Auch der beste kreative Kopf muss filtern. „90 Prozent der Ideen werden nicht weiterverfolgt, aber zehn Prozent sind es wert, umgesetzt zu werden“, sagt Jürgen Bethge. Das gilt auch, wenn er mal zur Entspannung durch den Wald streift oder beim Strandspaziergang abschaltet. Dann sichtet er immer mal wieder Äste und Baumreste, aber ein kleiner Teil ist so gediegen geformt, dass es sich lohnt ihn mit nach Hause zu nehmen. Dort wandeln sich dann diese Unikate mit Acryl-Farbe zu Tieren und Fabelwesen und zieren diverse Plätze auf der Terrasse oder in den Zimmern eines ruhig gelegenen Reihenhauses. Jürgen Bethge wohnt mit seiner Familie – Frau und drei Kinder – in kurzer Distanz zu seinen beiden prägenden Tätigkeitsorten. Er ist Schulleiter an der Zentralschule Harrislee und bewährter Darsteller an der Niederdeutschen Bühne. Die Pädagogik ist sein liebgewonnener Beruf, das Schauspiel sein ambitioniertes Hobby.

Jürgen Bethge – Pädagoge, Schulleiter, Schauspieler
Der Schauspieler Jürgen Bethge

Wegen der Bundesbank nach Flensburg

Den Großteil seines Lebens verbrachte der 56-Jährige in Flensburg, aber er ist nicht dort geboren. Im Ausweis steht: 12. Mai 1968 in Bingen. Mönchengladbach und Oldenburg waren dann die weiteren Stationen als Kind. Der Vater war bei der Bundesbank beschäftigt und leitete schließlich die Landeszentralbank in Flensburg, die sich damals im Nordergraben befand. Dort wohnte die Familie auch, sodass Jürgen Bethge in den Genuss eines äußerst kurzen Schulweges kam. Er musste nur auf die andere Straßenseite wechseln und betrat nach wenigen Schritten das Alte Gymnasium. Dort machte er 1988 das Abitur.

Musik und Physik entpuppten sich als die Lieblingsfächer. Jürgen Bethge sang gerne, hatte aber auch ein Faible für die Naturwissenschaften. Zu den liebsten Schulstunden entwickelten sich sehr bald die Theater-AG und das Studium erster Bühnenstücke. In der Oberstufe war damit der Durst nach der Schauspielerei nicht mehr zu stillen. Immer häufiger zog es den Schüler auf den Scheersberg, wo regelmäßig Theater-Wochenenden und Workshops angeboten wurden. Dort fand auch später die Hochzeitsfeier mit seiner Ehefrau Svea statt. Sie teilten sich das Theater-Hobby. Oder sollte gar mehr daraus werden? Nach seinen zwei Jahren bei der Bundeswehr im nordfriesischen Seeth fasste Jürgen Bethge einen Entschluss: „Ich will Schauspieler werden und nichts anderes.“

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Halunkenmusik 2011

Schauspielerei oder Lehramt?

Absehbar war, dass sich dieser Traum nicht von heute auf morgen erfüllen würde. Nach und nach hatte man an den diversen Schauspielschulen vorsprechen und sich mindestens ein Jahr bis zu einer Zusage gedulden müssen. Ein zeitliches Vakuum drohte. „Mein Vater drängte darauf, dass ich irgendetwas mache, sei es auch nur ein Parkstudium“, erzählt Jürgen Bethge. „Ich schrieb mich deshalb an der Pädagogischen Hochschule in der Mürwiker Straße für das Lehramt Realschule auf Mathe und Physik ein.“

Im gedanklichen Orbit kreisten aber stets die Schauspielschulen. Der Kandidat hatte den erfahrenen Landestheater-Darsteller Gerd Danzmayr gewinnen können, ihm beim Einstudieren der Vorspielrollen zu unterstützen. Die ersten Einladungen trafen ein: München, Hamburg oder Berlin – es reichte für die engere Wahl, der Durchbruch blieb aber aus. Dann Essen. Im Ruhrpott hatte das Nordlicht sein Schlüsselerlebnis. „Kurz bevor ich auf die Bühne ging, sah ich die Professoren – und die waren alle gelangweilt“, erinnert sich Jürgen Bethge. „Es war das erste Mal, dass ich keine rechte Lust hatte, Theater zu spielen.“ Der Flensburger lieferte dennoch ordentlich ab, auf der Rückfahrt aber ließen ihn die zweifelnden Gedanken nicht mehr los. „Als Profi muss ich womöglich häufiger Kröten schlucken und Kompromisse schließen“, sagte er sich. „Vielleicht ist es besser, die Schauspielerei als Hobby mit der alten Leidenschaft fortzusetzen.“

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Faust 2013

Der Weg zur Niederdeutschen Bühne

Jürgen Bethge hatte am Lehramtsstudium sowie an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Gefallen gefunden. Die Mathematik hatte er zwischenzeitlich durch Deutsch ersetzt, was besser zum Theater passte. In der Physik war er dabei, als die „Phänomenta“, das Flensburger Science-Center, entstand. Und natürlich spielte weiterhin die darstellende Kunst eine zentrale Rolle. An der Hochschule rief der angehende Lehrer eine Studentenbühne ins Leben. Da er auch dem Scheersberg treu blieb, hatte er auch mal an einem Tag zwei Auftritte.

Gut erinnert sich Jürgen Bethge, wie er an der Universität den Mephisto im „Faust“ mimte, um direkt danach zum Landgericht zu eilen, wo er einen Verteidiger spielte. Eine freie Theater-Initiative hatte die ungewohnte Kulisse für die Produktion „Die Verhöre der Gesche Gottfried“ gewählt, Schulfreund und Regisseur Kai Christiansen hatte ihn vom Projekt überzeugt. Die meisten anderen Mitwirkenden kannten sich von der „Niederdeutschen Bühne“ (NDB). Darunter Christoff Bleidt, der einmalig als Richter in Erscheinung trat, aber sonst als NDB-Bühnenleiter agierte. In dieser Funktion rief er Jürgen Bethge kurz darauf an, ob er nicht auch eine Rolle an der NDB übernehmen würde. Aus dem schnellen Ja-Wort sind inzwischen 27 Jahre geworden. Das Zirkustheaterstück „August, August, August“ entpuppte sich 1996 als die gelungene Premiere. Und bereits 2000 übernahm er mit der Parodie „Fast´ne Keunigin von Honolulu“ seine erste Regie an der NDB.

Jürgen Bethge – Pädagoge, Schulleiter, Schauspieler
Swieg still Jung 2015

Käte-Lassen-Schule und Eckener-Haus

Zwischenzeitlich hatte Jürgen Bethge sein Referendariat in Burg (Dithmarschen) angetreten und wohnte mit seiner Frau, die in Flensburg an der Universität tätig war, in Hohn – genau in der Mitte der Alltagsziele. Das Paar war nicht nur aktiv in der Theater-Szene, sondern besuchte auch selbst kulturelle Veranstaltungen. Einen besonderen Reiz übten die großen Bühnen der Millionenstädte aus. „Wir wollten nach Berlin, dachten dann aber, dass es mit Kindern in Flensburg schöner ist“, erzählt der 56-Jährige. Eine Stelle in Flensburg war kein Problem, Physik-Lehrer waren absolut gefragt. „Der Schulrat von Dithmarschen kam sogar zur Prüfung, um mich abzuwerben – aber er war zu spät“, schmunzelt Jürgen Bethge.

Jürgen Bethge – Pädagoge, Schulleiter, Schauspieler
De Nervbüdel 2016

Die Flensburger Käte-Lassen-Schule machte das Rennen. Deutsch und Physik standen nun im Stundenplan, die Theater-Leidenschaft prägte die Freizeit. An der NDB übernahm Jürgen Bethge weitere Rollen und bekam vom neuen Bühnenleiter Rolf Petersen 2003 die Regie beim Stück „Scherensnit“ angeboten. Der Kriminalbeamte und Schauspieler Willy Bartelsen, ein alter Freund der Familie, saß im Vorstand des Vereins „Eckener-Haus“ und wollte die Kultur dort beleben. Jürgen Bethge unterstützte dabei tatkräftig, gründete das Eckener-Ensemble und inszenierte 2001 den „Mord im Eckener-Haus“. Auch Abende mit Texten von Heinz Erhardt und Wilhelm Busch, ein Monodrama mit dem späteren Schauspieler Ole Lagerpusch sowie das Flensburger Hörspiel „Der Spielzeughändler“ gehörten zu den gemeinsamen Projekten.

