Lüftungsrohre und ein Kabinenschrank bedecken die Betonwände, während an den Pinnwänden Bilder von den deutschen Meisterschaften und Pläne hängen. Keine Frage: Der frühere Lagerraum in der unteren Ebene der Flensburg-Akademie taugt auch als Büro. Handball-Coach Michael Jacobsen hat sein Notebook hochgefahren und startet eine Video-Konferenz mit den anderen Trainern im Nachwuchsbereich der SG Flensburg-Handewitt. Die Themen sind vielschichtig: Ein ungarischer Trainingsspieler soll demnächst kommen, seine Unterkunft muss geklärt werden. Ohne Corona geht es nicht. Gerade erst sind A-Jugend und Junior-Team nach einer Zwangspause wieder ins Training eingestiegen. Wie ist die Belastung nach einer Quarantäne zu steuern? Vorsorglich wird ein weiteres Oberliga-Spiel verschoben.
Michael Jacobsen ist eigentlich Handball-Trainer, betreut die A-Jugend in der Jugend-Bundesliga und das Junior-Team in der Männer-Oberliga zusammen mit den beiden Kollegen Simon Hennig und Jürgen Bauer. Er hat aber auch viel Koordination und Administration an der Backe. Aufgaben, die alle Altersklassen, teilweise sogar den Kinderhandball, berühren. Spielverlegungen sind in Zeiten einer Corona-Pandemie zu einem häufigen Anliegen geworden. Für den Nachmittag ist ein Kraft-Training angesetzt. Michael Jacobsen steht auf und öffnet eine Schiebetür: Ein Kraftraum mit Gewichten und Geräten kommt zum Vorschein. Das Büro liegt ideal – für die Trainingssteuerung.
Dem Coach wurde der Sport praktisch in die Wiege gelegt. Es ist wohl kein Zufall, dass er am 30. Juni 1984, dem letzten Tag eines klassischen Sportjahres, an dem viele Profi-Verträge enden, in Kopenhagen geboren wurde. Michael Jacobsen wuchs in Kokkedal, einem kleinen Städtchen im Einzugsbereich der dänischen Hauptstadt, auf. Ein Schloss lockt die Touristen an, für Sport-Fans ist eher HUK Handball interessant. „Meine Eltern waren leidenschaftliche Handball-Trainer und richteten ihre gesamte Freizeit danach aus“, erzählt der Däne und schmunzelt: „Ich bin in der Halle groß geworden.“

Schon mit 14 Jahren war er als Trainer im Kinderbereich tätig. Die neuen Aufgaben interessierten ihn, während sich bei ihm gleichzeitig die Erkenntnis durchsetzte, dass es mit einer eigenen Karriere nichts wird. „Die Belastung für meinen Körper war hoch, und ich war wohl auch nicht gut genug“, erzählt Michael Jacobsen. Auch die Pläne für den eigenen Berufsweg blieben vage. Der junge Mann nahm ein Lehrer-Studium in den Fächern Sport, Dänisch, Geografie sowie Wirtschaft und Politik auf. Nach zwei Jahren zog er nach Viborg, wo er parallel eine Trainer-Ausbildung begann. „Eigentlich dachte ich nur an zwei bis drei Jahre, daraus wurde aber eine Entscheidung für das Leben“, sagt er mit einem Lächeln.
In Viborg lernte er zwei heutige Weggefährten kennen: Michael Döring, heute Athletik-Trainer bei der SG und Büro-Nachbar, und Akademie-Geschäftsführer Lewe T. Volquardsen, dessen Tochter damals in Viborg spielte. Michael Jacobsen ging aber zunächst nach Aarhus und verfolgte die Vision, mit einer Nachwuchsmannschaft in die zweite dänische Liga aufzusteigen. 2014 wollte er dort gerade verlängern, als sich Michael Döring meldete. Der stand inzwischen in Diensten der Flensburg-Akademie und brauchte einen guten Trainer für die A- und auch für die C-Jugend. Der Anfang war nicht leicht. Die Deutsch-Kenntnisse des Neuzugangs basierten auf drei Jahren Unterricht in einer längst vergessenen Schulzeit. „Sprachlich war es zunächst schwierig – auch weil das Englisch-Niveau der Jungen nicht ausreichte“, erinnert sich Michael Jacobsen. „Dazu kam noch die andere Handball-Philosophie bei der SG.“

