrt ist seitdem Rednerin für freie Trauungen. Als „Küstenkehlchen“ schreibt sie Lieder und Reden, lässt sich von Ingo Obermüller an der Gitarre begleiten und hat 15 bis 20 Hochzeiten zwischen April und September im Terminkalender. „Mit viel Herz und spontanem Witz erzähle ich persönliche Liebesgeschichten“, erklärt Lena Mahrt. „Ich liebe einfach alles, was mit Musik, Liebe, Menschen und Kreativität in Verbindung steht.“

Immer noch probiert sie gerne etwas Neues aus. Derzeit probt sie häufiger mit zwei erfahrenen Kollegen aus dem Jazz- und Chanson-Sektor. „Auf der Bühne bin ich einfach zu Hause“, stellt Lena Mahrt klar. „Nichts erfüllt mich mehr als in die strahlenden Augen um mich herum zu blicken, wenn ich es geschafft habe, zu berühren – sei es mit einem gefühlvollen Song oder einfach nur mit meinen Erzählungen.“ Sie beginnt zur Melodie von „Wind of Change“ zu pfeifen. „Lena wurde kein Popstar, es sollte einfach nicht sein“, bilanziert sie. „Aber das war nicht schlecht, denn so öffneten sich für mich ganz andere Tore und Türen…“

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat