Keine Frage: Britta Jänicke ist viel beschäftigt. Wer sie tagsüber sehen möchte, sollte sein Glück am besten am Holm versuchen, wo das gemeinnützige Sozialforum residiert. Ein paar Treppen hoch hat diese soziale Institution ihren Sitz – und Britta Jänicke ihr Büro. Häufiger stehen Beratungstermine im Dienstplan. Ab dem späten Nachmittag folgt die 64-Jährige ihrer Passion „Sport“. Sie ist Handball-Trainerin in mehreren Mannschaften, spielte einst selbst hochklassig und errang bei den Paralympics mehrfach Gold in der Leichtathletik. Angefangen hatte alles in Dortmund, wo sie als Britta Dornquast geboren wurde. Die ersten Kindheitserinnerungen verbindet sie mit Wilhelmshaven. Der Vater war bei der Marine und wurde nach Flensburg versetzt, als seine Tochter noch keine sieben Jahre alt war. „Wir sind seitdem in Flensburg wohnen geblieben, was für eine Soldaten-Familie gar nicht üblich ist“, wundert sich Britta Jänicke heute. Die Familie lebte zunächst auf dem Twedter Berg in einer Marinesiedlung, dann erwarben die Eltern ein Haus in Engelsby.
Der Weg zum Sport
Die Schulzeit sah so aus: Grundschule in Mürwik, dann das Abitur am Fördegymnasium, das sich damals noch dort befand, wo heute die IGS steht. Der Sport war das Lieblingsfach, was nicht selbstverständlich war, denn Britta Jänicke wurde ohne linken Unterarm geboren. „Mein Leben bestand aus vielen Zufällen“, erzählt sie. Ein Beispiel: Eines Tages sprach sie ein Mann wegen ihrer Behinderung an. „Du solltest mal zum Training der VSG gehen!“ VSG stand für Versehrtensportgemeinschaft – so hieß es damals. Viele Menschen hatten im Krieg Gliedmaßen verloren, waren aber dennoch sportlich aktiv. In der Halle tummelte sich aber nicht nur eine eher mittelalte Generation, denn viele nahmen ihre Kinder mit. So passte diese Sportgruppe auch für Britta Jänicke. Georg Kliem war ein ambitionierter Trainer bei der VSG und motivierte das neue Mädchen für das Schwimmen. Viele Übungsstunden folgten, dann sollte sogar eine deutsche Jugend-Meisterschaft stattfinden.
Doch der vermeintliche Höhepunkt wurde plötzlich abgesagt. Britta Jänicke weiß heute nicht mehr warum, aber sie war total frustriert. „Die Meisterschaft findet nicht statt, dann gehe ich auch nicht mehr ins Wasser“, kündigte sie an. Die kurze Schwimm-Karriere war beendet.
Beginn der Handball-Passion
Bald gab es den nächsten Zufall. Ein Nachmittag in den frühen 70er Jahren spielte Schicksal. Britta Jänicke war 14 Jahre alt, als sie zwei Schulfreundinnen fragten: „Möchtest du mit zum Handball beim SV Adelby?“ Diesen Sport kannte sie schon aus der Schule, doch sie musste sich einen Ruck geben. Wie würden die anderen wegen ihrer Einarmigkeit reagieren? Die befürchteten, despektierlichen Sätze wie „Was macht die denn hier? Kann die überhaupt den Ball fangen?“ fielen nicht. „Die Mädchen verhielten sich toll, keine sagte etwas zu oder über meine Behinderung“, erinnert sich Britta Jänicke. Und der Trainer sei offen gewesen.
Er drückte ihr den Ball in die rechte Hand und war neugierig auf ihre Wurfkraft. Das Ergebnis: sehr ordentlich. Ab sofort war der Teenager voll dabei, machte schnell weitere Fortschritte und fühlte sich im SV Adelby total wohl. „Eine tolle Mannschaft, eine tolle Gemeinschaft“, findet Britta Jänicke heute noch.
