Das Licht geht aus. Franz Semper ist der letzte Spieler der SG Flensburg-Handewitt, der sich noch in der Duburghalle befindet. Eine Situation, die er in der Jugend schon ähnlich erlebte, als er bereits besessen vom Handball war. Diesmal ist allerdings ein Gespräch auf der kleinen Tribüne in der Duburghalle schuld an seinem längeren Verweilen. Zwei Tage nach dem letzten und zwei Tage vor dem nächsten Handball-Match ist Zeit für einen Medien-Termin. „Jeden Tag mehr zwischen den Spielen tut dem Körper gut, dann kann er mehr regenerieren“, sagt der 23-Jährige. Dann ist auch mal Zeit für Spaziergänge in der neuen Wahlheimat. Zum Hafen, in die Innenstadt oder in eine Gastronomie. „Die kleinen Familienbetriebe sind mir am liebsten“, verrät der Leistungssportler.
Der Spielplan ist derzeit eng getaktet. Dennoch finden sich Phasen der Muße und Gelegenheit, einigen Hobbys nachzugehen. Mit einigen Team-Kollegen ist Franz Semper einer „Fantasy-League“ beigetreten und hat ein „Team“ mit zehn NFL-Akteuren berufen. Nun verfolgt er das Geschehen im American Football intensiv. „Dieser Sport ist von der Taktik her unheimlich interessant, und die Show drumherum gehört irgendwie dazu“, erzählt der Handballer. Und wie steht es um sein zusammengestelltes Team? „Es könnte besser laufen“, schmunzelt er.
Natürlich schaut er auch gerne seinen eigenen Sport. Zuletzt spielte die SG oft mittwochs in der Champions League, dann bot sich Donnerstagabend die Möglichkeit, die Bundesliga-Partien gemeinsam mit einigen Mannschaftskameraden zu sehen. Mal traf sich eine Gruppe bei Marius Steinhauser, ein anderes Mal bei Johannes Golla. Als Kompromiss musste immer die Konferenzschaltung herhalten. „Es interessiert natürlich immer die Mannschaft besonders, in denen man die meisten kennt und in der die Freunde spielen“, erklärt Franz Semper.
In seinem Fall ist das natürlich der SC DHfK Leipzig, für den er bis März, bis zur Corona-Zwangspause, auflief. An den freien Wochenenden der Vorbereitung war er in der Sachsen-Metropole und besuchte die alten Kumpel. Dann machte er natürlich auch einen Abstecher ins 30 Kilometer entfernte Borna, wo die Familie lebt. „Das ist eine Stadt mit 20.000 Einwohnern: klein und beschaulich“, erzählt Franz Semper. „Und die Leipziger Seenlandschaft lädt zu Radtouren ein.“ Die Leidenschaft zum Handball wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt. Sein Vater Jörg ist heute Präsident des Bornaer HV 09, damals spielte er in der Bezirksliga. „Ich war von klein auf in der Halle“, sagt der Linkshänder mit einem Lächeln. „Bis das Licht ausging.“
Das Talent reifte. 2013 schleppte Trainer Frank Klingler einige Jungen aus Borna mit zum Training nach Leipzig. Einer von ihnen: Franz Semper. Er wechselte ins Internat und in die Leipziger Handball-Akademie. Im Alter von gerade einmal 17 Jahren schaffte der Senkrechtstarter den Sprung in den Profi-Kader des SC DHfK und durfte 2015 den Aufstieg seiner Mannschaft in die Bundesliga feiern. Dort warf er in 183 Spielen immerhin 547 Tore.
Bald trug Franz Semper das DHB-Trikot. Durchaus erfolgreich, denn bei der U21-Weltmeisterschaft 2015 errang er die Bronze-Medaille. Ab 2018 tauchte er dann auch bei den Männern im Kader auf. Seine Premiere bei einem Großturnier steht allerdings noch aus. Vor der Heim-WM 2019 mischte er immerhin in der Testphase mit, die jüngste EM musste er wegen einer Herzmuskelentzündung frühzeitig absagen. Vielleicht hilft der Wechsel zu einem Top-Team, sich auch im Nationalteam in vorderster Front zu etablieren. Bei der SG trägt Franz Semper – wie auch in der DHB-Auswahl – die Nummer 32, da die angestammte Drei auf Dauer an Vereinslegende Tobias Karlsson vergeben ist.
Der Transfer in den hohen Norden war schon anderthalb Jahre vor seinem ersten SG-Training eingetütet. Und davor gab es ein „Vorspiel“, bei dem sich die Nordlichter und der junge Linkshänder intensiv ausgetauscht hatten. „Da hat mir die SG ein sehr gutes Gesamtkonzept mit Trainer, Mannschaft und Umfeld unterbreitet“, verrät der 23-Jährige. SG-Coach Maik Machulla warnt vor zu großen Erwartungen: „Der Junge ist zum ersten Mal von zu Hause weg, das müssen wir beachten. Bislang war er ein ganz anderes Training und eine andere Führung gewöhnt.“
In der Tat: Franz Semper wird 500 Kilometer weiter nördlich mit einem doppelten Tapetenwechsel konfrontiert. Zum einen taucht er in eine neue Umgebung ein. Vom Binnenland geht es an die Ostsee mit ihren völlig anderen Sehenswürdigkeiten. Statt Leipzig mit Nikolaikirche, Völkerdenkmal oder Altem Rathaus lockt nun eher das Ambiente des Flensburger Hafens. „Dort habe ich im Sommer gleich den Sonnenuntergang und die frische Meeresluft genossen”, erzählt der Handballer. „Als ich die Strandkörbe stehen sah, bekam ich sogar so etwas wie Urlaubs-Feeling.”
Sportlich tritt er in große Fußspuren. Bekanntlich hörte Holger Glandorf auf, und die SG holte den deutschen Nationalspieler als Ersatz. Der Nachfolger eines Idols? Franz Semper: „Ein Vorbild hatte ich nie, irgendwie setzte ich immer auf meinen eigenen Stil.” Im rechten Rückraum kann die SG nun sehr flexibel agieren, da sie zwei unterschiedliche Spielertypen aufbieten kann. Magnus Rød ist zwar fast gleich alt (nur zwei Tage jünger), aber um rund 15 Zentimeter größer. Da ergeben sich taktisch völlig unterschiedliche Möglichkeiten. Franz Semper muss sich an andere Spielzüge und an eine andere Taktik als zuletzt in Leipzig gewöhnen. Maik Machulla ist zuversichtlich, dass ihm das gelingt: „Er hat eine gute Einstellung, einen Drang zum Tor und ein unglaubliches Talent.“
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner