Wussten Sie eigentlich, dass Robert Habeck, längst bundesweit bekannter Grünen-Politiker, nicht der einzige Flensburger sein wird, der dem nächsten deutschen Bundestag angehört? Nun, falls Sie es noch nicht wussten – wir möchten Ihnen den anderen Flensburger mit Sitz im deutschen Parlament an dieser Stelle ausführlich vorstellen. Auch dieser Politiker ist kein ganz gewöhnlicher Vertreter seiner Zunft; er ist auch einer von denen, die künftig wohl regelmäßig in unseren Medien präsent sein dürften. Warum eigentlich? Ganz einfach, er ist der Vertreter des SSW – des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) (dänisch Sydslesvigsk Vælgerforening, nordfriesisch Söödschlaswiksche Wäälerferbånd), der hier oben allseits bekannten Minderheiten- und Regionalpartei in Schleswig-Holstein.
Die Rede ist von Stefan Seidler, dem Spitzenkandidaten des SSW zur Bundestagswahl am 26. September 2021. Erstmals seit mehreren Jahrzehnten zieht die Partei der dänischen und friesischen Minderheit wieder mit einem Abgeordneten in den Bundestag ein. Das war deshalb möglich, weil der SSW immerhin 55.330 (Zweit-)Stimmen erhielt, was einem Anteil von 3,1 Prozent der ausgezählten Stimmen in Schleswig-Holstein entspricht.
Dass der SSW ein solch historisches Wahlergebnis erzielt hat, liegt mit Sicherheit an mehreren Faktoren – etwa am gewagten Wahlwerbespot, der die Protagonisten als Besatzung eines Wikingerschiffs darstellte, halt typisch fürs Klischee und die Geschichte unserer Vorfahren, Stichwort Haithabu. Aus norddeutscher Sicht ist dieser Wahlerfolg garantiert gut für die deutsch-dänische Zusammenarbeit, da sich nun ein profunder Kenner der Grenzminderheiten auf den Weg nach Berlin machen wird (allerdings wohl nicht an Bord eines Wikingerschiffs). Übrigens passen Stefan Seidlers Initialen wie die Faust aufs Auge zu der von ihm vertretenen Partei: SSW = Stefan Seidler wählen? Diese Erkenntnis lässt ihn schmunzeln, doch wir wollten auch noch einige andere Dinge über ihn und sein bisheriges Leben in Erfahrung bringen …
Stefan Seidlers Herkunft und Werdegang
Unsere erste Frage, ob er eher das hyggelige und skandinavisch-typische „du“ der deutschen Höflichkeitsform „Sie“ vorziehen würde, beantwortet er mit einem knappen „Das du natürlich!“ Und so haben wir es im weiteren Gespräch auch gehalten!
Er entstammt einer typischen Familienkonstellation unserer Grenzregion.
Stefan Seidler ist der Sohn einer aus Aabenraa/Apenrade (DK) stammenden Lehrerin, die für den SSW dem Stadtrat von Flensburg angehörte, und eines Flensburger Kaufmanns. Seine Mutter Birgit Möller Seidler war u. a. in den Jahren um die Jahrtausendwende langjährige Kreisvorsitzende des SSW, und stets in der Partei aktiv. Stefan erblickte in Flensburg das Licht dieser Welt, ganz am Ende der 70er Jahre, am 18.12.1979 wurde er geboren. Aufgewachsen und groß geworden ist er im Flensburger Stadtteil Weiche. „Mit Weiche verbinden mich auch heute noch starke Gefühle und zahlreiche Kontakte. Weiche ist einfach meine Heimat, mein Stadtteil. Hier habe ich eine schöne und unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit verbracht, im örtlichen Fußballverein ETSV Weiche Fußball gespielt unter den Trainern Klaus Görres und Dennis Hagen. Als meine schulischen Leistungen jedoch rapide nachließen, musste ich leider vor dem Wechsel in die A-Jugend die „Bolzer“ an den Nagel hängen – die Schule hatte absoluten Vorrang.“
Er besuchte die nahe gelegene dänische Grundschule Oksevejens Skole, machte 1996 den Realschulabschluss an der Gustav-Johannsen-Skolen, einer dänischen Schule in der Eckenerstraße – heute eine Gemeinschaftsschule. Seine Schulkarriere setzte er anschließend fort, und „baute“ im Millenniumsjahr 2000 das Abitur an der Duborg-Skolen. Schon während der Schulzeit engagierte Stefan sich, diskutierte gern über aktuelle gesellschaftliche Themen, interessierte sich brennend für alle möglichen politischen Fragen, und wurde von seinen Mitschülern folgerichtig zum Klassensprecher und später gar Schulsprecher bestimmt. Nach dem erfolgreichen Ende der Schulzeit rief „Vater Staat“ nach dem jungen Mann, er leistete seinen elf Monate dauernden Zivildienst im Flensborghus in der Norderstraße ab.
Nach Beendigung des Zivildienstes hatte er endlich freie Bahn für die Berufsausbildung. Wegen seiner politischen Interessen und seines frühen Engagements beim Jugendverband des SSW – war es naheliegend, dass sein Berufswunsch in die politische Richtung gehen würde.
