Es gibt ein „Haus der Geschichte“ oder ein „Haus des Sports“. In Dollerup gibt es ein „Haus des Cartoons“. Dieses Gebäude heißt offiziell nicht so, aber dessen Nutzung lässt diese Bezeichnung zu. Denn hier wirkt der bekannte Zeichner und Cartoonist Kim Schmidt. Im Erdgeschoss befinden sich die Räumlichkeiten des „Flying Kiwi Verlags“, in dem etwa die Sammelbände der beliebten „Local Heroes“ erscheinen. Die Treppe hoch erstreckt sich das Atelier. Die geistige Brutstätte, in der fast täglich neue Werke entstehen.
Kindheit und Comics
Vom ruhigen Domizil in Angeln sind es 15 Minuten bis zu den ersten Straßen Flensburgs. In der Fördestadt wurde Kim Schmidt im Mai 1965 geboren. Die ersten Kindheitserinnerungen sind mit Harrislee verbunden. Dort lebte die Familie Schmidt, dort besuchte der Nachwuchs die Grundschule. Die Leidenschaft für Comics entzündete sich früh. Ein Onkel hatte eine Vorliebe für Micky-Maus-Hefte. So war Kim Schmidt immer versorgt mit den neuesten Geschichten aus Entenhausen. Den kleinen Jungen faszinierten zunächst die bunten Bilder mit den Sprechblasen. Dann motivierten diese ihn dazu, das Lesen zu lernen, und schließlich waren die Comics die Inspiration, selbst zu zeichnen.
Das war eine dauerhafte Passion, die sich auch durch den Unterricht, inzwischen am Alten Gymnasium, zog. „Ich habe den Lehrern immer erzählt, dass ich mich so besser konzentrieren könnte, aber sie dachten, ich wäre nicht bei der Sache“, erzählt Kim Schmidt mit einem Schmunzeln. Häufiger bereicherte er die Schülerzeitung „Der Turm“ mit seinen Entwürfen. Kunst wurde zum Lieblingsfach, als eine Lehrerin den oft verrufenen Comics („Schundliteratur“) offen gegenüberstand und erkannte, dass ihr Schüler ein Talent zum Zeichnen hatte. „Für das Zeichnen habe ich ein paar Tipps in der Schule bekommen, in erster Linie war ich aber immer Autodidakt“, betont Kim Schmidt.
Die „Comic-Lehre“ und der erste Auftrag
Als Teenager ging er mit einem Freund durch eine gemeinsame „Lehre“. Jens Junge lebte in Harrislee in derselben Straße. Sie entdeckten ihre gemeinsame Leidenschaft für Comics, hockten oft zusammen, entwarfen Bildergeschichten, sammelten Ideen und kreierten Figuren. Und plötzlich war er da: „Öde“, ein Flensburger Junge, der sich häufiger langweilte. Der Zufall wollte es, dass 1983 mit der „Moin Moin“ ein neues Wochenblatt aufgelegt werden sollte. Ein kleiner Comic mit lokalem Fundament – das wäre doch etwas?
Die beiden Nachwuchszeichner radelten zum Verlag, der in einem Fabrik-Wrack der Batteriestraße untergebracht war. Sie bekamen den Zuschlag und zeichneten die Geschichten im wöchentlichen Rhythmus. Um den Faulenzer „Öde“ integrierten sie den Zeitgeist und sehr bald auch die skurrile Oma und „Öde´s“p schusseligen Freund. „Zunächst waren wir noch in der Experimentierphase, die Strips waren noch richtig schlecht, bekamen dann aber immer mehr Routine“, erinnert sich Kim Schmidt. Sein Kumpel zog nach dem Abitur schnell weg, sodass er allein die Wochenzeitung mit den Kurz-Comics fütterte – und das 32 Jahre lang.
Berufliche Laufbahn neben dem Zeichnen
Nach der Schulzeit blieb er in Flensburg, leistete in einem Seniorenheim auf dem Friesischen Berg seinen Zivildienst ab, um dann eine Ausbildung zum Krankenpfleger an der Diako durchzuziehen. „Das erschien mir als eine sinnvolle Arbeit“, erklärt Kim Schmidt. Das Hobby zum Beruf machen? Das war bestenfalls ein ferner Traum. „Es gab Brösel und irgendwo in Süddeutschland drei oder vier Zeichner, die sich mit Fix und Foxi beschäftigten“, skizziert der 59-Jährige heute die damals nicht greifbaren Perspektiven. So begann er nach einer längeren USA-Reise mit einem Studium an der Pädagogischen Hochschule. Englisch und Kunst – eine Lehrer-Laufbahn deutete sich an.
