Gespräch mit Dr. Fabian Geyer

9/11 steht als Symbol für den Anschlag auf die Twin-Towers in New York am September 2001. Die Welt erstarrte vor einem nie für möglich gehaltenen Terroranschlag.
Für Dr. Fabian Geyer wird darüber hinaus der 10. und 11. März 2020 für immer in Erinnerung bleiben. An diesen Tagen erfuhr der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Flensburg, Schleswig, Eckernförde im Urlaub in Leipzig vom „Lockdown“ der Wirtschaft. Von einem auf den anderen Tag standen in vielen Betrieben die Räder still, wurden Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt, Schulen geschlossen, stockte der gewerbliche Verkehr. Seitdem stand sein Telefon nicht mehr still. Betriebe waren verwirrt, verzweifelt, bangten um ihre Existenz und die ihrer Beschäftigten. Kaum ein Betrieb, ein Gewerbe, eine Familie, die nicht betroffen war und noch ist. Das hatte es in der Nachkriegsgeschichte noch nie gegeben. Ein Schock, von dem sich viele Betriebe bis heute nicht erholt haben. Schlimmer noch! Bei wachsenden Infektionszahlen droht eine erneute Schockwelle, die weitere Opfer in der Wirtschaft kosten wird. Nicht nur Betriebe, so Fabian Geyer, auch die städtische Verwaltung wie die des Landes schlossen die Türen, schickten ihre Beschäftigten in häusliche Quarantäne. Anträge, Genehmigungen, Beschwerden wurden nicht bearbeitet, Bau- und Investitionsmaßnahmen stockten, wichtige Termine verstrichen. Die Wirtschaft hielt den Atem an, verfiel in eine Schockstarre!

The days after

Fast ein halbes Jahr ist seitdem vergangen, doch von Normalität keine Spur. Jetzt tauchen die ersten Zweifel auf, auch beim Arbeitgebervertreter, ob alle Maßnahmen in diesem Ausmaße angemessen und gerechtfertigt waren. Fabian Geyer ist nicht der Auffassung, dass die Politik grundsätzlich falsch gehandelt hat, notwendige Maßnahmen versäumt oder die Unternehmen im Stich gelassen hat. Doch ihm fehlt eines: Eine kritische, konzertierte Aufarbeitung dessen, was in den vergangenen Monaten unter dem Mantel der Notmaßnahmen veranlasst wurde. Dabei hat man, was kaum jemand weiß, ein solches Szenario vor 15 Jahren geübt, den Ausbruch einer Seuche mit einem vergleichbaren Erreger, ihre Auswirkungen und die Hilfsmaßnahmen simuliert. Doch wo ist die Auswertung? Dr. Fabian Geyer vermisst sie. Katastrophen geschehen, auch unvorhersehbare. Entscheidend sei was man daraus lernt, wie man die Erfahrungen für die nächste Krise nutzt. Eine Aufgabe, die er als nicht erfüllt sieht. In dem vorliegenden Bericht der damaligen Simulation ging man von einer Dauer der Epidemie von drei Jahren aus! Keine guten Aussichten, wenn das für die aktuelle Pandemie zutreffen würde.

Teure Hilfen

Der Staat hat dank der zurückliegenden Hochkonjunktur Rücklagen bilden können und streut jetzt Milliarden Unterstützungsgelder in alle Bereiche der Wirtschaft, verlorene Zuschüsse, also ohne Rückzahlung, aber auch Kredite und Steuererleichterungen.
Kredite jedoch, so der Arbeitgebervertreter, müssen zurückgezahlt werden. Das jedoch ist nur möglich, wenn die Wirtschaft in den nächsten Jahren wieder auf die Beine kommt, Gewinne erwirtschaftet und die Verluste ausgleichen kann. Viele Betriebe werden damit Probleme haben. Zum einen fehlen ihnen die Einnahmen aus mehreren Monaten des „Lockdowns“. Verluste, die etwa in der Gastronomie, auch bei gutem Herbstgeschäft nicht ausgeglichen werden können. Dazu kommt dann die Belastung durch Kreditschulden. Dies wird, so Dr. Geyer, in naher Zukunft weitere Opfer kosten. Opfer nicht nur in Form von Insolvenzen und Betriebsschließungen, sondern auch durch Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Eine zweistellige Zahl von Arbeitslosen bis zum Ende des nächsten Jahres hält er für nicht ausgeschlossen. Dies wiederum mindert die Kaufkraft und führt zu weiteren Einnahmeausfällen. Ein Teufelskreis, der seiner Meinung nach nur durchbrochen werden kann, wenn die politischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessert werden. Steuererleichterungen helfen erst dann, wenn wieder Gewinne gemacht werden.
Damit kehrt Dr. Geyer zu einer Forderung zurück, die er seit Jahren vehement vertritt: Mehr Wirtschaftsverstand in Politik und Verwaltung und das im Dialog mit den Vertretern der Wirtschaft. Die werden zwar angehört, doch politisches, zuweilen auch ideologisches Kalkül verhindert oft ein der Situation angemessenes Ringen um Lösungen. Ein „Weiter so!“ ist seiner Meinung nach nicht genug. Die staatlichen Fördermaßnahmen, die jetzt Milliarden verschlingen, stützen auch Unternehmen, deren Struktur und Nachhaltigkeit in Frage stehen.

