Eine solche Lebensgeschichte hätte sich wohl kaum ein Autor für seinen „Helden“ ausdenken können, wie er sie tatsächlich bis heute gelebt hat. Für ganz viele Flensburger, die hier in den 80ern und 90ern ihre Jugend, ihre Sturm- und Drangzeit erlebt haben, ist er der Inbegriff des DJ, des Plattenauflegers und Stimmungsmachers, der das damalige tanz- und feierwütige Flensburger „Jungvolk“ durch die langen Nächte musikalisch und partymäßig begleitet hat. Die Rede ist von Ernst Wilfing, einst eines der bekanntesten Gesichter der Flensburger Diskothekenlandschaft, der in einer Zeit, als es in der Stadt Flensburg immerhin noch 14(!) Diskotheken gab, eines der erfolgreichsten Etablissements dieser Szene ins Leben rief und jahrelang selbst betrieb.
Herkunft und Beginn der Wanderjahre
In seinen frühen Kindheits- und Jugendjahren hat Ernst rein gar nichts von und über ein norddeutsches Städtchen namens Flensburg gewusst – das ist bei einem Blick auf seine Herkunft allerdings auch kein Wunder: Geboren im Jahr 1950, erblickte er das Licht dieser Welt im wunderschönen Graz, im fernen Österreich, fernab jeglicher Küstenregionen – Ernst hat also somit überhaupt keine norddeutschen Wurzeln! Der Junge erlebte eine ganz normale Kindheit in seiner Heimat, durchlief die Schule, begann im Anschluss eine Kochlehre und schloss diese mit Erfolg ab. Mit nunmehr 17 Jahren stand ihm die Welt offen, und diesen Begriff nahm er alsbald wörtlich: Er hatte eine hübsche Schwedin kennengelernt, war schwer verliebt in die junge Frau. Mit 18 Jahren folgte er ihr in ihre Heimat, zog trotz noch fehlender unterschriebener Volljährigkeitsbescheinigung nach Skandinavien zu seiner Liebsten. Mit ein wenig Trickserei gelang es ihm dann doch noch kurz vor seinem Weggang, die erforderliche Bescheinigung zu erlangen.
Fortan lebte er mit seiner neuen „Flamme“ im südschwedischen Malmö, fand dort alsbald eine Anstellung in seinem erlernten Beruf als Koch, arbeitete dabei eine Zeitlang im bekannten Malmöer „Rathauskeller“, war ebendort sogar beteiligt an der Zubereitung eines fürstlichen Mahls für den zu Besuch weilenden damaligen König Schwedens, Seine Majestät Karl, den V. (Fünften). Die Beziehung zu „seiner“ Schwedin dauerte zwei Jahre – dann war der Zauber leider vorbei.
Der Weg nach Deutschland
Noch in seiner Malmöer Zeit hatte Ernst einen Deutschen kennengelernt, der ihm das Leben in seiner Heimatregion Schwaben schmackhaft machen wollte. Als unseren Ernst dann nichts mehr in Schweden hielt, kam er auf das Angebot des deutschen Bekannten zurück: Ernst verließ Malmö und zog um nach Calw, in der Nähe von Stuttgart gelegen. Das war im Jahre 1970 – der junge Mann war zu der Zeit immer noch nicht volljährig! In Calw bekam er dann tatsächlich die versprochene Anstellung, und arbeitete erstmalig in Deutschland als Koch. Dem jungen Mann stand die Welt offen, er traute sich alles zu, was ihm das Leben bot. So sprang er auch gern als Discjockey ein, als eines Abends der eigentliche DJ in seiner Stammdisco ausfiel. Diese Tätigkeit, der Job als DJ – das war „sein Ding“, das sagte ihm sofort zu. Als ausgesprochener Musikfan und Pop-liebhaber, der sich zudem bestens in der internationalen Musikszene auskannte, fiel es ihm total leicht, per Mikro vom DJ-Pult aus die tanzwütigen Diskogänger in Schwung zu bringen und sie mit der richtigen „Mucke“ bei Laune zu halten.
Ernst findet seine Berufung
Fortan arbeitete er zwar erst noch weiter als Koch, doch zunehmend trat er in den umliegenden Diskos auf und legte sehr zur Freude der Partygänger und „Feierbiester“ die aktuellen Hits und Chartstürmer auf. Dann lernte er bei einer solchen Gelegenheit einen „Kollegen“ – einen anderen DJ – kennen, der bei der IDWA (Internationale Discjockey Werbeagentur) angestellt war.