Comics und Cartoons blieben aber ein stetiger Begleiter. Schnell hatte sich die Kreativität zum Buch „Öde Zeiten“ ausgeweitet. Einen Abnehmer gab es für den Newcomer noch nicht. Es war Kumpel Jens Junge, der inzwischen eine Ausbildung zum Verlagskaufmann durchlaufen hatte, der die Lösung hatte. Die beiden machten gemeinsame Sache und gründeten 1988 den „Flying Kiwi Verlag“. Der eine zeichnete, der andere kümmerte sich um den Vertrieb. Der einstige Partner ist immer noch stiller Teilhaber. Heute erfährt Kim Schmidt die größte Unterstützung von seiner Frau Elke. Zudem beschäftigt „Flying Kiwi Media“ einen Grafiker und eine Verwaltungskraft auf Honorar-Basis.
Vom Nordergraben nach Dollerup
In den 90er Jahren war eine Wohnung im Nordergraben die Schaffensoase. Kim Schmidt erhielt immer mehr Aufträge. Das „Flensburger Tageblatt“ klopfte an: 1996 starteten die „Local Heroes“, ein tierischer Dauerbrenner mit ländlichem Background. Und eine Karikatur arbeitete einmal die Woche die lokalen Ereignisse auf. Ihr Urheber musste eine Entscheidung treffen: „Steuere ich in den sicheren Hafen des Berufsbeamtentums oder werde ich freier, selbstständiger Cartoon-Zeichner?“ Die Antwort: Das Lehramtsstudium wurde nie abgeschlossen.
Zur Jahrtausendwende zog die Familie nach Dollerup in Angeln. „Mit unseren zwei Kindern wollten wir auf das Land, träumten von einem Haus mit Garten“, erklärt Kim Schmidt. Jetzt, wo die beiden Söhne groß sind, genießt er Landschaft und dörfliche Ruhe. Er läuft gerne über Stock und Stein oder radelt einfach mal ins Grüne. Was auch praktisch ist: Der Cartoon-Zeichner lebt direkt bei seinen Protagonisten der „Local Heroes“, in der Nähe von Höfen und Tieren. Zu Recherche-Zwecken absolvierte er mal für eine Woche ein Praktikum bei einem Landwirt. Er fuhr nicht nur Trecker. Noch immer setzt er seine Beobachtungen mit Stift und Farbe um. Die „Local Heroes“ erscheinen mittlerweile im „Bauernblatt“ und auch in einigen Zeitungen im süddeutschen Raum, wo ein Agent bei der Vermarktung hilft. Das „tierische“ Gesamtwerk umfasst inzwischen 23 Sammelbände. Dazu gesellen sich Übersetzungen in mehreren Sprachen. Friesisch oder Dänisch etwa. Und die Translation ins Plattdeutsche übernahm die Flensburger Schauspielerin Renate Delfs.
Was wenige wissen: Kim Schmidt ist seit zwei Dekaden auch ein Illustrator von „Die ??? Kids“, dem kleinen Ableger der großen Jugend-Krimireihe. Bei einer Messe hatte er die bis dahin tätige Grafikerin getroffen, die nach 20 Bänden aufhören wollte. Das Nordlicht fertigte rasch ein paar Probe-Zeichnungen an und war seither an 70 Bänden beteiligt.
Der Ablauf einer Woche
2006 siedelte Kim Schmidt beruflich um. Das Nachbarhaus verwandelte sich in seine Kreativ-Werkstatt. Von Montag bis Mittwoch stehen diverse Projekte im Vordergrund, während der Donnerstag den beiden Daueraufträgen der Tageszeitung gehört. Die „Local Heroes“ produziert der Dolleruper schon immer eine Woche im Voraus, die lokale Karikatur hingegen muss immer aktuell sein. „An den Zeichnungen selbst sitze ich ein bis zwei Stunden, die Ideen kommen entweder sofort oder ich muss länger nachdenken“, verrät Kim Schmidt. Vor ihm liegt eine Zeitung, auch das Internet dient als Gedankenstütze, als Inspirator für das große Thema. „Das Gute an Flensburg: Es gibt immer genug Stoff.“ Zur Not geht er erst einmal an die frische Luft, und wenn es mal eng wird, reicht auch der Freitag noch.
Wir gehen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Das Lager ist mit fast allen Bänden gefüllt und füttert auch den eigenen Online-Shop. Die Bestellungen arbeitet Kim Schmidt selbst ab. An den Regalen hängen Landkarten. Die von „Hedwig-Holzbein“ ist längst ein Bestseller. Es gibt auch ähnliche Varianten zu Deutschland und fast allen Bundesländern. Und das Flensburger Wimmelbild war ein Werk der Corona-Zeit. Aufmerksame Augen entdecken auch Details wie die Holmnixe oder „Öde“ beim Angeln. Das Ergebnis der letzten Winterarbeit war ein Wimmelbild zu Wacken, auf dem sich Kim Schmidt auch selbst verewigte.
