Ein weiter Pass von Jan Holpert, ein Wurf von Lars Christiansen und das Tor zum 31:30 – perfekt war der Sieg über TUSEM Essen. Der 13. April 2003 steht für den ersten Triumph im DHB-Pokal, für den ersten nationalen Titel der SG Flensburg-Handewitt. Für das Kult-Event der Handballer war 2003 mit einem Ortswechsel verbunden. Nach neun Veranstaltungen in der kleineren Alsterdorfer Sporthalle zog das Final Four in die große Arena im Hamburger Volkspark um. Nun, 20 Jahre später, wechselt die Pokal-Endrunde wieder die Spielstätte – und die SG ist dabei, wenn es am 15. und 16. April erstmals in Köln um den „Pott“ geht.
Der Ligaverband HBL wittert am Rhein noch mehr Strahlkraft und Profit als an der Elbe. In Hamburg sorgten rund 13.000 Zuschauer für Stimmung, in Köln werden es fast 20.000 sein. „Wir gehen mit mindestens einem weinenden Auge, aber wir müssen für dieses Event neue Impulse setzen“, betont HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann. Und HBL-Präsident Uwe Schwenker erklärt: „Das Wirtschaftliche ist natürlich der Hauptgrund. Wir haben die Möglichkeit, in einer der größten Multifunktionsarenen Europas vor 20.000 Zuschauern zu spielen.“ Ein weiterer Faktor: In Köln sitzt Hauptsponsor „Rewe“.
In Fan-Kreisen laufen die Vorbereitungen für eine Köln-Tour. Die SG hat ein Kontingent von 1200 Tickets zur Verfügung gestellt bekommen und legte einen offiziellen Schal auf. Bei der Buchung von Übernachtungsmöglichkeiten gab es aber auch schon das eine oder andere lange Gesicht. Mitte April finden in der Domstadt mehrere Veranstaltungen statt, und die Hotelpreise sind deshalb ungefähr doppelt so hoch wie normal. Einige Anhänger fragten sich: Sind Handball-Events für den normalen Fan noch bezahlbar?

Der Weg in die Endrunde

Die SG ist froh, endlich wieder zu den besten Vieren im DHB-Pokal zu gehören. Von 2011 bis 2017 glückte sieben Mal in Folge eine Qualifikation, ehe eine rätselhafte, schwarze Serie begann. Die letzten Jahre war spätestens im Achtelfinale Schluss, selbst ein Heimvorteil brachte nicht viel. Jetzt halfen drei Auftritte vor heimischem Publikum. Zunächst wurde Mitfavorit Füchse Berlin ausgeschaltet, dann der HSV Hamburg. Gegen die abstiegsbedrohte HSG Wetzlar musste die SG lange zittern und musste sogar 70 Minuten absolvieren. „Kurz vor Ablauf der normalen Spielzeit dachte ich nur: Nicht schon wieder eine Verlängerung wie zuletzt gegen Spanien bei der Weltmeisterschaft“, erzählte Magnus Röd. „Dann dachte ich aber gar nicht mehr an mögliche Konsequenzen, sondern war nur auf die zusätzlichen zehn Minuten fokussiert.“ In Kürze wird der Norweger sein erstes REWE Final4 erleben.
Einen ersten spannenden Moment gab es bereits in Köln: Die HBL hatte zur Auslosung der Halbfinals rund 140 Gäste aus Sport, Wirtschaft und Politik eingeladen. Der frischgebackene Feldhockey-Weltmeister Timur Oruz betätigte sich als Glücksfee. Das Los „SG Flensburg-Handewitt“ schlüpfte als erstes aus dem Topf. Der SC Magdeburg fiel als Gegner weg, dann gesellten sich die Rhein-Neckar Löwen zur SG-Paarung. „Das ist ein Klassiker“, schnalzte SG-Geschäftsführer Holger Glandorf mit der Zunge. „Gefühlt fünf Mal in Folge standen wir uns einst im Halbfinale gegenüber. Die Löwen sind natürlich kein einfacher Gegner.“
Das sah Oliver Roggisch, Sportlicher Leiter der Rhein-Neckar Löwen, genauso: „Zumindest haben wir das erste Halbfinale erwischt.“ In der Tat: Die SG bestreitet am Samstag, 15. April, um 16.10 Uhr das erste Halbfinale. Das garantiert dank der ARD-Übertragung eine größere Reichweite und vor allem eine um drei Stunden längere Regeneration gegenüber dem 
SC Magdeburg und dem TBV Lemgo, die sich ab 19 Uhr im zweiten Halbfinale gegenüberstehen werden. Das Endspiel wird am Sonntag, 16. April, um 15.40 Uhr angepfiffen. Zuvor sollen sich die beiden unterlegenen Halbfinalisten gegenüberstehen und den dritten Rang ausfechten, der mit einem Freilos im DHB-Pokal verknüpft ist.

Noch verhaltene Vorfreude

Während im Fan-Lager die Vorfreude auf Köln wächst, spüren die Spieler noch keine große Euphorie. „Es gab erste Planungen, in die ich involviert war, aber in der Mannschaft ist das Final Four noch kein Thema“, erklärt Kapitän Johannes Golla. „Es sind noch so viele Spiele davor.“ Er selbst hat die Atmosphäre von Köln noch nie erlebt. Er bestritt dort mal ein Länderspiel, allerdings zu Zeiten der Corona-Pandemie. Und die Endrunden der Champions League kennt er nur vom Bildschirm. So wie auch Aaron Mensing, der beispielsweise 2014 vor dem Fernseher saß und den sensationellen Königsklassen-Triumph der SG bejubelte. „Ich erinnere mich daran, dass mein Vater tags darauf zur Feier am Südermarkt war.“ Nun würde das Rückraumass selbst gerne ein ruhmreiches Kapitel schreiben. „Das wird bestimmt ein Erlebnis, vor so vielen Zuschauern in dieser großen Arena zu spielen“, ist sich Aaron Mensing sicher.
Interessant: Bislang absolvierte die SG Flensburg-Handewitt zwölf Spiele in Köln. Zehn Mal ging es mit wechselndem Erfolg um Bundesliga-Punkte gegen den VfL Gummersbach. Und dann ist da noch der bereits erwähnte, legendäre Frühling von vor neun Jahren. Fast 20.000 Menschen sahen am 1. Juni 2014 das Endspiel um die Champions League. Es war ein Landesderby in anderer Umgebung: Die SG drehte nach durchwachsener Startphase auf, schlug den THW Kiel mit 30:28 und erklomm erstmals und bislang auch letztmals den europäischen Handball-Thron. Noch spektakulärer als der finale Akt war das Halbfinale tags zuvor. Die SG hatte gegen den FC Barcelona, den haushohen Favoriten, in der Schlussphase einen Sechs-Tore-Rückstand wettgemacht und schließlich in einem epischen Siebenmeterwerfen gewonnen. Gibt es wieder einen Klassiker? Die SG-Fans hätten gewiss nichts dagegen: Die letzte Pokal-Sause liegt auch schon acht Jahre zurück.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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