Beruf und Politik
Nach Sichtung der in Frage kommenden Studienangebote entschied er sich für ein Studium nördlich der Grenze. Er studierte an der Universität Aarhus das Fach Politikwissenschaften, machte dort den Master in Staats- und Politikwissenschaft, erwarb ein Diplom in politischer Kommunikation (Aarhus Universität), und war dort Mitglied der linksliberalen „Radikale Venstre“ (Radikale Linke, hierzulande irgendwo zwischen SPD, Grünen, FDP angesiedelt).
Nach dem Studium arbeitete er als Programm-Manager beim Interreg-Entwicklungsprogramm der Europäischen Union, und war als Berater für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Dänemark und Deutschland tätig. Seit 2014 koordiniert er im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung die Zusammenarbeit mit Dänemark, wurde seinerzeit vom damaligen schleswig- holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig in die Landeshauptstadt Kiel geholt.
Politische Posten
Schon in jungen Jahren war Stefan bürgerschaftliches Mitglied der Ratsversammlung Flensburg für den SSW, von 1998 bis 2001, und später erneut ab dem Jahr 2020. Er war auf Landesebene der Verantwortliche für die grenz überschreitende Zusammenarbeit der Region Süddänemark, bei der er vor allem mit deutschen Politikern in Kiel in Kontakt stand. Genau aus diesem Grund hatte ihn seinerzeit seine ehemalige Lehrerin von der Duborg Skolen, Anke Spoorendonk, ihrem Regierungschef Albig empfohlen. Das war 2014, als sie Justiz-, Kultur- und Europaministerin der Regierung in Kiel war.
Mitgliedschaften und Privatleben
Stefan Seidler ist folgerichtig Mitglied im SSF, im Grænseforeningen, in der dänischen DJØF Gewerkschaft, und … jetzt geht es in den Bereich Freizeit und Hobby: im Genesis-Fanclub. Seine Hobbys, die oftmals leider viel zu kurz kommen sind Langstrecken-Lauf, Konzerte, Reisen, Heimwerken, Kochen, und er betätigt sich gern als Hobby-DJ! Seine bevorzugten Laufstrecken liegen an der Ostseite der Flensburger Förde – etwa von der Hafenspitze bis Sonwik und zurück, oder mit dem Wagen zum Quellental, dann per pedes entlang des Spazierwegs bis nach Holnis – wenn es extrem gut läuft …
Heute wohnt er „Am Margarethenhof“ – da kommt übrigens sein Vater her, wie er uns verriet. Das ist mittenmang in Flensburg, einen Steinwurf von City und Hafenspitze entfernt. Er ist verheiratet mit Marianne; die beiden haben gemeinsam die Töchter Lisbeth und Helene, 12 und 14 Jahre alt. Seine „drei Frauen“ wohnen übrigens nördlich der Grenze. Beide Töchter sind Leistungsschwimmerinnen im dänischen Nationalkader, haben es dank ihres Lebensmittelpunktes in Dänemark wesentlich einfacher, zum täglichen und intensiven Training für ihren Sport sowie zur Schule zu kommen. „Die teilweise räumliche Trennung bereitet uns keinerlei Probleme, im Gegenteil: So kann sich jede bzw. jeder auf sein Tagesprogramm konzentrieren, und die Freizeit genießen wir gemeinsam mal diesseits und mal jenseits der Grenze – die ja eigentlich keine Grenze mehr sein sollte.“
Woher die Motivation für den Bundestag zu kandidieren?
Sein Motto lautet „Jetzt kommt der Norden“ „Für mich steht fest: Unser Norden kommt in Berlin viel zu kurz. Fördergelder für Entwicklung und Infrastruktur fließen nur langsam in unsere Region. So kommen wir nicht richtig voran. Da muss einfach künftig mehr gehen! Unsere Region soll immer für alle lebenswert sein, dafür müssen wir sie fortentwickeln. Ich will anpacken und verhindern, dass wir im Schatten der Metropolen untergehen und immer wieder in Berlin vergessen werden.“
Warum hält er sich für besonders gut geeignet als SSW-Kandidat zur BT-Wahl?