Er war schon häufiger auf dem Heavy-Metal-Festival im Kreis Steinburg. Dort gibt es nicht nur harte Klänge, sondern auch ein Künstlerzelt, in dem Ölbilder und Skulpturen zu besichtigen sind. Oft tauchte dort auch Kim Schmidt mit seinen Werken auf. „Der Schlamm im letzten Jahr war für mich richtig dankbar, das war viel neuer Stoff für meine Cartoons“, sagt er mit einem Grinsen. In diesem Sommer war er nicht in Wacken. Denn für das Wimmelbild liefen so viele Bestellungen ein, dass der Zeichner in Dollerup mit dem Versand beschäftigt war.
Workshops und Lesungen
Kim Schmidt wollte ja mal Lehrer werden. Vielleicht gibt er deshalb vieles aus seiner Disziplin gerne weiter. Inzwischen hat er drei Lehrbücher zum Zeichnen von Comics verfasst. Womöglich folgt bald eine Neuauflage. Nach anderthalb Dekaden Unterbrechung wäre es vielleicht mal wieder an der Zeit. Zu seinen Wegbegleitern gehören aber auch Workshops für Kinder.
Demnächst wird der Scheersberg wieder der Schauplatz für ein besonderes Wochenende. Auf eine Einführung in die Theorie baut recht bald die Praxis auf. Dann werden Charaktere und Geschichten geschaffen. „Da hätte ich als Kind auch selbst mitgemacht“, erzählt Kim Schmidt mit einem vielversprechenden Lächeln. Auch Lesungen zählen zu seinem Repertoire. Ein Beamer wirft die Comic-Bilder an die Wand. Der Urheber liest die Sprechblasen samt Geräuschen vor. Quietsch, kratz, surr! Die Kleineren schwören vor allem auf die Erzählungen über den Wikinger „Gorm Grimm“. Eher an die Erwachsenen richtet sich „Hart an der Grenze“. Mit diesem Programm bereist das Nordlicht das gesamte Bundesgebiet. Es geht um sprachliche Missverständnisse, Grenzhandel oder den Wildschweinzaun an der Grenze.
Als Kim Schmidt einmal im Flensburger Schifffahrtsmuseum gastierte, ließ er sich etwas Besonderes einfallen. „Ich wollte etwas bringen, womit keiner rechnen würde“, verrät der Lokalmatador. Er sang zu einer Santiano-Melodie ein Lied über seinen „Öde“. Sohn Samuel, der in der Flensburger Band „Ghosttrip“ spielt, begleitete ihn auf der Gitarre. Das Publikum antwortete auf die Überraschung mit rhythmischem Klatschen und Stampfen. Als Julius, der zweite Sohn, der als Kameramann tätig ist, kurz darauf auf Heimaturlaub war, hatte er prompt eine Idee: „Dazu machen wir ein Video!“ Es läuft noch immer auf einer Internet-Plattform und zeigt den bekannten Vater, wie er am Hafen und in Flensburgs Innenstadt unterwegs ist. Mit dabei eine Gitarre und ein Akkordeon in Papp-Anfertigung.
Politisches Geschehen und ein Gesamtband
Kim Schmidt verfolgt aufmerksam das politische Tagesgeschehen. So registrierte er natürlich auch, mit welchem Engagement die Flüchtlingshilfe 2015 am Flensburger Bahnhof aktiv war. Als sich eine ähnliche Unterstützung vor seiner Haustür bildete, war er zu einem Treffen in der Amtsverwaltung von Langballig. Der Dolleruper ist immer mal wieder im eigenen Dorf behilflich, wenn Neuankömmlinge etwa ein schwerverständliches Behördenschreiben erhalten. Manchmal erhält er auch Anfragen für karitative Zwecke. Kürzlich etwa vom „Team Rynkeby“, das mit einer Radtour nach Paris Geld für schwerkranke Kinder und ihre Familien sammelte. Der Künstler entwarf ein Plakat, auf dem sich einige Radrennfahrer den Eiffelturm hochschrauben.
In Dollerup auf Lager hat Kim Schmidt natürlich auch sein dickstes Buch: den Gesamtband zu „Öde“ mit allen Folgen der „Moin Moin“ von 1983 bis 2015 und einigen Extras. Aber warum war nach 32 Jahren plötzlich Schluss? „Ich wollte etwas Neues machen, und hatte ohnehin sehr viel zu tun“, sagt er. Es gab seine Dauer-Serien, Einzelprojekte, Kalender und auch die Frösche, die in Schweizer Medien hüpften. Kim Schmidt geht seinen Terminplan durch. Er ist gut gefüllt. „Ich zeichne immer noch sehr viel“, schmunzelt er. Mit 59 Jahren ist kein Ende in Sicht. „Ich werde nie offiziell in Rente gehen, ich bin ja schließlich mein eigener Arbeitgeber“, betont er. Im Herbst erscheint Band Nummer 24 der „Local Heroes“. Und dann? „Ich habe einige große Projekte in Arbeit“, sagt er. Zu viel verraten möchte er aber noch nicht. „Darüber spreche ich erst, wenn sie fertig sind.“
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat