Erbschaften sind zweischneidig. Man übernimmt nicht nur Guthaben, sondern auch Schulden. Claudia Takla Zehrfelds Erblasser Dr. Peter Schroeders war ein Schwergewicht in der Stadtverwaltung. Einer, der nicht nur verwalten, sondern auch gestalten wollte und durfte. Einst wurde ein „Superministerium“ für ihn zurechtgeschnitten, das Stadtentwicklung, Wirtschaft, Tourismus und Kultur zusammenführte. Der Fachbereich sollte vom Ballast des Tagesgeschäftes befreit werden und sich der strategischen Planung für die Zukunft der Stadt widmen. Doch diese Machtfülle hatte auch ihre Schattenseiten. Der Abteilung wurde von wichtigen Akteuren in der Stadt der Vorwurf gemacht, sich zu verselbständigen, den politischen Entscheidungen durch die Ratsversammlung vorauszueilen.
Simone Lange schnitt die Ressorts neu zu. Schroeders Nachfolgerin im Amt steht nun dem Fachbereich Stadtentwicklung und Umweltschutz vor, Spezialisierung statt Generalisierung. Viele erhoffen sich von der organisatorischen und personellen Veränderung mehr ‚Dienstleistung‘, schnellere Abwicklung von Planungen und Genehmigungsverfahren.
Claudia Takla Zehrfeld ist jedoch klug genug, Vergangenes nicht pauschal zu verdammen. Immerhin hat sie an zahlreichen Projekten schon zu Dr. Schroeders Zeiten mitgewirkt. Ein Mantra jedoch wiederholt sie mehrfach: „Sie will den Dialog!“ Mit allen Betroffenen vor den politischen und Verwaltungsentscheidungen sprechen, zuhören, Alternativen erörtern, erklären, dann aber auch vermitteln, worum Lösungen so oder nur so möglich sind. Und sie akzeptiert das Mandat der Politik. „Die Politik entscheidet, wir bereiten vor und setzen um.“ Was einschließt, dass ihre Verwaltung die politischen Entscheider im Rathaus mit Sachinformationen versorgt, Alternativen bewertet und Vorschläge macht.
Dass sie den „Dialog“ immer wieder betont, kann ihr den Rücken freihalten für Kritiker des Amtes aus der Vergangenheit. Fachlich muss sie sich hinter ihrem Vorgänger nicht verstecken. Die gebürtige Brasilianerin hat in ihrem Heimatland Architektur und Städtebau studiert, war dort in einem Ministerium mit Bau- und Stadtplanung beschäftigt. Ihre Erinnerung an diese Zeit: „Interesse an Bürgerbeteiligung gab es in Brasilien nicht.“
Ende der 80er Jahre kam die heute 45-jährige nach Deutschland, absolvierte in Karlsruhe ein Praktikum und kam dort zum ersten Mal mit Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung in Kontakt. Das Fundament war gelegt für ein Stadtplanungs-Studium an der Hochschule Hamburg-Harburg. In Norderstedt bekam sie eine Stelle in ihrem Fachgebiet und war dort 17 Jahre lang mit Bauleitplanung und Stadtentwicklungskonzepten beschäftigt.
Ein Intermezzo war ihre Anstellung 2011 bis 2015 in Flensburg als Abteilungsleiterin für Stadt- und Landschaftsplanung. Eine neue Aufgabe lockte in Hamburg. Dort im Stadtstaat konnte sie Stadt- mit Landesplanung verbinden. Im März nun kam das Angebot aus Flensburg. Was sie hier besonders reizt? „Hier kann ich Projekte nicht nur planen, sondern auch umsetzen. Im Dialog…“, wie sie immer wieder betont. Der Wiedereinstieg in Flensburg fiel ihr leicht. Sie traf auf Mitarbeiter und Akteure, die sie noch aus ihrer Zeit zwischen 2011 und 2015 kannte und auf Themen, die damals schon auf der Tagesordnung standen.