„Ich habe mich als SSW-Kandidat zur Bundestagswahl aufstellen lassen, weil ich mich schon seit vielen Jahren für die Entwicklung unserer Region einsetze und immer wieder sehe, wie über unsere Köpfe hinweg bestimmt wird. Als Kind der Minderheit und „Flensburger Jung“ stört mich das – nein, es tut mir inzwischen weh. Das will ich ändern. Ich werde mich in Berlin auf unsere regionale Entwicklung konzentrieren und darauf, unsere Minderheiten häufiger auf die bundespolitische Agenda zu bringen. Das sind zwei sehr dicke Bretter, die ich mir vorgenommen habe. Aber ich erlebe auch andauernd, dass Fördergelder für Entwicklung und Infrastruktur langsam oder gar nicht in unsere Region fließen. So kommen wir nicht richtig voran. Deshalb will ich ordentlich die Trommel rühren für regionale Arbeitsplätze, hiesige Unternehmen und für heimische Produkte. Ich will dazu beitragen, dass wir hier oben sauber und klimaneutral mobil bleiben können – im öffentlichen Sektor, in den Betrieben und auch im privaten Zusammenhang. Ich kämpfe für sauberes Trinkwasser und gesäuberte Gewässer. Und ich will Brücken bauen: digitale, Brücken zwischen Stadt und Land und über die Grenze hinweg.“
„Für diese drei politischen Ziele werde ich mich im Bundestag besonders einsetzen:
- Ich will im Bundestag eine „Allianz für unseren Norden“ schmieden. So etwas gab es dort bislang noch nicht. Mein Vorbild ist die „Jyske Mafia“, die bis Ende der 90er Jahre im dänischen Folketing für massive Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Entwicklung in Jylland gesorgt hat. Das war harte Lobbyarbeit im Parlament. Das geht nur zusammen mit regionalen Akteuren und über Parteigrenzen hinweg. Hier kann ich meine Erfahrungen aus der Arbeit in der Landesregierung einbringen. Zur Allianz gehören aber auch dänische Akteure. Die dänische Regierung musste beispielsweise immer wieder in Berlin auf die A7 als zentrale Nord-Süd-Verbindung hinweisen, weil sie dort kaum eine Rolle spielt. Ohne diesen Rückenwind wäre der Neubau der Rader Hochbrücke nie in den Bundesverkehrswegeplan gekommen. Meine guten Verbindungen nach Kopenhagen und nördlich der Grenze werde ich zu Gunsten unseres Grenzlandes und unserer Minderheiten konsequent in Berlin nutzen.
- Skandinavische Werte wie Vertrauen, Respekt und Gleichheit lebe ich selbst täglich und ganz selbstverständlich. Sie bilden die Grundlage einer modernen Gesellschaft, wo die Grundsätze des gleichen Lohns bei gleicher Arbeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen gelten. Das alles und die flachen Hierarchien, digitale Verwaltung, nordischer Sozialstaat und die Einbindung der Bürger*innen kennt man in Berlin bestenfalls aus Erzählungen. Man muss das Rad aber nicht zweimal erfinden, sondern sollte gute Praxisbeispiele, auch und gerade aus Dänemark, übernehmen. Dafür will ich mich stark machen.
- Ich verstehe mich als Türöffner für alle Anliegen aus der Region. Jetzt stehen die Interessen der Minderheiten quasi vor der Tür und ich höre immer wieder, dass man sich in Berlin wie ein Bittsteller vorkomme. Als Abgeordneter habe ich die Möglichkeit, Anfragen an die Regierung zu stellen und kann mein Knowhow über die richtigen Ansprechpartner*innen zur Verfügung stellen.“
Der Alltag als Bundestagsabgeordneter
Wie wird sich der künftige Tagesablauf des Bundestagsabgeordneten Seidler darstellen?
„Im deutschen Bundestag gibt es die sogenannten Sitzungswochen, die jeweils von Montag bis Freitag andauern, in der Regel sind es zwei Wochen pro Monat – die Ferienzeit im Sommer mal ausgenommen. In jenen Wochen werde ich in Berlin anwesend sein, in den anderen Wochen werde ich jedoch die meiste Zeit in meinem Wahlkreis verbringen wollen. Mein Ziel ist, so viel Zeit wie möglich in „meiner Heimatregion“ zu nutzen, um die Probleme, Sorgen und Nöte der hiesigen Menschen wahrnehmen und nachvollziehen zu können. Das halte ich für eine erfolgreiche Arbeit im Parlament als unbedingt erforderlich.“ Er ergänzt:
„In Berlin bin ich gerade dabei, Personal für ein Team zu suchen, das mein dortiges Abgeordnetenbüro führt und mir vor Ort zuarbeitet, sowie eine kleine Zweitwohnung, in der ich während der Berlin-Aufenthalte wohnen werde. Neben der monatlichen Abgeordnetenentschädigung kommt eine steuerfreie Aufwandspauschale für die so genannte Amtsausstattung hinzu. Davon müssen alle Ausgaben bestritten werden, die zur Ausübung des Mandates anfallen: vom Wahlkreisbüro über den zweiten Wohnsitz in Berlin bis hin zum Büromaterial. Übrigens hat ein Abgeordneter keinen eigenen Dienstwagen. Der Bundestag betreibt in Berlin dafür einen Fahrdienst. Diesen können Abgeordnete für dienstliche Belange nutzen.“
„Ich bin gespannt auf meine Zeit als Bundestagsabgeordneter, Vorfreude auf das Kommende macht sich bei mir breit!“
Das Flensburg Journal bedankt sich bei Stefan Seidler für das Gespräch und wünscht ihm eine gute Zeit – und stets ein glückliches Händchen bei seinem Handeln und Tun!
Mit Stefan Seidler schnackte Peter Feuerschütz
Fotos: SSW, privat