Anfänge

Vor 40 Jahren, im September 1983, fand in der als Garage genutzten Schlosserei-Werkstatt Pilkentafel 2 zwischen Gerümpel und unter tropfendem Dach die Premiere von „Wir werden uns leidenschaftlich lieben“ statt. Regie in dem Stück, in dem zwei junge Frauen über ihre Vorstellungen, Wünsche und Träume von Männern redeten, führte Elisabeth Bohde, die nach einem Studium in Aix-en-Provence und ersten Berufserfahrungen in Nürnberg nach Flensburg zurückgekehrt war. Niemand hätte damals gedacht, dass dieses Stück bundesweit in 80 Aufführungen gespielt und als Beispiel einer jungen feministischen Arbeitsweise ins Rahmenprogramm des Berliner Theatertreffens eingeladen würde. Und erst recht hätte niemand gedacht, dass 40 Jahre später an derselben Stelle ein gut ausgestattetes Theater Performances aus ganz Deutschland zeigt. Schon mit diesem ersten Stück waren Grundzüge der Methode der Theaterwerkstatt gefunden, so war das Publikum Teil der Aufführung und saß in Männer und Frauen getrennt an zwei Seiten eines weißen Laufstegs einander gegenüber.
Es folgten weitere Produktionen mit wechselnden Darstellern, die bundesweit tourten. Nur Torsten Schütte war ab da immer dabei. Es war die Gründerzeit vieler Freier Theatergruppen, die ausgehend von eigenen Erfahrungen, getreu dem Motto „Das Private ist das Politische“, Stücke entwickelten und damit durchs Land fuhren. Alles das in der Aufbruchsstimmung der damaligen Alternativszene, die nach neuen Lebensformen suchte und andere Modelle von Leben und Arbeit ausprobierte.

Szene aus „Wir werden uns leidenschaftlich lieben“, 1983

Mit Kindertheater in die Welt

Das Ensemble der Theaterwerkstatt wandte sich ab den späten 80ern verstärkt dem Theater für Kinder zu. Mit „Waschtag“, einem stillen, kleinen Stück für die damals noch kaum beachtete Gruppe der sehr kleinen Kinder, gelingt ein Welterfolg. Die Gruppe fährt von Festival zu Festival, in viele europäische Länder, aber auch an Orte, an denen es kaum professionelles Kindertheater gibt, wie das südliche Afrika, Mexiko, Indien und in Konfliktgebiete wie Sarajevo. Diese Reisen führten zu vielen prägenden Erfahrungen.

Haus-Gründung

So wurde zu Hause in Flensburg im Vorderhaus der Pilkentafel geprobt und gewohnt, die Premieren aber fanden in immer anderen mehr oder weniger ungeeigneten Räumlichkeiten in Flensburg statt, und danach dann ging es wieder auf Reisen. Dauerhaft war das kein Leben für eine Familie mit mittlerweile drei Kindern. Und so begann schon Ende der 80er ein langer zäher Kampf mit der Stadt Flensburg, erst um geeignete Räume und schließlich um die finanzielle Unterstützung, eben diese Garage zu einem Theater umzubauen. 1998 konnten Torsten Schütte und Elisabeth Bohde endlich die ersehnte Spielstätte eröffnen.

Theater für Flensburg

Mit der eigenen Spielstätte entsteht ein Programm für die Flensburger, zunehmend auch wieder für Erwachsene. Dabei ging es nie darum, ein Publikum zu bedienen oder seine Wünsche zu erfüllen, sondern es herauszufordern, zu überraschen, zu konfrontieren, zu irritieren – aber immer zu meinen. Es entstehen Stücke wie „Westliche Höhe“ oder „Vom Reisen in ehemalige Kolonien“, die schwierige Themen der Stadtgeschichte aufarbeiteten und der Pilkentafel den Ruf eintrugen, das Gewissen der Stadt zu sein.
Außerdem lud die Pilkentafel zu großen Produktionen mit bis zu 50 „Experten des Alltags“ im Stadtraum oder leerstehenden Gebäuden ein.
Auch wenn die Pilkentafel für diese Arbeit 2010 den Kulturpreis der Stadt Flensburg erhielt, blieb die finanzielle Lage prekär, der Kampf um eine auskömmliche Förderung ging weiter, es fehlte das Geld für professionelle Mitarbeiter*innen und der gesamte Betrieb musste immer neben der Kunst erledigt werden.

Transformation in ein Produktionshaus

Vor etwa 10 Jahren begann sich die Theaterwerkstatt zu öffnen und andere Theater einzuladen, an diesem Ort nicht nur zu spielen, sondern auch zu proben. Daraus ist mittlerweile die Tafelrunde entstanden, ein Zusammenschluss mit 9 frei produzierenden Kollektiven oder Einzelkünstler*innen, die gemeinsam neue Wege der solidarischen Zusammenarbeit und gegenseitigen Inspiration ausprobieren. Mittlerweile machen die Aufführungen der Tafelrundenmitglieder einen großen Teil des Spielplans aus. Dazu kommen regelmäßige Künstlerresidenzen über das Netzwerk flausen+ und Gastspiele. Um genug Platz dafür zu schaffen, sind Elisabeth Bohde und Torsten Schütte nach über 30 Jahren Wohnen und Arbeiten am selben Ort aus der Pilkentafel ausgezogen.
Dieser Prozess der Vergrößerung und Öffnung hat 2019 mit dem gut dotierten Theaterpreis des Bundes, einer angemessenen Erhöhung des städtischen Zuschusses und den vielen Sonderprogrammen aus der Kulturmilliarde des Bundes richtig Fahrt aufgenommen. Damit war es möglich, drei feste Stellen für Finanzen, ÖA und Technik und damit Arbeitsstrukturen zu schaffen, deren Professionalität derer auf der Bühne entsprechen.

Und wieder eine sorgenvolle Zukunft

Diese Sonderförderung, die der gesamten Freien Szene ermöglichte, die Strukturen aufzubauen, die sie schon lange forderte und auf die sie gut vorbereitet war, brechen nun komplett ab und nicht nur die Theaterwerkstatt Pilkentafel befindet sich wieder in einer existentiell gefährlichen Unterfinanzierung. Es ist das Gegenteil von nachhaltig, all diese bundesweit gerade aufgebauten gut funktionierenden Netzwerke, Betriebsstrukturen und Personalstellen wieder abzubauen. Die Lösung dieses Problems kann nur in einer deutlich höheren Förderung aus regionalen Mitteln liegen. Sonst wäre auch die Weiterentwicklung in der Pilkentafel, die in den letzten Jahren so viel an Substanz und Potenzial gewonnen hat und eine Zukunft über die Arbeit von Torsten Schütte und Elisabeth Bohde hinaus möglich macht, abrupt beendet.

Ausblick

Keine guten Nachrichten zu dem Jubiläum 40 Jahre Pilkentafel als Ensemble und 25 Jahre Pilkentafel als Haus, an dem auch das digitale Archiv an den Start geht, in dem nun über 80 Produktionen, zahllose Interventionen, Reisen, Kämpfe und Gedanken für alle zugänglich und sichtbar werden.
Aber es gilt das Prinzip Hoffnung und mit den vielen neuen Verbündeten wurde nun erst mal gefeiert.

Fotos: Ina Steinhusen

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