Nach zwei Jahren lief der Vertrag aus. Im SG-Nachwuchssektor herrschten Unklarheiten über die weitere Ausrichtung. Michael Jacobsen liebäugelte mit einer Rückkehr nach Aarhus, dann kam von der „großen“ SG, speziell von den Trainern Ljubomir Vranjes und Maik Machulla, der Impuls, den Jugendbereich aufzuwerten und mehr an die Strukturen der Profis anzupassen. „Ich durfte bleiben“, lächelt Michael Jacobsen. „Ich wollte es auch – und ich habe es nie bereut.“ Seitdem wurde der Austausch mit dem Kompetenz-Team der Lizenzspieler enger. Und da andere Köpfe im Nachwuchsbereich gingen, schulterte Michael Jacobsen nach und nach immer mehr Aufgaben im administrativen Bereich.
Er hat einen unbefristeten Vertrag und Wurzeln geschlagen. Zusammen mit Frau Sandra baute er in Harrislee. Sohn Sofus ist inzwischen ein Jahr alt und besucht den dänischen Kindergarten, um zweisprachig aufzuwachsen. Zuhause wird nur Deutsch gesprochen. „Wir fühlen uns total wohl in der Region“, sagt der Familienvater. Der einzige Nachteil: Die Verwandten leben im Hamburger Speckgürtel und in Kopenhagen. Es sind immer Reisen nötig, wenn die Großeltern ihren Enkel sehen wollen.
Für Hobbys hat Michael Jacobsen kaum Zeit. Die Familie und vor allem die „Passion Handball“ füllen den Terminplan. Wenn sich doch eine Lücke auftut, schaltet der Handball-Trainer das TV-Gerät ein und verfolgt die dänische Fußball-Liga. Er ist Anhänger des Traditionsklubs Bröndby Kopenhagen und war schon häufiger einer von 20.000 Zuschauern. „Nach einer langen Durstrecke war Bröndby im letzten Jahr endlich wieder Meister“, lächelt Michael Jacobsen.

Im Handball schnupperte er im Herbst drei Mal den Duft der großen Welt. Als Maik Machulla erkrankt zu Hause bleiben musste, half der Übungsleiter der Jugend drei Mal bei den Profis aus. In der Champions League ging es ins ostukrainische Saporischschja. „Dort, wo jetzt Krieg ist“, schüttelt Michael Jacobsen fassungslos mit dem Kopf.
Der Alltag geht weiter. In Unterbau geht es kontinuierlich darum, professionellere Strukturen zu schaffen und die Philosophie zu verändern – in Richtung einer deutsch-dänischen Mixtur. „Die jungen Spieler sollen mehr freie Entscheidungen treffen, wie es in Skandinavien üblich ist“, erklärt Michael Jacobsen. „Es soll aber auch eine in Deutschland übliche Komponente der Disziplin beinbehalten werden.“
Erfolglos ist die Flensburger Nachwuchsarbeit gewiss nicht. 2019 und 2020 stand die SG bei der A-Jugend ganz oben. „Es ist schön eine deutsche Meisterschaft zu gewinnen, noch wichtiger ist es aber, wo die Spieler fünf bis sechs Jahre später stehen werden“, betont Michael Jacobsen. Er registriert es immer mit Freude, wenn einer der Schützlinge irgendwo einen Profi-Vertrag erhält. So wie im Herbst Oscar von Oettingen, der für dreieinhalb Jahre beim dänischen Erstligisten Mors-Thy unterschrieb.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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