Der SV Adelby war das Sprungbrett für eine mehr als respektable Handball-Karriere. 1982 lotste sie Noch-Trainer Dieter Franzen zum TSV Jarplund-Weding.
Unter der Regie des Trainer-Gespanns Wolfgang Hennig und „Piefke“ Nicolaisen sorgte Britta Dornquast als erste und bislang einzige einarmige Bundesliga-Spielerin für Furore. Wie sie mit einem Arm und dem Stumpf die Bälle fing und die Abwehr organisierte, rief sogar das Magazin „Stern“ für eine längere Reportage auf den Plan.
Die höchste Frauen-Spielklasse war noch zweigleisig. Leverkusen, Engelskirchen, Oldenburg waren die großen Namen. 1985 lockte die eingleisige Bundesliga, doch die Achillessehne schmerzte ob der hohen Belastung gewaltig. Die passionierte Handballerin schraubte schweren Herzens ihren Ehrgeiz zurück und kehrte zum SV Adelby in die Bezirksliga zurück. Ohnehin war Bundesliga-Handball damals nur Amateursport. Nach dem Abitur hatte Britta Jänicke Sozialpädagogik in Kiel studiert und absolvierte dann ihr Anerkennungsjahr im Jugend- und Sozialamt Flensburg.
Dann arbeitete sie in einer stationären Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Havetoft. Dort blieb sie zehn Jahre lang – bis zu ihrer ersten Schwangerschaft.
Die zweite sportliche Karriere
Die zweite sportliche Karriere der Britta Jänicke hatte längst Fahrt aufgenommen. Auslöser war wieder ein Zufall.
Eines Abends erhielt sie einen überraschenden Anruf von Georg Kliem, ihrem früheren Schwimmtrainer bei der VSG. Er fragte: „Britta, kannst du uns bei den Leichtathletik-Landesmeisterschaften in Schleswig vertreten?“ Mit der Leichtathletik hatte sie bis dahin gar nichts am Hut gehabt, aber aus Dankbarkeit erfüllte sie diesen Freundschaftsdienst.
Britta Jänicke startete in drei Wurf-Disziplinen, obwohl sie nur die Kugel aus ihrer Schulzeit kannte. Einen Diskus hatte sie noch nie in der Hand gehalten. Den Speer warf sie wie einen Handball. „Deshalb tat mir danach auch der Ellenbogen etwas weh“, erinnert sie sich.
Da sie aber allgemein durchtrainiert und eine Konkurrenz kaum ersichtlich war, reichte es für einen Dreifach-Erfolg, mit dem sie zu den deutschen Meisterschaften reiste.
Und auch da dominierte sie sofort.
Wettkämpfe bestritt die Flensburgerin zumeist zusammen mit den Männern – natürlich mit getrennter Wertung. „Gerade der weibliche Behindertensport steckte noch in den Kinderschuhen“, erklärt sie. „Damals konnten sich noch nicht viele behinderte Frauen zum leistungsorientierten Sport motivieren.“ Sehr bald verzweifelte sie an den langweiligen Wettbewerben. Es fehlte an Motivation, die Gedanken ans Aufhören wuchsen.
1988: Die Paralympics von Seoul
Gerade noch rechtzeitig kam der Anruf vom damaligen Nationaltrainer Heinz Gülich, der bald darauf unerwartet verstarb. Britta Jänicke war nun im „Kader für Amputierte“, startete 1986 bei den Weltspielen in Göteborg und 1988 bei den Paralympics in Seoul, die erstmals im Anschluss an die Olympischen Spiele stattfanden. „Das war ein riesengroßer Meilenstein für den Behindertensport“, schwärmt Britta Jänicke noch heute. „Die Koreaner, so mein Eindruck, wussten gar nicht, wie sie mit dieser Veranstaltung umgehen sollten, und organisierten sie wie normale Olympische Spiele. Das war für uns Behinderte das Beste, was passieren konnte.“ Sonst schauten kaum mehr als 200 Zuschauer zu, in Seoul war die Eröffnungsfeier ausverkauft, und bei den Wettkämpfen war das Stadion halbvoll besetzt.
Zur besonderen Atmosphäre trug auch das eigens konzipierte paralympische Dorf bei. Für Britta Jänicke selbst lief es blendend: Gold mit dem Diskus und dem Speer.
Die Paralympics von Südkorea waren eigentlich als einmaliges Ereignis gedacht gewesen. 1986 hatte die Sportlerin Horst Jänicke geheiratet, die Familie rückte in den Vordergrund. Letztendlich fügten sich die Geburten der beiden Söhne Hendryk (1990) und Thorben (1993) sehr gut in den olympischen Zyklus ein. Den Speer packte Britta Jänicke zur Seite, nahm für die beiden anderen Geräte das Übungsprogramm wieder auf – rechtzeitig für die Paralympics 1992 in Barcelona.
Drei weitere Paralympics-Teilnahmen
Spanien wurde „schön, aber auch schlimm“. Zum einen wurde auf den Erfahrungen von Seoul aufgebaut und erstmals für die Sieger die Nationalhymnen abgespielt. Der Haken: In den Wurf-Disziplinen wurde wenige Wochen vor dem Event die Schadensklasse von Britta Jänicke mangels Meldungen gestrichen. „Man träumt vom Treppchen, das einem dann unter den Füßen weggezogen wird“, schildert sie ihr damaliges Innenleben. Die tolle Geste einer anderen Athletin, die auf einen Startplatz im 100-Meter-Lauf verzichtete, eröffnete wieder die Chance auf Barcelona.
Zwei Wochen sträubte sich die Wurf-Spezialistin gegen diese Alternative, besann sich nach der verbalen Unterstützung aus der Familie, die bereits ein Sommerhaus am Mittelmeer gebucht hatte, auf eine Teilnahme. „Die Umstände waren für mich schwerer als der Kampf auf der Laufbahn“, kann Britta Jänicke heute entspannt plaudern. „Über 100 Meter wollte ich ins Finale und dort nicht Letzte werden.“ Das klappte.
Für die Paralympics 1996 hatte die Flensburgerin noch einmal Blut geleckt: Diskus und Kugel standen wieder auf der Wettbewerbsliste. Sie forcierte nochmals das Pensum, reiste einmal im Monat zum Lehrgang bei Bayer Leverkusen, und bekam von ihrem Trainer Heinz-Dieter Antretter ein individuelles Programm mit auf den Heimweg, das sie auf dem Sportplatz in Adelby umsetzte. Ehemann Horst hielt ihr stets den Rücken frei, die sportverrückte Familie reiste in die USA. Mit dem „Lieblingsgerät“, dem Diskus, sprang in Atlanta Bronze heraus. In der Kugel-Konkurrenz stieß eine Chinesin im ersten Versuch Weltrekord. Silber war für Britta Jänicke ein toller Erfolg, aber nicht das Traumergebnis.
Der Ehrgeiz war angestachelt. Im Jahr darauf holte sie bei einem Leichtathletik-Meeting im niedersächsischen Duderstadt die Bestmarke zurück. Während der kleinen Siegesfeier fragte Heinz-Dieter Antretter: „Wie sieht es denn mit Sydney 2000 aus?“ Australien sollte der schillernde Abschluss werden. Die Kugel landete bei 11,96 Metern – Weltrekord und das ersehnte Gold.
Der Diskus brachte Bronze ein – und mit 35,53 Metern einen lange gültigen Europa-Rekord! Britta Jänicke genoss die besondere Atmosphäre in Australien und schleuderte ihren Sportschuh symbolisch ins Hafenbecken von Sydney.
