Auf seiner Visitenkarte steht: „Die schönste Förde der Welt“. Günter Fenner ist Vorsitzender dieses Vereins. Es handelt sich um einen Zusammenschluss zahlreicher Flensburger Unternehmen, die damit ein kontinuierliches Regional-Marketing betreiben. Im Slogan „Flensburg liebt dich“ schwingt Lokalpatriotismus mit. Und wenn Günter Fenner Details zu Straßen und Gegenden an der „schönsten Förde“ erzählt, ist der Zuhörer sicher, einem waschechten Flensburger gegenüberzusitzen. Dem ist allerdings nicht ganz so. Der junge Rentner lebt zwar seit fast einem halben Jahrhundert in Flensburg, verbrachte dort aber nicht Jugend und Kindheit. Er wurde 1954 in Frankfurt am Main geboren und wuchs dort auch auf – bis zum Abitur.
Obwohl: Hessen verließ er schon damals regelmäßig, um für einige Wochen im hohen Norden zu landen. „Schuld“ waren die Großeltern aus Schleswig, die Günter Fenner seit seinem zweiten Lebensjahr immer wieder besuchte. „Da muss meine Affinität zum Wasser und zum Norden entstanden sein“, vermutet er. Zumindest war es so, dass er unbedingt nach Flensburg wollte, als sich die Bundeswehr meldete. Der junge Mann absolvierte die Grundausbildung in Meierwik, war dann nach seiner Ausbildung zum Horchfunker an der Marine-Fernmeldeschule mit der Funkaufklärung beschäftigt. Das war von 1972 bis 1974.
Die Fernmeldeschule hatte in der Mürwiker Straße die Hausnummer 201. Nicht weit war es zur 77. Dort stand die altehrwürdige Pädagogische Hochschule. In seiner Freizeit hatte Günter Fenner immer wieder mit Studenten zu tun, und irgendwann betrat er das PH-Gebäude und entdeckte am weißen Brett einen Hinweis: Der „Flensburger Kinderladen“ suchte ehrenamtliche Mitarbeiter. Dabei handelte es sich um eine Art freien Kindergarten mit modernen Erziehungsformen, die ganz konträr zu der autoritären Pädagogik der Nachkriegszeit standen.

Günter Fenner war neugierig geworden, meldete sich und sammelte vormittags pädagogische Erfahrung, wenn es der Schichtdienst bei der Bundeswehr zuließ. Zum Wintersemester 1974/75 schrieb er sich an der PH ein und studierte nun auf Grund- und Hauptschullehrer. Die Fächer-Kombination? Deutsch, Sport und Pädagogik. Mit nur 600 Studenten war die kleine Hochschule weit entfernt vom heutigen Uni-Betrieb. „Wir hatten Studien-Bedingungen, für die man heute bestimmt 30.000 Euro pro Jahr aufbringen müsste“, glaubt Günter Fenner. „Wir hatten einen direkten Draht zu den Professoren – und sie kannten jeden persönlich.“
Nach sechs Semestern meisterte er planmäßig das erste Staatsexamen. Nicht geplant war allerdings der Kontakt mit der Projektgruppe „Ausländische Arbeiterkinder“ (AAK). Die war einst aus einem Religions-Leistungskurs am Alten Gymnasium entstanden und half vor allem türkischen und griechischen Kindern bei der sprachlichen Integration. Die Abiturienten wurden älter und nahmen ihre Schöpfung mit an die PH. Dort dozierte mit Hans-Günther Homfeldt ein Professor, der viel Wert auf eine Verzahnung von Theorie und Praxis legte. Aus dem Projekt „AAK“ wurde ein eingetragener Verein – so etwas wie ein „Start-Up“ der 70er Jahre.

In seinem Studium beteiligte sich Günter Fenner aktiv an „AAK“. Dann erhielt er eine ABM-Stelle und war ab 1978 einer von zwei Angestellten. 1980 stieg die Arbeiterwohlfahrt ein und vergrößerte das Fundament des Vereins „AAK“ – mit Hilfe von Landesmitteln. In der Nordstadt entstand so ein Stadtteil-Zentrum, in dem Günter Fenner als Sozialarbeiter tätig war. Nachmittags organisierte er Freizeitangebote für den Nachwuchs türkischer Familien, trainierte beispielsweise eine Fußball-Mannschaft. Zusätzlich gab es eine Beratung für Themen wie Aufenthaltserlaubnis, Krankenkasse oder Arbeitsgenehmigung. Später begleitete „AAK“ die Jugendlichen auch bei ihren Ausbildungen, unterstützte sie in Theorie und Sprache für die Berufsschule.
Zeitweise war Günter Fenner auf Teilzeit angestellt. Er trieb sein Studium voran. Das erste Staatsexamen wurde als Vordiplom anerkannt. 1981 folgte der Abschluss als Diplom-Pädagoge. Da war der gebürtige Hesse bereits verheiratet. An seinem 22. Geburtstag hatte er seine Marlis, eine PH-Studentin, kennengelernt. 1979 heiratete das junge Paar, wohnte zusammen an der Exe und später in der Nerongsallee. 1989 kam Tochter Merle zur Welt. Zwei Jahre später bezog die kleine Familie ihr Haus in der Nähe des Ostseebades. Umringt von mehreren Gebäuden aus den letzten Zügen der Kaiserzeit ist dort bis zum heutigen Tag das Zuhause.