Der überzeugte Ernst von den Vorzügen einer solchen Anstellung, und holte ihn schließlich „ins Boot“ – sprich: in die genannte Agentur. So ergab es sich, dass der gelernte Koch Ernst nun ausschließlich als Discjockey fungierte und als ein solcher hauptberuflich unterwegs war.
Beruf: Discjockey (DJ), auch Diskjockey oder Disk Jockey, (aus dem Englischen disc „Scheibe“, umgangssprachlich: „Schallplatte“, und jockey „Jockey, Handlanger“) war ursprünglich die Bezeichnung für einen Rundfunkmoderator, der im Radio Tonträger präsentiert.
Das bedeutete für Ernst, nun nur noch als Discjockey tätig, dass er durch ganz Deutschland tourte und tingelte, überall dort auftrat, wo ihn seine Verpflichtungen durch die Agentur hinführten.
„Ich hab in allen Ecken der damaligen Bundesrepublik gearbeitet und dabei alles aufgelegt, was sich auf dem Plattenteller drehte“, erinnert sich Ernst gern an jene wilden Jahre. „Von Abba bis Zappa, von Iron Butterfly bis „Hoch auf dem gelben Wagen“ reichte das Repertoire.“ Mit fortschreitender Zeit wurde er immer besser und routinierter in seinem Job und konnte sich gar nichts anderes mehr als Beruf für sich vorstellen.
Erster Kontakt nach Norden
Im Jahr 1972 brachte es seine umfangreiche Reisetätigkeit mit sich, dass er erstmals in den Norden Deutschlands gelangte: Es verschlug ihn nach Norden, in die Stadt gleichen Namens, unweit der Nordseeküste, ins oft belächelte Ostfriesland. Er legte an mehreren Abenden hintereinander in der Topdisco der Stadt Norden, im „Top Ten“ auf. Der damaligen Betreiberin des „Top Ten“ gefielen seine Arbeit und sein Auftreten dermaßen gut, dass sie den jungen Mann aus seinem Vertrag mit der IDWA auslöste, ihn stattdessen fest als hauseigenen DJ engagierte und einstellte. So lernte Ernst die norddeutsche Mentalität kennen und schätzen, stellte fest, dass die spöttisch oft als „Wasserköpfe“ bezeichneten Nordlichter eigentlich ganz nette und aufgeschlossene Menschen waren. Eines Abends lernte er während seiner Tätigkeit am Pult des „Top Ten“ einen netten Kollegen kennen, der in einer anderen Nordener Disco als DJ auflegte.
Wie sich herausstellte, war dieser Kollege namens Eckard Seele auch ein Nordlicht, sogar eines, das aus dem nördlichsten Zipfel des Landes stammte. Ernst und Eckard kamen nun öfter ins Gespräch, freundeten sich an, Eckard schwärmte ihm ständig von seiner Heimatstadt vor, und ließ den folgenschweren Satz vom Stapel: „Wenn Du irgendwann mal zur Ruhe kommen willst und eine feste Heimat für Dich suchst, dann komme einfach mal nach Flensburg!“
Ankunft in Flensburg
An diese Gespräche erinnerte sich Ernst, als es ihm in Norden allmählich zu langweilig und eintönig wurde. Er brach kurzerhand seine dortigen Zelte ab, stieg in den Zug gen dänische Grenze. Am 10. Januar 1975 betrat Ernst erstmalig Flensburger Boden, stieg am hiesigen Bahnhof aus dem Waggon, mit nichts als zwei Reisetaschen in den Händen und seinem Ersparten in dreistelliger DM-Höhe im Portemonnaie.
Recht schnell fand Ernst in Flensburg seine erste Anstellung – er arbeitete in der Diskothek „Tenne“ in Flensburg-Weiche. „Im gleichen Haus fand ich auch meine erste Bleibe in Flensburg“, erinnert sich Ernst. „Die Adresse lautete Alter Husumer Weg 308, dort befand sich mein möbliertes Zimmer. Das Haus gehörte übrigens damals den Eltern eines mittlerweile längst guten Freundes von mir, Harry Jung.“
Schnell hat sich der gebürtige Österreicher in Flensburg eingelebt, kam gut zurecht mit der Mentalität der Einheimischen, ihrem „drögen“ Humor und ihrer norddeutschen Mundart – das hier übliche „Moin“ hatte er längst verinnerlicht. Die Flensburger Kneipen- und Partyszene kannte er bald wie seine eigene Westentasche, umgekehrt mochten ihn ebenso die vielen Flensburger Nachtschwärmer, bald hatte er einen beachtlichen Kreis von Anhängern um sich herum, wenn er abends und an den Wochenenden Platten auflegte.
Ernst wird in Flensburg heimisch
Seine nächste Station in der Szene führte ihn dann erstmals an die Flensburger „Küste“: Er legte im „Don Quichotte“ – zwischen dem „Zillertal“ und der „Sonne“ gelegen – Platten für die Gäste auf. In jener Lokalität stieg er nach recht kurzer Zeit sogar zum Geschäftsführer auf! Ernst war jemand, auf den man bauen und sich verlassen konnte, das merkten schnell sowohl die Gäste als auch die zahlreichen Kollegen aus der Gastronomie. Noch im gleichen Jahr brannte der nahegelegene „Club 6“ teilweise ab, die Brandruine wollte ihr damaliger Besitzer Gerd Christiansen unbedingt verkaufen. Hier sah Ernst seine Chance gekommen, sich auf eigene Füße zu stellen und sich selbstständig zu machen! Gemeinsam mit einem Partner, einem Kellner und Kumpel aus dem „Don Quichotte“, hat er es tatsächlich geschafft, genügend Geld zusammenzukratzen, hat letztlich den Laden erworben. Aus der einstigen Brandruine wurde in kurzer Zeit dank sehr viel persönlichem Einsatz und Eigenleistung ein neues Etablissement erschaffen: das „King George“. Gemeinsam mit zahlreichen Gästen und Freunden wurde im Dezember 1975 das Lokal eröffnet!
Nun war Ernst glücklicher Lokalbetreiber und Kompagnon, doch schnell stellte sich heraus, dass es mit sehr viel Arbeit und diversen Hürden verbunden ist, erfolgreich einen Gastronomiebetrieb zu führen. Der abendliche Umsatz ist nie mit dem erhofften Gewinn gleichzusetzen, Wareneinkauf, Personalkosten, Versicherungen, andere Abgaben – es bleibt am Schluss nur noch recht wenig übrig, das ins Portemonnaie des Betreibers fließt. „Erst recht, wenn man sich selbst mit zu seinen besten und umsatzstärksten Gästen zählt“, erzählt uns augenzwinkernd unser Protagonist.
Eigentlich wollte Ernst das Geschäft allein führen – doch er galt in der Bundesrepublik als Ausländer. Für ihn galten andere Voraussetzungen als für Einheimische, er brauchte eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, damals gehörte die Bundesrepublik zur EWG, Österreich noch zur EFTA. Das erschwerte die Ausstellung der entsprechenden Papiere beträchtlich. Doch Ernst fand eine schnelle Lösung: Die Konzession erhielt deshalb seine Ehefrau Beate, die er 1976 in der Flensburger Johanniskirche heiratete.
„King George“-Jahre
Das „King George“ befand sich in einem historischen Gebäude, das praktisch einem schlauchähnlichen Haus glich – einst residierte in diesem Gebäude eine Seil- und Segelmacherei. Bald stieg der Kompagnon aus dem Geschäft aus, das Ehepaar Wilfing führte nun gemeinsam den Laden: der Start in die Selbstständigkeit war, wie bereits erwähnt, recht schwierig.
Im Jahr 1977 fand Ernst zum Sport, er fing bei der hiesigen Karateschule TORA mit Karate an. Tagsüber konnte er stets etwas Zeit fürs Training abzweigen, bald war er nicht nur ein passabler Karatekämpfer, sondern hatte durch den Sport auch noch zahlreiche nette und interessante Leute – seine „Karate-Klique“ – kennengelernt. Einer jener Sportler war Michael Ebner, der bald einer seiner besten Freunde wurde; Michael arbeitete als Türsteher für seinen Sportkollegen und Freund Ernst.
Von den Einnahmen des „King George“ konnte das junge Ehepaar Wilfing allerdings nicht ausschließlich seinen Lebensunterhalt bestreiten. Ernst erinnert sich an turbulente Jahre: „Ich habe tagsüber als Koch im Hertie-Restaurant gearbeitet, Beate hat im Salon Petersen als Friseurin weiterhin Haare geschnitten. Abends haben wir nach Feierabend in der Disco saubergemacht, anschließend Kassensturz, Getränkebestellungen, Abrechnungen, irgendwann sind wir todmüde ins Bett gefallen.“ Und er ergänzt: „Am nächsten Morgen um 04.30 Uhr war die Nacht vorbei, es ging wieder von vorne los. Mein Glück: Beate war sehr willensstark, umtriebig und hart gegen sich selbst und auch gegen mich – sie war eine große Hilfe, Antriebskraft und eine echte Stütze für mich!“ Wer erinnert sich nicht an die Schneekatastrophe 1978/1979? Im Norden Schleswig-Holsteins erstickten die Menschen nicht nur buchstäblich in den so noch nicht erlebten Schneemassen, sondern der mit dem Schnee einhergehende Sturm ließ den Wasserspiegel der Ostsee derart ansteigen, dass auch in der Flensburger Förde das Wasser weit über die Ufer trat, der Straßenzug „Schiffbrücke“ komplett überschwemmt wurde, das eisige Wasser in die angrenzenden Häuser und Keller lief. Das „King George“ war natürlich auch davon betroffen, das Lokal stand völlig unter Wasser: Tanzfläche, Tresen, Inventar – alles war komplett „im Eimer“: ein wirtschaftlicher Totalschaden!
Wiederaufbau des „King George“
Der Schaden war immens. Doch dank finanzieller Unterstützung der Versicherungen und Banken – Ernst erhielt einen großzügigen Kreditrahmen – wagten sich die Wilfings mithilfe ihrer vielen Freunde und Gäste an den Wiederaufbau des „King George“. Nach einigen Monaten war es dann soweit: Ein runderneuertes und neu eingerichtetes Lokal eröffnete wieder seine Pforten – sehr zur Freude der Betreiber und natürlich auch der zahlreichen Stammgäste! Die nächsten Jahre liefen wirtschaftlich gut für die Wilfings, doch mit der Zeit verlor Ernst nach und nach die Motivation, das Lokal auf längere Sicht eigenverantwortlich zu betreiben – der nötige Aufwand und Zeiteinsatz war beträchtlich. Immer mal wieder wurde er angesprochen, ob er das gut laufende Geschäft nicht verkaufen wollte. Im Jahre 1983 war es dann soweit: Sein guter Freund und DJ-Kollege namens Scotty erhielt den Zuschlag, Ernst verkaufte das „King George“ an den sehr interessierten Bewerber.
Mal wieder was Neues wagen
Im nahegelegenen „Journal“ trafen sich regelmäßig alle Gastro-Leute aus den umliegenden Kneipen und Discos, man trank regelmäßig einige Biere zusammen, frühstückte gemeinsam, schloss bei so mancher Gelegenheit vor Ort Geschäfte ab, warb um gutes Personal, und hatte natürlich auch immer eine Menge Spaß und viel zu schnacken. Regelmäßiger Stammgast war damals Kay Uwe Jensen, dem eine ganze Reihe der umliegenden Etablissements gehörte. Eines Tages nahm dieser Kay Uwe den Ernst beiseite: „Komm mal mit nach hinten, ich will Dir mal was zeigen.“ Hinterm Haus zeigte er auf ein etwas heruntergekommenes und leerstehendes Gebäude. „Lass uns mal daraus was Ordentliches machen, ich hab da so ein paar Ideen.“
Das Gebäude befand sich an der Straße „Schiffbrücke“, in zweiter Reihe gelegen, direkt hinter dem „Kayser’s Hof“, damals ein Bordellbetrieb. Heute ist es Teil des Hotels Hafen Flensburg. Gemeinsam entwickelten die beiden schnell einige Ideen, die sie dann tatsächlich in die Tat umsetzten. Im Erdgeschoss des Hauses sollte ein Spielsalon entstehen, rechts daneben eine urige Kneipe – später das „Confetty“, im ersten Stock sollte eine ganz besondere und für Flensburger Verhältnisse völlig neuartige Disco entstehen. Die beiden Visionäre nahmen viel Geld in die Hand, investierten in spektakuläre und großräumige Musikboxen, eine Lichtanlage, die später die Disco mitsamt der großen Tanzfläche hell erleuchten und mit einer neuartigen Lightshow die Gäste anlocken würde. Doch vor dem Start in eine neue Flensburger Disco-Ära wartete viel Pionierarbeit auf Ernst Wilfing und seine zahlreichen Unterstützer. Bereits im Winter 1983/1984 fingen die künftigen Betreiber mit den zahlreichen und vielfältigen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen an. Es konnten zwar nicht alle Ideen umgesetzt werden, doch nach und nach wurden Fortschritte erzielt – selbst ein von spielenden Kindern gelegtes Feuer warf den Fortgang der Arbeiten nur kurz zurück. Es gab zum Glück keine größeren und schwerwiegenden Schäden. Neben den zahlreichen Freunden, Bekannten und Sportkollegen vom Karate war auch der damalige Schwiegervater von Ernst am Innenausbau beteiligt; der Schwiegervater als gelernter Tischler hat den damaligen Tresen im Alleingang gefertigt. Der Umbau kam gut voran und im Sommer 1984 war die neue Disco fertig und komplett eingerichtet. Der Termin für die Eröffnung wurde auf den 4. Juli 1984 festgelegt.
Das „Crypton“ Flensburg öffnet seine Pforten
Das Jahr 1984 hatte für Flensburg bereits eine besondere Bedeutung: Es war das Jahr der 750-Jahr-Feier der Stadt Flensburg, vieles wurde in der Stadt auf die Beine gestellt! Dann kam der große Tag, der 4. Juli, ein Mittwoch. Schon am späten Nachmittag bildete sich eine schnell wachsende Menschenschlange, die später bis runter zur Straße Schiffbrücke reichte: Jeder wollte an diesem denkwürdigen Tag der Eröffnung des „Crypton“ dabei sein! Ernst Wilfing und seine Crew kamen aus dem Staunen nicht mehr raus. Der Name „Crypton“ und der genutzte Schriftzug stammen ursprünglich von der Soul- und Funk-Band Crypton aus Mannheim, die sich 1982 gegründet hat. Insidern und Musikkennern dürfte der Name des Sängers geläufig sein: Sydney Youngblood, der als Solosänger einige größere Hits landete.
Das „Crypton“ etabliert sich als erste Flensburger Großraumdisco
Schnell stellte sich heraus, dass die Flensburger wohl nur auf ein solches Etablissement gewartet zu haben schienen. Der Laden war oft rappelvoll, die Preise zudem erschwinglich, die Räumlichkeiten hell und mit über 200 Strahlern in gleißendes Licht getaucht, tolle Lichteffekte erzeugten das damals angesagte Disco-Feeling – ganz im Gegensatz zu den doch eher düsteren einheimischen Discos wie etwa „Im Speicher“ oder dem „Grog-keller“.
„Unsere Musikanlage war eine Turbosound-Anlage, einfach der Hammer mit alleine 3000 Watt Bass“, schwelgt Ernst in Erinnerungen. „Und die Beleuchtung war einfach nur geil: Das „Crypton“ hatte übrigens die erste Laseranlage in der gesamten Umgebung. Wir waren echt auf der Höhe der Zeit!“
Als wenig später in der Nachbarschaft das „Mirage“ eröffnete wurde, lockten diese beiden Szenetreffs Abend für Abend viele junge Leute an die „Küste“, an den Wochenenden tummelten sich häufig weit über 1.000 Feierwütige auf Flensburgs Amüsiermeile, der Schiffbrücke und den anliegenden Straßenzügen. Ernst fungierte im „Crypton“ sowohl als Betreiber wie auch als DJ. „Das waren einfach nur geile Zeiten“, erinnert er sich wehmütig an die 80er Jahre. „Ein guter Kumpel von mir arbeitete werktags in Hamburg, kam jedes Wochenende rauf nach Flensburg. Er hatte stets für mich die neuesten Maxi-Singles im Gepäck – Scheiben, die es in Flensburg noch gar nicht zu kaufen gab!“ Ernst ergänzt: „Nicht zuletzt durch den vielen Betrieb an der „Küste“ war diese zu der Zeit ein heißes Pflaster. Für mich, für unsere Disco, waren die vielen Karateka in unseren Reihen eine große Hilfe und Erleichterung – es kam gar nicht erst Stress mit den Zuhältern und ihren Damen auf. Einige der „Karatejungs“ wie der genannte Michael Ebner waren direkt als Türsteher für uns im Einsatz, andere halfen tatkräftig mit, aufkommende Streitigkeiten und Schlägereien im Keim zu ersticken.“ Immerhin acht Jahre lang betrieb Ernst das „Crypton“ – bis er das Gefühl hatte, dass ihn der inzwischen eingetretene Trott zu langweilen begann, er sich irgendwie auch etwas „ausgebrannt“ fühlte. Übernahme- und Kaufangebote flatterten ihm regelmäßig ins Haus, im Jahr 1992 war dann der Augenblick gekommen: Ernst verkaufte das „Crypton“ an zwei Partner, die künftig gemeinsam die gut laufende Disco übernehmen würden. So kam es also, dass Ernst nach gefühlten rund zwanzig Jahren erstmals raus war aus dem Flensburger Nachtleben!
Rückkehr in die seriöse Gastronomie
Ernst wollte nach der langen Zeit im Disco-Bereich endlich einmal wieder etwas „Seriöses“ machen. So übernahm er schließlich im benachbarten Harrislee am gerade erst völlig neu gestalteten Marktplatz das Restaurant „Am Markt“. Im Nachhinein stellte sich das als eine etwas unglückliche Entscheidung heraus, zum Zeitpunkt der Übernahme war der neue Marktplatz noch eine riesige Baustelle, das Restaurant hatte – auch deshalb, so seine Startschwierigkeiten. Es war gar nicht so leicht, an jener Stelle ein völlig neues Restaurant zu etablieren, trotz guter Leute, die ihn beim Start in die Seriosität tatkräftig unterstützten. Bald ergab sich für Ernst jedoch eine neue Chance: Nach einem längeren Gespräch mit dem damaligen Geschäftsführer des auf der Westlichen Höhe gelegenen Flensburger „Sportlands“, Ulli Scholl, entschloss sich Ernst, auf das ihm unterbreitete Angebot einzugehen, sprich: das Re-staurant im Sportland zu übernehmen. Er verkaufte das Harrisleer Restaurant „Am Markt“, stieg anschließend in der Raiffeisenstraße ins Sportland ein, betrieb ab 1993 das Restaurant „Wilfings im Sportland“. Das in die weiträumige Sportanlage eingebettete Restaurant lief nach kurzer Anlaufzeit ganz nach dem Geschmack von Ernst. Mit Erfolg betrieb er das dortige Geschäft für einige Jahre – ziemlich genau bis zur Jahrtausendwende im Jahre 2000.
Ernst wandert weiter
Ernst war inzwischen in den mittleren Lebensjahren angekommen, doch seine Rastlosigkeit hielt an. Im Jahre 2000 wechselte er an den östlichen Stadtrand Flensburgs, übernahm in der Gemeinde Wees im dortigen Einkaufszentrum gelegen das „Gasthaus Wees“. Anfangs stellte sich dieser Wechsel als gelungen heraus, das Geschäft lief zu seiner Zufriedenheit, doch erlebte er einen merklichen Umsatzeinbruch, als es hierzulande zum Währungswechsel kam:
Am 1. Januar 2002 war es soweit: Die D-Mark und der Pfennig hatten als Zahlungsmittel ausgedient, denn Euro und Cent wurden zum alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel gekürt.
Nach nur vier Jahren hatte Ernst „keine Lust mehr“: Er gab das Restaurant auf, verkaufte alles komplett an einen Nachfolger.
Zurück zu den Wurzeln
Ernst kehrte in jenes Land zurück, in dem er geboren wurde und seine Kindheit verlebte: Er ging zurück nach Österreich. Er wurde in Bad Radkersburg heimisch. Bad Radkersburg ist eine Kurstadt im Südosten des österreichischen Bundeslandes Steiermark, im Bezirk Südoststeiermark. Ernst fand eine Anstellung in seinem ursprünglichen Beruf: Als Koch war er jetzt beteiligt an der Ausbildung von jungen Behinderten, die eben diesen Beruf erlernen sollten. Die zwölf jungen Leute mit Down-Syndrom waren in einem Heim untergebracht, zwei Betreuer kümmerten sich um ihre Belange. „Es waren für mich herausfordernde Zeiten. Längst nicht alle unsere Schutzbefohlenen haben die Ausbildung erfolgreich absolviert, doch war es für mich eine besondere Zeit: Ich habe viel über diese Menschen und auch viel von ihnen gelernt“, denke Ernst an jene Zeit zurück. „Sportlich habe ich mich viel betätigt in jenen Jahren, dem Karatesport bin ich stets treu geblieben, habe ihn immerhin 25 Jahre lang erfolgreich betrieben, bin Besitzer des zweiten Dan“, blickt Ernst mit Stolz auf seine Sportlaufbahn zurück. Mittlerweile hatte er in Österreich eine neue Partnerin. „Meine damalige Lebensgefährtin hatte fünf Pferde, war begeisterte Western-Reiterin und hat mich mit dem Bazillus infiziert. Diese Sportart hat mich absolut begeistert, ich habe sogar einige gute Erfolge bei Wettkämpfen im Trail erzielt.“ Seine Beziehung zerbrach im Jahre 2018. Über Social Media lernte er seine jetzige Partnerin kennen, mit der er zufällig viele Gemeinsamkeiten aus seiner Flensburger Zeit entdeckte. „Seit 2019 bin ich wieder zurück im Großraum Flensburg, habe eine nette Partnerin gefunden, fühle mich hier im Norden wieder zu Hause.“ Das liegt sicherlich auch daran, dass er sein Lieblingspferd aus Österreich mitnehmen konnte. „Mein Pferd namens George Harley steht heute in Ringsberg im Stall, ist 15 Jahre alt und ein sehr treuer Freund.“ Ein weiterer treuer Freund wartet immer zu Hause auf ihn, der Hund „Ludwig“ ist sein bereits vierter Hund aus dem Tierschutz. „Ludwig“ ist mir längst ans Herz gewachsen, wie auch die zwei Katzen, die bei uns leben. Die Tiere vertragen sich, verstehen sich gut – es geht mir richtig gut daheim“, strahlt Ernst. Er schränkt jedoch ein: „Mittlerweile steht bei mir die „7“ vorne im Lebensalter, mit ersten gesundheitlichen Einschränkungen und „Zipperlein“ habe ich natürlich auch zu tun, doch insgesamt bin ich zufrieden.“ Das ist doch mal ein Wort!
Die Zeit der Revival Parties
Nicht nur Ernst Wilfing, sondern auch seine damaligen Fans und Gäste im „King George“ und im „Crypton“ sind in die Jahre gekommen. Doch allen ist eines gemeinsam: Sie denken gern an jene tolle Zeit zurück, und einige unter den damaligen „Feierbiestern“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, sogenannte Revival Parties zu organisieren und durchzuführen. Insbesondere Regina Bennewitz sei hier genannt, die unermüdlich das Projekt „King George Revival Party“ vorangetrieben hat. Mit Unterstützung von DJ Ernst Wil-
fing sowie DJ Jörg Heldt wurde die Musik der 80er wieder zum Leben erweckt, es konnte ordentlich das Tanzbein geschwungen werden. Die erste Party dieser Art fand bei der Tanzschule Waibl statt, entpuppte sich dabei als ausgesprochener Renner. Weitere drei dieser Parties fanden in der BoA statt – bei über 700 (!) Teilnehmern schon fast zuviel des Guten. Eine weitere Party stieg im C.ulturgut in Weiche. Die „King George Revival Party 2020” konnte trotz einiger Verschiebungen nicht stattfinden – Corona machte auch hier den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung.
Die für Ernst nun endgültig letzte „King George Revival Party“ wird am 29. April 2023 in den Räumen der „Oase“ in Mürwik, Kielseng 30, stattfinden. „Das wird mein selbstgewählter letzter Auftritt“, versichert uns Ernst. „Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist!“
Eine „Crypton-Revival-Party“ ist für den Herbst 2023 angekündigt, die wird am 21.11. in den Räumlichkeiten des Roxy stattfinden.
Danke
Das Flensburg Journal bedankt sich bei Ernst Wilfing für ein äußerst interessantes Gespräch bei einer Reise durch ein intensiv geführtes und sehr abwechslungsreiches Leben. Wir wünschen ihm eine „megageile“ Abschiedsparty, für die Zukunft ein noch langes Leben im gesetzten Alter, weiterhin Spaß beim Saxophonspielen (er kann auch selbst „musikalisch“), viel Freude an seinem Umfeld, den Zwei- und Vierbeinern in seinem heutigen Leben: Danke, Ernst Wilfing!
Mit Ernst Wilfing sprach Peter Feuerschütz
Fotos: Benjamin Nolte, privat