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Allns 2023

Eine Flensburger Theaterschule

Der Scheersberg mit seinen vielfältigen Schauspiel-Formaten blieb ein bevorzugtes Ziel von Jürgen Bethge. Aber warum gab es so etwas Ähnliches nicht in Flensburg? Er hatte die Idee, eine Theaterschule zu gründen – und auch das nötige Netzwerk. Er versammelte die Leitungen von Landestheater, Niederdeutscher Bühne und Pilkentafel um sich und überzeugte Joachim Schlüter, den damaligen Vorsitzenden der Pogge-van-Ranken-Stiftung. Diese hatte sich dem Schauspielnachwuchs gewidmet. Der Tenor: „Wenn jemand so etwas in dieser Zeit entwickeln möchte, dann muss man ihn unterstützen.“

Jürgen Bethge – Pädagoge, Schulleiter, Schauspieler
Früher das Palast-Kino

2004 ging es wirklich los. Jürgen Bethge agierte als Geschäftsführer der gemeinnützigen Theaterschule. Die „Macher“ hatten für die Talentförderung einige Standorte in der Innenstadt im Fokus, dann erwies sich aber das ehemalige Palast-Kino als am besten geeignet. Fortan konnten zwölf Kinder und Jugendliche in mehreren Klassen einmal die Woche mit einem Theater-Profi arbeiten und Stücke vorbereiten. Wie es der Zufall wollte: Ganz in der Nähe wohnte der langjährige Samson-Darsteller Klaus Esch. Er wurde zunächst Stellvertreter, dann Nachfolger von Jürgen Bethge.

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Theaterschule Flensburg

Rektor der Zentralschule Harrislee

Der Grund für den Ausstieg: Der Lehrer-Beruf verlangte ein größeres Zeitpensum. An der Käte-Lassen-Schule war plötzlich der Posten als stellvertretender Schulleiter frei geworden. Jürgen Bethge griff zu – und kam auf den Geschmack. Wenn irgendwann an einer Flensburger Schule die Rektorenstelle ausgeschrieben werden würde, wollte sich der Pädagoge bewerben. Anfang 2008 war plötzlich die Zentralschule Harrislee in der Verlosung. Jürgen Bethge, noch keine 40 Jahre alt, versuchte es mit einem Testballon. „Ich war unter den sechs Kandidaten der jüngste“, erinnert er sich. „Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um das Verfahren einmal kennenzulernen. Dann rief am Abend Bürgermeister Wolfgang Buschmann an: Ich hatte die Stelle.“

Inzwischen ist der Schulleiter seit 16 Jahren im Amt. Wie gewohnt waren für ihn die Sommerferien früher zu Ende als für die anderen. Schon in der letzten Ferienwoche zeigte er Präsenz, um das neue Schuljahr weiter vorzubereiten und umfangreiche Absprachen mit Leitungsteam und Personalvertretung vorzunehmen. Für den letzten Ferien-Freitag ist stets ein Treffen mit dem gesamten Kollegium terminiert. „Wenn alles abgestimmt ist, ist der erste Schultag längst nicht so stressig“, meint Jürgen Bethge. Rund 1000 Menschen sind im Alltag um ihn herum, davon 850 Kinder und Jugendliche. Für ein Schuljahr hatte der Rektor von Harrislee die Grundschule Medelby wegen einer Vakanz zusätzlich gestemmt. „Das war ein Kontrast“, schmunzelt der 56-Jährige. „In Medelby hatte ich nur sieben Lehrkräfte, in Harrislee sind es 80.“

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Zentralschule Harrislee Abschluss 2024

Er schwärmt regelrecht von der Zentralschule in Harrislee, lobt die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch den „engagierten Schulträger“ und zahlreiche Ehrenamtliche, die das Schulleben mitprägen. In jedem Fall tut sich viel. Die Mensa ist gerade erweitert worden. Die Gemeinde baut ein neues Schwimmbad, um am alten Standort Platz für ein weiteres Schulgebäude zu schaffen, da ab August 2026 Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung an der Grundschule besteht.

