Dieser Filmtitel ist reichlich abgedroschen, war in diesem Fall aber absolut passend: „Kevin – Allein zu Haus“. Das geplante Gespräch mit Kevin Møller konnte nur telefonisch durchgeführt werden. Ein paar Tage vorher war beim Keeper der SG Flensburg-Handewitt ein Corona-Test angeschlagen. Er hatte eine kleine Erkältung, dann keine Symptome, musste sich aber dennoch in Quarantäne begeben. Da der 32-Jährige keine weitere Person infizieren wollte, weilten Freundin und die kleine Tochter in Dänemark. „Zum Glück hat die Fußball-Bundesliga gespielt – da lief das gesamte Wochenende viel Sport, auch Handball mit dem DHB-Pokal“, erzählt Kevin Møller. „In der Woche hatte ich einige telefonische Termine, und ich trainierte etwas zu Hause. Aber man geht sich schnell selbst auf die Nerven.“ Was zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht zu erwarten war: Bereits tags darauf durfte der Handball-Profi aus der Isolation und mit seinem Team nach Wetzlar zum ersten Auswärtsspiel im neuen Jahr.
Zumindest vermasselte die Corona-Pandemie Kevin Møller und den anderen Dänen nicht die Europameisterschaft. Sie hatten nur eine Infektion im Team, obwohl sie – anders als die Deutschen – in Doppelzimmern schliefen und mit Tischtennis und Brettspielen dem Lager-Koller vorbeugten. „Wir hätten gerne das Finale bestritten“, bilanziert Kevin Møller. „Aber zum Glück sind wir nicht mit leeren Händen nach Hause gekommen.“ Bronze bedeutete nach WM-Gold und Olympia-Silber die dritte Medaille binnen zwölf Monaten. Der SG-Torwart war während des jüngsten Großturniers hinter dem Kieler Niklas Landin die Nummer zwei zwischen den Pfosten. Wenn er eingriff, hatte sich die Situation oft geändert. Das erfordert von einem Keeper ein rasches Umdenken, wie Kevin Møller erklärt: „Ich musste mich immer zwei Mal vorbereiten – zunächst auf das Spiel, dann für eine neue mögliche Strategie.“
Bei der SG bildet er ein Gespann auf Augenhöhe mit Benjamin Buric. Er weiß erst am Spieltag, ob er anfängt. Die Entscheidung trifft Cheftrainer Maik Machulla. Die Zusammenarbeit der beiden Torleute ist aber so weit gediehen, dass sie genau spüren, wann der Zeitpunkt gekommen ist, untereinander zu wechseln. „Nur zwei Mal in dieser Saison ging die Initiative zum Tausch von Maik aus“, verrät Kevin Møller. „Unser Ziel ist es, dass einer von uns beiden ein gutes Spiel abliefert. Wenn Torhüter und Abwehr funktionieren, können Jim und Co. ganz entspannt die Tore machen.“
Kevin Møller kam im Sommer ein zweites Mal zur SG. Als Junge gegangen, als Mann zurückgekehrt – diese Eigen-einschätzung wurde inzwischen mehrfach zitiert. Kevin Møller stand schon von 2014 bis 2018 im Tor der SG, war aber meist nur Ersatzkeeper. „Ich war nur 25 Jahre, unerfahren und wusste noch nicht, was man von mir erwarten würde und wie ich trainieren muss, um beständig Top-Leistungen zu bringen“, blickt der Profi zurück.
Auf Bildern vom 3. Juni 2018 hält er die silberne Meisterschale. In das Glücksgefühl mischte sich Wehmut. „Ich verließ meinen Herzensverein“, erinnert sich der Däne. „Auf der anderen Seite erwartete mich eine sehr interessante Möglichkeit, die man nicht so oft in einer Karriere bekommt.“ Er hatte ein Angebot des FC Barcelona angenommen, träumte von einem Sieg in der Champions League, was im letzten Moment seiner dreijährigen Barca-Episode gelang. Er spürte den „Mythos“ Barca, staunte über das große Vereinsgelände mit dem legendären Stadion „Nou Camp“.
Manchmal war Kevin Møller einer von 90.000 Fußball-Fans. Sein Herz schlägt weiterhin für Juventus Turin, aber im spanischen Fußball liegen die Sympathien nun bei Barca. Er bewunderte die Stars um Lionel Messi. „Als er dann hörte, dass ich zurück nach Flensburg gehe, wollte auch er wechseln und landete in Paris“, schmunzelt der Handballer. Er hatte den argentinischen Kicker einige Male auf dem Trainingsgelände gesehen, aber nie mit ihm gesprochen. Die Fußballer schweben auf einer eigenen Wolke. Im Vergleich zu den Ballwerfern, die den Kontakt mit ihren Zuschauern mögen, wirken die Fußballer unnahbar.
Beim FC Barcelona herrscht definitiv ein anderes Flair als in Flensburg. „Ich mag die Barca-Spieler, wir haben uns alle umarmt, als wir uns im September zur Partie in der Champions League wiedertrafen“, erzählt Kevin Møller. „Aber in diesem Verein dominiert eine Mentalität, bei der nur die Titel zählen. Dagegen gibt es bei der SG einen Teamgeist, der einzigartig zu sein scheint, der die unterschiedlichen Persönlichkeiten akzeptiert und jeden Neuzugang schnell in die Gruppe integriert.“ Aber Barcelona hatte definitiv seine Reize. Der Torwart wollte die Stadt hundertprozentig erleben, wählte eine Wohnung mitten im Zentrum. Kaum aus der Haustür, da flanierte er bereits über die berühmte Promenade „La Rambla“. Zum Training war es etwas weiter. Je nach Verkehr 20 bis 50 Minuten. Die Teamkameraden Lasse Andersson und Thiagus Petrus hatten noch einen Platz im Auto frei.
Nun bildet der Rückkehrer eine Fahrgemeinschaft mit Mads Mensah. Anders als 2014 bezog er nicht wieder eine Wohnung in der Nähe des Nordermarkts, sondern er und Freundin Luise entschieden sich für ein Häuschen mit Garten in Handewitt. Ihr Leben hat sich im September total verändert, da ein Töchterchen das Licht der Welt erblickte. „Ich brauchte ein paar Wochen, um mich an die Vaterrolle zu gewöhnen“, erzählt Kevin Möller. „Am Anfang wollte ich bei allem behilflich sein. Meine Freundin sollte sich nur um das Essen für die Kleine kümmern – das konnte natürlich nicht funktionieren.“
Es musste eine neue Balance zwischen Handball, Entspannung und Hausarbeit gefunden werden. „Wir sind wegen des Handballs hier – und darauf muss ich mich konzentrieren können“, betont der Profi, der im Januar wegen der Europameisterschaft einen Monat lang nicht in Handewitt war. Es beruhigte ihn, dass Freundin und Tochter Unterstützung von der Familie erhielten. „Es ist immer ein gutes Gefühl für mich zu wissen, dass die beiden nicht allein zu Hause sind.“
Text und Fotos: Jan Kirschner