Flensburg verändert sich

Flensburgs Planer haben in den nächsten Jahren Großes vor. Weite Bereiche im Hafengebiet sollen ein neues Gesicht bekommen. Der Industriehafen auf der Ostseite hat große Teile seiner traditionellen Aufgaben verloren und soll auf die Westseite verlagert werden. Dort prägen schon jetzt Werft und Kraftwerk die nördliche Stadt. Die Hafenostseite soll großflächig umgestaltet werden. Claudia Takla Zehrfeld erläutert an einem Plan die vorgesehenen Veränderungen. Ein Gesamtkonzept soll es werden, keine aneinandergereihten Einzelmaßnahmen. Das hat in der Vergangenheit zu einem uneinheitlichen Stadtbild geführt. Schon jetzt erobern die Flensburger die Hafen-
ostseite auf ihre Weise. Anschließend an die Gastronomie im Bereich des Sport- und Fischereihafens tummeln sich an warmen Tagen Gruppen meist junger Leute, erobern die vom Verfall bedrohten Rampen vor den Silos, feiern, sonnen sich, genießen den Blick auf die Altstadt. Dieser ‚natürlichen‘ Entwicklung will die Stadtplanung Rechnung tragen.
„Man muss bei aller Planung“, meint Claudia Takla Zehrfeld, „auch den Mut haben, Freiräume zu lassen, nicht alles bis zum letzten Meter bebauen.“
Ein Mischkonzept aus Wohnungen, Gewerbe und Freizeitflächen lässt sich schon jetzt auf den Plänen in Takla Zehrfelds Büro erkennen. Die Veränderungen, die Nutzung durch die Bürger betreffen, sollen nicht auf das Ostufer beschränkt sein. Eine Promenade, für alle zugänglich, ist auch im westlichen Industriebereich geplant. Noch befinden sich die Projekte im Anfangsstadium, denn, so das wiederkehrende Credo, die Planung soll im Dialog mit allen Betroffenen erfolgen.
Ein Wettbewerb soll Stadtplaner und Architekten locken, um einen ‚Masterplan‘ für den Stadtbereich auszuarbeiten.

Viel zu tun

Mit der Entwicklung Flensburgs in Richtung Großstadt wachsen auch die Ansprüche der Bürger, vor allem nach bezahlbarem Wohnraum und an Mobilität, ein Dauerthema mit Brisanz. Auto-, ÖPNV-, Fußgänger-, Rad- und ruhender Verkehr stehen auf der To-Do-Liste der Stadtplanerin.
„Flensburg ist eine Stadt der kurzen Wege“, sagt Claudia Takla Zehrfeld. „In 10 Minuten ist man so gut wie überall am Ziel. 2 km zu Fuß, 4 km mit dem Rad, der Rest mit Auto und Bus.“ Für sie muss in den Köpfen der Menschen ein Leitbild für zukünftige Mobilität entwickelt werden. „Wie können und wollen wir uns in 5, 10 oder 20 Jahren bewegen?“ Die Technikentwicklung tut ein Übriges, die Einstellungen zu verändern. War vor Jahren noch die Forderung sich mit dem Rad durch die Stadt zu bewegen, mit dem Gegenargument der steilen Wege konfrontiert, ist das jetzt dank der Entwicklung von E-Bikes (fast) kein Thema mehr. Die Planungen zum Krankenhausneubau sind bei der Stadt schon weit fortgeschritten, die Flächen ausgewiesen. Bis Mitte des Jahres sollen die Planungen in einen Satzungsbeschluss münden.
In der westlichen Altstadt, einem Sanierungsgebiet, sind weitere Projekte in der Planung. Vor allem soll der Südermarkt neu gestaltet werden. Entscheidend in den Augen von Claudia Takla Zehrfeld ist die Schaffung von Wohnraum auch im zentralen Innenstadtbereich. Wohnen und Einkauf sollten nicht getrennt werden, um nach Geschäftsschluss keine ‚tote‘ Innenstadt zu hinterlassen. Dazu ist die Stadt bereit, notwendige Modernisierungsmaßnahmen zu unterstützen. Problem, wie immer, ist die Finanzierung. Jeweils ein Drittel müssen Bund, Land und Kommune stemmen.
Der Bereich des Museumsberges um Friedhof und Christiansenpark soll neu gestaltet werden. Die Fläche soll attraktiver werden. Barrierefreiheit ist ein Thema, wenn es um den Zugang zum Museumsberg geht. Mehr noch als bisher soll die „Aufenthaltsqualität“, sprich die Nutzung für Freizeitaktivitäten, verbessert werden. Noch stehen diese Planungen ganz am Anfang, auch hier unter Einbezug der Bevölkerung.
Im Bereich Neustadt, Walzenmühle und Schwarzental sind Bauprojekte geplant, die den Wohnraummangel in Flensburg mindern sollen. Gleiches gilt für das Gebiet um Friedenskirche und für Weiche.
Ein Kuriosum ist die Planung, besser deren Verhinderung, für den alten Bahndamm, seit Jahren ungenutzt, aber immer noch im Besitz der Deutschen Bahn. Jetzt tauchte ein Investor mit der Idee auf, die niedergelegte Strecke von Niebüll in die Flensburger Innenstadt wiederzubeleben. Ein Ansinnen, das bei Rat und Verwaltung nicht gut ankam.
Für Claudia Takla Zehrfeld ist der Auftrag der Politik klar. Ihre Verwaltung soll dort, wo jetzt Schienen rosten und Gras wuchert, einen Radweg planen. Die Hoffnung also, dass der Antrag des Investors durch die Bahn abgelehnt wird.