Beruflich kam es 1991 zu einer neuen Weichenstellung. Da die „AAK“ ein Verein war, hatte diese natürlich auch einen Vorstand. Als Vorsitzender fungierte Hans Thielsen. Der war hauptberuflich Geschäftsführer der „Mürwiker Werkstätten“. Diese Einrichtung war ein Kind der 60er, als behinderte Menschen besseren Zugang zum gesellschaftlichen Leben und ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz erhielten. Hans Thielsen hatte eine Optimierung der „Mürwiker Werkstätten“ im Sinn und sagte zu Günter Fenner mit einem Zwinkern: „Ich brauche einen Diplom-Pädagogen.“ Dieser wechselte seinen Arbeitgeber, war nun für die „Mürwiker Werkstätten“ als Leiter des Wohnbereichs tätig. Das erste Büro befand sich im Treeneweg. Die Wohnkomplexe standen nebenan in Flensburg sowie in Dollerup und Niebüll.

Günter Fenner war bei den „Mürwiker Werkstätten“ voll engagiert, seine Zuständigkeiten erweiterten sich auf den Berufsbildungsbereich. Intern wurde das Ziel formuliert, neben den geförderten Werkstätten-Plätzen durch 100-prozentige Tochterunternehmen auch mit Arbeitsplätzen am freien Markt zu bestehen. 1996 wurde die „Förde Direkt Service GmbH“ (FDS) als Inklusionsbetrieb aus der Taufe gehoben. Ein Inklusionsunternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass die Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten mindestens bei 30 Prozent liegt. Die FDS übernahm zunächst Fahrdienste für die „Mürwiker Werkstätten“, Kfz-Reparaturen und Reinigungsdienste. Allmählich ergänzten Hausmeister-Tätigkeiten, Malerarbeiten, Fahrzeug-Aufbereitung und ein Fahrradladen das Spektrum. Beim „größten Inklusionsbetrieb in Schleswig-Holstein“, der 160 Mitarbeiter in Flensburg und Niebüll zählte, war Günter Fenner von Anfang an als Prokurist tätig.
2006 übernahm er als Nachfolger von Hans Thielsen die Geschäftsführung der „Mürwiker Werkstätten“ und trieb den Aufbau der kleinen Firmengruppe weiter voran. Logistik und Ausführung für die „Mürwiker“ sowie einige Fremdaufträge fütterten die „Dienstleistungsgesellschaft Nord“ (DGN). Ein Pflegedienst bereicherte das Portfolio ebenso wie ein zweiter Inklusionsbetrieb: die Wäscherei Negel & Tautz in Handewitt. 2019 zählten die „Mürwiker“ mit ihren Tochter­unternehmen rund 1500 Mitarbeiter. Davon hat etwas mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer eine geistige oder seelische Behinderung.
Ein Geschäftsführer kümmerte sich auch um die Image-Pflege seines Betriebs. „Wenn man Menschen danach fragte, wer wir eigentlich sind, gab es oft nur die knappe Antwort, dass wir mit Behinderten arbeiten“, erklärt Günter Fenner. Das war ihm zu dürftig, und er wollte „Die Mürwiker“ mit dem Eintritt in den Förderverein „Flensburger Regional-Marketing“ auch in der Öffentlichkeit besser bekannt machen. Bald war er Vorsitzender in diesem Klub und ließ den Aufruf „Machen Sie Flensburg bunt!“ sprießen. Die Mitglieder ließen als Sponsoren 22 Verkehrsinseln bepflanzen und finanzierten die Pflege, die übrigens die FDS, eines der Tochterunternehmen der „Mürwiker“, übernahm.