Ein neuer Handball-Verein
Parallel war sie lange Jahre als Handball-Trainerin beim SV Adelby tätig. Mit der D-Jugend hatte sie 2000 noch die Landesmeisterschaft gefeiert, dann traten unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Ausrichtung auf, die schließlich zur Trennung führten. Die Dekaden beim SV Adelby möchte Britta Jänicke in ihrer Vita nicht missen. „Ich blicke mit einem warmen Herz zurück“, betont die 64-Jährige. „In Adelby herrschte eine ganz tolle Gemeinschaft, auch zwischen den Männer- und Frauen-Teams.“ Damit loderte die Handball-Leidenschaft aber nicht auf Sparflamme. Praktisch nahtlos erfolgte der Aufbau einer Handball-Abteilung im TSV Munkbrarup – zusammen mit Sabine Christiansen, Michael Davidsen, Heidi Thiele oder Steffi Schütt. Acht Mannschaften waren eine solide Basis, die sich bald auf gut 20 Teams verbreiterte.
Ein kluger Schachzug war es, die Handball-Freunde Flensburg zu gründen und mit dem Stadtverein zu HFF Munkbrarup zu fusionieren. So fühlten sich auch Flensburger Spieler, Handballerinnen und Kinder angesprochen, zu HFF Munkbrarup zu kommen. Das Training in den Sporthallen der Flensburger Kurt-Tucholsky-Schule tat sein Übriges.
Ursprünglich war das Ziel auserkoren, sich mit Frauen und Männern in der Oberliga zu etablieren. Die Realität mit der Konkurrenz in der Nachbarschaft war eine andere. „Im männlichen Bereich haben wir bislang bestimmt 25 Spieler an die SG abgegeben“, zählt Britta Jänicke auf. Dennoch sah es vor rund einer Dekade im Männerbereich sehr gut aus. Die Jahrgänge 1990 bis 1992 waren besonders schlagkräftig.
Das Team stieg mehrmals in Folge auf, schaffte es bis zur Vize-Meisterschaft in der Landesliga. Dann zogen auf einen Schlag mehrere Spieler wegen der Ausbildung um. Heute trainiert Britta Jänicke die Mannschaft in der Kreisoberliga, dazu die A-Jugend in der Schleswig-Holstein-Liga. Außerdem unterstützt sie als Mentorin den jungen Trainer der E-Jugend. Mittlerweile steht bei HFF Munkbrarup eine breite und gute Nachwuchsarbeit im Vordergrund. „Die Kinder sind glücklich, wir bieten ihnen ein gutes soziales Umfeld“, betont die Handball-Enthusiastin.
Rückkehr in den Beruf
Seit neun Jahren ist sie wieder berufstätig und hat eine Vollzeitstelle im Sozialforum, das eine sozialpädagogische Familienhilfe garantiert. Britta Jänicke ist hauptsächlich in die Beratung von Eltern involviert – wenn in der Schule oder in der Erziehung der Kinder Probleme auftreten. „Mein Aufgabengebiet ist sehr vielfältig“, erzählt sie. „Es ist immer schön, wenn sich positive Entwicklungen einstellen.“
Nach ihrem Acht-Stunden-Tag im Sozialforum geht es fast jeden Tag in die Halle zum Training. Am Wochenende sind Punktspiele. Ab und an schaut Britta Jänicke bei den Zweitliga-Frauen des TSV Nord vorbei und fiebert auf der Tribüne mit. Ihr Sohn Hendryk ist dort seit Sommer der neue Trainer. Sonst sieht man Britta Jänicke in den Handballhallen fast nur auf der Bank und nicht auf den Zuschauerrängen. „Wenn man so oft in der Halle ist, dann ist man an einem freien Abend auch gerne mal zu Hause“, sagt sie. Als Indiz einer nachlassenden Begeisterung für „ihren“ Sport möchte sie das aber keineswegs verstanden wissen. Mit einem zufriedenen Lächeln beendet Britta Jänicke das Gespräch: „Der Handball hat mein Leben geprägt.“
Mit Britta Jänicke sprach Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat