18 Inseln und nur 50.000 Einwohner – die Färöer gehören im Nordatlantik eher zu den abgeschiedenen Gegenden der Welt. Der Archipel ist bekannt für Schafe und Fischerei. „Touristen würde ich empfehlen, einen Rucksack zu nehmen und in der Natur zu wandern“, sagt Johan Hansen. „Überall gibt es Berge und grüne Wiesen. Vier bis sieben Tage genügen, um die wichtigsten Punkte abzulaufen.“ Er muss es wissen. Der 28-Jährige ist der erste Färinger bei der SG Flensburg-Handewitt und trat im Sommer auf Rechtsaußen in die großen Fußstapfen der SG-Legende Lasse Svan.
Mit 16 Jahren verließ Johan Hansen seine Heimat – wegen des Handballs. Im schroffen Klima der Inselgruppe hatte Johan Hansen einst wie so viele Jungen in Torshavn beim Klub „Kyndil“ – auf Deutsch Fackel – mit einer sportlichen Zweiteilung begonnen: im Sommer Fußball, im Winter Handball. Eines Tages kam ein dänischer Handball-Trainer auf die Färöer und sichtete einige Jugendspieler. Von Johan Hansen zeigte sich der Scout sehr angetan: „Du hast Talent, mach doch mal ein Probe-Training bei uns.“

Dabei bestätigte sich der Eindruck. „Zwei Wochen später saß ich im Flugzeug und wechselte an die Akademie von Skanderborg“, erinnert sich der Linkshänder. Das Leben war nun ganz anders. Schule und Sport prägten den Alltag in Jütland. „Anfangs vermisste ich Familie und Freunde“, erzählt er. „Immerhin kamen meine Eltern wegen ihrer Arbeit mehrfach nach Dänemark, und an der Akademie waren viele junge Menschen, mit denen ich viel Spaß hatte.“ Zu der Zeit „veränderte“ sich auch der Name: Auf den Färöern hatten die Menschen Johan á Plógv favorisiert. „Ich habe zwei Nachnamen“, verrät er. „Der erste ist von meiner Mutter. Hansen ist von meinem Vater, den ich in Dänemark nicht buchstabieren musste.“ Fortan dominierte „Johan Hansen“ in den Spielerlisten.
Aus einem Schnupper-Jahr an der Akademie von Skanderborg wurde mehr. Der Insulaner blühte auf. Aus der Jugend schaffte er bald den Sprung in die dänische Erstklassigkeit und wechselte 2015 zu Bjerringbro-Silkeborg, einem der Top-Klubs in Dänemark. Anfangs musste er sich die Spielanteile noch gegen einen Routinier erkämpfen, doch nach einigen Jahren war Johan Hansen der Platzhirsch auf dem rechten Flügel.

Inzwischen zog er sich das Danebrog-Trikot über – mit Verspätung. Kurz vor seinem Abflug nach Skanderborg hatte er mit nur 16 Jahren im Männer-Nationalteam der Färöer debütiert. „Die Rede war von einem Trainingsturnier, dann galt das Finale aber doch als Pflichtspiel“, blickt Johan Hansen zurück. „Schließlich teilte der Verband mit, dass er kein Geld hätte, um irgendwelche Qualifikationsspiele für Europa- und Weltmeisterschaften zu spielen. Und für Dänemark konnte ich zunächst nicht auflaufen, da ich wegen des einen Einsatzes drei Jahre warten musste.“
Die Geduld sollte sich auszahlen. 2015 gehörte der Rechtsaußen zum dänischen Team, das bei der Junioren-WM in Brasilien Silber ergatterte. Auf der Männer-Ebene hatte er zunächst einen schweren Stand gegen Stars wie Lasse Svan und Hans Lindberg, doch nach einigen Jahren etablierte sich die jüngere Kraft. „Ich habe den Wechsel zur dänischen Nationalmannschaft nie bereut, ich habe schon viel erlebt“, erzählt Johan Hansen. „Ich gewann Silber bei den Olympischen Spielen in Tokio, aber wenn ich nur einen Höhepunkt nennen müsste, dann war das 2019 die Gold-Medaille bei der WM in Dänemark.“ Eine große Begeisterung begleitete die dänischen Ballwerfer damals zum Titelgewinn.

Damit stand der Emporkömmling auch in den Notizbüchern der Bundesligisten. Ab 2020 nahm ihn die TSV Hannover-Burgdorf unter Vertrag. Das Lernen der deutschen Sprache geriet zunächst in den Hintergrund. „Die Wahrheit ist, dass ich im ersten Jahr fast nur Englisch gesprochen habe“, erzählt Johan Hansen. „Trainer Carlos Ortega war Spanier, und wir hatten sieben Spieler vom Balkan. Zur letzten Saison kam dann Christian Prokop als neuer Trainer – und ich lernte Deutsch.“
Mit Hannover sprangen Platzierungen im Mittelfeld heraus. Der nächste logische Schritt: ein Top-Klub. Die SG musste die Nachfolge für Lasse Svan regeln und signalisierte großes Inter-esse. „Als mein Berater mich anrief, sagte ich ihm nur: Verhandle weiter, da möchte ich hin!“ Beide Seiten wurden sich einig. Nachdem ihn eine Oberschenkel-Blessur anfangs etwas ausbremste, konnte Johan Hansen inzwischen seine Qualitäten auf dem rechten Flügel unter Beweis stellen. Gegen die Füchse Berlin lief er erstmals im SG-Trikot in die „Hölle Nord“ ein. „Bei einem Heimspiel hatte ich noch nie so eine Atmosphäre erlebt“, strahlte er und gab sich sehr zuversichtlich: „Ich sehe nichts, was dagegen spricht, dass wir zu den Teams gehören, die um die Meisterschaft spielen werden.“

Der Handball-Profi schaut gerne Serien und Filme, liebt es privat vor allem familiär. Im Mittelpunkt: die fast dreijährige Tochter. „Ich bin gerne zu Hause, wegen des Handballs sind wir ja oft unterwegs“, verrät Johan Hansen. Im Oktober war er mit der SG nach Lemgo und reiste dann direkt weiter zu einem einwöchigen Nationalmannschafts-Lehrgang in Kopenhagen und Stockholm.
Auf die Färöer kehrt er noch im Sommer für eine Woche zurück und sieht dann Eltern und Schwester. Mit seinem Bruder betreibt der Leistungssportler eine Kunst-Galerie in Torshavn. Sie bietet ein breites Spektrum der Inselkunst – von abstrakt bis Naturgemälde. „Meine ganze Familie malt gerne“, erzählt Johan Hansen. „Ich habe mich nicht wirklich anstecken lassen. Zumindest gibt es kein Bild von mir, das ich für so gut halte, dass ich es verkaufen würde.“ Beim Handball gibt er ganz gewiss eine bessere Figur ab.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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