Und auch im Lehrplan gibt es immer mal wieder Veränderungen. Der jüngste Clou: das Naturprofil. Dabei spielte der Zufall mit: Während einer Familien-Freizeit auf dem Scheersberg plauderte Jürgen Bethge mit der Waldkindergarten-Koryphäe Petra Jäger über die schwere Umstellung der Kleinen auf den Schullalltag. Prompt gedieh das Konzept die alte Schule in Niehuus einmal die Woche als Anlaufstelle für einen Unterricht in der Natur zu nutzen. Neben Mathe und Deutsch finden so Fauna, Flora und Nachhaltigkeit einen praxisnahen Zugang. „Schule verändert sich permanent“, weiß Jürgen Bethge. „Seit der Corona-Pandemie gibt es in der Pädagogik andere Herausforderungen als vorher.“

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Kirchengemeinderat Weiche

Friedenskirche Weiche und Rotarier Flensburg

In der Gartenstadt in Flensburg-Weiche leben die Bethges inzwischen seit 21 Jahren. Der Familienvater engagiert sich im Gemeinderat der Friedenskirche. Den großen Rahmen bildet ein Spargebot, dass zukünftig die Streichung von Pastorenstellen und die Vernetzung mit anderen Kirchengemeinden sicherlich erfordern wird. Dazu gesellen sich die klassischen Aufgaben: Erntedankfest und Andacht vorbereiten oder bei einer Weihnachtsfeier lesen.

Ein weiteres Ehrenamt ergab sich aus dem Beruf. Als Schulleiter wurde Jürgen Bethge für den „Rotarier-Club Flensburg“ vorgeschlagen und führte den Service-Club 2018/19 als Präsident. In seiner Amtszeit setzte er kulturelle Akzente. Einmal wöchentlich treffen sich die Rotarier im „Borgerforeningen“ und beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen. Eine Neuerung, die ab dem neuen Schuljahr greift, ist jedoch das Ergebnis einer Weiterbildung des Rektors selbst. Das Wahlpflichtfach „Gestalten“ kann ab der siebten Klasse belegt werden, wofür zwei Mal zwei Stunden im Stundenplan integriert werden.

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Zentralschule Harrislee Mensa 2024

„Pole Poppenspäler“ und Kapitän Nemo

Gerne vermittelt Jürgen Bethge die Leidenschaft für das Schauspiel, am liebsten aber steht er selbst auf der Bühne. Dazu gehören auch Solo-Stücke. „Der Kontrabass“ begleitete ihn sogar eine komplette Dekade. „Bis der letzte Vorhang fiel, habe ich immer wieder einen neuen Blickwinkel entdeckt“, erzählt der Einzeldarsteller. Auch für „Pole Poppenspäler“ musste er als Individualist sehr viel Text einstudieren. Dann folgten mit Unterbrechungen über drei Jahre Proben und schließlich 30 Vorstellungen – nicht nur an der NDB Flensburg, sondern auch in Bad Pyrmont. Das niedersächsische Städtchen hat Jürgen Bethge schätzen gelernt.

Auf einer Rückfahrt in den Norden hörte er einmal gespannt dem neuen Hörspiel „20.000 Meilen unter dem Meer“ zu. Der Klassiker von Jules Verne mit Kapitän Nemo und dem U-Boot „Nautilus“. Davon inspiriert plante Jürgen Bethge mit dem Regisseur Jörg Schade ein neues Solo-Stück. 54 Seiten sind zusammengekommen, für den 24. Oktober ist die Premiere angesetzt. Damit ist das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. „Für das Theater gibt es noch viel Stoff, an dem ich mich austoben möchte“, sagt Jürgen Bethge.

Telefon Schule: 97 89 10
Handy-Nr.: 0170 – 382 38 67
juergen@bethge.blog

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat

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