„Macht das einfach!“
Das Thema „Psychische Belastungen“ ist aktuell wie nie. Obwohl die Datenlage noch ziemlich unzureichend ist, wird angenommen, dass zwischen drei und vier Millionen Minderjährige oder jedes sechste Kind in Deutschland mit mindestens einem psychisch belasteten oder erkrankten Elternteil aufwächst – pro Schulklasse komme man auf drei bis vier Kinder.
Doch was bedeutet die psychische Erkrankung eines Elternteils für die Familie und insbesondere für Kinder und Jugendliche? Und wie können Kinder psychisch belasteter oder erkrankter Eltern unterstützt werden?
Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen die Mutter oder der Vater psychisch belastet oder erkrankt sind, stehen manchmal vor ganz besonderen Aufgaben und Herausforderungen. Sei es, dass ihre Eltern ihnen aufgrund der eigenen Belastung bzw. Erkrankung zeitweise weniger Aufmerksamkeit entgegenbringen und ihre Bedürfnisse nicht so gut wahrnehmen können, sei es, dass unterstützende familiäre oder soziale Netzwerke fehlen oder dass die Kinder sich übermäßig um ihre Eltern sorgen und zu viel Verantwortung für diese übernehmen.
Aus wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass Kinder schwierige Zeiten oder unsichere Lebensumstände besser meistern und gesund und seelisch stabil aufwachsen können, wenn sie verlässliche und vertrauensvolle Bezugspersonen auch außerhalb des erkrankten Familiensystems an ihrer Seite haben.
Seit 2006 setzt hier das präventive Patenschaftsmodell im Haus der Familie des ADS an. Ehrenamtliche Paten und Patinnen begleiten Kinder psychisch belasteter oder erkrankter Eltern über einen längeren Zeitraum im Alltag und verbringen gemeinsam eine gute Zeit.
Als Modellprojekt gestartet, hat sich die Idee der Patenschaften inzwischen zu einem fest installierten Angebot für Kinder aus belasteten Familien in der Stadt Flensburg weiterentwickelt. Die Patenschaften werden durch die Stadt Flensburg finanziert und befinden sich in einer Co-Trägerschaft des Kinderschutzbundes Flensburg e. V. sowie des ADS-Grenzfriedensbundes e. V.
Mona Leißling und Johanna Kolber, Koordinatorinnen des Patenschaftsangebotes, suchen regelmäßig Menschen, die ebensolche Vertrauenspersonen für betroffene Kinder werden können. Denn die länger werdende Warteliste bei den Flensburger Patenschaften verrät, dass der Bedarf für Familien, die auf der Suche nach einer ehrenamtlichen Patin oder einem Paten sind, hoch ist. Interessierte potenzielle Paten und Patinnen durchlaufen einen intensiven Auswahl- und Schulungsprozess, um auf eine Patenschaft gut vorbereitet zu sein. Wer sich im Anschluss an die Schulungen dafür entscheidet, eine Patenschaft zu übernehmen, wird in der Regel mit einer das Leben bereichernden Erfahrung belohnt. Dabei werden alle Patinnen und Paten auch während der Patenschaft durch die Koordinatorinnen kontinuierlich begleitet. Antje Andresen ist seit 13 Jahren Patin von Alyssa. In einem Interview berichten Patin Antje und Patenkind Alyssa von ihren Erfahrungen einer Patenschaft mit all ihren Höhen und Tiefen.
Antje, was war Deine Motivation damals, eine Patenschaft einzugehen?
Antje: Das weiß ich noch ganz genau. Und zwar habe ich eine große Anzeige in der Zeitung gelesen. Da ging es darum, dass das Haus der Familie Paten und Patinnen sucht für Kinder, die in herausfordernden Familienverhältnissen leben. Das hat mich sofort angesprochen, weil ich selbst in der Vergangenheit als alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern während der Trennung von meinem damaligen Ehepartner psychisch erkrankt bin und zur Behandlung in einer Klinik war. In dieser Zeit hätte ich jemanden gebraucht, der mich unterstützt hätte.
Als ich mich dann entschied, Patin zu werden, war für mich schnell klar: Es ist nicht wichtig, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen, ein kleines oder großes Kind als Patenkind bekomme. Was kommt, das kommt und das soll dann so sein. Und dann kam da das kleine Mädchen von vier Jahren – die kleine Alyssa. Und so fing es mit uns an.
Alyssa: Das ist schon so lange her. Unsere Patenschaft besteht nun seit 13 Jahren. Und das erste, woran ich mich erinnere ist, dass ich mich mit Antje gerne verkleidet habe und Laufsteg gelaufen bin – Antje hat dann von mir Fotos geschossen. Und diese Fotos hängen noch heute bei Antje im Flur.
Wie sehen eure Patenschaftstreffen aus? Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?
Alyssa: Also wir haben immer schon etwas zusammen gekocht und gespielt. Jetzt ist es nicht ganz anders. Ich komme erst einmal bei Oma (Patin Antje) an, dann reden wir etwas und dann kochen wir unsere Lieblingsspeise: selbstgemachtes Kartoffelpüree mit Fisch. Nach dem gemeinsamen Essen spielen wir Rummikub oder ein anderes Spiel. Und das machen wir eigentlich den ganzen Tag: Spielen und Reden. Dann fährt Oma mich nach Hause und der Tag ist schon vorbei.
Antje: Ich kann noch ergänzend sagen, dass Alyssa von Anfang an mit mir in der Küche stand und gerne die Kartoffeln geschält hat. Ich habe ihr dann irgendwann gesagt, dass sie die weltbeste Kartoffelschälerin ist – das hat sie angespornt. Seitdem ist Alyssa für das Kartoffelpüree zuständig. Die kleingeschnittenen Gurken im Kartoffelpüree dürfen nicht fehlen! Das muss man sich mal vorstellen:
13 Jahre Kartoffelpüree und Fisch und es wird nie langweilig. Wir hatten anfangs auch viel zusammen unternommen: Wir waren im Theater und im Kino oder am Strand. Einmal habe ich Alyssa zum Theaterkurs angemeldet und da ist sie so aufgeblüht auf der Bühne. Auch im Improvisationstheater waren wir zusammen. Je älter Alyssa wurde, desto wichtiger war ihr, dass wir unser Ritual mit dem Kochen, Spielen und Reden beibehalten.
Was ist das Besondere an Eurer Patenschaft?
Alyssa: Für mich ist es toll, weil ich ansonsten neben meiner Mutter und meinem Bruder keine weitere Familie habe. Mein Bruder hat seinen Vater und seine Familie in der Nähe von Flensburg. Und ich ja gar nicht. Ich habe meine beiden Omas nie kennengelernt und deswegen bin ich froh, dass ich so einen kleinen Anhaltspunkt habe, wo ich hin kann. Dass ich über meine Probleme nicht nur mit Freunden, sondern mit meiner Patin, die für mich so gesehen Familie geworden ist, sprechen kann.
Gab es auch schon mal Herausforderungen in Eurer Patenschaft?
Alyssa: Wir hatten eine Zeitlang Pause mit den Treffen, weil ich mehr mit Freunden zusammen sein wollte und auch mehr für die Schule machen musste. Aber wir sind in dieser Zeit immer in Kontakt gewesen – telefonisch oder per Whats App.
Antje: Das finde ich so toll an Alyssa. Wenn sie mal nichts von mir hört, meldet sie sich und fragt, ob alles in Ordnung bei mir ist. Alyssa ist für mich wie ein viertes Enkelkind. Einmal, da hatten wir auch eine längere Pause, als Alyssa nicht zu mir kommen wollte. Da sind wir dann zusammen im Haus der Familie gewesen und haben darüber gesprochen, was Alyssa sich wünscht oder was verändert werden darf. Ich hatte regelrecht Angst, dass sie sagt, dass sie gar nicht mehr kommen möchte. Aber letztendlich kam dabei raus, dass Alyssa von mir nicht mehr an der Schule abgeholt werden wollte. Die Gespräche mit den Koordinatorinnen haben mir geholfen, mich zu sortieren und Lösungen zu finden. Und das haben wir dann ja auch.
Alyssa, gibt es etwas für Dich, was Du aus der Patenschaft für Dein Leben mitnimmst?
Alyssa: Ja, wenn man eine Patin hat, kann man mit ihr über alles reden. Ich nehme auch mit, dass man die Hilfe annehmen sollte, die man bekommt. Antje hat mir Selbstvertrauen gegeben.
Antje: Sie ist immer selbstbewusster geworden, sie weiß genau, was sie will. Sie ist ein sehr praktischer Mensch. Diese Bereitschaft, sich mir zu öffnen, ist immer mehr geworden. Das ist natürlich auch eine Vertrauenssache.
Gibt es ein besonderes gemeinsames Erlebnis, das Euch besonders stark in Erinnerung geblieben ist?
Alyssa und Antje: Das Kochen. Das Kochen gehört zu uns.
Antje: Und unsere gemeinsamen Unternehmungen und Ausflüge haben mich immer sehr berührt, weil Alyssa sich so freuen konnte. Wir haben viel Spaß zusammen und der Humor verbindet uns.
Was würdet Ihr anderen Familien, Paten und Patinnen empfehlen, wenn sie überlegen, eine Patenschaft einzugehen?
Alyssa: Macht das einfach! Es ändert dein Leben und hilft sehr. Es macht viel Spaß und man erlebt einiges.
Antje: Mir war von Anfang an wichtig, dass es in der Patenschaft ausschließlich um das Kind geht. Ich konzentriere mich nur auf das Kind. Als Mutter hätte ich mir das auch so gewünscht, dass die Patenschaft sich ausschließlich an mein Kind richtet und ich außen vor bleiben darf.
Antje, welche Eigenschaften sollten eine Patin oder ein Pate mitbringen?
Antje: Also erst einmal sollte eine angehende Patin sehen, was das Kind braucht. Ein Patenkind ist kein Lückenfüller – man muss sich schon um das Kind kümmern. Das Patenkind ist nicht dafür da, die eigene Einsamkeit zu schmälern. Es geht in der Patenschaft auch nicht darum, die Eltern des Kindes zu retten. Es geht um das Kind und darum, eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.
Sollten Sie weiteres Interesse an den Patenschaften für Kinder psychisch belasteter Eltern haben und sich womöglich für die Übernahme einer Patenschaft interessieren, wenden Sie sich gerne an die Koordinatorinnen Mona Leißling und Johanna Kolber des Angebots unter der Telefonnummer: 0461 – 86 93 511 oder per Mail: patenschaften@dein-ads.de oder kommen Sie persönlich ins Haus der Familie des ADS,
Mürwiker Str. 115, 24943 Flensburg.
Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen!