Die SG Flensburg-Handewitt blickt zurück auf eine Saison ohne Titel. Dennoch tauchte am letzten Spieltag nach dem Schlusspfiff ein Pokal in der Campushalle auf. Es war eine persönliche Würdigung. Das „Flensburg Journal“ zeichnete traditionell den „SG-Handballer des Jahres“ aus. Dieses Mal votierten die Fans mit großem Abstand für Johannes Golla. „Eine solche Auszeichnung ist eigentlich eine schöne Bestätigung dafür, dass man die ganze Saison ein hohes Niveau erreicht hat“, meint der Kreisläufer. „Es ist aber schwer, einen solchen Pokal anzunehmen, da die Saison eigentlich enttäuschend verlaufen ist.“
Da sprach ein Leistungsträger, da sprach der Kapitän. Johannes Golla übernahm dieses Amt im letzten Sommer von Lasse Svan und schloss in dieser Funktion seine erste Saison ab. Die schwarze Woche im April mit dem „Aus“ aller Träume – die kann er noch nicht abhaken. Zumindest gelang zum Abschluss ein Erfolg gegen die Rhein-Neckar Löwen. „Der Sieg war wichtig, um einigen Akteuren einen guten Abschied zu ermöglichen und um mit einem besseren Gefühl in die Sommerpause zu gehen“, findet Johannes Golla.
Sechs Spieler werden künftig nicht mehr zum SG-Kader gehören. Im Kreis der Mannschaft fand ein Abschiedsabend statt. Dann begannen die Ferien – bis zum 17. Juli, wenn die Vorbereitung anläuft. „Der Zeitraum ist zu kurz, um groß Abstand zu gewinnen“, erklärt Johannes Golla. „Schon sehr bald wird man an die nächste Saison denken, in der man so vieles besser machen möchte. Das zeigt dann aber auch, dass man Spaß am Handball hat und dass man sich mit der richtigen Sache beschäftigt.“
Die freie Zeit verbringt Johannes Golla mit seiner Frau Elena und den beiden kleinen Kindern Juna und Bela in der Heimat am Rhein. „Die Großeltern sollen ihre Enkel sehen“, sagt der Familienvater. Er ist in Flensburg Führungsspieler, Kapitän, ein Gesicht des Vereins – und gefühlt ein richtiges Nordlicht. Dabei wurde er im rheinhessischen Eltville, rund 14 Kilometer westlich von Wiesbaden, geboren und wechselte erst im Sommer 2018 an die deutsch-dänische Grenze. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Süden. Die Familie ist vom Handball geprägt, die jüngere Schwester Paulina spielt beim Bundesligisten VfL Oldenburg.
Das große Talent von Johannes Golla deutete sich frühzeitig an. Es hagelte Berufungen in die DHB-Nachwuchsteams. Bundesligist MT Melsungen lockte mit einem ersten Profi-Vertrag, aber schon bald hatte SG-Trainer Maik Machulla den 1,95 Meter großen Kreisläufer auf seiner Kandidatenliste. Als noch Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek die DHB-Auswahl am Kreis und in der Abwehr dominierten, war sich der SG-Coach sicher, dass Johannes Golla ein wichtiger Protagonist der Nachfolge-Generation sein würde.
Im hohen Norden erwischte der Neuzugang einen Traumstart: Mit der SG wurde er nicht nur auf Anhieb deutscher Meister. Er selbst imponierte gleichzeitig mit einer besonderen persönlichen Entwicklung. Das „Arbeitstier“ erreichte eine unheimlich hohe Konstanz in Angriff und Abwehr. Auch an freien Tagen geht Johannes Golla in den Kraftraum, um seinen 110 Kilogramm schweren Athletenkörper zu stählen.
Nachdem er im März 2019 sein Länderspiel-Debüt feierte, zählte er auch bei der Europameisterschaft 2020 zum deutschen Kader und wurde in Wien gegen Belarus erstmals auf das Spielfeld geschickt. Nach dem Trainerwechsel in der DHB-Auswahl wurde seine Rolle noch größer. „Johannes ist zu einem absoluten Weltklassespieler gereift und übernimmt viel Verantwortung“, adelte ihn Bundestrainer Alfred Gislason. Im Herbst 2021 ernannte er den SG-Akteur zum neuen Kapitän.
Johannes Golla trägt aufgrund der intensiven Zweikämpfe am eigenen und am gegnerischen Kreis keine Binde, hat sein „doppeltes Amt“ aber voll angenommen. Im Verein ist er auch in die organisatorischen Abläufe eingebunden, in der DHB-Auswahl ist der logistische Rahmen vorgegeben. Es geht hauptsächlich um die Teamstruktur. „Während wir bei der SG über Monate zusammen sind und immer mal wieder Gespräche geführt werden können, muss es bei der DHB-Auswahl immer schnell gehen, dass wir zusammenfinden“, erklärt Johannes Golla.
Mit dem Misserfolg im April paarte sich bei der SG eine Zäsur. Die SG beurlaubte Chefcoach Maik Machulla. Der Mann, der entscheidend für den Wechsel von Johannes Golla in den Norden war. Einst hatten beide fast zeitgleich bis 2026 verlängert. Zum Saisonfinale gegen die Rhein-Neckar Löwen gab es ein Wiedersehen in der Campushalle. Maik Machulla schaute vorbei und saß dann in einer Loge. „Es ist schön, dass er zur ganzen Mannschaft sprechen konnte und an jeden ein Wort richten konnte“, sagte Johannes Golla. „Wir hatten eine tolle Zeit zusammen, und er hat vielen Spielern viel ermöglicht.“
Jan Kirschner