Jeder Mitarbeiter der Flensburger Brauerei kennt Burkhard Redemski, von allen liebevoll einfach nur Remmi genannt. Und auch er kennt sie alle. Zusammen mit ihrer Personalnummer. Remmi arbeitet nahezu schon sein ganzes Leben bei der Flensburger Brauerei. Kennt das Flens wie kaum ein anderer. Vor kurzem ist Remmi 80 Jahre alt geworden. Mit 58 ging er in Frühruhestand. Der Brauerei den Rücken gekehrt hat er dennoch nicht, zwei Mal die Woche findet man den rüstigen Rentner an der Haustrunkluke.
Die Anfänge
Angefangen hat Remmis Laufbahn in der Brauerei am 01. Juli 1965. Er heuerte in der Expedition, dem Warenausgang an. Und genau da ist er auch noch heute. Remmi war nie woanders, ist dem Unternehmen treu geblieben. „Die Kontrolle von Leergut, das Zählen und die Ausgabe von Vollgut“, berichtet Remmi. „Das waren unter anderem am Anfang meine Aufgaben.“ Damals war er gerade einmal 21 Jahre. Aus Pommern ist er mit seiner Familie 1947 nach Flensburg gekommen, in eine Wohnung am Hafermarkt. Schon früh musste der junge Mann Verantwortung übernehmen. Im Jahr seiner Anstellung bei der Brauerei starb sein Vater. „Mein jüngster Bruder war da gerade einmal ein Jahr alt, ich hab mich ab dem Zeitpunkt auch um ihn und meine drei anderen Geschwister gekümmert.“ Als ältester der fünf schlüpfte Remmi im Elternhaus ein wenig in die Vaterrolle. Die Arbeit in der Flensburger Brauerei war dennoch wichtig und machte ihm Spaß. An den ersten Arbeitstag erinnert sich der 80-jährige noch heute. „Ich war am Abend ein wenig gezwungen meinen Einstand zu geben“, so Remmi. „Mit den „Stadtkutschern“ und den „Leuten von der Rampe“ ging es nach Feierabend rund, was sich am zweiten Arbeitstag auch bemerkbar machte.“
Die Brauerei war und ist sein Leben. Remmi ging gerne zur Arbeit. „Wir haben schon früher immer viel Spaß bei der Arbeit gehabt“, lacht er. „Etwas zu lachen gab es immer und Zeit für einen Spaß auch.“ Dennoch musste auch die Arbeit gemacht werden und anpacken konnte der Hallen- und Lademeister, damals wie heute. „Mit heute ist die Arbeit von damals in der Logistik der Brauerei nicht zu vergleichen“, erinnert sich Remmi. „Es gab keine Gabelstapler und keine Computer. Jede Flasche Bier, jede Kiste und jedes Fass mussten per Hand bewegt werden.“ Und das waren mitunter viele tausend pro Schicht. Gerade im Sommer, da brannte so manches Mal die Luft. Die Leute hatten Durst, der Getränkeabsatz stieg an, viel Arbeit für die Logistiker. „Es kam durchaus vor, dass wir nach einer Schicht zwar alle Fahrzeuge fertig beladen hatten, aber im Anschluss noch 400 Fässer im Lager zu stapeln hatten.“ Die 75 Liter Fässer hatten ein Gesamtgewicht von 89kg. „Alles war Handarbeit“, so Remmi. „Auch die schweren Fässer wollten von A nach B.“
Die Brauerei – mehr als nur Arbeit
Auch in der hauseigenen Fußballmannschaft fand man Burkhard Redemski. Man traf sich nicht nur zum After-Work-Spielen, die Brauerei-Mannschaft trat in den 70er Jahren auch gegen andere Mannschaften an. „Wir haben gegen Firmen aus der Umgebung gespielt und einmal im Jahr gab es in Bremen ein größeres Turnier, bei dem wir gegen anderen Brauereien angetreten sind.“ Kollegen wurden zu Freunden, mitunter ein Teil der Familie. Und mit denen hat Remmi viel erlebt. „Es gibt viele Geschichten, an die man sich erinnert“, sagt er. „In 60 Jahren ist halt auch eine Menge passiert.“ So musste der Lademeister zum Beispiel einmal mit seinem Pkw einem kurz zuvor vom Hof gefahrenen Lkw hinterher eilen. „Der Lastwagen war schon vom Hof als wir gemerkt haben, dass er falsch beladen wurde“, erinnert sich Remmi. „Erst kurz vor Schleswig hatte ich ihn eingeholt und konnte ihn zurück nach Flensburg schicken, Handys gab es noch keine, das war die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass beim Kunden die falsche Ware ankommt.“
Remmi war in seiner Laufbahn in der Logistik der Brauerei nicht nur für das flüssige Gut zuständig. Auch das Gläserlager gehört zu seinem Aufgabenbereich. „Wenn neue Gaststätten aufgemacht haben, dann gingen hier auch seitenweise Bestellungen mit Einrichtungsgegenständen ein.“ Gläser, Werbematerialien und weiteres Zubehör wurde gleich mit auf die Lkw verladen und zu den Kunden gefahren. „Nach der Wende haben im Osten viele Gaststätten aufgemacht, da hatten wir alle Hände voll zu tun.“ Jede kleinste Lücke auf den Ladeflächen haben Remmi und Kollegen damals mit Werbematerial oder Gläsern aufgefüllt. So viel wie irgendwie ging musste auf die Lkw und ging an ihre Bestimmungsorte. Einiges von dem Bier, das Remmi verladen hat, dürfte auch an die eigene Familie gegangen sein. Gemeinsam mit einem seiner Brüder führte seine Mutter über viele Jahre die Flensburger Kneipen St. Jürgen und später St. Petri. Mit 101 Jahren ist seine Mutter zwar nicht mehr im Gastgewerbe tätig, aber vor allem geistig noch fit, berichtet Remmi.
„Knapp zwei Jahre lang war ich mal mein eigener Chef“, erinnert sich Remmi mit einem Lächeln auf den Lippen. „Der Vertriebsdirektor rief mich damals zu sich und wollte, dass ich aufgrund der Umverteilung von Kosten ab sofort bei der Abteilung Technik angesiedelt werde.“ Dann nahm die Geschichte ihren Lauf. Der Leiter der Abteilung wollte Remmi nicht, am Ende ein Missverständnis, dessen Aufklärung aber dauerte. Zu welcher Abteilung er nun eigentlich gehörte, wusste er eine Zeit lang nicht. „Das Geld kam aber ganz normal wie immer, also habe ich auch meine Arbeit gemacht wie immer, aber einen Chef hatte ich nicht mehr.“ Erst nach fast zwei Jahren fiel es auf. Remmi war in dieser Zeit nicht einen Tag im Urlaub. „Darüber sind sie im Büro gestolpert und dann war ich in der Abteilung Technik angesiedelt.“ Den Urlaub hat er dann nahezu an einem Stück nachgeholt.
60 Jahre dabei
Pils, Helles, Export, Helles Bock, Dunkles Bock und Malzbier. Schon 1965 gab es mehr als nur eine Sorte Bier made in Flensburg. „Abgefüllt wurde hier nicht nur Bier“, berichtet Remmi. „Afri Cola, Bluna, Soda Wasser oder die Eigenmarke Quick waren auch dabei.“ Nächstes Jahr ist Remmi 60 Jahre im Betrieb. Viele Millionen Flaschen Bier hat das Urgestein der Flensburger Brauerei in dieser Zeit in den Händen gehalten und bewegt. Und so manche auch getrunken. Den sogenannten Haustrunk gab es bei der Brauerei auch schon vor 60 Jahren. Darunter versteht man ein festgelegtes Kontingent, das jedem Mitarbeiter pro Monat von der Brauerei zur Verfügung gestellt wird. Noch vor einigen Jahrzehnten wurde der Haustrunk in den Räumlichkeiten der Brauerei ausgeschenkt. „Der war damals zum Hiertrinken“, berichtet Remmi. „Jeder Mitarbeiter hatte sein eigenes Fach und da kam dann morgens einer und hat die leeren Flaschen gegen volle ausgetauscht.“ Alkoholische Getränke während der Arbeit, das gibt es auch bei der Flensburger Brauerei schon lange nicht mehr. Geblieben ist aber der Haustrunk. 40 Liter kann sich jeder Mitarbeiter pro Monat abholen.
Die Haustrunkluke
Zwei Mal pro Woche ist sie geöffnet, die sogenannte Haustrunkluke. Wenn sich das Fenster der Haustrunkluke öffnet und die Musik ertönt, dann steht Remmi bereit. Mit seinen 80 Jahren und eigentlich längst im Ruhestand, ließ er sich vor über 22 Jahren überreden, zu bleiben, als Aushilfe. Man schätzte ihn und vor allem seine Arbeit. „Ich mag mich selbst eigentlich nicht loben, aber mein Lager hatte ich immer im Griff, habe immer rechtzeitig bestellt, da fehlte nichts.“
Zwei Mal pro Woche steht der Renter seitdem hinter der Haustrunkluke. Bereits über zwei Jahrzehnte. Aus der Bitte doch noch eine gewisse Zeit auszuhelfen, ist ein deutlich längerer Zeitraum geworden. „Die 60 Jahre will ich noch voll machen“, so Remmi. „Nächstes Jahr ist es soweit.“ Dann soll endgültig Schluss sein. Dann verliert die Brauerei den Mitarbeiter mit der längsten Betriebszugehörigkeit. 60 Jahre am Stück im Unternehmen, so schnell wird das heute niemand mehr schaffen. Immer freundlich, immer mit einem Lächeln. Die Mitarbeiter, die sich mittwochs und freitags ihren Haustrunk abholen, schätzen ihren Remmi für seine Art. Rund 270 Mitarbeiter können sich ihren Haustrunk abholen. Remmi kennt sie alle und ihre Personalnummer. „Manch einer holt lediglich ein bis zwei Kästen“, erzählt Remmi. „Einige sparen sich ihren Haustrunk aber auch auf, sammeln über mehrere Monate und holen am Jahresende gleich mehrere Fässer oder auch mal 15-20 Kästen Bier auf einen Schlag.“
Lebenslänglich Schlepper
Ordentlich was zu schleppen. Der 80-jährige hat sein ganzes Leben lang Bierkästen geschleppt, gestapelt und herausgegeben. Auch im hohen Alter ist damit noch nicht Schluss. Per Hand trägt Remmi Kasten um Kasten auf ein Förderband und schiebt diese durch eine Luke raus an die Laderampe. Im Gegenzug nimmt er auch das Leergut an, stapelt es auf Paletten. „Fit sollte man schon sein“, sagt Remmi. „Der Rücken macht es auch heute noch mit, aber die Beine werden etwas wackeliger.“ Mit 80 Jahren darf dies auch sein. Bei der Brauerei ist man ihm dankbar, dankbar, dass Remmi diese Aufgabe noch heute verantwortungsvoll ausfüllt. Wie es nächstes Jahr weitergeht, wer die Haustrunkluke übernimmt, sollte Remmi wirklich in Ruhestand gehen, das steht noch nicht fest. Was feststeht ist allerdings, dass Remmi dort fehlen wird.
Text: Benjamin Nolte
Fotos: Benjamin Nolte, privat