2017 löste sich der alte Förderverein auf und machte Platz für „Die schönste Förde der Welt“. Das neue Marketing-Instrument „erbte“ auch die „blühende Aktion“ und setzte das Logo „Flensburg liebt dich“ an die Straßen. Günter Fenner stieg beim Verein „Lebenshilfe Flensburg und Umgebung“ ein. Dieser hatte einen Vorsitzenden gesucht, der sich im Sozial-Management auskennt, weil der operative Bereich in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden sollte. „Es ist mir ein Anliegen, dass Menschen mit Behinderung gesellschaftlich nicht so sehr über ihre Defizite wahrgenommen werden, sondern über das, was sie können“, erklärt Günter Fenner. So gibt es bei der Lebenshilfe beispielsweise die Gruppe „Ein Flensburg für Alle“.
Für Aufsehen sorgte der „Flensburger Pluspunkt“, der für eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen steht. So überzeugte das Museum mit einem Museumsführer in einfacher Sprache. Einige Geschäfte der Innenstadt ließen sich für den richtigen Umgang mit behinderten Menschen eigens schulen.
Aus dem Berufsalltag schied Günter Fenner Ende 2019 aus. „Ich hatte ein sehr gutes Timing“, schmunzelt der pensionierte Geschäftsführer. Nur wenige Monate nach dem Eintritt in den Ruhestand lähmte der Corona-Lockdown das gesellschaftliche Leben und stellte viele Unternehmen wie „Die Mürwiker“ vor enorme Herausforderungen. Mit „Die schönste Förde der Welt“ ist Günter Fenner stets in die unterschiedlichsten Projekte involviert, um Flensburg als attraktiven Lebens- und Arbeitsort medial darzustellen – sei es über die Unterstützung des Marathons „Flensburg liebt dich“, der 2022 nach zwei virtuellen Jahren wieder als reales Live-Event durchgeführt werden soll. Oder die Projekte „Flensburg liebt Handwerk“ und „Flensburg liebt Dich wie Du bist“.
„Mit den beiden Ehrenämtern habe ich gut zu tun, so dass mir nicht langweilig wird“, lächelt Günter Fenner. „Es bietet sich aber auch genug Spielraum, um regelmäßig Golf zu spielen.“
Das sportliche Hobby entsprang einem Zufall. Der 67-Jährige und seine Frau reisen seit Jahren nach Sankt Michael in Österreich. Der Vermieter entpuppte sich als Golflehrer und bot 2015 einen Kursus an. Danach war die Leidenschaft für Putter und Driver geweckt. „Golf ist eine Sportart, die man lange ausüben kann und bei der man viel an der frischen Luft ist“, erzählt Günter Fenner. „Glücklicherweise interessiert uns Golf gleichermaßen, so dass ich stets zusammen mit meiner Frau spielen kann.“ Der zeitliche Aufwand ist beträchtlich. Drei bis vier Stunden dauert eine Runde in Glücksburg. Das Handicap des Ehepaars liegt derzeit bei 45. „Mal sehen, wie steigerungsfähig wir noch sind“, schmunzelt der Flensburger.

Schon zur Jahrtausendwende hatte er das Singen entdeckt und nahm individuellen Unterricht. Kurz vor Corona schloss er sich dem zwölfköpfigen Flensburger Vocal-Ensemble an, das in diversen Kirchengemeinden auftrat. In Kürze soll beraten werden, wie es weitergeht. Günter Fenner singt auch im Extra-Chor des Landestheaters, den man als „Reserve-Bank“ des Opernchores bezeichnen kann, da dieser bei größeren Aufführungen als Sänger-Repertoire dient. Für das Frühjahr 2020 war eine Inszenierung von Beethovens „Missa solemnis“ mit 100 Sängern geplant. Der Lockdown bremste das musikalische Vorhaben aus. „Wir hoffen, im September oder im Oktober mit den Proben für ein neues Konzert beginnen zu können“, sagt Günter Fenner.
Seit 2009 ist er auch Mitglied des Rotary-Clubs „Flensburg Nordertor“. 2016/17 war er sogar ihr Präsident. Auf der Agenda des Clubs stehen aktuell unter anderem die Beteiligung am Flensburger Weihnachtsmarkt, eine Streuobstwiese an der Bergmühle, ein gemeinsames Projekt mit der Schule Ramsharde, die Unterstützung des „Schutzengels“ sowie die Förderung der Lernwerkstatt an der Gemeinschaftsschule West. Trotz aller Aufgaben: Für den eigenen Garten hat Günter Fenner nun mehr Zeit als früher. Keine 400 Meter sind es bis zum Ostseebad. Beim Blick auf das Wasser weiß er, was Flensburg hat: „Die schönste Förde der Welt“.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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