Zuhören – Überlegen – Entscheiden

Als wir Claudia Takla Zehrfeld nach ihrem Verhältnis zu ihrem Amtsvorgänger und dem Stilwechsel in ihrer Verwaltung fragen, antwortet sie sehr diplomatisch. Ohne Kritik am früheren Führungsstil zu üben, macht sie ihr Vorgehen klar. Sie will lernen, durchaus auch Projekte fortführen, die damals begonnen wurden, jedoch immer unter der Prämisse „zuhören, dann überlegen und schließlich entscheiden“.
Auch das Letztere ist ihr wichtig. Nach allen Beteiligungen muss irgendwann eine Entscheidung fallen, um Prozesse nicht bis ins Unendliche zu verlängern. Dann aber, das betont sie auch, ist es ebenso wichtig, die letztliche Entscheidung und die Grundlagen dafür den Betroffenen zu vermitteln. Sie merkt schon jetzt nach wenigen Wochen ihres Amtes, dass ein Umdenken bei ihren Kollegen stattgefunden hat, dass sie sich darauf einstellen, Lösungen gemeinsam zu diskutieren und abzuwägen. „Meine Aufgabe ist es, in den Dialog zu treten mit meinen Mitarbeitern, den anderen Fachbereichen und den politischen Entscheidern.“ Sie ergänzt: „Es gibt nie nur die eine, richtige Lösung. Es gibt nur eine Abwägung für den einen Moment, wo die Argumente vorgetragen werden.“
„Wir als Verwaltung haben die Aufgabe, die Entscheidungen der Politik vorzubereiten, denn nicht wir entscheiden, was letztlich gemacht wird. Trotzdem müssen wir auch eine Abwägung treffen, welche Alternativen unserer Meinung nach möglich sind.“
Die Fachbereichsleiterin gibt aber auch zu, dass nach ihrer fachlichen Prüfung es zuweilen nur eine sachgerechte Lösung für ein Projekt gibt und damit die politischen Entscheider vor die Wahl gestellt werden, das zu akzeptieren oder generell abzulehnen. Beispiele dafür sind aktuell der neue Krankenhausstandort und die Verlagerung der Brauerei.
Trotzdem bleiben Dialog und Bürgerbeteiligung die für Claudia Takla Zehrfeld wichtigsten Instrumente. Vielleicht auch deshalb, weil sie in ihrem Geburtsland erlebt hat, dass dort wichtige Entscheidungen ohne die Mitsprache der Betroffenen getroffen werden.
Die dortige Entwicklung kann sie beim Besuch ihrer großen Familie mitverfolgen. Sie genießt die doppelte Heimat. Mann und Kind, Freunde und Kollegen vermitteln ihr hier Heimatgefühl. Sie hat vor langem entschieden, wo ihr Lebensmittelpunkt sein wird. Bereut hat sie das nach eigener Aussage nicht.

Bericht: Dieter Wilhelmy, Fotos: Benjamin Nolte

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