Mit dem Mini zum Weltrekord
Die Lokführer streiken. Eigentlich wollte ich mit dem Zug zum Auftakt der Handball-Europameisterschaft nach Düsseldorf reisen. Doch pünktlich mit dem ersten Anpfiff geht auf Deutschlands Schienen fast nichts mehr. Ich muss umplanen. Nun nähere ich mich mit einem „Mini“, den ich von meiner Frau in Oldenburg abgeholt habe, dem größten Hallenhandballspiel, das je auf deutschem Boden stattgefunden hat. 53.586 Zuschauer sollen es am Abend werden. Um 10 Uhr am Vormittag erreiche ich 500 Meter von der Arena entfernt einen riesigen Parkplatz. Es ist viel los, es ist auch Messe in Düsseldorf. Meine Akkreditierung erhalte ich gleichzeitig mit einer Tanzgruppe, die kurz darauf in der noch fast menschenleeren Arena probt. Das Stadiondach ist schon seit Wochen geschlossen. Heizpilze sind im oberen Bereich angebracht. Es ist warm, nur aus dem Eingangstunnel strömt ein frischer Luftzug.
Stadion-Atmosphäre
Eine Stunde vor Anpfiff wird das Licht abgedunkelt. Wunderkerzen funkeln, es ertönt „An Tagen wie diesen“. Wir sind in Düsseldorf, der Stadt der „Toten Hosen“. Zwei Stunden später singen die vielen Fans selbst. „Oh, wie ist das schön“. Die deutsche Mannschaft hat alles im Griff und schlägt die Schweiz deutlich mit 27:14. „Es war etwas ganz Besonderes, hier zu spielen“, sagte Johannes Golla. Für den nächsten Morgen hat die Deutsche Bahn – offizieller Partner der EM – trotz Streiks einen Sonderzug organisiert, um Johannes Golla und Teamkollegen nach Berlin zu befördern.
Wintermärchen
Der Dichter Heinrich Heine wurde in Düsseldorf geboren. Von ihm stammt „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Es ist verdammt kalt im Rheinland – bis zu minus acht Grad. Zur Mittagszeit treffe ich in Mannheim, meiner zweiten Station der Deutschland-Tour, ein. In der SAP-Arena gewinnen die Niederlande gegen Georgien. Ohne Beteiligung der SG Flensburg-Handewitt, da Linkshänder Kay Smits an einer Herzmuskelentzündung laboriert. Auf seiner Position spielt Niels Versteijnen, ein ehemaliger SG-Akteur. „Der Grund ist traurig, aber nun muss ich die Verantwortung tragen“, sagt der 23-Jährige.
Ein erstes SG-Duell
Die Handballer von Bosnien-Herzegowina fordern Europameister Schweden heraus. Viele Landsleute strömen in die Arena und stärken Benjamin Buric den Rücken. Doch der Gegner ist zu stark. Aber nicht nur das: Der Torhüter verliert das direkte Duell gegen Jim Gottfridsson mit 0:4. „Benko muss weiterhin meine Wurfbilder studieren“, scherzt der Spielmacher.
Der TV-Experte
Für München ist ein Doppelzimmer gebucht. Meine Frau reist über Nacht mit Freunden aus dem Norden an. Wir sind kurz am Karlsplatz. Kurz darauf breche ich zum Training des dänischen Nationalteams auf. Mit der U-Bahn komme ich durch Milbertshofen. Der dort ansässige TSV – langjährige Fans erinnern sich – zog sich 1993 aus der Bundesliga zurück, und die SG durfte erstklassig bleiben. Jetzt tummeln sich ganz in der Nähe die dänischen Handballer. Auf mich warten Lukas Jörgensen und Johan Hansen. Plötzlich höre ich eine protestierende Stimme: „Du grüßt auch nur noch die jungen Spieler.“ Es ist Anders Eggert. Die SG-Legende ist als Experte für den dänischen Sender „TV2“ am Start.
Isländischer Wasserfall
In die Olympiahalle pilgern über 2000 isländische Fans und füllen einen großen Block. Ein Anblick wie ein isländischer Wasserfall. Die Handballer von der Vulkaninsel tun sich aber sehr schwer. Mit Mühe und Not erreichen sie ein Unentschieden gegen Serbien. Arnor Atlason, vor einer Dekade eine Aushilfe bei der SG, ist nun Co-Trainer. Der aktuelle SG-Spieler Teitur Einarsson steht nicht im Kader.
40 dänische Tore
Ein zweiter Tag in München. Am Abend spielen die Dänen. Mads Mensah pausiert, aber Lukas Jörgensen, Emil Jakobsen und Johan Hansen sind mittendrin. Der Fünfte aus dem nominierten SG-Quintett ist Simon Pytlick, der sich zeitweise sogar als Spielmacher beweisen muss. „Es war etwas chaotisch und komisch, aber insgesamt ordentlich“, meint der Halblinke. Die Dänen dominieren gegen überforderte Griechen. Ausgerechnet Aaron Mensing, der die SG im Sommer verlassen hat, macht mit dem Schlusspfiff Treffer Nummer 40.
Mannheim, die Zweite
Zusammen mit meiner Frau geht es wieder gen Norden. Allzu weit komme ich allerdings nicht. Ich steige bereits in Mannheim aus, wo am Abend die nächste Gruppe spielt. Kroaten und Österreicher liefern sich ein packendes Duell. Die Kroaten haben viele Fans, am Ende holen die Alpen-Handballer einen überraschenden Punkt. Ihre Schlachtenbummler singen: „Immer wieder, immer wieder Österreich!“ Diese Melodie erinnert mich an uralte Zeiten in der Handewitter Wikinghalle.
Berlin, wir fahren nach Berlin!
Die Züge rollen wieder. Am Morgen des sechsten Tages reise ich über Frankfurt und Erfurt zum Berliner Ostbahnhof. Dort befindet sich die Mercedes-Benz-Arena. Im Rücken habe ich zunächst etwa vier Prozent eines kleinen Landes. Die erste EM-Teilnahme der Färöer hat die kleine Inselgruppe vorübergehend etwas geleert. Sportlich interessanter ist das zweite Spiel des Tages. Slowenien schlägt Norwegen mit 28:27. SG-Abwehrchef Blaz Blagotinsek wirft vom Kreis fünf Tore und blockt den letzten Wurf der Skandinavier. „Das war ein supertolles Spiel“, schwärmt der Slowene. „Wir waren schon weiter, machten uns keinen Stress, und es lief einfach gut.“ Für mich lief es auch gut, denn ich habe es geschafft: alle sechs Gruppen in sechs Tagen!
Text und Fotos: Jan Kirschner