Es ist ein Ritual der „Hölle Nord“: Die Mannschaft der SG Flensburg-Handewitt steht nach den Spielen immer an der Neunmeter-Linie und feiert mit den Fans auf der Nordtribüne. Jetzt waren die Spieler durch und schritten in die Kabine. Da ergriff Co-Trainer Anders Eggert die Gunst der Stunde und führte seinen neuen Chef Ales Pajovic an diese Stelle. Das Duo initiierte eine kleine Welle. Man spürte, wie in diesem Moment vom neuen Trainer die Anspannung abfiel. Bei seiner Heimpremiere hatte die SG gegen den VfL Gummersbach gewonnen. „Das war eine tolle Atmosphäre, der Gegner wusste, dass es sehr hart werden würde“, freute sich Ales Pajovic.

Das SG-Portrait: Ales Pajovic
2006, 2008 und 2009 gewann Ales Pajovic die Champions League

Er steht für ein Novum. Die SG Flensburg-Handewitt setzt erstmals auf einen Coach aus Slowenien. Ales Pajovic wurde 1979 in der südosteuropäischen Handball-Hochburg Celje geboren und vergrößert damit die Balkan-Fraktion unter dem SG-Dach. Abwehrchef Blaz Blagotinsek ist ein Landsmann, der auch in Celje aufwuchs. Und der bosnische Keeper Benjamin Buric lud seinen Keeper prompt zu einem Essen ins Restaurant „Macedonia“ ein. Die Einladung konnte dieser allerdings noch nicht annehmen. „Im Moment geht es bei mir nur um Handball, Handball und nochmals Handball“, sagt Ales Pajovic. „Das Höchste der Gefühle ist ein Flensburger Bier nach einem Sieg.“

Bemerkenswerte Spieler-Karriere

Die Fans reagierten mit Skepsis, als die SG den 46-Jährigen als ihren neuen Chefcoach vorgestellt hatte. Er sei ja kein Hochkaräter, hieß es. Einen Top-Klub hat er in der Tat noch nicht trainiert, seine Referenzen, die aus einer langen Handball-Biografie resultieren, sind dennoch bemerkenswert. Denn die Spieler-Karriere von Ales Pajovic liest sich beeindruckend. Er wechselte mit 24 Jahren das erste Mal ins Ausland. Wenige Jahre später war er dreimaliger Champions-League-Sieger mit der einstigen spanischen Handball-Macht Ciudad Real. Dabei arbeitete er mit Trainer-Größen wie Talant Dujshebaev und Raul Gonzalez zusammen.

Im Herbst 2007 half Ales Pajovic für ein paar Monate beim THW Kiel aus. Das war aber kein Sündenfall, sondern ein nachvollziehbares Leihgeschäft. „Damals saß ich viel auf der Tribüne, weil Ciudad Real mehr als neun Ausländer hatte und sich zwei Einbürgerungen hinzogen“, erinnert sich der Slowene. In dieser Situation rief Noka Serdarusic an. Der damalige THW-Trainer hatte ein paar Verletzungssorgen und brauchte eine Aushilfe. Ales Pajovic griff zu, sammelte Spielpraxis und – das darf sich ein SG-Fan merken – er spielte kein Derby gegen die SG.

Das SG-Portrait: Ales Pajovic
Saison 2007/8: Für und gegen den THW Kiel

Mit anderen Klubs war der Rückraumspieler, der noch mehr als Abwehr-Stratege auftrumpfte, durchaus auch mal Gegner der SG. Mit Ciudad Real gab es sogar mal einen königlichen Halbfinal-Triumph. Später tauchte Ales Pajovic mit dem SC Magdeburg und dem TuS N-Lübbecke in der „Hölle Nord“ auf. Magdeburg war damals nicht auf Augenhöhe mit der SG, die Westfalen noch weniger. „Als wir lange im Bus nach Norden saßen, wussten wir schon, dass wir verlieren werden“, erinnert sich der Handball-Experte.

Als Trainer bislang nur in Österreich

Stolze 181 Länderspiele bestritt er als aktiver Spieler für Slowenien. Der Höhepunkt: 2004 veranstaltete das kleine Land im Norden des ehemaligen Jugoslawiens die Europameisterschaft. Im eigenen Land sausten die Gastgeber bis ins Finale durch und verloren erst dort gegen die deutsche Mannschaft. Die Europameisterschaft von 2010 bildete für Ales Pajovic den internationalen Abschluss. Dieses Turnier richtete Österreich aus. Vielleicht eine Art Orakel, denn die Alpenrepublik wurde zum Ausgangspunkt seiner Trainer-Karriere. Ein weiterer Vorteil: Das Bundesland „Steiermark“ grenzt nördlich direkt an die slowenische Heimat an.

Bei der HSG Graz war Ales Pajovic zunächst Spielertrainer, dann saß er ausschließlich auf der Bank und löste in der Steiermark einen Höhenflug aus. Das Fahrstuhl-Team stieg nicht nur in die österreichische Erstklassigkeit auf, sondern erreichte sogar die Meisterschaft-Playoffs. Dieser Erfolg weckte das Interesse des österreichischen Verbandes, der im Frühling 2019 die Verpflichtung des Novizen bekanntgab. Unter seiner Führung machten die Österreicher vor allem bei den Europameisterschaften 2020 und 2024 auf sich aufmerksam. Ales Pajovic wird die „Ösis“ bis zum Ende der EM-Qualifikation weiterhin betreuen und im März zwei Mal auf die DHB-Auswahl treffen.

Das SG-Portrait: Ales Pajovic
Ausgelassene Stimmung mit „Co“ Anders Eggert

Der erste Kontakt mit der SG entstand Anfang Januar. „Ales hat uns mit seiner Philosophie und seiner Vision von der Zusammenarbeit überzeugt“, erklärt Ljubomir Vranjes, der Sportliche Leiter der SG. In Flensburg unterschrieb Ales Pajovic einen Vertrag bis 2027. „Ich musste nicht lange überlegen, denn einen international erfolgreichen Verein wie die SG zu trainieren, ist eine Chance, die man so schnell nicht wiederbekommt.“

Gegenwart und nahe Zukunft

Nach der Weltmeisterschaft in Kroatien kam er in den Norden, ließ das „Servus“ im Süden und grüßt nun mit „Moin“. Die ersten Tage bezog der neue Trainer ein Hotel in Wassersleben. „Der Blick mit Strand, Meer und Sonne war ja fast wie an der Adria“, sagte Ales Pajovic mit einem Lächeln. Wenig später wechselte er in eine kleine Wohnung. Ab Sommer darf alles etwas größer sein, denn dann kommen Frau und Tochter nach. Der Sohn studiert bereits und bleibt in Österreich.

Der neue Übungsleiter hat keine sportliche Revolution im Schilde. „Mitten in der Saison ist kein Zeitpunkt, etwas an System und Abläufen zu ändern“, erklärt Ales Pajovic. „Ich muss auch alle erst einmal besser kennenlernen, um das richtige Gefühl zu bekommen.“ Zuckerrohr oder Peitsche? Ales Pajovic: „Ich kann hart sein, aber ich bin eher ein ruhiger Trainer, der respektvoll mit den Spielern umgeht.“

Text und Fotos: Jan Kirschner   

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