Investitionen in die Zukunft

Nicht nur die Arbeitgebervertreter fordern jetzt in zukunftssichere, nachhaltige Entwicklungen zu investieren. Das wäre auch für die norddeutsche Wirtschaft eine Chance, nicht nur das Bestehende zu bewahren, sondern nachhaltig zu investieren. Auch wenn die Elektromobilität historisch nur eine Übergangslösung darstellen wird, fordert Dr. Geyer eine massive Förderung, vor allem aber Erleichterungen für Investitionen und Betriebsführung.
„Es geht nicht nur um das Auto, das jetzt im Fokus ist, sondern in Innovationen bei Bahn, Bus, bis hin zu Kleingeräten.“
Der Strom ist da, die Windkraftwerke und Solarpanels liefern Strom, mehr als das Netz verträgt und die Industrie in manchen Zeiten abnehmen kann. Dabei gibt es gerade im Norden oft junge Unternehmen, die an technischen Lösungen etwa zur Wasserstoffproduktion und -speicherung arbeiten. Diese müssten massiv entlastet werden, von Abgaben, Steuern und behindernden Genehmigungsverfahren. Was die deutsche Automobilindustrie bei der Elektromobilität verschlafen hat, kann sich bei der Brennstofftechnik wiederholen, wenn nicht unkomplizierter, zielorientierter und schneller gehandelt wird. Es gab Entwicklungen, das wird jetzt in der Krise deutlich, die überzogen waren, einen falschen Kurs steuerten, etwa die überbordende Entwicklung von Kreuzfahrtschiffen. Die liegen jetzt und vermutlich noch für lange Zeit vor Anker. Im Schiffbau gibt es andere, zukunftsträchtigere
Entwicklungen, von denen auch die ins Schlingern geratene Flensburger Werft profitieren kann. Hier sieht Dr. Geyer Licht am Ende des Tunnels, eine Neuausrichtung, die hunderte von Arbeitsplätzen in Flensburg und der Region retten könnte.
Und es gibt erfolgreiche Betriebe, die von der Krise fast unberührt, sich im Aufschwung befinden, voran die FFG, die von vermehrten Aufträgen nicht nur der Bundeswehr, sondern gleichfalls von denen befreundeter Staaten profitieren.

Wie viel darf, wie viel soll der Staat?

Wie sehr darf sich der Staat in die Wirtschaft einmischen, ohne den freien Wettbewerb und deren Unabhängigkeit zu gefährden? Diese Frage stellen wir dem Arbeitgebervertreter im Hinblick auf die massiven staatlichen Hilfen und Einmischungen während der Corona-Krise.
Die Versuchung ist groß, mit der Vergabe von Mitteln auch Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen. Bei den Stützungsmaßnahmen für die Lufthansa ist das deutlich geworden. Hier hat die Politik letztendlich nach langem Ringen darauf verzichtet, beschränkt sich auf die Rückforderung der Kredite. Was die Wirtschaft fordert, sind jedoch Rahmenbedingungen, unter denen sie langfristig, über Legislaturperioden der Politiker hinaus, planen kann.
Ein herausragendes Beispiel ist die Digitalisierung. Wer, wie der Autor, in den letzten Wochen durch die Republik gereist ist, erfährt einen Flickenteppich schwacher bis nicht vorhandener Netzabdeckung. Und das nicht in abgelegenen Bergtälern, sondern mitten im industrialisierten Norden und der Mitte des Landes. Das „E“ oder „H“ auf der Mobilfunknetzanzeige ist zum Symbol für eine rückständige digitale Infrastruktur des Landes geworden. Hier müssen Milliarden fließen, vor allem bindende Vorgaben der Politik an die wenigen Betreiber der Netze. Anstatt Milliarden für die Vergabe von Netzlizenzen zu verlangen, sollten die Gelder in den flächendeckenden Ausbau der Netze investiert werden. Digitales Netz und Straßenbaunetz sind mindestens gleichbedeutend für
eine erfolgreiche Gesellschaft.
Viele Maßnahmen, so kritisiert Fabian Geyer, sind nicht zu Ende gedacht. Beispiel ist die Digitalisierung von Schulen. Was nützen Mittel für Tablet- PCs, wenn es keine Mittel für die professionelle Erstellung von Anwendungen gibt, jeder Schule freigestellt ist, mit welchem Betriebssystem sie arbeiten will. Oftmals fehlen grundlegende Kenntnisse bei den Pädagogen. Für nicht wenige war, vielleicht auch noch ist, die digitale Welt „Teufelszeug“. Es fehlen Betreuer, die die Geräte warten, die Lehrer beraten und weiterbilden und eine Plattform für die Entwicklung während der nächsten Jahre schaffen. Auch hier gilt das Gleiche wie für die Wirtschaft. Wichtig sind Rahmenbedingungen, an denen sich die Akteure ausrichten können.
Das erfordert, so schließt sich der Kreis, nach Dr. Geyers Einschätzung, einen intensiven Dialog der Beteiligten, der verantwortlichen Politiker, der Betroffenen und der Wirtschaft.


Bericht und Foto: Dieter Wilhelmy

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