Wie schön Flensburg ist, das braucht man Christiane Dethleffsen gar nicht erst zu erzählen. Sie weiß es und bekommt täglich eine Bestätigung, wenn sie vom Garten oder vom Wohnzimmer in die Umgebung blickt. Vor ihr fällt der grünbestückte Fördehang ab und gleitet gemächlich ins Wasser über. Die Wellen kräuseln sich, und auf der anderen Seite des Meeresarmes zeigt sich Dänemark. Das Örtchen Kollund ist ein Blickfang. Ein herrliches Panorama, wenn man die Muße hat.
Bei Christiane Dethleffsen ist es derzeit so, dass etliche Termine den Kalender füllen. Sie ist die Vorsitzende des Flensburger Ortsvereins im Deutschen Kinderschutzbund. Und der wiederum ist der Träger für das Kinderhaus, das erst Anfang Juli in der Burgstraße 38 seinen Betrieb eröffnet hat. Eine offizielle Einweihung mit einigen Granden aus Ehrenamt und Verwaltung hat schon stattgefunden. Jetzt steht ein „Tag der offenen Tür“ an. Am 31. August von 14.30 bis 16.30 Uhr können sich Interessierte die Kindertagesstätte oder das Familienzentrum anschauen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Geschäft und Wohnen am Nordermarkt

Auch Christiane Dethleffsen war mal klein. Als gebürtige Flensburgerin lag ihr Orbit schon damals in der Fördestadt. Sie entstammt der Familie Meesenburg, deren Unternehmen 1758 gegründet wurde und seinen Sitz am Nordermarkt hatte. Die Familie betrieb damals ein Handelsgeschäft für Eisen- und Haushaltswaren. Im Eckhaus zwischen Großer Straße und Nordermarkt reihten sich die Produkte für den Verkauf auf. Die Familie wohnte darüber, und zwar im obersten Stockwerk. Die kleine Christiane hatte am Wochenende einen hervorragenden Spielplatz: den für die Öffentlichkeit geschlossenen Laden. Sie und ihre Schwester fanden immer wieder passende Utensilien für gegenseitige „Besuche“. Die Spielzeugpuppen wurden in richtigen Kinderwagen spazieren gefahren. Der Vater duldete das verspielte Treiben seiner beiden Mädchen. „Ihr könnt da ruhig spielen, aber am Sonntagabend muss wieder alles an seinem Platz sein“, sagte er stets. Viel später, nämlich 1980, verlegte ihr jüngerer Bruder den Firmensitz in die Westerallee. Am alten Standort residieren heute eine System-Gastronomie und ein Kreativ-Shop.
Überhaupt hat sich der Nordermarkt stark verändert. Christiane Dethleffsen ist so etwas wie eine Zeitzeugin für den zentralen Platz, als dieser nicht nur vom Liefer-, sondern auch vom normalen Straßenverkehr geprägt wurde. Die Konstanten sind der Neptunbrunnen und der Schrangen, das denkmalgeschützte Gebäude mit dem herrlichen Torbogen. „Den habe ich als Kind gerne gemalt“, erzählt Christiane Dethleffsen. „Daneben waren ein Fotogeschäft und ein Schuster.“ Sie besuchte zunächst einen Kindergarten auf dem Kanonenberg, ehe die Grundschulzeit den kürzesten kaum vorstellbaren Weg kannte. Das Mädchen musste nur über den Nordermarkt huschen und war dann schon in der Sankt-Marien-Mädchenschule, die sich direkt am Kirchhof befand. „Wenn ich das Klingeln hörte, musste ich erst los“, schmunzelt die gebürtige Flensburgerin.

Mürwik und Bredstedt

Später kam sie auf das Neue Gymnasium – so hieß das Fördegymnasium damals. Die Familie hatte privat inzwischen die Seiten gewechselt. Die Flensburger wohlbemerkt – vom West- auf das Ostufer. Schon vorher hatten die Meesenburgs dort ein kleines Sommerhaus. 1962 ließen die Eltern es abreißen und errichteten in schönster Lage ein Wohnhaus. Die Bauherren sind inzwischen verstorben. 2019 zog Christiane Dethleffsen mit ihrem Mann Hans-August von der Westlichen Höhe in ihr Elternhaus. Immer mal wieder stehen kleinere Renovierungen an, so wurden gerade erst die Fenster erneuert. Kaum war die Schulzeit abgeschlossen, da hatte Christiane Dethleffsen bereits einen Ehering am Finger: Sie heiratete im Alter von 19 Jahren. Das junge Paar zog sehr bald nach Bredstedt an die Westküste. Ehemann Hans-August stieg in das Holzunternehmen des Onkels ein. Das Kürzel „HBK-Dethleffsen“ steht für ein Familienunternehmen der Holzbranche mit fast 300-jähriger Geschichte. Dieses ist tätig an den Standorten Flensburg, Treia und Bredstedt.

Rückkehr nach Flensburg

1986 war der Lebensmittelpunkt wieder Flensburg. Die Dethleffsens ließen sich auf der Westlichen Höhe nieder. Sie waren inzwischen eine sechsköpfige Familie. Zwischen 1972 und 1984 wurden zwei Töchter und zwei Söhne geboren. Vier Kinder – das ist durchaus als eine Familien-Tradition zu bezeichnen. Christiane Dethleffsen ist selbst mit drei Geschwistern aufgewachsen. Heute freut sie sich über drei Enkelkinder. „Eines holen mein Mann und ich einmal die Woche vom Kindergarten ab, damit es bei uns den Nachmittag verbringen kann“, erzählt sie. Die Familie ist ihr heilig. Dieselben Anfangsbuchstaben der Wörter „Familie“ und „Freizeit“ sind aus ihrer Sicht kein Zufall. Auch ein Mehr-Generationen-Urlaub ist keine Seltenheit.
Als junge Mutter hat sich Christiane Dethleffsen hauptsächlich um die Kinder gekümmert. Außerdem gab sie Kurse für junge Mütter: Geburtsvorbereitung für Schwangere und die sogenannte Rückbildungs-Gymnastik. Zunächst noch an der Westküste, dann in Flensburg in der Klinik-West und später im Geburtshaus, das lange Zeit an der Marienallee ansässig war. Heute hat diese Einrichtung ihren festen Platz an der Westerallee – direkt gegenüber einem Shop mit großem Baby-Sortiment. Das passt!

Vorsitz im Kinderschutzbund

2000 begann ein neues Jahrtausend, das für Christiane Dethleffsen gleich eine Zäsur parat hatte. Ihr jüngster Sohn entschied sich für einen Auslandsaufenthalt. Wie es der Zufall wollte, suchte just zu diesem Zeitpunkt der Kinderschutzbund eine Nachfolge für den Vorstandsvorsitz. „Da Kinder immer einen besonderen Platz in meinem Leben haben, könnte das ja ein interessantes Betätigungsfeld sein“, dachte sich die Umworbene. Sie erinnert sich: „Obwohl ich keine Ahnung von einer Vereinsverwaltung hatte, sagte ich mir: Ich versuche es.“ Der Flensburger Ortsverein des Kinderschutzbundes hatte sich damals im ehemaligen Zuckerhof an der Norderstraße eingemietet und betrieb eine Krabbelgruppe, eine Kleinkind-Betreuung, eine Möbel-Vermittlung und einen kleinen Second-Hand-Markt.
Das Angebot wuchs, die Räumlichkeit war schnell zu klein. Als 2001 der Umzug an die Marientreppe – auf halber Strecke zwischen Norderstraße und Schlosswall – anstand, hatte sich unter der Trägerschaft des Kinderschutzbundes ein Kindergarten entwickelt. „Unsere Einrichtung hatte eigentlich keine günstige Lage, vor allem wenn die Mütter mit Kinderwagen oder Buggy die Treppe hoch mussten“, erzählt Christiane Dethleffsen. „Wir waren allerdings froh, ein größeres Zuhause zu haben und dachten auch nur an eine Übergangsphase.“ Diese sollte jedoch rund 20 Jahre andauern: Immer wieder rückten Immobilien oder gar ein Neubau in den Fokus, der gordische Knoten ließ sich aber nicht durchschlagen. „Ein Neubau auf der grünen Wiese, zum Beispiel in Mürwik, hätte uns ja nicht geholfen“, erklärt die Vorsitzende des Flensburger Kinderschutzbundes. „Wir wollten wegen unserer Klientel im Bereich der Neustadt bleiben.“

Umzug in die Burgstraße 38

Dann betrat die „Penta F AG“ die Bühne. Unter diesem Namen agieren fünf Brüder als Investoren, um auf dem Grundstück „Burgstraße 38“ für den Kinderschutzbund ein neues Kinderhaus zu errichten. Ab Oktober 2021 übernahm die Baufirma Höft die Regie. Bereits im Sommer war die Baustelle weitgehend abgeschlossen, es musste aber noch auf die Betriebsgenehmigung für die soziale Einrichtung gewartet werden. „Jetzt haben wir ein Kinderhaus, das sich mit dem Erdgeschoss über vier Stockwerke erstreckt“, freut sich Christiane Dethleffsen. Täglich werden rund 100 Kinder betreut, und zwar in einer Krippe, einer altersgemischten Gruppe, in zwei Regelgruppen sowie in einem Hort und einer Tagesgruppe. Etwa 80 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Im Komplex integriert ist auch ein Familienzentrum, das ein feines Netz für die Kinder und ihre Eltern ausgespannt hat – mit Beratung, Angeboten wie Anti-Gewalt-Training, Hebammen-Frühstück und weiteren Hilfestellungen. „Bei uns werden alle Kinder in einem Umfeld aufgefangen, in dem sie Achtung und Wertschätzung erfahren“, betont Christiane Dethleffsen. Der Ortsverein des Kinderschutzbundes ist nicht nur Träger des Kinderhauses, sondern beteiligt sich auch an Bundes- und Landesaktionen wie „Kinderrechte ins Grundgesetz“ oder „Niemals Gewalt gegen Kinder“. Außerdem tritt er als Pate für Kinder psychisch kranker Eltern auf – in Zusammenarbeit mit dem Haus der Familie.
Nach 23 Jahren als Vorsitzende denkt Christiane Dethleffsen so allmählich an ihren Abschied. „Den Umzug in unser neues Kinderhaus wollte ich aber auf jeden Fall noch abschließen“, erklärt sie. Noch ist das Außengelände nicht fertig, und auch die Übergabe des alten Standorts an der Marientreppe nicht abgeschlossen. Zunächst einmal steht in der Burgstraße 38 der Tag der offenen Tür auf dem Programm. Am 31. August ist es soweit.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat

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